Kurzbeschreibung

Außenminister Frank-Walter Steinmeier würdigt die Schlüsselrolle des Irans im Syrien-Konflikt. Der Zeitpunkt seiner Reise nach Teheran war von symbolischer Bedeutung, da er mit dem Inkrafttreten des Atomabkommens zusammenfiel, das im Sommer 2015 zwischen dem Iran und den fünf Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats sowie Deutschland vereinbart worden war.

Iran, das Nuklearabkommen und der Nahe Osten (18. Oktober 2015)

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Wenn Berg und Berg nicht zusammenkommen

Außenminister Frank-Walter Steinmeier versucht auf seiner Reise in den Mittleren Osten eine gemeinsame Linie für den Syrien-Konflikt zu finden. Bei seiner ersten Station spürt er bereits Gegenwind.

Ein paar Minuten lang ist Frank-Walter Steinmeier irritiert. Am Sonntagvormittag redet der deutsche Außenminister an der Universität Teheran, hinter sich die deutsche und die iranische Fahne. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hat Alumni zu einer Konferenz über „Nachhaltige Entwicklung und Stabilität“ geladen. „Berg und Berg kommen nicht zusammen, aber Mensch und Mensch“, zitiert Steinmeier ein iranisches Sprichwort.

Plötzlich macht sich Unruhe breit. In den hinteren Reihen heben junge Männer und Frauen Transparente hoch. Auf Farsi und Englisch erinnern sie daran, dass Deutschland während des ersten Golfkrieges angeblich Chemiewaffen an den irakischen Machthaber Saddam Hussein geliefert habe. „Won’t forget Sardasht“ ist auf Plakaten zu lesen.

In der westiranischen Stadt waren 1987 etliche Menschen durch Saddams Chemiewaffen getötet worden; das Thema ist im Iran bis heute stark präsent. Fotografen und Kameraleute wenden sich den Demonstranten zu. Steinmeier redet weiter, und kann aus der Ferne deren Intention nicht erkennen. Nach seiner Rede, als sich die Unruhe gelegt hat, wird ihm ein Zettel gereicht, der ihn offenbar über den Grund der Proteste informiert.

Der Iran ist die erste Station einer viertägigen Reise in den Mittleren Osten, die den Außenminister an diesem Sonntagnachmittag nach Saudi-Arabien und am Montag nach Jordanien führen soll. Die Universität Teheran, die älteste und größte Hochschule des Landes, gilt als „Mutter der iranischen Universitäten“. Schon kurz nach Gründung dieser anfangs religiösen Schule vor 700 Jahren wurden Mathematik, Astronomie und Physik gelehrt.

Die islamische Revolution von 1979 hatte hier ihre Ursprünge, 1999 kam es an der Universität zu Studentenprotesten gegen das Regime. Seit dem Amtsantritt des moderaten Präsidenten Hassan Ruhani 2013 öffnen und internationalisieren sich die iranischen Hochschulen ein wenig. Iranische Studenten zieht es ins Ausland, Deutschland ist – nach Malaysia, den USA und Großbritannien – das viertbeliebteste Ziel.

Ärger um Gespräche über Menschenrechte

Auf eine Öffnung des Landes hoffen viele Studenten. Auf die Frage nach dem Studien- oder Arbeitsort ihrer Wahl nennen sie die USA, Kanada, Deutschland oder die Schweiz. Innenpolitische Reformen erhoffen sich vor allem die jungen, säkular geprägten Iraner in den Städten, die reisen wollen, die daheim heimlich amerikanische Filme schauen und denen es gelingt, die Sperren für Facebook und Twitter zu umgehen. Ein deutsch-iranisches Kulturabkommen, über das schon sehr lange geredet wird, soll nun bald verabschiedet werden. Deutschland will vor allem bei Bildung und Kultur den Austausch verstärken. Statt einer Wirtschaftsdelegation begleiten Steinmeier unter anderem Berlinale-Chef Dieter Kosslick und der Generalsekretär des Goethe-Instituts.

