Einführung

  • Jason Coy
  • Jared Poley

Als der verheerende Dreißigjährige Krieg endlich zu Ende ging, standen die Überlebenden vor der schwierigen Aufgabe des Wiederaufbaus und der Wiederherstellung der Ordnung. Während sich die Menschen von dieser Krise erholten, gestalteten sie die deutsche Gesellschaft allmählich neu. Während des langen 18. Jahrhunderts, also der Zeit von 1648 bis 1815, erlebte die Bevölkerung der deutschsprachigen Territorien Europas unzählige Veränderungen. Diese führten schließlich zum Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reichs, zum Aufstieg ambitionierter dynastischer Staaten, die von absolutistischen, um die Herrschaft wetteifernden Monarchen regiert wurden, sowie zur Proto-Industrialisierung der Region, welche die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft von Grund auf veränderte. Gleichzeitig prägten tiefgreifende geistige und kulturelle Veränderungen diese Epoche: Von der Überschwänglichkeit des Spätbarocks über die Wiederkehr des Pietismus in der Religion und die Ausbreitung des rational-reformierenden Denkens der Aufklärung bis hin zur starken emotionalen Resonanz, welche die Romantik hervorrief. Zwar hatten sich die deutschen Staaten in der Zeit bis zum Jahr 1815 frappierend gewandelt, das traditionelle Weltverständnis und die althergebrachte Auseinandersetzung mit Notlagen jedoch – geprägt durch christlichen oder auch heidnisch-magischen Glauben und die Achtung vor königlicher Autorität – bestanden weiter fort.

Geschichtsforschende, die sich mit den deutschen Staaten im langen 18. Jahrhundert beschäftigen, stellten diesen Zeitraum lange Zeit als eine Epoche des Fortschritts dar. Im historischen Rückblick und unter Berufung auf eine teleologische Perspektive, die Modernisierungstheorien innewohnt, haben sie ihre Aufmerksamkeit auf die Ursprünge des modernen deutschen Nationalstaates, die Entwicklung aufgeklärter Vernunft und den kulturellen Aufschwung der Zeit gerichtet. Jüngste Forschungen haben dieses Bild jedoch in mehrfacher Hinsicht differenziert. Politikwissenschaftler haben die Unvermeidbarkeit des Untergangs des Heiligen Römischen Reichs infrage gestellt und argumentiert, dass dieser eher der Zäsur durch die Napoleonischen Kriege geschuldet war als einem Fehler des kaiserlichen Herrschaftssystems selbst oder der Dynamik Preußens. Stattdessen betonen sie die Rolle, die das Heilige Römische Reich bei der Förderung der Zusammenarbeit und der Vermittlung bei Streitigkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten im Laufe des langen 18. Jahrhunderts gespielt hat. Auch das traditionelle Bild der Aufklärung als weitgehend konservative geistige Bewegung, die Deutschland durch ihre Betonung der Vernunft grundlegend wandelte, wurde von Wissenschaftlern revidiert. Ihre Forschungsschwerpunkte – die radikalen Ausmaße dieser intellektuellen Veränderungen sowie konservative Gegenreaktionen auf den Wandel – haben das Verständnis neu verortet. Zuletzt hat die jüngste Kulturforschung untersucht, inwieweit der Sturm und Drang, verkörpert durch Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller, während der Zeit der Napoleonischen Kriege kraftvolle nationalistische Impulse setzte und liberale politische Bestrebungen entfesselte und damit Kräfte, die Deutschland später im 19. Jahrhundert prägen sollten.

Politik und Diplomatie

Der verheerende Dreißigjährige Krieg und die Friedensverträge von Münster und Osnabrück, die ihn beendeten, waren nicht ausschlaggebend für das Ende des Heiligen Römischen Reichs. Denn das Reich, ein breit gefächerter Bund bestehend aus Hunderten de facto unabhängiger Staaten, von mächtigen Königreichen über freie Städte bis hin zu Kirchen- und winzigen Zwergstaaten, die von unbedeutenderen Fürsten oder Reichsrittern regiert wurden, bestand noch bis 1806 und prägte die deutsche Politik bis zu seiner Auflösung weiter. Trotz der abwertenden rückblickenden Meinungen nationalistischer Gelehrter des 19. Jahrhunderts – darunter zahlreiche bekannte Zeitgenossen, wie der französische Philosoph Voltaire, dessen Ausspruch, das Reich sei weder heilig, noch römisch, noch ein Kaiserreich, oft zitiert wird – bildete der Staatenverband weiterhin einen politischen und rechtlichen Rahmen für die Beziehungen zwischen territorialen Fürsten, kirchlichen Prälaten, Stadträten und dem Kaiser. Diese Verhältnisse wurden zwar oft von verwirrenden veralteten Gesetzen geregelt und die kaiserlichen Gerichte waren bei der Bearbeitung von Streitfällen in peinlichem Rückstand, sodass diese oft erst nach Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten zum Urteil kamen. Jedoch erwiesen sich diese Institutionen weitgehend erfolgreich, wenn man bedenkt, dass sie den Frieden zwischen den verschiedenen Mitgliedsstaaten des Reichs wahrten. Zudem wurden die Rechte kleinerer Staaten sowie religiöser und ethnischer Minderheiten innerhalb des zunehmend vielfältigen Kaiserreichs geschützt. Jüngste Studien haben die positiven Eigenschaften des Heiligen Römischen Reichs hervorgehoben und es als eine Art föderalen Vorläufer der Europäischen Union charakterisiert, anstatt als altmodischen, gescheiterten Nationalstaat.

Der Dreißigjährige Krieg stellte den Höhepunkt – und das endgültige Scheitern – des Versuchs der österreichischen Habsburger-Dynastie dar, dem Heiligen Römischen Reich den Katholizismus aufzuzwingen und es in einen zentralisierten dynastischen Staat zu verwandeln. Die protestantischen Fürsten, welche die habsburgischen Pläne mit wesentlicher Unterstützung des protestantischen Schwedens und des katholischen Frankreichs vereitelten, kämpften nicht nur um die Bewahrung ihrer Religionsfreiheit, sondern verteidigten damit auch ihre Rechte gegenüber dem Kaiser. Der Westfälische Frieden spiegelte diese neuen religiösen und politischen Gegebenheiten wider. So wurden darin beispielsweise die religiöse Vielfalt des Reichs anerkannt und die Rechte der katholischen, lutherischen und calvinistischen Bevölkerung garantiert. Fürsten – welche die offizielle Religion ihres Hoheitsgebiets durch das Prinzip cuius regio, eius religio, oder „wessen Gebiet, dessen Religion“, regelten – wurde somit untersagt, religiöse Minderheiten dieser drei Konfessionen willkürlich zu vertreiben. Ebenso mussten alle wichtigen Organe der kaiserlichen Regierung religiöse Gleichstellung gewährleisten, sodass weder Katholiken noch Protestanten der anderen Konfession ihren Willen aufzwingen konnten. Der Westfälische Frieden begrenzte zudem die einseitige politische Autorität des Kaisers und machte jegliche zukünftige Versuche unmöglich, die religiöse Einheitlichkeit des Kaiserreichs zu erzwingen. Die Fähigkeit des Kaisers, neue Gesetze zu erlassen, wurde stark eingeschränkt, da alle neuen Maßnahmen fortan der Zustimmung einer Mehrheit der Reichstagsdelegierten bedurften. Der Reichstag, der von 1663 bis zur Auflösung des Reichs 1806 in Regensburg einberufen wurde, bot den Delegierten (Reichsständen) ein Forum zur Diskussion wichtiger Fragen sowie kleineren Staaten ein Gremium, um ihre Missstände zu beklagen.

Trotz dieser strikten neuen Begrenzungen seiner Macht und der zunehmenden Autonomie ehrgeiziger Herrscher von Staaten wie Brandenburg-Preußen, Sachsen, Hannover und Bayern, spielte der römisch-deutsche Kaiser als Vorsitzender der kaiserlichen Gerichte immer noch eine wichtige Rolle bei der Schlichtung von Streitigkeiten zwischen den kleineren Staaten des Reichs. Diese umfassten das Reichskammergericht (das oberste Gericht des Reichs), das von den Reichskreisen ernannt wurde, und den Reichshofrat, der in Wien zusammentrat und vom Kaiser ernannt wurde. So verfügte das Kaiserreich über ein zweigeteiltes Rechtssystem, wobei ein Gericht von den Reichskreisen, und somit den Reichsständen, und das andere vom Kaiser ernannt wurde. Gemeinsam legten sie Streitigkeiten zwischen Herrschern und Untergebenen bei und sorgten zudem dafür, dass Konflikte zwischen Staaten vor Gericht und somit nicht auf dem Schlachtfeld gelöst wurden. Obwohl die Bevölkerung des Kaiserreichs gemäß den religionsrelevanten Bestimmungen des Friedensvertrags und dem Schutz durch die kaiserlichen Gerichte bestimmte Rechte genossen, blieben religiöse Intoleranz und die Verfolgung religiöser Minderheiten noch lange nach dem Westfälischen Frieden die Norm. Das bekannteste und berüchtigtste Beispiel ereignete sich 1731, als rund 21.000 Protestanten trotz verzweifelter Appelle an den Reichstag aus dem katholischen Salzburg vertrieben und nach einem qualvollen Marsch nach Preußen umgesiedelt wurden. Die Einschränkung der politischen Befugnisse des Kaisers hatte zudem wichtige diplomatische und militärische Auswirkungen. Durch die Begrenzung der Macht des Kaisers wurden zwar die Freiheiten der mächtigen Fürsten des Kaiserreichs gewahrt. Gleichzeitig beeinträchtigten sie jedoch die Befugnisse des Kaisers, das Heilige Römische Reich bei Aggressionen von außen zu verteidigen oder interne Konflikte zu verhüten. Einem Kaiser nach dem anderen waren somit die Hände gebunden: Sie konnten kein wirksames Reichsheer aufstellen und mussten machtlos zusehen, wie Konflikte zwischen den mächtigen deutschen Staaten ausbrachen oder wie Frankreich unter Ludwig XIV. und unter Napoleon in die westlichen Regionen des Kaiserreichs einmarschierten – mit verheerenden Folgen.

Auch das Ende des Dreißigjährigen Krieges brachte dem Reich keinen dauerhaften Frieden. Innerhalb von Jahrzehnten nach Ende des Konflikts sah sich Deutschland einer weiteren schrecklichen Bedrohung durch Frankreichs König Ludwig XIV. (Regentschaft: 1643–1715) gegenüber. Der französische Monarch hatte es auf das Rheinland abgesehen und besetzte es 1688. Im sogenannten Pfälzischen Erbfolgekrieg marschierten französische Truppen in das Rheinland ein und plünderten einen Großteil des Elsass‘ und der Pfalz, während das Haus Habsburg vergebens bemüht war, eine effektive Koalition deutscher Fürstentümer aufzubauen, um den Angriff abzuwehren. Tatsächlich fürchteten sich viele mächtige deutsche Fürsten ebenso sehr vor der Macht des habsburgischen Kaisers wie vor Ludwig XIV. und verbündeten sich deshalb mit Frankreich – wie beispielsweise Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Preußen (Regentschaft: 1640–1688). Letztlich sah sich der belagerte Kaiser Leopold I. (Regentschaft: 1658–1705) gezwungen, einen Friedensvertrag zu unterzeichnen, durch welchen er Straßburg und einen Großteil des Rheinlands an den französischen König abtreten musste (Frieden von Rijswijk, 1697). Währenddessen lauerte eine neue Bedrohung durch einen alten Feind auf das Reich: Im Jahr 1683 belagerten osmanische Truppen Wien bereits zum zweiten Mal und die Stadt wurde erst in letzter Minute durch das Eintreffen eines kaiserlichen polnischen Entsatzheeres gerettet. Nach der Niederlage des Osmanischen Reichs entfachte Kaiser Leopold I. den Großen Türkenkrieg (1683–1699), wodurch die Habsburgermonarchie große Teile Osteuropas für Österreich zurückerobern konnte. Berauscht vom Sieg begann das Haus Habsburg, dessen Macht im Reich durch den Westfälischen Frieden beschnitten worden war, sich verstärkt auf die Eroberung neuer Gebiete im Osten zu konzentrieren und seine Vorrangstellung in den eigenen Kronländern zu festigen, in dessen Zentrum die schillernde Barockhauptstadt Wien lag. Durch diese Erblande – darunter die Kerngebiete Österreichs und mehrere über den Südwesten Deutschlands verteilte Besitztümer sowie Böhmen und Ungarn – wurde das Haus Habsburg zu Beginn des 18. Jahrhunderts zum mächtigsten, angesehensten und wohlhabendsten Fürstenhaus im Reich.

