Kurzbeschreibung

Trotz internationalen Drucks weigerte sich die Bundesrepublik Deutschland, militärisch am Golf-Krieg (1991) teilzunehmen und wich stattdessen auf großzügige finanzielle Unterstützung aus. Der damalige Außenminister, Hans-Dietrich Genscher, verteidigt diese Position im Rückblick und betont, dass Deutschland stets seiner internationalen Verantwortung nachgekommen sei.

Nicht ohne Grund hätten beide Supermächte 1989 von Deutschland als einem wichtigen Partner in Europa gesprochen.

Scheckbuchdiplomatie im Jahre 1991 (Rückblick, 1995)

  • Hans-Dietrich Genscher

Quelle

Ein Bundeswehreinsatz im Irak? Außenpolitische Erwägungen zu einer innenpolitischen Debatte

Mittlerweile spitzte sich die Lage in und um den Irak weiter zu. Saddam Hussein war offensichtlich nicht bereit, Kuwait freiwillig zu räumen. Das Handelsembargo sollte bis zum

15. Januar 1991 aufrechterhalten werden. Der Sicherheitsrat hatte Saddam Hussein unmißverständlich klargemacht, daß die UN-Beschlüsse – die von der Bundesregierung uneingeschränkt unterstützt wurden – mit Waffengewalt durchgesetzt würden, wenn er bis dahin nicht einlenke. Hier wurde eine neue Qualität des internationalen Krisenmanagements deutlich: Der von den USA angeführte alliierte militärische Aufmarsch der UNO war dank der Beteiligung Ägyptens, Syriens und Marokkos eine westlich-arabische Gemeinschaftsaktion.

Als die türkische Regierung im Dezember 1990 um die Entsendung von Verbänden der Allied Mobile Force (AMF) ersuchte, innerhalb derer auch die Bundeswehr Einheiten von Luftwaffe und Heer stellte, löste diese Frage im Blick auf den NATO-Vertrag sowohl in der deutschen Öffentlichkeit als auch in den politischen Parteien in der Bundesrepublik heftige Kontroversen aus.

Die NATO wollte ihre Entschlossenheit demonstrieren, die Türkei gegen Angriffe von außen zu verteidigen. Vor diesem Hintergrund verpflichtete sich die Bundesregierung, eine deutsche Luftwaffeneinheit in die Türkei zu entsenden, um Saddam Hussein vom irakischen Angriff auf den Bündnispartner abzuschrecken.

Immer öfter wurde unterdessen in der Öffentlichkeit die Forderung laut, wir sollten uns auch militärisch an der Golf-Koalition selbst beteiligen. Neben den verfassungsrechtlichen Bedenken galt es jedoch nicht aus den Augen zu verlieren, daß in Moskau der Zwei-plus-Vier-Vertrag noch nicht ratifiziert war und wir deshalb gut daran taten, Rücksicht auf die innenpolitische Situation in der Sowjetunion zu nehmen. Keinesfalls durften den Gegnern von Michail Gorbatschow in der Deutschland-Politik Argumente geliefert werden; wäre die Ratifizierung des Zwei-plus-Vier-Vertrages im sowjetischen Parlament verweigert worden, hätte dies für Deutschland und Europa katastrophale Folgen gehabt. Schon Schewardnadses Entscheidung vom 20. Dezember, vom Amt des Außenministers zurückzutreten, hatte bei mir größte Betroffenheit ausgelöst. Schewardnadse begründete seinen Rücktritt folgendermaßen: »Dies ist mein Protest gegen die anbrechende Diktatur. Die Demokraten machen sich davon, eine Diktatur ist im Anzug – dies erkläre ich mit voller Verantwortung. Niemand weiß, wie die Diktatur aussehen wird, was für ein Diktator kommt und was für Zustände dann herrschen werden. Ich werde immer die Ideen der Erneuerung und der Demokratie unterstützen.« Und weiter: »Wenn Sie eine Diktatur schaffen, kann niemand sagen, wer der Diktator sein wird. Wenn Sie den Knopf drücken, entscheiden Sie über das Schicksal nicht nur Gorbatschows, sondern über das der Perestroika und der Demokratie.« Er sprach es nicht aus, aber wenn ich diesen letzten Satz weiterdachte, konnte das nur bedeuten: Das Ende der Perestroika würde auch die Ratifizierung des Zwei-plus-Vier-Vertrages im Obersten Sowjet gefährden. Deshalb war ich in dieser besonderen Situation nicht allein aus verfassungsrechtlichen, sondern auch aus außenpolitischen Gründen gegen einen Einsatz von Bundeswehrsoldaten am Golf. Wie sich zeigte, sollte es noch Monate dauern, bis der sowjetische Botschafter mir am 15. März 1991 im Auswärtigen Amt die Ratifizierungsurkunde übergab; erst damit erhielt Deutschland seine volle Souveränität zurück.

