Quelle
Liebe Getreue!
Ueberzeuget einerseits von der Schädlichkeit alles Gewissenszwanges und andererseits von dem grossen Nutzen, der für die Religion und den Staat aus einer wahren christlichen Toleranz entspringet, haben Wir Uns bewogen gefunden, den Augsburgischen und Helvetischen Religionsverwandten, dann den nicht unirten Griechen ein ihrer Religion gemässes Privat-Exercitium allenthalben zu gestatten, ohne Rücksicht ob selbes jemals gebräuchlich oder eingeführt gewesen sei oder nicht. Der katholischen Religion allein soll der Vorzug des öffentlichen Religions-Exercitii verbleiben, den beiden protestantischen Religionen aber, sowie der schon bestehenden nicht unirten griechischen aller Orten, wo es nach der hier unten bemerkten Anzahl der Menschen und nach den Facultäten der Inwohner thunlich fällt, und sie Acatholici nicht bereits in Besitz des öffentlichen Religions-Exercitii stehen, das Privat-Exercitium auszuüben erlaubt sein. Insbesondere aber bewilligen Wir:
Erstens: den akatholischen Unterthanen, wo 100 Familien existiren, wenn sie auch nicht in dem Orte des Bethhauses oder Seelsorgers, sondern ein Theil derselben auch einige Stunden entfernt wohnen, ein eigenes Bethhaus nebst einer Schule erbauen zu dürfen, die weiter entfernten aber können sich in das nächste jedoch inner den k. k. Erbländern befindliche Bethhaus, so oft sie wollen, begeben, auch ihre erbländische Geistliche die Glaubensverwandten besuchen und ihnen, auch den Kranken mit dem nöthigen Unterrichte, Seelen- und Leibestroste beistehen, doch nie verhindern, unter schwerster Verantwortung, dass einer von einem oder anderem Kranken anverlangte katholische Geistliche berufen werde.
In Ansehung des Bethhauses befehlen Wir ausdrücklich, dass, wo es nicht schon anders ist, solches kein Geläute, keine Glocken, Thürme, und keinen öffentlichen Eingang von der Gasse, so eine Kirche vorstelle, haben, sonst aber, wie und von welchen Materialien sie es bauen wollen, ihnen freistehen, auch alle Administrirung ihrer Sacramenten und Ausübung des Gottesdienstes sowohl in dem Orte selbst als auch deren Ueberbringung zu den Kranken in den dazu gehörigen Filialen, dann die öffentlichen Begräbnisse mit Begleitung ihres Geistlichen vollkommen erlaubt sein soll.
Zweitens: bleibet denselben unbenommen, ihre eigenen Schulmeister, welche von den Gemeinden zu erhalten sind, zu bestellen, über welche jedoch Unsere dort (hier) ländige Schuldirection, was die Lehrmethode und Ordnung betrifft, die Einsicht zu nehmen hat. Ingleichen bewilligen Wir:
Drittens: den akatholischen Inwohnern eines Orts, wenn selbe ihre Pastoren dotiren und unterhalten, die Auswahl derselben, wenn aber solches die Obrigkeiten auf sich nehmen wollen, hätten sich diese des Juris praesentandi allerdings zu erfreuen, jedoch behalten Wir Uns die Confirmation dergestalten bevor, dass, wo sich protestantische Consistoria befinden, diese Confirmationen durch selbe, und wo keine sind, solche entweder durch die im Teschnischen oder durch die in Hungarn schon bestehende protestantische Consistoria ertheilet werden, insolange bis nicht die Umstände erfordern, in den Ländern eigene Consistoria zu errichten.
Viertens: Die Jura stolae verbleiben, so wie sie in Schlesien, dem Parocho ordinario vorbehalten.
Fünftens: Wollen Wir die Judicatur in den das Religionswesen der Acatholicorum betreffenden Gegenständen Unserer politischen Landesstelle mit Zuziehung eines oder des andern ihrer Pastoren und Theologen gnädigst aufgetragen haben, von welcher nach ihren Religionsgrundsätzen gesprochen und entschieden werden, hierüber jedoch der weitere Recurs an Unsere politische Hofstelle freistehen solle.
Sechstens: Hat es von der Ausstellung der bisher gewöhnlich gewesenen Reverse bei Heurathen von Seite der Acatholicorum wegen Erziehung ihrer erzeugenden Kinder in der römischkatholischen Religion von nun an gänzlich abzukommen, da bei einem katholischen Vater alle Kinder in der katholischen Religion, sowohl von männlich als weiblichen Geschlechte, ohne Anfrage zu erziehen sind, welches als ein Praerogativum der dominanten Religion anzusehen ist, wo hingegen bei einem protestantischen Vater und katholischen Mutter sie dem Geschlecht zu folgen haben.
Siebentens: Könnten die Acatholici zum Häuser- und Güter-Ankauf, zu dem Bürger- und Meister-Rechte, zu academischen Würden und Civil-Bedienstungen in Hinkunft dispensando zugelassen werden, und sind diese zu keiner andern Eidesformel als zu derjenigen, die ihren Religionsgrundsätzen gemäss ist, weder zu Beiwohnung der Processionen oder Functionen der dominanten Religion, wenn sie nicht selbst wollen, anzuhalten. Es soll auch ohne Rücksicht auf den Unterschied der Religion in allen Wahlen und Dienstvergebungen, wie es bei Unserem Militari täglich ohne mindesten Anstand und mit vieler Frucht geschiehet, auf die Rechtschaffenheit und Fähigkeit der Competenten, dann auf ihren christlichen und moralischen Lebenswandel lediglich der genaue Bedacht genommen werden. Derlei Dispensationes zu Possessionen, dann zum Bürger- und Meister-Rechte sind bei den unterthänigen Städten durch die Kreisämter, bei den königlichen und Leibgedingstädten aber, da wo Landeskämmerer sind, durch diese, und wo sich keine befinden, durch Unser Landesgubernium (Landeshauptmannschaft) ohne alle Erschwerung zu ertheilen. Im Falle aber bei den angesuchten Dispensationen sich Anstände, wegen welcher selbe abzuschlagen erachtet würden, ergeben sollten, ist hievon jedesmal die Anzeige una cum motivis an Unser Gubernium (Landeshauptmannschaft) und von euch anher zu Einholung Unserer höchsten Entschliessung zu erstatten.
Wo es aber um das Jus Incolatus des höheren Standes zu thun ist, da ist die Dispensation nach vorläufig vernommener Landesstelle von Unserer Böhm. Oesterr. Hofkanzlei zu ertheilen.
Diese Unsere höchste Schlussfassung werdet ihr den Kreisämtern, Magistraten und Dominien durch eigends gedruckte Circularien, wovon eine grössere Ansahl als sonst gewöhnlich aufzulegen ist, bekannt machen lassen, auch dem dort (hier) Landes verlegenden Buchdrucker zu gestatten haben, an Jedermann, der es verlanget, solche gedruckte Circularien abzugeben und andurch die hinlängliche Verbreitung auch in andere Länder zu bewirken.
Quelle: Gustav Frank, Hg., Das Tolerenz-Patent, Kaiser Joseph II. Urkundliche Geschichte seiner Entstehung und seiner Folgen. Wien: Wilhelm Braumüller, 1882, S. 37-41.