Im Norden des Reichs selbst tat sich jedoch eine neue Macht hervor, die der Habsburgermonarchie ihre Vorherrschaft streitig machen wollte: Hohenzollern-Preußen. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges bestand Brandenburg-Preußen aus einer Reihe verstreuter dynastischer Gebiete, die über Nord- und Mitteldeutschland verteilt waren. Der Krieg hatte Brandenburg-Preußen schwer zugesetzt, wodurch das Hochadelsgeschlecht als unwahrscheinlicher Anwärter auf die Stellung als nächste europäische Großmacht erschien. In der Tat hatte Preußens Aufstieg einen ungünstigen Anfang genommen: Als Kurfürst Friedrich III. (Regentschaft: 1688–1713) sich 1701 selbst zum König in Preußen krönte (da er der Monarch eines Gebiets war, das außerhalb der Grenzen des Heiligen Römischen Reichs lag), machten sich die Habsburger über diesen Akt noch lustig. In den folgenden Jahrzehnten schlug das ehrgeizige Preußen jedoch einen Weg der zunehmenden Militarisierung ein, zu dem ein stehendes Heer gehörte, das durch eine erdrückende Steuerlast finanziert wurde, und eine effiziente Bürokratie unter Leitung des Dienstadels. Eine rücksichtslose Reglementierung und ambitionierte wirtschaftliche Entwicklungen machten Preußen nach und nach zu einem Kasernenstaat, der den Befehl über eine der mächtigsten Armeen Europas hatte. Im Jahr 1740 hatte Friedrichs Nachfolger, Friedrich Wilhelm I. (Regentschaft: 1713–1740) demnach die Befehlsmacht über 80.000 bewaffnete Männer, während Österreich, trotz einer Bevölkerung, die dem Doppelten der Preußens entsprach, nur 110.000 Soldaten kommandierte. Der junge preußische Monarch Friedrich II. (Regentschaft: 1740–1786), der als Friedrich der Große in die Geschichte eingehen sollte, war zudem bereit, sein mächtiges Heer auf die Probe zu stellen. Preußische Truppen wurden mobil gemacht, um das österreichische Schlesien zu besetzen und dabei einen zweifelhaften Anspruch auf die Thronfolge der wohlhabenden Provinz geltend zu machen: Kaiser Karl VI. (Regentschaft: 1711–1740) war gestorben, ohne einen männlichen Thronerben zu hinterlassen. So kam es zum Österreichischen Erbfolgekrieg (1740–1748), in welchem die von Karl VI. gewählte Thronfolgerin Maria Theresia schwer darum kämpfte, ihr Reich gegen Preußen und andere Mächte zu verteidigen, die habsburgische Gebiete erobern wollten. Bei den anschließenden Friedensverhandlungen musste Österreich schließlich Schlesien an Preußen abtreten; im Gegenzug musste Hohenzollern aber Maria Theresia als österreichische Monarchin und ihren Gemahl als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs anerkennen. Fortan, und bis zur Auflösung des Heiliges Römischen Reichs, sollte die deutsche Politik also von der Rivalität zwischen diesen beiden Mächten dominiert werden: das preußische Hohenzollern, die protestantische Macht im Norden, und das habsburgische Österreich, die katholische Macht im Süden. Im Jahr 1756 brach erneut Krieg zwischen diesen beiden konkurrierenden Staaten aus, denn Österreich versuchte, seine verlorene Provinz Schlesien und damit seinen Status als erste Macht im Kaiserreich zurückzugewinnen. Im daraufhin folgenden Siebenjährigen Krieg (1756–1763) gelang es Preußen, das allein vom britischen Haus Hannover unterstützt wurde, sich gegen Österreich und seine mächtigen Verbündeten Frankreich, Russland und Schweden, ganz zu schweigen von der Unterstützung der Großzahl führender deutscher Fürsten, zu behaupten. Der Triumph Friedrichs des Großen forderte jedoch einen hohen Preis: Im Verlauf des Siebenjährigen Krieges starben über 500.000 Soldaten, darunter 180.000 preußische.

Nach diesen peinlichen Niederlagen gegenüber dem Haus Hohenzollern ergriff das erschütterte Österreich Maßnahmen, um seine Position im Kaiserreich zu stärken. In Erwartung eines weiteren Konflikts mit ihren hohenzollerischen Rivalen, begann die Habsburgermonarchie umgehend mit der Umstrukturierung ihres einst ruhmreichen Heers nach preußischem Vorbild. Bürokratische Innovationen im preußischen Stil sollten Österreich befähigen, seine Einnahmen zu steigern und mehr Soldaten zu rekrutieren. Die wichtigste Änderung bestand aber in der Neuordnung des Oberkommandos, wodurch ein wirksamerer Führungsstab auf dem Schlachtfeld gewährleistet wurde. Diese Maßnahmen, durch welche eine ruhmreiche Armee gegen Preußen in die Schlacht geführt werden sollte, konnten den Niedergang des Habsburgerreichs letztlich jedoch nicht aufhalten. Die rasche Umsetzung von Reformen im Sinne eines aufgeklärten Absolutismus stieß bei den Untergebenen auf erheblichen Widerstand: Die kirchliche und adelige Elite Österreichs schloss sich ungarischen Patrioten an, die ebenso um die Wahrung ihrer erblichen Rechte bemüht waren. Gleichzeitig war das Ansehen der Kaiserkrone durch die demütigenden Niederlagen Österreichs durch die Preußen stark geschädigt worden und der Zusammenhalt innerhalb des Habsburgerreichs begann zu bröckeln.

Als Maria Theresias Sohn Joseph II. (Regentschaft: 1765–1790) 1765 zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gekrönt wurde, bestimmten die charakteristischen skrupellosen Machtverhältnisse der Epoche und die bittere Rivalität zwischen Österreich und Preußen bereits die Politik im Reich. Die mächtigsten Staaten, zu welchen neben Österreich und Preußen auch Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg gehörten, handelten in Eigenverantwortung und das Heilige Römische Reich wurde bald zu wenig mehr als einer kuriosen Idee und einem Schauplatz für obskure Rechtsstreitigkeiten degradiert. Joseph II. verfolgte ohne Rücksicht auf Verluste seine eigenen Thronfolgeziele: Er beteiligte sich 1772 an der Ersten Polnischen Teilung und stürzte Österreich 1778 in den Bayerischen Erbfolgekrieg, in welchem Preußen und Sachsen Josephs Versuche vereitelten, Bayern seinen Besitztümern zuzuschlagen. Gemeinsam mit seinem Verbündeten Russland konzentrierte sich Joseph II. im folgenden Jahrzehnt auf teure und am Ende erfolglose Feldzüge an der Ostgrenze des Habsburgerreichs gegen das Osmanische Reich. Ein weiterer leichtsinniger Versuch, bayerisches Staatsgebiet zu erobern, führte zur Bildung des sogenannten Fürstenbundes, einem von Friedrich II. von Preußen in die Wege geleiteten Bündnis deutscher Fürstentümer, deren Gemeinsamkeit im Widerstand gegen die österreichischen Expansionsbestrebungen lag. Der kurzlebige Fürstenbund, der in erster Linie Joseph II. in Schach halten sollte, belegte die wachsende Macht Preußens – des Staates, der 1871 schließlich Deutschland vereinen sollte – sowie das schwindende Ansehen des römisch-deutschen Kaisers. Bis um 1790 waren am Rande des Habsburgerreichs im Westen – in Belgien – und im Osten – in Ungarn – erste Proteste gegen Josephs Zentralisierungsbestrebungen und seine weitreichenden Reformen ausgebrochen. Aus Angst vor der Spaltung seines Reichs sah sich Kaiser Joseph II. gezwungen, viele seiner Reformen rückgängig zu machen, und er starb im Februar 1790, desillusioniert, im Alter von 48 Jahren an Tuberkulose. Sein Nachfolger, Kaiser Leopold II. (Regentschaft: 1790–1792), erwies sich als vorsichtigerer Reformer mit besserer Umsicht. Durch den Ausbruch der Französischen Revolution fanden Preußen und Österreich erneut Gemeinsamkeiten. Die Epoche endete mit den traumatischen Ereignissen der Napoleonischen Kriege: Tausende Deutsche auf beiden Seiten des Schlachtfelds verloren ihr Leben. Gleichzeitig wurden dauerhafte politische Strukturen, wie das Heilige Römische Reich, nach der Französischen Revolution und durch Napoleons ehrgeizige Neuverteilung der europäischen Gebiete für immer ausgelöscht.

Wirtschaft und Demografie

Die Langzeitfolgen des Dreißigjährigen Kriegs zeigten sich in einer katastrophale Entvölkerung und Verwüstung des deutschsprachigen Raums, die dessen wirtschaftliche Erholung behinderten. Während der zerstörerischen Kriegsjahre sank die Bevölkerung ganzer Regionen des deutschsprachigen Europas um bis zu fünfzig Prozent; Menschen verließen ihre Dörfer und ließen ihre Felder und Ackerland zurück. Obwohl einige Gebiete Deutschlands relativ unversehrt geblieben waren – darunter Westfalen, Niedersachsen, der Niederrhein, Schleswig-Holstein, die Nordseeküste und die habsburgischen Kronländer – sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis sich das ganze Reich vom Krieg erholt hatte. So beeinträchtigten anhaltende demografische und wirtschaftliche Missstände viele Gebiete Mitteleuropas bis ins 18. Jahrhundert. Verschlimmert wurden diese noch durch globale Verschiebungen in der Wirtschaft, die einen Großteil des Kaiserreichs zur ökonomischen Provinz machten. Während der Wirtschaftsraum rund um den Atlantik den ehrgeizigen europäischen Kolonialmächten neuen Wohlstand brachte und sie von einer zunehmend globalisierten Wirtschaft profitieren ließ, blieb ein Großteil der deutschen Staaten hiervon unberührt. Jahrhundertelang bildete Deutschland die Achse für den Handel zwischen den reichen Städten Italiens, den Umschlagplätzen für den Mittelmeerhandel mit dem Osten, und den Handelsstädten der Niederlande. Durch die Verlagerung der wirtschaftlichen Machtzentren hin zur europäischen Atlantikküste sah sich Deutschland jedoch zunehmend an den Rand gedrängt. Es gab jedoch ein paar bedeutende Ausnahmen: Einige deutsche Hafenstädte, wie beispielsweise Hamburg, konnten beim Fernhandel auf dem Seeweg mithalten und Güter wie Textilien, Getreide und Holz verschiffen. Ähnlich sattelten süddeutsche Städte ihren Handel mit Osteuropa auf Lastkähne auf der Donau um. Der Großteil der deutschen Wirtschaftstätigkeit beschränkte sich jedoch weiterhin auf den Binnenmarkt. Angesichts der Schwierigkeiten beim Überlandtransport war die wirtschaftliche Tätigkeit meist regional begrenzt, zumal der Handel zwischen den Hunderten von Territorialstaaten des Reichs durch veraltete Wirtschaftsvorschriften und teure Grenzzölle erschwert wurde.