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Der deutsche Beitrag zur Befreiung Kuwaits

Am 23. Februar begann die Schlußphase des Golfkrieges. Wir alle waren erleichtert, daß der Krieg entgegen manchen Prognosen so schnell beendet werden konnte. Bundeskanzler Kohl erklärte, die irakische Führung habe spätestens durch die jetzt bekannt gewordenen abscheulichen Verbrechen an der kuwaitischen Bevölkerung ihr wahres Gesicht gezeigt. Ich fügte an: »Die Weltgemeinschaft und die Koalition hatten keine andere Wahl zur Durchsetzung der Entschließung der UN.« Nie zuvor waren einem Aggressor so viele Gelegenheiten zum Einlenken gegeben worden wie Saddam. Aber er hatte sich geweigert, auch nur eine der Möglichkeiten zu nutzen.

Die Bundesrepublik hatte sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten als verläßlicher Partner der Kriegsallianz gezeigt: Als einer der ersten Staaten setzte sie die Embargomaßnahmen der UNO gegen den Irak und das besetzte Kuwait in bindendes nationales Recht um, und auch die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zur Irak-Krise sowie alle weiteren Beschlüsse in anderen internationalen Organisationen trugen wir mit. Da wir selbst nicht im Sicherheitsrat vertreten waren, hatte unsere Beteiligung an anderen internationalen Gremien wie der Europäischen Gemeinschaft und der EPZ, der Westeuropäischen Union, der NATO sowie den Institutionen für weltwirtschaftliche Zusammenarbeit um so größere Bedeutung. Im März 1991, nach Verkündung der Waffenruhe, aber noch vor dem offiziellen Waffenstillstand, folgte Bonn überdies der amerikanischen Bitte, Marineeinheiten auch in den Golf zu entsenden, um irakische Minen zu räumen.

Ein wichtiger deutscher Beitrag zur Befreiung Kuwaits durch die politische Kooperation der Sowjetunion mit dem Westen war unser Eintreten für eine Öffnung der westlichen Finanzinstitutionen für sowjetische Wünsche und Interessen.

In einer Krisensituation stabilisierten wir durch unsere Ostpolitik die Lage in Europa beträchtlich und sorgten für Ausgleich und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. Die deutsche Bereitschaft zur Unterstützung der sowjetischen Volkswirtschaft erleichterte den sowjetischen Rückzug aus Zentraleuropa. Das wiederum verbesserte die strategische Sicherheitslage der Allianz.

