Kurzbeschreibung

Seit 1969 werden in unregelmäßigen Abständen Weißbücher zur Sicherheitspolitik veröffentlicht. Dieser Bericht, der im März 2014 in Auftrag gegeben und 2016 veröffentlicht wurde, befasst sich mit der Sicherheitspolitik sowie der Zukunft der Bundeswehr und zeigt Wege in die Zukunft auf. Im Mittelpunkt dieses Auszugs stehen der transnationale Terrorismus, die Cybersicherheit und zwischenstaatliche Regionalkonflikte.

Weißbuch zur Sicherheitspolitik (Juni 2016)

Quelle

2.2 Herausforderungen für die deutsche Sicherheitspolitik

Deutschlands Sicherheitspolitik steht vor ganz unterschiedlichen Herausforderungen neuer Qualität. Diese unterscheiden sich hinsichtlich der Intensität möglicher Schäden, der Unmittelbarkeit ihrer Einwirkung auf unsere Sicherheit und der Langfristigkeit ihrer Folgewirkungen. Charakteristisch ist ihre Dynamik durch wechselseitige Verstärkung. Zugleich ist unter den Bedingungen der Globalisierung der Faktor geographische Entfernung von abnehmender Relevanz.

Insgesamt wird das Gefährdungsspektrum für unsere Sicherheit breiter, vielfältiger und unberechenbarer.

Transnationaler Terrorismus

Die Herausforderung durch den transnationalen Terrorismus besteht weltweit, ist nicht auf einzelne Staaten oder Regionen beschränkt und nimmt in der Tendenz zu. Transnational operierende Terrororganisationen und Netzwerke profitieren von Staatszerfallsprozessen, die ihnen Rückzugs- und in Einzelfällen sogar Herrschaftsräume verschaffen. Sie nutzen soziale Medien und digitale Kommunikationswege, um Ressourcen zu generieren, Anhänger zu gewinnen, ihre Propaganda zu verbreiten und Anschläge zu planen. Sie verfügen zunehmend über die Fähigkeit, Ziele mit Cyberfähigkeiten anzugreifen oder chemische, möglicherweise künftig auch biologische und radioaktive Substanzen bei einem Anschlag einzusetzen. Darüber hinaus bedienen sie sich krimineller Methoden, um sich zu nanzieren und ihre Handlungsfähigkeit auch überregional auszubauen. Ihre Finanzströme lassen sich nur schwer nachverfolgen und unterbinden.

Neben al-Qaida und seinen Regionalorganisationen, deren Terror weiterhin auch auf westliche Ziele wirkt, hat sich in Teilen des Nahen Ostens die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) mit staatsähnlichen Strukturen festgesetzt. Der IS zielt aktuell auf Territorialpräsenz und Machtprojektion im gesamten Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika zur Verwirklichung seines archaisch intoleranten sogenannten Kalifats ab. Bereits jetzt trägt er zudem seine menschenverachtende Ideologie und seinen Terror auch auf unseren Kontinent und in unsere Gesellschaft.

Unsere offene, freie und auf Respekt vor Vielfalt gründende Gesellschaft ist diesem Terror Feind und Anschlagsziel.

Terroristische Anschläge stellen die unmittelbarste Herausforderung für unsere Sicherheit dar. Dieses Risiko nimmt durch die Radikalisierung von Sympathisanten sowie die Rückkehr gewaltbereiter Kämpfer aus Krisen- und Konfliktgebieten (sogenannter „Foreign Fighters“) nach Deutschland und in die EU-Mitgliedstaaten und damit zumeist auch in den Schengenraum weiter zu und bewegt sich an der Grenze zwischen innerer und äußerer Sicherheit.

Die effektive Bekämpfung des transnationalen Terrorismus erfordert daher enge nationale und internationale, europäische und transatlantische Zusammenarbeit. []

Herausforderungen aus dem Cyber- und Informationsraum

Die sichere und gesicherte sowie freie Nutzung des Cyber- und Informationsraums ist elementare Voraussetzung staatlichen und privaten Handelns in unserer globalisierten Welt. Die wachsende und sämtliche Lebensbereiche durchdringende Digitalisierung mit ihrer fortschreitenden Vernetzung von Individuen, Organisationen und Staaten prägt in einzigartiger Weise die Chancen unserer Gegenwart und Zukunft. Sie macht Staat, Gesellschaft und Wirtschaft jedoch zugleich besonders verwundbar für Cyberangriffe und erfordert unmittelbare Gefahrenabwehr.