Bis in die 1720er-Jahre hatte sich die Einwohnerschaft des Reichs vollständig von den demografischen Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges erholt, und vor allem ab 1750 wuchs die Bevölkerung im deutschsprachigen Raum wieder stetig an, sodass man im 18. Jahrhundert überall in den deutschen Staaten belebte Dörfer und Marktstädte antraf. Diese demografische Ausdehnung führte zum Wirtschaftswachstum und der Intensivierung der Landwirtschaft, die zusätzlich von staatlich geförderten Programmen zur Trockenlegung von Sümpfen, zur Bestellung neuer Ackerflächen und der Einführung neuer Anbaumethoden und Kulturpflanzen profitierte. (Das bekannteste Beispiel letzterer ist die Kartoffel, eine südamerikanische Kulturpflanze, die sich gut für die Anbau- und Witterungsbedingungen Deutschlands eignete.) Deutschland blieb während des gesamten 18. Jahrhunderts in erster Linie eine Agrargesellschaft: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung lebte im ländlichen Raum und war in der Landwirtschaft oder in Mühlen, Forst- oder Tierhaltungsbetrieben tätig, die auf dem Land florierten. In dieser Epoche lebten mindestens achtzig Prozent der deutschen Bevölkerung auf dem Land; unter der städtischen Bevölkerung lebten mehr Menschen in kleinen oder mittelgroßen regionalen Städten als in den Metropolen Hamburg, Frankfurt, Leipzig oder Wien. Obwohl die Region Missernten und Hungersnöte erlebte, wie in den bitteren Wintern und den niederschlagreichen Frühjahren der Jahre 1705, 1742, 1770 und 1771, sowie die großflächigen Überschwemmungen von 1682 und 1784, wuchs die Bevölkerung im Laufe des 18. Jahrhunderts weiterhin an. Das rasante Bevölkerungswachstum wiederum führte zu einem Ungleichgewicht der verfügbaren Landgüter für Familien auf dem Land, wodurch viele Dorfbewohner landarm oder sogar landlos wurden (etwa 40 Prozent der ländlichen Bevölkerung). Durch den Mangel an Land, um ihre Familien zu ernähren, wanderten Kleinbauern entweder aus oder verdingten sich als Tagelöhner oder in Heimarbeit. Viele weitere verarmten und wurden obdachlos, wodurch sie zum Subjekt harter Gesetze gegen Landstreicher und Bettler wurden.

In Preußen und Österreich verfolgten die absolutistischen Monarchen in dieser Epoche jeweils eine merkantilistische Politik: Durch die Förderung der nationalen Produktion von Kriegs- und Luxusgütern wollten sie verhindern, dass Reichtum aus ihrem Reich abfloss, um damit teure ausländische Ware aus Italien, Frankreich und den Niederlanden zu bezahlen. In Preußen führten diese Bemühungen zu einer Reihe ehrgeiziger Projekte. Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm ließ in den 1660er-Jahren einen beeindruckenden Kanal bauen, der die Oder mit der Spree verband und somit der preußischen Hauptstadt Berlin Zugang zum Meer gab. Als Vertreter des Merkantilismus unterstützte Friedrich Wilhelm zudem die heimische Produktion von Luxusgütern wie Seide, Spitze, Teppichen, Tabak und Zucker. Seine ehrgeizigen Bemühungen, die Wirtschaft anzukurbeln, die zusätzlich von der Einwanderung qualifizierter Hugenotten (französische Protestanten, die von Ludwig XIV. ins Exil getrieben worden waren) im Jahr 1685 profitierten, scheiterten jedoch schließlich an den veralteten Zollbestimmungen, die das deutsche Wirtschaftssystem drosselten, und an den lähmenden Abgaben zur Aufrechterhaltung eines riesigen stehenden Heers. Sowohl Österreich als auch Preußen, die neben ihrer wachsenden Rivalität jeweils mit gefährlichen Bedrohungen von außen durch Frankreich, Schweden und das Osmanische Reich konfrontiert waren, konnten nur mit Mühe genügend Mittel für den Ausbau der Wirtschaft bereitstellen, da sie einen immer größer werdenden Anteil des Staatshaushalts für das Militär ausgaben.

Die bevorstehende Massenindustrialisierung, die Deutschland im 19. Jahrhundert verändern würde, konnte während des langen 18. Jahrhunderts im Aufkommen der deutschen Proto-Industrie im ländlichen Raum bereits im Ansatz erahnt werden. Durch das Verlagssystem und die Einrichtung ländlicher Werkstätten (sogenannter Manufakturen) wurde die ländliche Bevölkerung zentraler Bestandteil der Textilproduktion, der Glasmanufaktur, des Holzhandwerks und der Metallverarbeitung. Textilunternehmern bot diese Art der Heimarbeit billige Arbeitskräfte auf dem Land; außerdem konnten sie dadurch die leistungsschwachen, von Zünften kontrollierten Arbeitsverhältnisse in der Stadt umgehen und die Produktivität dadurch erhöhen, dass Transportwege zwischen Webern und ihren Rohstoffen verringert wurden. Die Proto-Industrie expandierte rasant: Um 1800 waren in Hessen rund 6.000 Webstühle für die Leinenproduktion in Betrieb; im preußischen Schlesien und der Lausitz waren es stolze 400.000. Eine Proto-Industrie von derartigem Ausmaß stellte die Ausgangsbedingungen für die kommende industrielle Revolution, da sie eine große Anzahl an Lohnarbeitern schuf, die zu Hause in Heimarbeit oder in Manufakturen arbeiteten – und zwar lange bevor preußische Beamte Mitte der 1800er Jahre kohle- und dampfbetriebene Fabriken in Deutschland einführten.

Kulturelles Leben: Die deutsche Aufklärung

Das geistige Leben des langen 18. Jahrhunderts in Europa wurde lange als synonym mit der Aufklärung begriffen, die traditionell als umfassende intellektuelle und ästhetische Bewegung verstanden wird, welche Gesellschaft und Regierung unter Berufung auf die menschliche Vernunft reformieren wollte. Die Intellektuellen, die diese klassische These formulierten, konstatierten, dass Gott das Universum gemäß einer Reihe unveränderlicher Gesetze erschaffen hatte. Daraus folgte, dass Wissenschaftler diese Naturgesetze mithilfe ihrer von Gott gegebenen Vernunft entdecken und verstehen konnten, wie jüngste Entdeckungen berühmter „Naturphilosophen“ wie Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz bezeugten. Ebenso bot das Konzept der menschlichen Vernunft Reformern der Aufklärung den Schlüssel, um die menschliche Gesellschaft zu perfektionieren. Nach Ansicht des einflussreichen englischen Theoretikers John Locke werden menschliche Gesellschaften, ähnlich der Natur, von inhärenten Naturgesetzen regiert, die bestimmte unveräußerliche persönliche Freiheiten gewährleisten. Die Epoche der Aufklärung stellte zudem die Kulisse für eine Reihe von Bewegungen in der Kunst, die in überlieferten Berichten der Zeit deutlich zum Ausdruck kommen. Dichter wie Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller, Dramatiker wie Gotthold Ephraim Lessing und Komponisten wie Johann Sebastian Bach, Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart machten die deutschsprachigen Länder Europas im langen 18. Jahrhundert zum Zentrum ästhetischer Innovation.

Jüngere Studien zur Aufklärung, die diese eher als ein diffuses kulturelles Phänomen als eine geschlossene geistige Bewegung darstellen, haben unser Verständnis der Epoche deutlich differenziert. Diese neue Sicht auf die deutsche Aufklärung betont, dass die Bewegung tatsächlich eine Vielzahl unterschiedlicher Ideen und Ziele umfasste, von denen viele intellektuelle Standpunkte so weit auseinanderklafften, dass sie sich gegenseitig ausschlossen. Dieser Mangel an geistiger Einheitlichkeit hing eng mit der Polyzentralität zur Zeit der Aufklärung zusammen. Durch die politische Zersplitterung des Heiligen Römischen Reichs konnten aufklärerische Denker, Autoren und Künstler unterschiedlicher intellektueller und ästhetischer Strömungen auf die Unterstützung einer Vielzahl an Fürstenhöfen, Bischofssitzen, Kaiserstädten und Universitäten vertrauen. Ebenso förderte der multikonfessionelle Aufbau des Reichs verschiedene Schulen des aufgeklärten Denkens innerhalb der verschiedenen lutherischen, pietistischen, calvinistischen, katholischen und jüdischen Religionskulturen.

Die Aufklärung fasste im späten 17. Jahrhundert von Frankreich und Großbritannien ausgehend auch in Deutschland Fuß, und zwar dank der Arbeit zweier zeitgenössischer Intellektueller. Der erste unter ihnen, Christian Thomasius (1655–1728), wurde 1681 Professor für Naturrecht an der Juristenfakultät der Universität Leipzig und war mitverantwortlich für die Gründung der Reformuniversität Halle an der Saale 1694, mit Unterstützung des Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg-Preußen. Während seiner gesamten Berufslaufbahn als Jurist und Akademiker betonte Thomasius stets die Fähigkeiten der menschlichen Vernunft – ein Erkennungsmerkmal der Aufklärung. Der deutsche Philosoph und Mathematiker Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646–1716) war etwa zeitgleich mit Thomasius aktiv und trug maßgeblich zur Verbreitung des Aufklärungsgedankens in deutschen intellektuellen Kreisen bei. Als innovativer Denker setzte Leibniz vor allem in der Mathematik ein Zeichen und gilt, neben und unabhängig von Isaac Newton, als Erfinder der Infinitesimalrechnung. Auf ihn geht die Weltvorstellung zurück, die als Optimismus in der Philosophie diskutiert wird, nämlich die Idee, dass unser Universum von einem allwissenden Gott erschaffen wurde und die beste aller möglichen Welten darstellt. Obwohl diese philosophische Ansicht von Voltaire in Candide ins Lächerliche gezogen wurde, galt Leibniz zu seiner Zeit neben René Descartes und Baruch Spinoza als eine der Größen des Rationalismus.