So spielte Bonn eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung nicht nur des Transformationsprozesses in Mittel- und Osteuropa, sondern auch der Lage am Golf. Beides lag sowohl im nationalen deutschen als auch im gemeinsamen Interesse aller europäischen Staaten sowie der USA. Eine stabile europäische Sicherheitslage in einer Zeit fundamentalen Wandels war Voraussetzung und Grundlage für den Einsatz am Golf. Ohne die friedliche politische Entwicklung in Zentraleuropa, die sich aus dem NATO-Gipfel in London im Juli 1990 und den kurz danach zwischen Bundesregierung und sowjetischer Führung getroffenen Abmachungen ergeben hatte, wäre es zweifelhaft gewesen, ob Moskau die Maßnahmen der UNO gegen den Irak mitgetragen und die Präsenz amerikanischer Truppen in der Golfregion unterstützt hätte. Immerhin hatte Eduard Schewardnadse am 17. September 1990 in Tokio erklärt: »Wenn diese Krise (der Golfkrieg) vor dem Ende des kalten Krieges ausgebrochen wäre, hätten wir unsere Raketen bereit gemacht. Das wäre der Dritte Weltkrieg gewesen.«

Außenpolitische Behutsamkeit und ein klares Bekenntnis zur Politik der westlichen Allianz unter Berücksichtigung elementarer sowjetischer Interessen waren die Leitlinien unseres Vorgehens. Die amerikanischen, britischen und französischen Verbündeten hatten Anspruch auf unsere Solidarität. Gleichzeitig unterstützten wir die letzten französischen ebenso wie die sowjetischen Vermittlungsversuche. Den Krieg ohne Aufgabe der eigenen Ziele zu vermeiden, sah ich als oberstes Gebot. Deshalb beurteilte ich die Bemühungen von Mitterrand und Gorbatschow als einen Ausdruck nicht von Schwäche, sondern von Verantwortungsbewußtsein.

Als wichtigster strategischer Umschlagplatz für amerikanische und britische Streitkräfte war Deutschland im Krieg gegen den Irak in weit stärkerem Maße Partei, als dies in der Öffentlichkeit erkannt wurde. Wie schon erwähnt, hatten wir den Amerikanern gestattet, ihre militärischen Einrichtungen auf unserem Territorium für ihre Aktionen zu nutzen, und versichert, daß Deutschland für Überflüge und Landungen zur Verfügung stehe. Außerdem unterstützten wir die Verlegung von in Deutschland stationierten amerikanischen und britischen Einheiten an den Persischen Golf. Vor allem während der zweiten Aufmarschphase der verbündeten Streitkräfte ab November 1990 wurde innerhalb weniger Wochen ein Großteil der Ausrüstung des amerikanischen Heeres und der Britischen Rheinarmee unter Einsatz von fast 900 deutschen Güterzügen, 450 Rheinschiffen sowie durch Straßentransporte zu den Verladehäfen Bremerhaven, Nordenham, Emden, Rotterdam und Antwerpen befördert. Auch die deutsche Luftwaffe leistete nicht nur im Rahmen verschiedener humanitärer Missionen, sondern auch in mehr als 250 Einsätzen für die amerikanischen, britischen und niederländischen Streitkräfte wichtige Transporthilfe. Hier war eine enorme logistische Aufgabe zu bewältigen.

Die finanzielle deutsche Unterstützung der Allianz in den Jahren 1990/91 betrug circa 18 Milliarden DM. Davon gingen circa 10,3 Milliarden DM, also mehr als die Hälfte der Gesamtsumme, allein an die Vereinigten Staaten, und im Unterschied zu manchen anderen Ländern erbrachte Bonn die Leistungen zudem rechtzeitig und in voller Höhe. Dazu gehörten Finanzzuschüsse von 800 Millionen DM an Großbritannien und 300 Millionen DM an Frankreich, und allein die Türkei erhielt, zusätzlich zu den regelmäßigen deutschen Unterstützungen der türkischen Verteidigungsfähigkeit innerhalb der NATO, bis 1993 eine Sonderhilfe aus deutschen Rüstungsbeständen im Wert von 1,5 Milliarden DM.

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Quelle: Hans-Dietrich Genscher, Erinnerungen. Berlin: Siedler, 1995, S. 907-08, 919-21. © 1995 Wolf Jobst Siedler Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House, GmbH.