Quelle
Pro Memoria des Erbdrosten Clemens August Droste zu Vischering an seinen Hofmeister Windeck (1776)
1. […] und pfleget solches [das Weinen der Kinder] zu geschehen, um auf Gewohnheit dem Hofmeister etwas Unangenehmes zu tun, demselben seine Bestrafung oder Ermahnung ihm selbsten müde zu machen, welches dem Kind auch glücket, wenn der Hofmeister ohnehin nicht gerne sich damit plaget, sondern lieber mit anderen Leuten als mit den Kindern redet, und gar unmöglich glaubet, immer auf die Kinder die Gedanken und Augen wenden zu können, auch bei die Kinder die unangenehmen Stunden zu finden vermeint.
2. Der Hofmeister muß nicht müßig sein bei den Kindern, jedoch sich nicht so in seine Beschäftigungen vertiefen, daß er nicht immer die Kinder ohnehin in allen ihren Sitten obsonsten beobachtet: es ist gewiß, daß das Beispiel des Hofmeisters sehr viel bei den Kindern wirket; deshalben ist es ohnumgänglich notwendig, daß dieser seine Sitten und Gebahren ohnstrafbar einrichtet, und zwaren immer so, als wan er mit fürnehmen Leuten umginge; es ist deshalben denen Eltern sehr unangenehm, wan solche den Hofmeister im Zimmer, den Hut auf dem Kopf, und auf die Stuhle nach Bedienten- und Studentenart liegen finden, und wan dieselbe sehen, daß der Hofmeister immer die Finger im Gesicht, und am Tisch die Hände in das Brot hat, und sich an der Wand und an alle Tische oder Stühle im Stehen anlehnet, die Messer und Gabeln im ganzen Brot statt ein Stück davon zu schneiden, abwischet, auch die Augen mit der Serviette, welche nur allein zum Mundwischen dienet, auswischet oder gar daran nießet, und dergleichen: der Hofmeister muß durch sein Beispiel die Fehler gut zu machen suchen, welche er bei andern Personen, auch sogar bei den Älteren findet: auch muß er sehr höflich, jedoch ohn Affektierung sein. Sowohl mit den Kindern als anderen. Man pretendieret mehr von ihm als von anderen; deshalben, wan der Hofmeister übel gesittet ist, so müssen die Eltern, neben dem Verdruß ihrer Kinder halber, bei anderen Leuten sich seiner schämen: nur gute Sitten zu erwerben und dieselbige zu unterhalten, muß der Hofmeister den Umgang mit seinesgleichen oder höheren Personen suchen, und nicht mit Bedienten, Hoflivree, Musikanten etc. sich in langer Gesellschaft einlassen, viel weniger mit dieselben ein Glas Wein trinken.
3. Muß der Hofmeister die Kinder unschuldig und lustig im Spazierengehen und sonsten unterhalten; auf ihre Frag höflich und verständig antworten und sich mit ihnen im Reden einlassen, und dadurch, im Fall sie ausschweifen zurück in sich führen, oder sonsten bestrafen. Ich beziehe mich übrigens auf die Anweisung, so ich voriges Jahr dem Herrn Hofmeister im Sommer schriftlich zukommen lassen habe, dieselbe ist fleißig nachzulesen. […] Der Hofmeister muß den Kindern z. B. eine reine gute Aussprache, besonders in den öffentlichen Gebetern, annehmen, und solche auch erbaulich und nicht raptim daher sagen, weder auch die Wörter des Segens aussprechen ohne das Kreuz zugleich zu machen, wie voriges Jahr beim Abendgebet sehr oft zum übelen Beispiel geschehen.
[…]
In dieser Hoffnung [auf Besserung] finde mich bestärket, da ich seit 4 Wochen bei dem Herrn Hofmeister mehr Fleiß in Absicht auf den Kindern verspürt zu haben vermeine. Besonders empfehle, die Kinder zur neuen Aussprache, Gradhalten und zur Ordnung in Verwahrung ihrer Sachen anzuhalten, gleichwie ich kenntlich die übele Gewohnheiten, wan sie bei den Kindern verwurzeln und permanent werden, ganz gewiß den Hofmeister zur Last legen, und ihn dafür ansehen werde. Wobei ich schließlich ohnverhalte, daß ich mit großem Mißvergnügen d. A. dieses nochmals von der geringen Besorgnis des Herrn Hofmeisters in Betreff deren ihm anvertrauten Kindern ein Beweis erfahren müssen, da er, anstatt nach dem Abendessen zu den Kindern, worunter der Caspar den Husten hatte, zu gehen, seiner ersten Pflicht die Gesellschaft des H. Zuckmann und der Haushälterin vorgezogen hat; es ist übrigens ein großer Unterschied zwischen großen Leuten, wan diesen etwas fehlet und zwischen Kindern, wobei die geringste Kleinigkeit genau zu beachten […] und sind überhaupt die Gesellschaften der Kammerjungfern, Haushälterinnen und Bedienten keine Gesellschaft für einen Hofmeister.
Vorhelm, den 4. Mai 1776
C.A. m. F. h. Droste von Vischering.
Quelle: Bistumsarchiv Münster, Depositum Archiv Droste-Vischering-Darfeld. Nachlaß Clemens August Droste zu Vischering, Nr. 1d; abgedruckt in Jürgen Schlumbohm, Kinderstuben, Wie Kinder zu Bauern, Bürgern, Aristokraten wurden 1700–1850. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983, S. 186–88.