Der wohl wichtigste und einflussreichste Theoretiker der Aufklärung war jedoch der in der ostpreußischen Stadt Königsberg (heute Kaliningrad) geborene bedeutende deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724–1804). Kants Hauptwerk, die Kritik der reinen Vernunft, bildet den Höhepunkt der Aufklärung, indem es die traditionelle Erkenntnistheorie und die Bedeutung der Vernunft selbst hinterfragt, sowie erörtert, wo dessen Grenzen liegen. Zudem lieferte Kant in seinem Essay „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ von 1784 vielleicht das Motto des aufklärerischen Denkens, als er seine Leserschaft aufforderte: „Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ In seinen philosophischen Arbeiten strebte Kant einen Kompromiss zwischen dem Empirismus – dem Glauben, dass sämtliches Wissen von der Erfahrung abgeleitet werden kann – und dem Rationalismus – der Ansicht, dass alles Wissen durch menschliche Vernunft allein entsteht – an. Er postulierte demnach, dass sowohl Erfahrung als auch Vernunft für den Menschen unerlässlich seien, um zu sowohl validem als auch objektivem Wissen zu gelangen. Das kantsche Denken war in der deutschen Philosophie seiner Zeit ausgesprochen einflussreich und hat auch in den Jahrhunderten seit seinem Tod weiterhin Einfluss auf die Philosophie ausgeübt. In den 1770er- und 1780er-Jahren schuf Kant eine Reihe an monumentalen Kritiken der rationalen Erkenntnis („reine Vernunft“), Ethik („praktische Vernunft“) und Ästhetik („Urteilskraft“). Kant versuchte in seinen Werken, die Vernunft im menschlichen Geist zu verorten und lehnte damit die Sichtweise der philosophischen Skeptiker ab, zu denen beispielsweise David Hume gehörte, welche die inhärente Vernunft der Natur infrage stellten. Er argumentierte, dass der menschliche Geist durch seine Fähigkeit, Wahrnehmungen in Kategorien einzuordnen, dadurch selbst die wahrgenommene Ordnung in die Natur erschaffe. Damit formulierte Kant die zentralen Grundsätze des deutschen Idealismus: Ohne den einzelnen Menschenverstand gäbe es keine Gedanken, und ohne Gedanken gäbe es keine Gegenstände und keine Welt. Weiterhin argumentierte er, dass die Moral kein äußeres Phänomen sei, das in den Naturgesetzen oder in vorhandenen Bedingungen zu verorten, sondern in uns selbst angesiedelt sei. Laut Kant sei es dem Menschen also möglich, selbst einen moralischen Verstand zu entwickeln und somit unabhängig von religiösen Regelwerken ethisch selbstbestimmt zu handeln. Ebenso argumentierte Kant in Bezug auf die Ästhetik, dass große Kunst das Ergebnis des Schöpfungswillen der einzelnen Kunstschaffenden sei, und nicht das Produkt von außen gegebener Regeln der Ästhetik. In Bezug auf Politik und Wirtschaft griff Kants fortschrittliche Sichtweise dem deutschen Liberalismus des 19. Jahrhunderts vor: Er setzte sich für das Rechtsstaatlichkeitsprinzip ein, für repräsentative Gremien in der Politik und die Entwicklung der freien Marktwirtschaft.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) nahm Kants zentrale These des Primats des menschlichen Verstandes als Sitz der Vernunft als Ausgangspunkt für seine radikale Sichtweise, die das Denken (den Geist) über die physische Welt erhob. Für Hegel war die kantische Vernunft der Urheber der physischen Welt und die treibende Kraft der Menschheitsgeschichte, insbesondere durch die Schöpfungen der Religion, Philosophie und Kunst. Beeindruckt von den radikalen Veränderungen, welche die Französische Revolution angestoßen hatte, betonte Hegel zudem die Rolle des Staates und der Nation. Laut Hegel bestand die Aufgabe des Staates darin, kulturelle Errungenschaften zu fördern und zu schützen sowie das menschliche Gemeinwesen und die Moral des Einzelnen zu begünstigen. Hegels Vorstellungen der Nation wurden beeinflusst von den Schriften von Kants Zeitgenossen Johann Gottfried von Herder (1744–1803), der die Geschichte als Erzählung verschiedener nationaler Kulturen oder Völker betrachtete. Herder betrachtete den Charakter des Einzelnen als Ausdruck seiner eigenen nationalen Kultur und wertete Nationen in einem fast schon organischen Sinn als Kollektive, die sich über Jahrhunderte hinweg entwickelten. Herder rief moderne Nationen dazu auf, ihre kollektive kulturelle Identität anzuerkennen und sich durch das Genie ihrer Intellektuellen, Künstler und Dichter zu ihrem eigenen Schicksal erwecken zu lassen. Diese These sollte erste nationalistische Regungen in der deutschen Kultur begünstigen.

Die Ausbreitung der Aufklärung in Deutschland spiegelte die zunehmende Macht des Bürgertums im Reich wider: Die gebildeten Schichten der Beamten, Juristen und Geschäftsleute bildeten ein bereitwilliges Publikum für die progressiven Ideen von Philosophen wie Thomasius und Kant, die Literatur von Autoren wie Goethe und Schiller und die musikalischen Werke von Komponisten wie Bach und Haydn. Der wachsende Wohlstand und Einfluss der Mittelschicht, die im Lauf des 18. Jahrhunderts noch deutlicher ausgeprägt werden sollten, trugen zur Beliebtheit des Kults der Vernunft in Deutschland bei. Die deutsche Leserschaft diskutierte heftig über fortschrittliche Sozialreformen in Kaffeehäusern und auf den Seiten aufklärerischer Gazetten. Die gebildeten Bürokraten und Technokraten in der Verwaltung der deutschen Staaten, die ebenso die Ideale der Aufklärung aufgegriffen hatten, waren bestrebt, die „aufgeklärten“ Reformen ihrer absolutistischen Herrscher umzusetzen.

Im Gegensatz zur Aufklärung in Großbritannien oder Frankreich, die um Rationalismus und Säkularismus bemüht war, hatte die Bewegung in Deutschland schon seit ihren frühesten Anfängen im späten 17. Jahrhundert eine starke religiöse Prägung, die sie auch beibehielt. Diese religiöse Neigung zeigt sich zumal in der Entstehung der jüdischen Aufklärung, oder Haskala, sowie in den Beiträgen des deutschen Pietismus zum aufklärerischen Denken. Die religiöse Erneuerung kam im späten 17. Jahrhundert auf und sorgte dafür, dass die Frömmigkeit unter den Protestanten in vielen deutschen Gebieten wieder aufblühte. Begonnen hatte sie in den 1670er-Jahren mit dem lutherischen Pfarrer und Theologen Philipp Jacob Spener, der in Frankfurt Bibellesekreise veranstaltete. Sein einflussreiches Werk Pia desideria (1675) machte sich für die Erneuerung des Glaubens durch erweiterte Priesterseminare, mehr soziale Reformen in den Gemeinden sowie fromme Konventikel für Gemeindemitglieder stark. Spener erzürnte damit die lutherische Obrigkeit und wurde aus seinem Predigeramt in Frankfurt und einer anschließenden Ernennung zum sächsischen Oberhofprediger in Dresden entlassen, bevor er eine führende Stelle als Probst in Berlin erhielt. Sein Ruf nach spiritueller Erneuerung traf jedoch bei Laien auf Gehör, sodass in sämtlichen lutherischen Gebieten Deutschlands pietistische Hauskreise entstanden und sich viele lutherische Pfarrer von seiner ausdrucksstarken, persönlichen Form der Frömmigkeit angezogen fühlten. Einer dieser Pfarrer war August Hermann Francke, der ebenfalls aufgrund seiner pietistischen Orientierung aus mehreren Ämtern enthoben worden war. Er suchte Spener dann in Brandenburg-Preußen auf und bekam eine Anstellung an der neu gegründeten Reformuniversität in Halle an der Saale. Bald schon wurde an der Universität Halle die führende protestantische theologische Fakultät Deutschlands geschaffen, deren Absolventen im Sinne des Pietismus ausgebildet wurden und fortan Missionen, Wohlfahrts- und pädagogische Einrichtungen ins Leben riefen. Absolventen aus Halle waren die ersten protestantischen Missionare im Ausland und bemühten sich sogar Anfang der 1700er Jahre um missionarische Stationen in Indien. Der Pietismus leistete zudem entscheidende Beiträge zur frühen Aufklärung, insbesondere durch seinen progressiven Einsatz im Bildungs- und Sozialwesen.

Kulturelles Leben: Aufgeklärter Absolutismus

Im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn waren die deutschen Staaten des 18. Jahrhunderts deutlich vom „aufgeklärten Absolutismus“ geprägt. Laut dieser politischen Ideologie, die ihren Ursprung in den Schriften von Thomas Hobbes hatte, bestand ein grundlegender Gesellschaftsvertrag zwischen Herrschenden und Untergebenen, der Monarchen die absolute Herrschaft über ihre Untertanen gab. Im Gegenzug waren die Machthaber jedoch ihrerseits verpflichtet, zum Wohl der Menschen zu handeln, indem sie Vernunft walten ließen. Als Reaktion auf die wachsende bürgerliche Schicht und angestoßen von deutschen Theoretikern der Aufklärung, setzten die deutschen Herrscher Reformen in ihren Hoheitsgebieten um. Im Lauf des 18. Jahrhunderts modernisierten die Herrscher ihre Regierungen so von Grund auf und milderten die Auswirkungen eines monarchischen Herrschaftssystems durch „aufgeklärte“ Reformen ab. So änderte sich der politische Charakter des Reichs und ebnete den Weg für die liberalen Reformen des Folgejahrhunderts. Staatsoberhäupter, die sich von aufklärerischen Grundsätzen leiten ließen, führten Reformen durch, zu denen die Ausrufung der Religionsfreiheit, die Abschaffung der Folter in der Justiz, die Anwendung wissenschaftlicher Prinzipien in der Landwirtschaft und die Einführung der Schulpflicht gehörten. Aufgeklärte absolutistische Monarchen förderten durch großzügige Schirmherrschaften Fortschritte in der Philosophie und der Kunst und stellten manchmal sogar führende Denker der Aufklärung bei Hofe an. Obwohl diese „aufgeklärten“ Herrscher bereit waren, ihren Untergebenen neue Rechte einzuräumen, blieben sie dennoch Despoten und waren fest von ihrem grundgegebenen Recht als absolute Monarchen überzeugt. Obgleich sie zahlreiche fortschrittliche Reformen einführten, die das Leben ihrer Untertanen verbessern sollten, taten sie dies stets mit Hinblick auf den Ausbau ihrer eigenen Macht und die Vermehrung ihres eigenen Einkommens. So stießen die progressiven Reformen der preußischen und österreichischen Monarchen im 18. Jahrhundert beispielsweise aufgrund ihres autokratischen Wesens und ihrer rücksichtslosen Missachtung bestehender Bräuche und traditioneller Freiheiten oft auf den hartnäckigen Widerstand des Adels und des Bürgertums.

Die These des aufgeklärten Absolutismus kam wohl am deutlichsten während der Regierungszeit Friedrichs II. von Preußen zum Ausdruck. Dieser setzte eine Reihe von Reformen auf der Grundlage aufklärerischen Denkens um, veröffentlichte philosophische Schriften auf Französisch und inszenierte sich vor der aufgeklärten Öffentlichkeit als „Roi philosophe“ [Philosophenkönig]. Friedrich korrespondierte mit vielen der führenden Denker der Aufklärung und bot fortschrittlichen Schriftstellern und Künstlern großzügige Unterstützung an. Im Gegenzug proklamierten ihn berühmte Schriftsteller der Aufklärung wie Voltaire zu „Friedrich dem Großen“. Er förderte Kunst und Literatur, machte Berlin zur Kulturhauptstadt und lud viele illustre Kunstschaffende, Musiker und Intellektuelle an seinen Hof ein, darunter Carl Philipp Emanuel Bach, Maupertuis und Voltaire. Als Zeichen seiner aufklärerischen Empfindsamkeiten trat er 1738 sogar den Freimaurern bei. Friedrich führte die hohenzollernsche Tradition der Schirmherrschaft für akademische Reformer fort, welche die Gesinnung der Aufklärung vertraten, indem er sie zu Ämtern im preußischen Staats- und Kirchendienst erhob und den preußischen Staat so als treibende Kraft aufklärerischer Reformen inszenierte. Tatsächlich kann Friedrichs Herangehensweise als aufgeklärt angesehen werden, wenn man die Abschaffung der Folter bei Gericht, die Einführung einer staatlich geförderten weiterführenden Schulbildung und die Modernisierung des preußischen Staatsdienstes bedenkt. Trotz der aufklärerischen Züge seiner Politik muss dabei jedoch bedacht werden, dass seine Regentschaft vor allem durch autokratische Herrschaft, passionierten Militarismus und eine aggressive Expansionspolitik geprägt war.