Der Wandel soll also nicht nur vom Handel geprägt werden, sondern ebenso von Wort und Bild. Mancher knüpft euphorische Erwartungen an innere Reformen in Folge des im Juli unterzeichneten Atomabkommens. Steinmeier widerspricht dem und betreibt damit ein zurückhaltendes Erwartungsmanagement. Die Stärke der konservativen Kräfte im Iran ist nicht immer abzuschätzen, Rückschläge also jederzeit möglich. Dass in diesem Jahr bereits über 600 Menschen hingerichtet wurden, gilt als ein Erfolg der Hardliner in Justiz- und Regierungsapparat.

Über bürgerliche Freiheiten spricht Steinmeier im Iran öffentlich nicht, sonst übliche Termine mit der „Zivilgesellschaft“ sind nicht vorgesehen. „Zwölf Jahre lang hat man uns erzählt: erst das Atomabkommen, dann reden wir über Menschenrechte“, sagt der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour, „jetzt heißt es: erst lösen wir das Syrien-Problem, dann reden wir über Menschenrechte.“ Das Schicksal Einzelner thematisiert Steinmeier dem Vernehmen nach aber sehr wohl, etwa im Vieraugengespräch mit Parlamentspräsident Ali Laridschani. Diese Hinweise hinter verschlossenen Türen hält das Auswärtige Amt für effektiver als öffentliche Appelle.

Steinmeier und sein Amtskollege kennen sich gut

Erwartungen an den Iran formuliert Steinmeier bei einem anderen Thema, der Atomvereinbarung, die er einige Jahre (und Nächte) lang verhandelt hat. An diesem Sonntag ist der „Adoption day“, mit dem das Atomabkommen formal angenommen wird. In Kraft gesetzt aber ist es damit noch nicht. „Jetzt ist die Frage, ob der Iran zeigt, dass er seine Verpflichtungen erfüllt“, sagt Steinmeier am Sonntag. Erst nach einem grünen Licht der Internationalen Atomenergiebehörde kommt es zum „Implementation day“, mit dem der Vertrag in Kraft tritt. Das werde „sicherlich nicht vor Ende Januar der Fall sein“, sagt Steinmeier. Teheran dürfte daran gelegen sein, die Sanktionen vor den Parlamentswahlen im Februar 2016 abzuschütteln.

Mit Dschawad Sarif, dem iranischen Außenminister, verbringt Steinmeier fast den gesamten Samstag. Die beiden Männer sprechen unter vier Augen, mit ihren Delegationen, halten nacheinander Reden bei einer Konferenz der Core Group der Münchner Sicherheitskonferenz, essen gemeinsam zu Mittag. Zum Abendessen treffen sie sich abermals. Ihr Tisch im hell erleuchteten Großen Ballsaal des Diplomatischen Clubs in Teheran verliert sich ein wenig. Die Stimmung des Dinners bei Auberginen-Püree, gefüllten Weinblättern und Obstsalat wirkt freundlich distanziert. Gut eineinhalb Stunden sitzen die Minister bei Wasser und Cola, und natürlich ohne Alkohol zusammen. Gemütlich oder gelöst geht es dabei nicht zu.

Steinmeier und Sarif aber kennen sich gut, reden Englisch miteinander. Der Politikwissenschaftler Sarif hat sein halbes Leben in den USA verbracht, studierte dort und arbeitete für die Vertretung Irans bei der Uno. Bei den Atomverhandlungen sind sich beiden Männer immer wieder begegnet, „Es wäre bestimmt kein Vergnügen, ihm einen Gebrauchtwagen zu verkaufen“, sagt Steinmeier über seinen Amtskollegen während der gemeinsamen Pressekonferenz am Samstagvormittag.

Das zeigt sich auch just während dieser halben Stunde. Sarif, eloquent, charmant und sehr höflich, markiert seine Positionen scharf. Steinmeier spricht ebenfalls recht deutlich, und so schenken sich die beiden beim Thema Syrien selbst auf offener Bühne nichts. Steinmeier kritisiert die Fassbomben, die der syrische Machthaber Assad gegen sein eigenes Volk abwerfen lässt.

Was die Iraner über Russland denken, bleibt unklar

„Ich bitte den Iran, Einfluss auf Assad zu nehmen, um erste Schritte einer Deeskalation zu gehen“, sagt er. Sarif aber nimmt seinen Verbündeten Assad in Schutz, ohne ihn beim Namen zu nennen. „Darauf zu beharren, dass manche Personen eine Zukunft haben, wird nicht zu Ergebnissen führen“, sagt Sarif. Gegensätzlich argumentieren die beiden Außenminister ebenfalls mit Blick auf die Rolle Russlands in Syrien.

