Kurzbeschreibung

Die Fertigstellung einer neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Berlin und München, die die Reisezeit auf unter vier Stunden verkürzt, weil die Züge mit bis zu 250 km pro Stunde fahren, setzte ein Beispiel für die Weiterentwicklung bestehender Technologien und das Engagement für die Verbesserung des öffentlichen Verkehrs.

Neue ICE-Verbindung zwischen Berlin und München (2017)

Quelle

Neue ICE-Strecke

„Größte Angebotsverbesserung seit Jahrzehnten“

Im Dezember ist es so weit: Die ICE rasen dann mit Tempo 300 durch den Thüringer Wald - und in weniger als vier Stunden von Berlin nach München. Die Kunden erwartet die größte Fahrplanumstellung seit Langem.

Richard Lutz ist ein angenehm zurückhaltender, fast schon schüchterner Mensch. Kleine Zahlen in Excel-Tabellen sind eher die Sache des neuen Bahn-Chefs als große Emotionen auf offener Bühne.

Eigentlich.

Denn am Freitag war ein geradezu begeisterter Konzernchef zu beobachten.

Es ist kurz nach halb elf, als Lutz im ICE „Wittenberge“ das Wort ergreift. „Willkommen zu dieser Premierenfahrt“, sagt er zu den rund 50 Anwesenden. „Sie sind die ersten Gäste überhaupt, die auf der neuen Hochgeschwindigkeitstrasse fahren können.“ Weil dieses Verkehrsprojekt ein „historisches Ausmaß“ habe, komme selbst er als gelernter Kaufmann ins Schwärmen.

Dieses Verkehrsprojekt – damit meint Lutz die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt und Ebensfeld, einer Gemeinde nahe Bamberg.

Auf der Premierenfahrt rast der Zug mit 230 km/h durch den Thüringer Wald – über eine der anspruchsvollsten Bahnstrecken, die je in Deutschland gebaut wurden. Die Hälfte der 107 Kilometer verläuft über Brücken und in Tunneln. Im Schnitt hat ein Kilometer rund 30 Millionen Euro gekostet.

Eine Besonderheit ist, dass die Gleise zum Teil oberhalb von 600 Metern liegen. Für eine Hochgeschwindigkeitsstrecke ist das nahezu einzigartig in Europa. Dass die Gleise im Winter geräumt sind, dafür übernimmt die Deutsche Bahn (DB) die Verantwortung.

Allerdings nicht für die farblich weniger gelungenen Lärmschutzwände, an denen der ICE zu Beginn vorbeifährt. „Die Farbgebung in Ocker war der Wunsch der Stadt Erfurt“, sagt Projektleiter Olaf Drescher, „in Bayern werden wir etwas anderes sehen.“ Rund eine halbe Stunde später ist die Landesgrenze überschritten – und das andere ist tatsächlich eine in Weiß und Blau gestrichene Lärmschutzwand.

Drei Sprinter pro Tag in jede Richtung

Offiziell ans Netz geht die Strecke erst zum Fahrplanwechsel im Dezember. Dann fahren die ICE auch mit bis zu 300 km/h. Lutz verspricht für das Jahresende den umfangreichsten Fahrplanwechsel seit Jahrzehnten und die „größte Angebotsverbesserung in der Geschichte der Deutschen Bahn“.

Vor allem die Verbindung zwischen Berlin und München wird schneller. Künftig sollen zwischen beiden Städten jeweils drei Sprinter pro Tag und Richtung verkehren, die nur in Halle, Erfurt und Nürnberg halten und die Reisezeit auf knapp vier Stunden verkürzen. Reguläre ICE sollen knapp viereinhalb Stunden benötigen. Bislang dauert die Fahrt länger als sechs Stunden.

Vier Stunden gelten als psychologisch wichtige Schwelle, ab der Reisende auf den Zug umsteigen – auch vom Flieger. Selbst mit Lufthansa oder Air Berlin schafft man es vom Berliner Zentrum bis zur Münchner Stadtmitte kaum schneller, so das Kalkül. Auch wenn die DB davon profitiert, dass der Münchner Flughafen gefühlt nahe Nürnberg liegt und der neue Berliner Airport BER – so er denn jemals eröffnet – bei Leipzig.

Bislang hat die DB zwischen Berlin und München nur einen Marktanteil von rund 20 Prozent. Das Ziel ist eine deutliche Erhöhung. So wie es durch kürzere Reisezeiten bereits zwischen Köln und Frankfurt und zwischen Berlin und Hamburg gelungen ist.

Offiziell rechnet der Konzern vor, dass 17 Millionen Menschen vom verbesserten Fernverkehrsangebot profitieren, also immerhin gut jeder fünfte Einwohner der Bundesrepublik.

Diese hohe Zahl hat auch damit zu tun, dass sich nicht nur zwischen Berlin und München das Angebot verbessert. Auch Städte wie Erfurt, Dresden, Leipzig und Halle sollen etwas vom umfangreichen Fahrplanwechsel haben. Genauso wie Reisende zwischen Frankfurt und Berlin: Künftig soll es in der Regel zwei Fahrten pro Stunde geben. Weil so viele Kunden von den Verbesserungen profitieren, betont Lutz, es handle sich definitiv nicht um ein Prestigeprojekt.

Zehn Milliarden Euro für 500 Kilometer Strecke

Was bei all der Freude am Freitag fast untergeht, ist die Erleichterung aller Beteiligten darüber, dass die Strecke überhaupt fertig geworden ist. Von der Entscheidung bis zur weitgehenden Fertigstellung hat es immerhin fast eine Generation gedauert.

Anfang der Neunzigerjahre beschloss die damalige Bundesregierung den Aus- und Neubau einer mehr als 500 Kilometer langen Bahnstrecke zwischen Berlin und Nürnberg. Im Behördendeutsch trägt das Projekt seither den Namen VDE 8. VDE steht für „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“.

VDE 8 war das größte Schienenprojekt im Zuge der Wiedervereinigung. Es gliederte sich in drei Teilprojekte:

• Die Ausbaustrecke von Leipzig/Halle nach Berlin ging bereits 2006 in Betrieb.

• Die Neubaustrecke zwischen Leipzig/Halle und Erfurt wird seit 2015 befahren.

• Im Dezember 2017 wird schließlich der Neubau-Abschnitt von Erfurt nach Ebensfeld eröffnet. Zwischen Ebensfeld und Nürnberg wird noch ein paar Jahre gebaut.

Erst dann ist tatsächlich alles fertig. Ursprünglich sollte es bereits um die Jahrtausendwende so weit sein. Auch weil es zwischendurch zu einem jahrelangen Baustopp kam, gab es immer wieder Verzögerungen. Entsprechend haben sich auch die Kosten deutlich erhöht. Aus den einst geschätzten rund 13 Milliarden D-Mark dürften bei der endgültigen Abrechnung mindestens zehn Milliarden Euro geworden sein.

Was Verzögerung und Kostensteigerung angeht, unterscheidet sich das Riesenprojekt nicht von anderen Großvorhaben. Allerdings lehrt die Erfahrung auch, dass die meisten Menschen begeistert sind, wenn der Betrieb erst einmal läuft.

Quelle: Sven Böll, „Größte Angebotsverbesserung seit Jahrzehnten“, Spiegel Online, 16. Juni 2017. Online verfügbar unter: https://www.spiegel.de/reise/aktuell/neue-ice-strecke-erfurt-ebensfeld-a-1152353.html

Neue ICE-Verbindung zwischen Berlin und München (2017), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/ein-neues-deutschland-1990-2023/ghdi:document-5302> [23.04.2024].