Obwohl Maria Theresia genau genommen eine ungekrönte Kaiserin war, besteht kaum Zweifel daran, dass sie die wahre Machthaberin der österreichischen Monarchie war. Maria Theresia regierte praktisch als Kaiserin und führte in ihrem Hoheitsgebiet zahlreiche aufgeklärte Reformen durch, darunter Bildungs-, Wirtschafts- und Agrarinitiativen. Zudem reformierte sie das österreichische Militär, das sich während ihrer gesamten Regentschaft in einem anhaltenden Machtkampf mit Preußen befand. Gleichzeitig war Maria Theresia maßgeblich für die Wiederherstellung der Macht Österreichs verantwortlich und sicherte dank ihrer sechzehn Kinder den Fortbestand der habsburgischen Herrscherdynastie. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1765 half Maria Theresia ihrem Sohn, der als Joseph II. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gekrönt wurde, als Kaiserinmutter bei der Verwaltung des Reichs. Joseph II., der von 1765 bis 1790 als römisch-deutscher Kaiser und zwischen 1780 und 1790 als Erzherzog von Österreich regierte, war ausgesprochen von den Reformen Friedrichs II. begeistert und verschrieb sich mitunter von allen deutschen Herrschern am meisten den Grundsätzen des aufgeklärten Absolutismus. Er war unermüdlich bestrebt, die Verwaltung der habsburgischen Kronländer zu modernisieren und rationale Gesellschaftsreformen umzusetzen. Als Bewunderer Voltaires und der französischen Aufklärung war er bemüht, die Religionsfreiheit auszubauen, die Einkünfte der Kirche zu begrenzen, die letzten Reste des Feudalismus zu beseitigen, und den freien Handel sowie das freie Denken in seinem Herrschaftsgebiet zu fördern. Geleitet von Vernunft und uneingeschränkt von Gesetzen, verfolgte Joseph II. ein rücksichtslos ausschweifendes Reformprogramm und erließ Tausende neuer Edikte. Er machte von seiner autokratischen Macht über den Staat Gebrauch und reformierte das gesamte Rechtssystem, modernisierte die staatlichen Finanzinstitutionen von Grund auf, schaffte die Leibeigenschaft ab, säkularisierte zahlreiche kirchliche Besitztümer und führte die Grundschulpflicht ein. Im Jahr 1781 erließ er das Toleranzpatent, welches eingeschränkte Religionsfreiheit gewährleistete, gefolgt vom Toleranzpatent von 1782, welches Juden vergleichbare Rechte einräumte. 1787 schaffte er sogar die Todesstrafe ab, obwohl diese Neuerung, wie die meisten seiner aufgeklärten Reformen, seine Herrschaft nicht lange überdauern sollte.

Religion

Der religiöse Glaube blieb während des langen 18. Jahrhunderts für das Leben der meisten Bewohner des Reichs von zentraler Bedeutung. Die Mehrheit der Menschen, von der armen Dorfbevölkerung bis hin zu gebildeten Eliten, fühlte sich während der dramatischen Veränderungen der Epoche in den beruhigenden Gewissheiten des – katholischen oder protestantischen – Christentums geborgen. Dementsprechend blieben Gesang- und Andachtsbücher die beliebtesten Printmedien der Zeit. Unter Protestanten, und vor allem Pietisten, die lesen und schreiben konnten, wurde das Verfassen frommer persönlicher Glaubensgeschichten sehr populär. Ebenso wurde der Alltagsrhythmus der meisten Deutschen im 18. Jahrhundert weiterhin von religiösen Praktiken und Bräuchen des orthodoxen Christentums bestimmt.

Ein Überbleibsel des traditionellen religiösen Glaubens, das sich auch im sogenannten Zeitalter der Vernunft überraschend hartnäckig erwies, war der anhaltende Glaube an das Bestehen einer versteckten Welt der Hexerei und Magie. Obgleich das intellektuelle Umdenken der Aufklärung im öffentlichen Bewusstsein des 18. Jahrhunderts angekommen war, breitete es sich über die Grenzen des kleinen Kreises gebildeter Eliten hinweg nur langsam aus. Tatsächlich ließen sich viele gelehrte Juristen und Theologen bis zum späten 17. Jahrhundert nicht von diesen geistigen Innovationen überzeugen und glaubten weiterhin inbrünstig an Hexerei und Magie. So hielt sich die Hexenverfolgung in Deutschland länger als in anderen Gebieten Europas und es wurde hier noch bis ins frühe 18. Jahrhundert auf Hexen Jagd gemacht. Die meisten Richter und Juristen, die in dieser Epoche Zweifel an den Methoden der Hexenverfolgung aufkommen ließen, waren zwar weiterhin von der Existenz von Hexen überzeugt, fürchteten aber, dass unschuldige Opfer in den Flammen umkommen könnten. Die Kritik an den brutalen Methoden der Hexenverfolgung ging Hand in Hand mit der anhaltenden Überzeugung, dass es Hexerei und Teufelswerk tatsächlich gab.

Es wurden jedoch auch skeptische Stimmen laut, die den traditionellen Glauben an Teufel und Dämonen radikal auf die Probe stellten. Der calvinistische Theologe und Pfarrer Balthasar Bekker argumentierte Anfang der 1690er-Jahre in Amsterdam auf Grundlage kartesischer Philosophie und biblischer Schriftauslegung, dass Hexerei und Magie unmöglich seien. Laut Bekker waren sowohl die angelernte Dämonenlehre als auch der Volksglaube Überreste heidnischen Irrglaubens und im Widerspruch zur Allmacht Gottes. In Deutschland war das Werk des bereits erwähnten Christian Thomasius, der von Bekker beeinflusst war, von entscheidender Bedeutung für diese Umdeutung. 1701 veröffentlichte er die wissenschaftliche Schrift Dissertatio de crimine magiae [Dissertation über das Verbrechen der Magie], welche die Hexenverfolgung infrage stellte, der er den übereifrigen Einsatz von Folter anlastete. Die bewegende Anklageschrift gegen durch Folter erzwungene Geständnisse wurde zwei Jahre später ins Deutsche übersetzt, wodurch sie weitere Verbreitung fand und heftige Diskussionen auslöste. Obwohl Thomasius noch 1694 ein Rechtsgutachten abgegeben hatte, das die Folter einer mutmaßlichen Hexe befürwortete, hatte er nach Überlegung schließlich Zweifel an vielen Hauptargumenten der Dämonenlehre der frühen Neuzeit. Er stritt die irdische Macht des Teufels ab und damit die Existenz des Hexensabbats, des Hexenritts und des Teufelspakts.

Das Ende der Hexenverfolgung wurde lange Zeit den geistigen Veränderungen der frühen Aufklärung zugeschrieben, unter der Annahme, dass Unwissenheit und Aberglauben durch Vernunft überwunden würden. Historiker des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts argumentierten, dass die Abkehr der gebildeten Eliten vom angeblichen „Aberglauben“ an die Magie nach 1650 ein Schlüsselmoment für den letztlichen Triumph der westlichen Vernunft darstellte. Forschende lehnen diese positivistische Geschichtsschreibung der Moderne mittlerweile ab. Sie konnten belegen, dass Skeptiker Mühe hatten, Juristen und Rechtsprechende von ihrem Glauben abzubringen, und dass die meisten unter ihnen bis weit ins 18. Jahrhundert (und sogar darüber hinaus) fest von der Existenz von Hexerei und Magie überzeugt blieben. Anfang der 1700er Jahre stießen skeptische Stimmen, die den traditionellen Dämonenglauben angriffen, noch auf die rasende Opposition vieler Zeitgenossen. In Deutschland erregten die Schriften Thomasius‘ hitzige Debatten. 1722 war ein Rostocker Theologe bemüht, Thomasius zu widerlegen, und behauptete, Hexen können tatsächlich mit Hilfe des Teufels fliegen. Ebenso behauptete der bekannte Hallenser Medizinprofessor Friedrich Hoffmann 1725, Hexen könnten im Pakt mit dem Teufel ihre Opfer verhexen. Ein Jahrzehnt später verteidigte ein weiterer Professor an der Universität Halle 1738 den Volksglauben an Hexerei auf der Grundlage biblischer Belege. Für brennende Verteidiger der klassischen Dämonenlehre war der anhaltende Glaube an Hexerei ein wertvoller Schutzwall gegen den Materialismus, den radikale Denker wie Hobbes, Spinoza und Descartes vertraten. Sie betrachteten einen solchen „Sadduzäismus“ als eine schleichende Form des Atheismus und wollten den Volksglauben an die versteckte Welt aufrechterhalten, um die christliche Theologie gegen den Materialismus der frühen Aufklärung zu wappnen. Eine solch vehemente Fürsprache zur Verteidigung der traditionellen Dämonenlehre hat Geschichtsforschende zu der Erkenntnis verholfen, dass die frühe Aufklärung, was den Glauben an Magie angeht, weit weniger „aufgeklärt“ war als bisher häufig angenommen.

Literatur und Kunst

Die politische Zersplitterung des Heiligen Römischen Reichs im langen 18. Jahrhundert bot einen nahrhaften Boden für die kulturelle Reife Deutschlands: Zahlreiche Fürstentümer konkurrierten miteinander um Prestige und unterstützten deshalb Intellektuelle und Künstler, deren Werke gleichzeitig ein begieriges Publikum hatten. Während der Aufklärung fand Deutsch allmählich als literarische Sprache Anerkennung und die Werke führender Schriftsteller, Lyriker und Dramatiker dieser Zeit zählen heute zu den Klassikern der deutschen Literatur. Auch viele der Koryphäen der klassischen Musik waren zu dieser Zeit in den deutschen Staaten tätig, sodass die Region zum führenden Zentrum der Musik und Kultur wurde. Sowohl in der Literatur als auch in der Musik geschah im langen 18. Jahrhundert ein kultureller Wandel weg von der gepflegten, akkuraten Ästhetik der Aufklärung hin zur emotionalen, leidenschaftlichen Ausdruckskraft des Sturm und Drang und der Romantik.

Noch im frühen 18. Jahrhundert hatte Französisch das kulturelle und intellektuelle Leben im deutschsprachigen Raum dominiert und die meisten gebildeten Eliten sahen Deutsch nicht als adäquate Literatursprache an. Der frankophile Friedrich II. stempelte Deutsch bekanntermaßen als grobe Sprache ab, die er nur fürs Militär verwendete, für seine Korrespondenz mit Voltaire und anderen führenden französischen Philosophen aber Französisch vorzog. Zur Zeit seiner Krönung hatten führende deutsche Intellektuelle jedoch bereits damit begonnen, die deutsche Sprache zu verteidigen, in der Hoffnung, sie zu einer angemessenen Ausdrucksform für Poesie, Literatur und Oper zu erheben. 1741 gründete Friedrich der Große die Königliche Deutsche Gesellschaft zur Förderung und Weiterentwicklung der deutschen Sprache in Kunst und Literatur. Obgleich die Bemühungen um die deutsche Sprache anfangs nur schleppend vorangingen, zeigten sie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erste Erfolge. So veröffentlichte Friedrich Gottlieb Klopstock 1773 sein Heldengedicht Der Messias in deutscher Sprache, was einen wichtigen Meilenstein für die deutsche Literatur darstellte. Im Folgejahr erschien Die deutsche Gelehrtenrepublik, eine Streitschrift, die zur Verjüngung der Literatur in deutscher Sprache aufrief. Das rasante Wachstum der gebildeten deutschen Mittelschicht – des Bildungsbürgertums, bestehend aus Juristen, Geistlichen, Ärzten, Lehrern und Regierungsbeamten – in dieser Zeit stellte ein begieriges Publikum für literarische Werke auf Deutsch.