Steinmeier kritisiert Moskau, er hält die russischen Luftangriffe für einen Rückschritt, spricht von einer Eskalation. Sarif weist das zurück. Wie die Iraner die Rolle Russlands abseits offizieller Statements sehen, darüber lässt sich nur rätseln. Einerseits gibt es ähnliche Interessen, andererseits beraubt Moskau mit seinen Luftschlägen nun den Iran um seine Bedeutung in jenem Krieg.

Und dann ist da noch die Frage, inwieweit die gesamte Region in dieser Krise zusammenarbeiten kann. Gerade dieser Punkt ist heikel. Das Verhältnis zwischen Iran und Saudi-Arabien ist zerrüttet. Sarif bekräftigt die Vorwürfe seines Landes an Riad, die vielen – auch iranischen – Toten während der Pilgerfahrt nach Mekka provoziert oder zumindest gebilligt zu haben. Emotional klingt seine Stimme bei diesem Thema.

Steinmeier, der um den Wettbewerb beider Staaten um die Dominanz in der Region weiß, will zumindest versuchen, die Widersacher zur Lösung der Syrien-Krise an einen Tisch zu bringen. Syrien, dieses Interessenknäuel, ließe sich nicht militärisch lösen, ist er überzeugt. Ausloten – so lautet ein Steinmeier-Wort, das in diesen Tagen immer wieder zu vernehmen ist. Sondieren, was möglich ist – so versteht er seine Aufgabe. Es gelte jemanden zu finden, der „Brücken baut“. Die Deutschen betreiben zwar Pendeldiplomatie, verstehen sich aber weder als Vermittler, noch wollen sie sich dazu aufschwingen. Das Vorhaben, die unterschiedlichen Mächte an einen Tisch bringen, ist ambitioniert. Die von Steinmeier mühsam voran getriebene Kontaktgruppe im Ukraine-Konflikt war dagegen wohl ein Spaziergang.

In Riad werden die Gespräche ebenfalls heikel

„Wir wünschen uns, dass der Iran eine konstruktive Rolle in der internationalen Gemeinschaft und gegenüber seinen Nachbarn spielt“, sagt Steinmeier in seiner Rede vor dem kleinen Format der Münchner Sicherheitskonferenz in Teheran. So oder so ähnlich wird der Außenminister wohl auch während seiner politischen Gespräche am Montag in Saudi-Arabien argumentieren. Eine Skepsis in Riad über die vorherigen Verhandlungen Steinmeiers in Teheran ist dabei einkalkuliert.

Neben Syrien geht es dabei um den Bürgerkrieg im Jemen, wo sich die beiden Mächte Iran und Saudi-Arabien einen Stellvertreterkrieg leisten. So will Steinmeier in Riad nicht nur den dortigen König, weitere Vertreter des Königshauses und den Außenminister treffen. Auch eine Unterredung mit dem – hier im Exil weilenden – jemenitischen Staatspräsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi ist geplant. Hadi ist der demokratisch gewählte und legitimierte Präsident, daher für Berlin nach wie vor offizieller Gesprächspartner. In Teheran war über Jemen ebenfalls gesprochen worden. Der Iran verfolgt mit Interesse, wie die Militärallianz der Golfstaaten, angeführt von Saudi-Arabien, bei ihrem Kampf gegen die Huthi-Rebellen in den vergangenen Wochen hat Rückschläge verzeichnen müssen.

Wie mühsam Diplomatie zuweilen sein kann, das weiß Steinmeier, und seine stoische Ausdauer ist in diesem Geschäft gewiss hilfreich. Mit Blick auf den Atomdeal, das Erreichte und die Aufgaben, zitiert er in Teheran die Weisheit eines „großen Fußballphilosophen“. Steinmeier trägt den Satz in Deutsch und auf Englisch vor: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. After the game is before the game.“

Quelle: Daniel Friedrich Sturm, „Wenn Berg und Berg nicht zusammenkommen“, Die Welt, 18. Oktober 2015. Online verfügbar unter: https://www.welt.de/politik/deutschland/article147735802/Wenn-Berg-und-Berg-nicht-zusammenkommen.html