Nicht nur die Quantität, vor allem die Qualität der Bedrohung hat sich spürbar gewandelt. Die technische Weiterentwicklung von einfachen Viren hin zu komplexen, schwer erkennbaren Attacken (sogenannte „Advanced Persistent Threats“) stellt einen Qualitätssprung in der Bedrohungslage dar.

Da der Zugang zu Software mit hohem Schadenspotenzial auch aufgrund von Proliferation vergleichsweise leicht und günstig ist, sind die für Cyberangriffe notwendigen Mittel nicht auf Staaten begrenzt. Auch terroristische Gruppierungen, kriminelle Organisationen und versierte Einzelpersonen können potenziell mit geringem Aufwand erheblichen Schaden anrichten. Damit stoßen Bemühungen um die Schaffung international verbindlicher Regelwerke oder vertrauens- und sicherheitsbildender Maßnahmen an enge Grenzen.

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Insgesamt hat sich der Cyber- und Informationsraum damit zu einem internationalen und strategischen Handlungsraum entwickelt, der so gut wie grenzenlos ist. Dieser wird künftig weiter an Bedeutung gewinnen.

Somit sind neben der Arbeit an einem gemeinsamen Verständnis über die Anwendung des Völkerrechts die Erhöhung unserer Reaktionsfähigkeit und Resilienz sowie die Prävention und Abwehr von Cyberangriffen und Informationsoperationen unverzichtbar. Dies umfasst auch kohärente und abgestimmte Strategien im Bündnis sowie in der EU.

Angesichts der derzeit immer noch cyberinhärenten Attributionsproblematik ist die Gefahr der unkontrollierten Eskalation aufgrund eines Cybervorfalls besonders groß. Dem gilt es, präventiv durch Vertrauensbildung und Konfliktlösungsmechanismen entgegenzuwirken.

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Zwischenstaatliche Konflikte

Die Renaissance klassischer Machtpolitik, die auch den Einsatz militärischer Mittel zur Verfolgung nationaler Interessen vorsieht und mit erheblichen Rüstungsanstrengungen einhergeht, erhöht die Gefahr gewaltsamer zwischenstaatlicher Konflikte – auch in Europa und seiner Nachbarschaft, wie das Beispiel des russischen Vorgehens in der Ukraine zeigt.

Zunehmend militärisch unterlegte Gestaltungsansprüche erstarkender Staaten bei gleichzeitig fortbestehenden Territorialkonflikten sowie das Streben nach regionaler Vormachtstellung gefährden die Stabilität des internationalen Systems – und dies nicht nur im europäischen Umfeld. Regionale Gebietsstreitigkeiten in Verbindung mit Machtprojektionen geben insbesondere südost- und ostasiatischen Staaten Anlass zur Sorge. Zudem wird das Eskalationsrisiko zwischenstaatlicher Konflikte in dem Maße steigen, wie nationalistische Stimmungen an Bedeutung gewinnen und instrumentalisiert werden.

Darüber hinaus wenden nichtstaatliche, aber gerade auch staatliche Akteure Methoden hybrider Kriegführung an. Diese beinhaltet den Einsatz militärischer Mittel unterhalb der Schwelle eines konventionellen Krieges. Hybrides Vorgehen zielt dabei auf die subversive Unterminierung eines anderen Staates ab. Der Ansatz verbindet verschiedenste zivile und militärische Mittel und Instrumente in einer Weise, dass die eigentlichen aggressiven und offensiven Zielsetzungen erst in der Gesamtschau der Elemente erkennbar werden.

Hybride Bedrohungen verlangen nach hybrider Analysefähigkeit sowie entsprechender Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit. Dies hat maßgebliche Auswirkungen auf den Charakter und unser Verständnis von Landes- und Bündnisverteidigung im 21. Jahrhundert.

Quelle: Auszug aus dem Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin, Juni 2016, S. 34–38.

Weißbuch zur Sicherheitspolitik (Juni 2016), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/ein-neues-deutschland-1990-2023/ghdi:document-5345> [11.05.2024].