Viele der größten literarischen und dramatischen Werke der Epoche setzten sich mit den Grundprinzipien der Aufklärung auseinander. So befasste sich der Dramatiker und Philosoph Gotthold Ephraim Lessing beispielsweise in seinen Werken mit zentralen Fragen des aufgeklärten Denkens. Sein berühmtestes Drama, Nathan der Weise (1779), untersucht zum Beispiel das Problem der religiösen Ökumene und Religionsfreiheit und stellt die Lehren des Christentums, des Judentums und des Islam als komplementäre Glaubensrichtungen dar, die dieselben grundlegenden moralischen Überzeugungen teilen. Der Protagonist basiert auf Lessings Freund, dem deutsch-jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn.

Die Gunst der Fürstenhöfe kam mitunter in der Architektur am deutlichsten zum Ausdruck: Deutsche Fürsten und Fürstbischöfe gaben enorme Summen für prunkvolle Paläste im Stil von Ludwigs XIV. Versailles aus. Anschauliche Beispiele sind hierbei das beeindruckende Schloss Schönbrunn der Habsburger in Wien oder die prächtige Augustusburg, das Schloss der Fürstbischöfe von Köln. Diese Rokoko-Meisterwerke aus den frühen 1700er Jahren veranschaulichen, dass ehrgeizige Monarchen weder Kosten noch Mühen scheuten, um ihr dynastisches Prestige durch repräsentative Bauprojekte aufzuwerten.

Zudem strebten deutsche Fürsten danach, ihren Reichtum – und ihren gehobenen Geschmack – unter Beweis zu stellen, indem sie berühmte Komponisten und Musiker bei Hofe anstellten. Auch wohlhabende Bürger bedeutender deutscher Städte beauftragten die gefragtesten Komponisten damit, die Musik für ihre Gottesdienste und Messen zu komponieren. So hatte der Barockkomponist Johann Sebastian Bach die Stelle als Thomaskantor in Leipzig inne, wo er 1727 für die Thomaskirche die berühmte Matthäus-Passion komponierte. Sein Sohn, der Komponist Carl Philipp Emanuel Bach, war von 1738 bis 1768 am Hof Friedrichs II. in Berlin angestellt und trat dann in die Fußstapfen seines verstorbenen Mentors Georg Philipp Telemann als Kapellmeister in Hamburg, wo er für das musikalische Programm der fünf Hauptkirchen der Stadt zuständig war. Der große klassische Komponist Joseph Haydn arbeitete während seiner gesamten beruflichen Laufbahn im Dienst der Esterházys, einer reichen ungarischen Adelsfamilie. Im Laufe des langen 18. Jahrhunderts wandelte sich der deutsche Musikstil weg von Bachs barocker Musik, die sich durch kontrapunktische, mathematische Präzision mit bewegender emotionaler Tiefe auszeichnete, hin zum schlichteren klassischen Stil von Haydn und Mozart, in dessen Mittelpunkt eine Hauptmelodie mit Begleitung stand.

Um die 1760er-Jahre hatte sich eine neue kulturelle Strömung in Deutschland herausgebildet, die der kühlen Vernunft der Aufklärung Konkurrenz machte. Die Schriftsteller und Kunstschaffenden dieser neuen, als „Sturm und Drang“ bezeichneten Bewegung wandten sich ab von der Rationalität hin zur Emotionalität, weg von der Vernunft hin zur Leidenschaft. Diese künstlerische Bewegung, zu deren Vertretern der Philosoph Johann Georg Hamann und der Autor, Dichter und Dramatiker Johann Wolfgang von Goethe gehörten, erlebte ihre Blütezeit von den 1760er bis in die 1780er Jahre. Sie war der Wegbereiter für die Romantik und ließ bereits die revolutionären Gemüte und Ängste des folgenden Vierteljahrhunderts erahnen. Die Literatur, Dramen und Musik dieser Künstler suchte die Extreme der menschlichen Gefühlswelt zu erkunden mit dem Anliegen, durch Anspielungen auf ureigene Leidenschaften und Gewaltvorstellungen beim Publikum Angst und Unbehagen zu entfachen. Goethes gefeierter Roman Die Leiden des jungen Werther von 1774 ist beispielsweise eine qualvolle Abhandlung zum Thema unerwiderte Liebe und Selbstmord. Werke wie Friedrich Schillers Theaterstück Die Räuber (1781) erhoben das Gedankengut der Aufklärung dagegen durch den Aufruf zu weitreichenden Reformen und die Forderung nach Freiheit in neue, radikalere Sphären. Ebenso setzte sich der Autor und Philosoph Johann Gottfried von Herder für einen leidenschaftlichen Ausdruck der deutschen Kultur ein, den er dem beherrschten Klassizismus aus Frankreich vorzog, und regte damit protonationalistische Gefühle an. Obgleich Goethe und sein engster Gefährte Schiller schließlich den Sturm und Drang zugunsten einer neu gearteten Klassik hinter sich ließen, hatte die von ihnen vertretene radikale Ablehnung der aufklärerischen Vernunft doch Einfluss auf die Spätromantik und deren Streben nach einem deutschen Nationalismus und Liberalismus. Goethes Faust zum Beispiel, an dem er bereits Anfang der 1770er Jahre zu arbeiten begonnen hatte, wurde zu einem Meisterwerk der Romantik und zum wohl bedeutendsten Werk der deutschen Literatur.

Im 18. Jahrhundert wurde Weimar zu einem führenden Zentrum der deutschen Aufklärung. Unter der Regentschaft von Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, die bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes Karl August das Herzogtum regierte, stieg Weimar zur Kulturhauptstadt auf. Der junge Karl August, der seine Bildung von dem bekannten Dichter und Schriftsteller Christoph Martin Wieland erhalten hatte, fand großes Interesse an Literatur, Kunst und an wissenschaftlichen Untersuchungen. 1775 lud er Goethe nach Weimar ein und verschaffte ihm eine Position im Geheimen Consilium des Herzogtums. Der berühmte Autor machte Weimar zu einem führenden intellektuellen Schaffenszentrum, das schon bald weitere Größen der deutschen Aufklärung in das neue „Athen an der Ilm“ lockte. Zusammen mit Johann Gottfried Herder und Friedrich Schiller gründete Goethe eine neoklassische Philosophie- und Literaturbewegung, welche die Kultur des antiken Griechenlands verherrlichte und die Betonung der Vernunft in der Aufklärung mit der gefühlsbetonten Sichtweise des Sturm und Drang verbanden. Die Weimarer Klassik, die ab der Mitte der 1780er-Jahre bis zu Schillers Tod 1805 andauerte, hatte einen enormen Einfluss auf die deutsche Kultur.

Zeitgleich mit Goethe und Schillers Aufenthalt in Weimar und der Entwicklung der Stadt zum kulturellen Zentrum Deutschlands wurde Sachsen-Weimar auch zum Sitz der Frühromantik, einer Bewegung, die sich als Reaktion auf den exzessiven Rationalismus der Aufklärung den menschlichen Gefühlen und irrationalen Gedanken widmete. Ende der 1790er Jahre entstand in der Stadt Jena ein Kreis einflussreicher romantischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller um die Literaturzeitschrift Athenaeum, die von den Brüdern August und Friedrich Schlegel herausgegeben wurde. Der Kreis romantischer Denker und Kunstschaffender wählte die Stadt und Universität Jena als Zentrum, von wo aus sie breiten Einfluss nahmen. Neben Goethe und Schiller gehörten zur Gruppe die nächste Generation junger Deutscher, die begeistert von der Freizügigkeit waren, welche die Französische Revolution entfesselt hatte: der Dichter Georg Phillipp Friedrich von Hardenberg (bekannt als Novalis), Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Hölderlin und Friedrich Wilhelm Josef Schelling. Sogar Hegel war kurzzeitig als junger Professor mit der Gruppe in Verbindung. Das Herzstück des Kreises, der wohl schärfste Verstand der Gruppe, war Caroline Michaelis, die zuerst mit August Wilhelm Schlegel verheiratet war und dann, nach ihrer Scheidung, Schelling heiratete. Die Werke der Jenaer Romantik setzten sich mit menschlicher Leidenschaft und dem Übernatürlichen auseinander, wobei sie ihre Inspiration oft aus dem Mittelalter und deutschen Volksmärchen zogen. Die Romantik übte auch einen starken Einfluss auf die deutsche Musik aus, insbesondere auf die Werke Ludwig van Beethovens, der der Wegbereiter von der Klassik hin zur sinfonischen Musik der Romantik war. Seine 3. Sinfonie Eroica, die er zwischen 1803 und 1804 komponierte und ursprünglich „Bonaparte“ benannte, ist der Inbegriff dieses mitreißenden neuen „heroischen“ Musikstils.

Protonationalismus und die Napoleonischen Kriege

Die Französische Revolution 1789 machte kurzen Prozess mit der Monarchie und wandelte Frankreich von Grund auf um. Dieser dynamische Ausbruch revolutionären Eifers, der durch die Unzufriedenheit mit gesellschaftlichen Unterschieden sowie die Grundsätze der Aufklärung angetrieben und begünstigt wurde, veränderte dabei aber nicht nur das Leben der französischen Bevölkerung, sondern auch der Menschen im Rest Europas, insbesondere in den deutschen Staaten. Das Zeitalter der Revolution transformierte den Kontinent und brachte radikale politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen mit sich. Mit Napoleons Heer, das über ganz Europa marschierte, läutete es aber auch Kriege und Blutvergießen ein, die eine ganze Generation prägen sollten. Ein Großteil dieser Gewalt und Unruhen spielte sich auf deutschem Boden ab und Hunderttausende deutscher Soldaten kämpften an beiden Fronten. Napoleons Einmärsche zerstörten schließlich ein politisches System, das ein Jahrtausend lang gewährt hatte: das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. In den Anfangsjahren der Französischen Revolution zögerten Frankreichs Nachbarländer, darunter die deutschen Staaten Österreich und Preußen, ehe sie einschritten. Als Aristokrat hatte Kaiser Leopold II. eine grundlegende Abneigung gegenüber Aufständen, ging aber trotzdem mit Vorsicht vor und hoffte insgeheim darauf, das innerfranzösische Chaos könne ihm einen Vorteil im seit jeher schwelenden Kräfteringen zwischen der Habsburgermonarchie und der französischen Krone verschaffen. 1791 sorgte sich Leopold jedoch zunehmend über die Lage in Frankreich, nicht zuletzt wegen seiner Schwester, der französischen Königin Marie Antoinette. Im August desselben Jahres ging Leopold auf Österreichs Rivalen Preußen zu und die beiden deutschen Großmächte unterzeichneten gemeinsam die Pillnitzer Deklaration. In dieser Erklärung warnten Leopold II. und Friedrich Wilhelm II. die französischen Revolutionäre vor ernsthaften Konsequenzen, sollte der königlichen Familie etwas zustoßen. Zusammen mit der Agitation aristokratischer Flüchtlinge aus Frankreich in den deutschen Staaten heizte die Pillnitzer Deklaration die Spannungen zwischen Österreich und der revolutionären Regierung in Frankreich zunehmend auf. Die Revolutionäre schlugen zuerst zu: Im April 1792 stimmte die Gesetzgebende Nationalversammlung für eine Kriegserklärung gegenüber Österreich und begann, eine Invasion in die Österreichischen Niederlande vorzubereiten (ungefähr vergleichbar mit dem heutigen Belgien und Luxemburg). Die französischen Revolutionäre erwarteten von den Niederländern, dass diese sich gegen ihre habsburgischen Unterdrücker erheben und den Geist der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aufgreifen würden. Das Revolutionsheer war der Aufgabe jedoch nicht gewachsen, da die Radikalen in Frankreich das aristokratische Offizierskorps komplett ausgemerzt hatten und somit die Disziplin in der Armee gebrochen worden war. Schon kurz nach dem Aufmarsch desertieren die meisten der französischen Soldaten. Während die revolutionäre Regierung noch damit beschäftigt war, schnell neue Streitkräfte aufzubauen, marschierte im Juni 1792 eine alliierte Armee, die hauptsächlich aus einer preußischen Eliteinfanterie bestand, unter dem Kommando des Herzogs von Braunschweig in Frankreich ein. Die Armee nahm rasch eine Reihe französischer Festungen ein, darunter Verdun, und der Feldmarschall überreichte der revolutionären Regierung das sogenannte Manifest des Herzogs von Braunschweig (auch Koblenzer Manifest). Das Dokument, das die Absicht der Alliierten kundtat, die französische Monarchie wiederherzustellen und sämtliche Rebellen, die sich diesem Ziel in den Weg stellten, hinzurichten, war jedoch schlecht durchdacht: Anstatt den Willen der Revolutionäre zu brechen, brachte es tatsächlich die königliche Familie in Gefahr und die französische Bevölkerung stellte sich geschlossen hinter ihre fragile revolutionäre Regierung. Am 21. Januar 1793 richtete der französische Nationalkonvent Ludwig XVI. hin, und eine revolutionäre Armee, die neue Soldaten rekrutiert hatte, war bereit zum Aufmarsch. Im Oktober folgte Marie Antoinette ihrem Mann zur Guillotine. Die verzweifelte französische Regierung stützte sich auf die Masseneinberufung wehrpflichtiger Zivilisten, um eine riesige Armee aufzustellen, in der Hoffnung, die relativ kleinen Berufsarmeen ihrer deutschen Gegner zu bezwingen. Spanien und Portugal sahen die Hinrichtung des französischen Monarchen als Anlass, sich dem Bündnis gegen Frankreich anzuschließen. Im Februar 1793 erklärte Frankreich dann Großbritannien und den Vereinigten Niederlanden den Krieg. Somit waren die Weichen gestellt für eine Reihe katastrophaler Auseinandersetzungen, die Europa in seinen Wesenszügen verändern sollte: die Koalitionskriege. Die französische Levée-en-masse-Armee wurde in den ersten Feldzügen von 1793 von ihren Berufsheeresgegnern kontinuierlich deklassiert, was zu schweren Verlusten führte und auf dem französischen Land Revolten gegen die revolutionäre Regierung entfachte. Bis zum Jahresende jedoch hatte die Armee aus Wehrpflichtigen aus ihren ersten Niederlagen gelernt und begonnen, das Blatt zu wenden: Sie schlug die alliierten Heere, vertrieb sie aus dem französischen Staatsgebiet und unterdrückte gegenrevolutionäre Revolten in den widerspenstigen französischen Provinzen. 1794 ging Frankreich in die Offensive über: Seine Truppen marschierten in Italien und Spanien ein und anschließend in die Österreichischen Niederlande und ins Rheinland. Im Folgejahr besetzten französische Armeen die Niederlande und errichteten dort die Batavische Republik unter revolutionärem Regime. Die Gründung dieser Marionettenregierung war ein Vorbote des späteren Eingreifens Frankreichs in die deutsche Politik, das sich ein Jahrzehnt später unter Napoleon ereignen sollte. Eingeschüchtert von diesen überragenden Siegen Frankreichs zogen sich Portugal und Preußen aus dem Bündnis zurück. Damit hatte die revolutionäre Regierung ihren eigenen Zerfall abgewandt und die Grenzen des neuen Nationalstaates gesichert.

1796 startete das Revolutionsheer einen wagemutigen dreifachen Angriff auf Österreich, das von seinen einstigen portugiesischen und preußischen Verbündeten verlassen worden war. Zwei französische Truppen marschierten auf den Rhein zu, eine dritte – unter dem Kommando eines jungen korsischen Offiziers namens Napoleon Bonaparte – fiel in Italien ein. Alle drei Großheere hatten ein einziges Ziel: sich auf österreichischem Boden zu treffen und Wien einzunehmen. Nach einer Reihe von Siegen in Deutschland marschierte die französische Armee durch Bayern und drang bis nach Tirol vor, ehe sie von der österreichischen Armee unter dem Kommando des fähigen Erzherzogs Karl besiegt wurde. Diese Truppen des französischen Heeres mussten sich zwar wieder über den Rhein zurückziehen, Napoleons Italienfeldzug war aber um einiges erfolgreicher, denn er besiegte die österreichische Armee und konnte die Stadt Mantua belagern. Nachdem Mantua gefallen war und 18.000 österreichische Soldaten kapituliert hatten, stand der Weg nach Tirol für Napoleons Truppen offen. Österreich bat um Frieden und unterzeichnete einen demütigenden Waffenstillstand. Im daraus resultierenden Friedensvertrag von Campo Formio, der im Oktober 1797 ratifiziert wurde, verzichtete das Habsburgerreich auf seine Besitztümer in den Niederlanden zugunsten der revolutionären Regierung Frankreichs und erkannte die französische Besetzung des Rheinlandes und Norditaliens an. Außerdem teilten Frankreich und Österreich die Staatsgebiete der Republik Venedig untereinander auf. Diese Regelung besiegelte die französische Vorherrschaft in Europa und hatte dramatische Folgen für das Verhältnis der deutschen Staaten untereinander. Mehrere wichtige deutsche Fürstentümer – Bayern, Hessen-Kassel, Württemberg und Baden – hatten Gebiete im Rheinland an Frankreich verloren und wollten ihre Verluste wettmachen, indem sie sich ihre schwächeren Nachbarstaaten einverleibten. Dies bedeutete das Ende der politischen Unabhängigkeit Hunderter Klein- und Zwergstaaten des Heiligen Römischen Reichs: Winzige Fürstentümer, Kirchenstaaten und freie Kaiserstädte waren betroffen. Österreich war machtlos gegen dieses Beutestreben und stimmte dem Landraub zu. Dieser zynische Schritt bedeutete den Anfang vom Ende des Heiligen Römischen Reichs, das die Rechte und Autonomie dieser Kleinstaaten ein Jahrtausend lang verteidigt hatte. Gleichzeitig läutete er die neue Vormachtstellung zentralisierter dynastischer Staaten in Europa ein.

Während der Frieden von Campo Formio den Zerfall der Ersten Koalition gegen Frankreich bedeutete, wurden die Animositäten zwischen den beiden Großmächten dadurch noch lange nicht beendet, und Österreich begann schon bald wieder mit den Vorbereitungen zum Krieg. Im Jahr 1798 startete Napoleon seine naive Ägyptische Expedition – zur Erleichterung der Revolutionsregierung, die froh war, den ehrgeizigen General weit weg vom Sitz der Macht zu wissen. In seiner Abwesenheit marschierte Frankreich in der Schweiz ein und gründeten eine weitere Tochterrepublik: die Helvetische Republik. Frankreich annektierte Genf und wandte sich gen Rom und war kühn genug, Papst Pius VI. abzusetzen und eine frankreichfreundliche Republik in der Ewigen Stadt einzurichten. Österreich beobachtete diese Entwicklungen mit Besorgnis und fürchtete einen vergleichbaren Einmarsch Frankreichs in Deutschland. Deshalb schloss sich das Habsburgerreich im Juni 1798 einer mächtigen Zweiten Koalition gegen die revolutionäre Regierung an. Zur Koalition gehörten die ehemaligen Verbündeten Österreich und Großbritannien, unterstützt diesmal von einem neuen Partner: dem russischen Zarenreich. Die Verbündeten griffen Frankreich 1799 an mehreren Fronten an. In Italien gewann Russland mehrere wichtige Schlachten und drängte die französischen Truppen zurück zu den Alpen. Während sich die revolutionären Armeen in den Niederlanden gegen Großbritannien und gegen Russland in der Schweiz besser schlugen, machten die österreichischen Truppen des Erzherzogs Karl in Deutschland mit Frankreich kurzen Prozess und trieben das Heer zurück über den Rhein. Für die revolutionäre Regierung Frankreichs sah es düster aus, bis interne Streitereien unter den Verbündeten Russland dazu veranlassten, aus der Zweiten Koalition auszutreten. Gleichzeitig, Ende 1799, kehrte Napoleon von seinem Fiasko in Ägypten zurück und riss durch einen Staatsstreich die Macht in Frankreich an sich. Napoleon erklärte sich selbst zum Ersten Konsul, dem Oberhaupt der französischen Regierung, und ging sofort in die Offensive. 1800 nahm das Schicksal Österreichs in Italien eine Wende: Unter Napoleons Kommando besiegten die französischen Truppen in der Schlacht von Marengo das Haus Habsburg und zwangen seine Armee zur Rückkehr in die österreichischen Alpen. Nach einem weiteren schicksalhaften Sieg Frankreichs über Österreich hatte es Napoleon auf Wien abgesehen. Diese Wende erschütterte die Zweite Koalition und zwang die Habsburgermonarchie erneut zur Kapitulation. Im Frieden von Lunéville, der im Februar 1801 unterzeichnet wurde, erkannte Österreich die französische Kontrolle über die linksrheinischen Gebiete an und akzeptierte die französischen Tochterrepubliken in den Niederlanden und Italien.

Durch seinen Sieg stand Napoleon in hoher Gunst, stürzte schließlich die revolutionäre Regierung, und der Senat trug ihm im Mai 1804 die französische Kaiserwürde an. Im Dezember desselben Jahres krönte er sich selbst zum Kaiser der Franzosen. Anstatt die Lage in Europa jedoch zu besänftigen, stachelte der Ehrgeiz des neuen Kaisers neue Gewalt an, die den Kontinent im folgenden Jahrzehnt verwüsten sollte. Diese Konflikte, die kollektiv als Napoleonische Kriege in die Geschichte eingingen, sollten Deutschland transformieren. Im Vorjahr 1803 war die deutsche Landkarte bereits neu gezeichnet worden, als das Heilige Römische Reich eines seiner letzten umfassenden Gesetze verabschiedet hatte: den Reichsdeputationshauptschluss. Der Gesetzesbeschluss stellte einen Versuch dar, die schwerwiegenden Folgen des Friedens von Lunéville 1801 abzumildern, durch welchen die deutschen linksrheinischen Gebiete an Frankreich abgetreten werden mussten. Kaiser Franz II., der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, der nach dem Tod Leopolds II. 1792 den kaiserlichen Thron bestiegen hatte, beauftragte die Reichsdeputation mit der Entschädigung der rheinischen Fürsten, die durch den Verlust der Erblande an Frankreich abgesetzt worden waren. Im Februar 1803 entschädigte die Kommission weltliche Fürsten auf Kosten der Reichsstädte und geistlichen Herrscher. Während die meisten säkularen Machthaber auf diese Weise entlohnt wurden, blieben nur sechs der 48 Reichsstädte erhalten und bis auf drei wurden sämtliche geistlichen Herrscher enteignet. Tatsächlich führte die Reichsdeputation zu einer umfassenden Gebietsverschiebung sowie einer Umschichtung politischer Zugehörigkeit und wirtschaftlicher Ressourcen innerhalb der Grenzen des Reichs. Die Deputation stellte ein Debakel für den Kaiser dar, änderte die bisher geltenden Gegebenheiten und schürte Ängste innerhalb eines Reichs in den Todeswehen. Im Folgejahr 1804 setzten mehrere deutsche Staaten, darunter Bayern, Württemberg und Baden, auf Frankreich, um ihre Gewinne zu schützen: Sie gingen separate Bündnisse mit dem französischen Kaiserreich ein und unterminierten damit das Ansehen und die Überlebenschancen des römisch-deutschen Reichs weiter. Das Heilige Römische Reich fiel rasant auseinander. Alarmiert durch die wachsende Macht Frankreichs schlossen sich Österreich, Portugal, Russland und Großbritannien 1805 zu einer Dritten Koalition gegen Napoleon zusammen. Diese Koalition war ebenso erfolglos wie die vorherigen und erlitt eine Reihe vernichtender Niederlagen durch Napoleon und seine Generäle. Während Großbritannien durch den Sieg seiner Seestreitkräfte bei Trafalgar einen Einmarsch Frankreichs abwenden konnte, bewiesen die französischen Truppen in Deutschland ihre Dominanz auf dem Schlachtfeld. In einer Blitzkampagne in der Nähe der süddeutschen Stadt Ulm konnte Napoleons Armee eine gesamte österreichische Truppe ausmanövrieren und gefangen nehmen, ehe sie im Dezember 1805 das russisch-österreichische Hauptheer in Austerlitz vernichtend schlug. Durch die Niederlage von Austerlitz verlor Österreich den Krieg und die Habsburgermonarchie war gezwungen, den kostspieligen Friedensvertrag von Pressburg zu unterzeichnen. Diese Kapitulation bestätigte den vorherigen Friedensvertrag von Lunéville und zwang Österreich, Gebiete an Napoleons deutsche Verbündete abzutreten und enorme Reparationszahlungen an Frankreich zu leisten. Austerlitz bedeutete zudem den Todesstoß für das Heilige Römische Reich.

Der erste Schlag kam am 12. Juli 1806, als Napoleon einen Vertrag mit sechzehn seiner deutschen Verbündeten unterzeichnete, darunter die Großstaaten Baden, Bayern, Hessen-Darmstadt, Sachsen und Württemberg. Mit der Unterzeichnung dieses Abkommens traten diese deutschen Fürstentümer formell aus dem Heiligen Römischen Reich aus und bildeten einen Pufferstaat, den sogenannten Rheinbund, der die französische Ostgrenze sichern sollte. Der Bund, der in erster Linie als Militärbündnis gedacht war, schloss sich bald formell mit dem Kaiser der Franzosen zusammen. Im Gegenzug durften sich die Mitgliedsstaaten ausdehnen, indem sie sich die vielen Zwergstaaten einverleibten, die lange Zeit unter dem Schutz des Heiligen Römischen Reichs gestanden hatten. Zudem wurden die Großfürsten, darunter die Herrscher von Bayern, Sachsen und Württemberg, zu Königen ernannt.

Im Zuge dieser erschütternden Entwicklungen und unter Druck eines Ultimatums Napoleons, dankte Franz II. am 6. August 1806 formell als römisch-deutscher Kaiser ab und verkündete die Auflösung des Heiligen Römischen Reichs. Mit dem Zusammenbruch des Reichs und damit des zweifelhaften Schutzes, den es seinen Bündnisstaaten gewährt hatte, strömten weitere deutsche Staaten in die Arme des Rheinbundes. Am Ende blieben nur noch Österreich (nunmehr regiert von Franz II. als Kaisertum Österreich), Preußen, das dänische Herzogtum Holstein und Schwedisch-Pommern außerhalb des Bundes und leisteten Napoleon weiterhin Widerstand. Napoleon besiegte auch die Vierte Koalition, die zwischen 1806 und 1807 seine Herrschaft über Europa vereiteln wollte. Diesmal schloss sich Preußen Großbritannien, Russland, Sachsen und Schweden an. Das Haus Hohenzollern fürchtete um die wachsende Macht Frankreichs und beobachtete die Bildung des Rheinbundes mit Argwohn, da es dadurch seine Vorrangstellung in Deutschland bedroht sah. Am Ende konnte nicht einmal die gewaltige militärische Macht Preußens Napoleon etwas entgegenhalten, der eine Reihe vernichtender Niederlagen über die Koalition brachte. Seine Truppen schlugen die Preußen bei der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt im Oktober 1806, eroberten anschließend Berlin und besetzten Ostpreußen. Napoleon startete von preußischem Hoheitsgebiet aus einen Angriff auf Russland und zwang seinen Gegner im Juni 1807 zur Kapitulation. Die anschließende Regelung, der Frieden von Tilsit, hatte erhebliche Konsequenzen für Deutschland. Laut den vertraglichen Bestimmungen verlor Preußen die Hälfte seines Staatsgebiets an Frankreich und seine Verbündeten. Napoleon schuf aus den abgetretenen preußischen Ländereien ein neues Fürstentum in Deutschland, das Königreich Westphalen. Dieser weitere französische Marionettenstaat wurde von Napoleons Bruder, Jérôme Bonaparte, als König regiert. Der neue Herrscher trat sofort dem Rheinbund bei und erließ eine Reihe gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und rechtlicher Reformen nach dem Vorbild des napoleonischen Frankreichs. 1809, im Krieg der Fünften Koalition, schloss sich das Kaisertum Österreich mit seinem neu strukturierten Heer sowie, dank Erzherzog Karl, moderner Taktik und Ausrüstung, Großbritannien gegen Napoleon und seine Verbündeten an. Die größte Unterstützung Napoleons kam seitens des Königreichs Bayern, was die zunehmenden Spaltungen innerhalb Deutschlands während der napoleonischen Zeit eindeutig belegt. Nach einer Reihe blutiger Feldzüge gegen Österreich in Mitteleuropa und gegen das Vereinigte Königreich auf der iberischen Halbinsel gewann Frankreich mit dem Sieg bei der Schlacht von Wagram vor Wien, wo etwa 300.000 Truppen aufeinandertrafen, die Oberhand. Nach dieser Niederlage, bei der Frankreich wieder einmal direkt vor der Haustür Österreichs stand, musste das Kaisertum eine weitere demütigende Kapitulation unterzeichnen, den Frieden von Schönbrunn. Als Gegenleistung für die Erhaltung des Habsburgerreichs trat Österreich eine Vielzahl reicher Gebiete an Frankreich und seine Verbündeten ab, darunter Kärnten, Krain, seine adriatischen Häfen und Galizien; Bayern erhielt einen Großteil Tirols. Das gedemütigte Österreich verlor mit der Abtretung dieser Gebiete über 3.000.000 Untertanen. Darüber hinaus sah sich der österreichische Kaiser Franz II. gezwungen, Frankreich eine Entschädigung in erdrückender Höhe zu zahlen, Joseph Bonaparte als König von Spanien anzuerkennen und sich an Napoleons Embargo gegen britische Waren zu halten.

Obwohl deutsche Truppen aus Preußen, Österreich und Bayern in den Napoleonischen Kriegen auf verschiedenen Seiten gekämpft hatten, trugen die revolutionären Umwälzungen und militärischen Kämpfe der Epoche sowie die Auflösung des Heiligen Römischen Reichs ebenfalls dazu bei, dass sich die Deutschen in ihrem wachsenden Nationalismus immer mehr geeint fühlten. Während französische Truppen auf den Schlachtfeldern Deutschlands triumphierten, mussten sie gleichzeitig Ressourcen aufbringen, um Revolten im Marionettenstaat Königreich Westphalen und auf dem ehemaligen österreichischen Staatsgebiet Tirol zu unterdrücken, da ihre deutschen Untergebenen die französische Herrschaft ablehnten. Als die Verbündeten 1812 ihre letztlich siegreiche Sechste Koalition schlossen, war die deutsche Bevölkerung zunehmend geeint in ihrer Opposition gegen die französische Invasion. Die patriotischen Schriften glühender Nationalisten wie Johann Gottlieb Fichte, Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn, welche die Deutschen zum geeinten Widerstand gegen Frankreich aufforderten, trafen auf offene Ohren. Napoleon sah sich gerade dann mit dieser Sechsten Koalition, zu der schließlich auch Österreich und Preußen gehörten, konfrontiert, als er seinen katastrophalen Russlandfeldzug beendet hatte. Dieser hatte den Großteil seiner Armeen zerstört, sodass der französische Kaiser der Koalition im Oktober 1813 in Deutschland nur noch mit einem Überbleibsel seines Heers gegenübertreten konnte. Die daraufhin folgende Schlacht von Leipzig, die sogenannte Völkerschlacht, in der über eine halbe Million Soldaten kämpften, war bis zum Ersten Weltkrieg die größte Schlacht auf europäischem Boden. Napoleons Armeen, einschließlich der Truppen seiner deutschen Verbündeten des Rheinbundes, konnten im Vorlauf zur Schlacht geringere Siege verbuchen, erlitten aber in Leipzig eine katastrophale Niederlage gegenüber dem Koalitionsheer. Der Sieg der Koalition drängte Frankreich wieder über den Rhein zurück und veranlasste die führenden deutschen Staaten des Rheinbundes, darunter Bayern, Sachsen und Württemberg, die Seiten zu wechseln und der Koalition beizutreten. Da das französische Militär nun zerstört war, konnte die Koalition 1814 nach Frankreich vordringen, Napoleon absetzen und ihn auf die Mittelmeerinsel Elba verbannen. An seiner Stelle wurde mit dem Haus Bourbon die Monarchie wieder eingesetzt. Unterdessen hatten russische Truppen den französischen Marionettenstaat in Westdeutschland, das Königreich Westphalen, eingenommen und aufgelöst und somit die politische Landkarte von 1806 wiederhergestellt. Schließlich brach auch der Rheinbund ohne französische Unterstützung zusammen, zumal die meisten Mitgliedstaaten nach der Völkerschlacht ohnehin der siegreichen Koalition beigetreten waren.

Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege trat der konservative Wiener Kongress zusammen, um Europa neu aufzuteilen. Für die Deutschen bedeutete dies die Wiedereinsetzung der Herrscher aus der Zeit vor den Kriegen sowie, im Juni 1815, die Gründung des Deutschen Bundes, eines lockeren Verbandes deutscher Staaten, der den ehemaligen Rheinbund ablöste. Eine Woche später versammelten sich Hunderte patriotischer Studenten auf der Wartburg zu einer Demonstration, bei welcher sie die neue schwarz-rot-goldene Nationalflagge schwenkten. Beim Wartburgfest 1815 protestierten die sie gegen die konservativen Entscheidungen des Wiener Kongresses, forderten einen deutschen Nationalstaat und eine liberale Verfassung und setzten damit das Rad in Bewegung, das nach einem langen Prozess 1871 in der Vereinigung Deutschlands unter preußischer Führung gipfeln sollte.

Jason Coy und Jared Poley

Empfohlene Zitation: Jason Coy, Jared Poley: Das Heilige Römische Reich (1648-1815). Einführung, veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-heilige-roemische-reich-1648-1815/ghdi:introduction-2> [05.11.2024].