Kurzbeschreibung

Nach 1871 fanden häufig Besuche des Kaisers in Deutschlands vielfältigen Regionen und Orten statt, um die „innere“ Einigung des Reichs zu unterstützen. Sie eigneten sich gut, auch die nichtpreußische Bevölkerung mit der neuen Hohenzollerndynastie vertraut zu machen, und förderten, wie in diesem Auszug zu sehen ist, selbst bei der preußischen Bevölkerung die allgemeine Loyalität zum Kaiserreich. Hier erinnert sich der Magdeburger Kaufmann Otto Pilet an den Besuch Kaiser Wilhelms I. neun Jahre nach der Reichsgründung in seiner Stadt.

Ein Magdeburger Kaufmann erinnert sich an einen Kaiserbesuch (1880)

  • Otto Pilet

Quelle

Nachdem ich im Jahre 1870 durch Ernst Jacoby eine tüchtige Hülfe und Stütze in meinem Geschäft erhalten hatte, nahm ich ein Mandat als Stadtverordneter an und trat am 10. August 1871 in die Versammlung ein. Bald wurde meine Thätigkeit in diesen Versammlungen eine recht erhebliche. Man wählte mich schon am 23. October 1873 in die Schuldeputation, am 27. Mai 1881 in die Handelsdeputation, ferner schon bald nach meinem Eintritt als Stadtverordneter in die Commission für den projectirten Bau des neuen Stadttheaters. [] Späterhin auch Mitglied der Wahlcommission und deren Vorsitzender wurde meine Stellung in der Versammlung von größerer und gewissermaßen einflußreicher Bedeutung. So kam das Jahr 1880 und mit ihm der große Jubeltag Magdeburgs, der 4. Juni, an welchem sich 200 Jahre vollendeten, seitdem das Herzogthum Magdeburg definitiv an Brandenburg gefallen und unter das glorreiche Scepter der Hohenzollern kam, der Tag, der der Stadt den Besuch des greisen Kaisers Wilhelm, des herrlichen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, des jungen Prinzen Wilhelm, unseres jetzigen Kaisers Majestät, und des ritterlichen Prinzen Friedrich Karl mit einem glänzenden Gefolge brachte. Groß war die Freude und die Aufregung bei den Arbeiten vorher, denn Magdeburg wollte sein geliebtes Herrscherhaus glänzend empfangen, und mit Freude und Stolz denke ich an den Tag zurück, an die schön geschmückte Stadt, an den herrlichen großen Festsaal des Alten Markt und den Huldigungszug der Magdeburger Kaufmannschaft und der Gewerke, alles bestrahlt vom schönsten Kaiserwetter.

Die Stadtverordneten-Versammlung hatte mich mit in die Empfangs-Commission gewählt und ich gehörte dem engsten Comité an. Namentlich lag, neben einem der Stadträthe, einem Stadtverordneten und mir die specielle Sorge für das Festmahl, und wieder, als Vorstands-Mitglied des Stadttheater-Actien-Vereins, auch noch die äußere Einrichtung der für den Abend angesetzten Festvorstellung ob.

Am Tage vorher verschied die Kaiserin von Rußland, die Schwester unseres geliebten Kaisers, sodaß die Freude unserer Stadt, unser erhabenes Herrscherhaus hier zu sehen, ernstlich bedroht war. Spät Abends kam aber die frohe Botschaft, daß die Herrschaften sämmtlich kommen würden, das ganze Programm unverändert bleiben solle, daß leider aber Seine Majestät der Kaiser nach Entgegennahme der Huldigung auf dem Alten Markte [] nach Berlin zurückkehren würde. Alles athmete nun hoch auf und jubelte dem kommenden Tage entgegen. []

Wir hatten als Mitglieder der speciellen Commission die Ehre, die in Begleitung der städtischen Spitzen ankommenden Herrschaften zuerst zu begrüßen und ihnen vorgestellt zu werden, und noch heute bin ich des Glückes voll, über die Leutseligkeit und die Güte, welche die hohen Herrschaften und ganz besonders Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit der Kronprinz zeigten. Unvergeßlich ist mir die namentlich nach Tische im anstoßenden großen Arbeitssaal der Loge, der für diesen Tag zum Empfang der hohen Herrschaften und zur Einnahme des Kaffees hergerichtet war, vom Kronprinzen gezeigte Herablassung und Leutseligkeit, wie seine freundlichen und scherzenden Bemerkungen im Gespräch. Unvergeßlich ist mir aber auch das große gütige Auge unseres geliebten alten Kaisers, als er, dicht vor mir stehend, uns Stadtverordnete auf dem Alten Markte bei seiner Ankunft mit freundlichen Worten begrüßte. Herrlich waren auch die Worte, welche Seine Kaiserliche Hoheit der Kronprinz in Erwiderung auf die Rede und das Hoch des Oberbürgermeisters auf den Kaiser und das Herrscherhaus sprach. Es waren erst einige Tage vergangen, seitdem die Verlobung unseres jetzigen Kaisers mit der Prinzessin Auguste Victoria von Schleswig-Holstein, unserer erhabenen Kaiserin, erfolgt war. Er sprach darüber und sagte, es sei ihm eine besondere Freude, daß er gerade in Magdeburg zuerst im großen Kreise dies freudige Ereigniß berühren könne, der Stadt, für die seine Großmutter, die unvergeßliche Königin Luise, so viel Liebe gehabt hätte, und dann sprach er den Wunsch aus, daß seine zukünftige Schwiegertochter, unsere jetzige erhabene Kaiserin, einstmals auch so viel Liebe im Volke finden möge, wie sie der verewigten hohen Frau stets und vor allen Dingen in ihrem herben Leid um das Vaterland zu Theil geworden sei. Und wie ist dieser Wunsch zur Wahrheit geworden!

Ein schönes theures Andenken hat mir der Tag gebracht. Meine Frau hatte zu der kleinen Frühstückstafel in der Ausstellung die Champagnergläser gegeben, und unter meinen Augen bezeichnete und verpackte der Diener die Gläser, aus denen Kaiser Wilhelm und der Kronprinz getrunken hatten, und sie bilden mit darauf gravirter Inschrift und Krone einen theuren Familienschatz meines Hauses.

Um 8 Uhr begann die Theatervorstellung und als mein College und ich, so zu sagen als Hausherren, die hohen Herrschaften bei der Anfahrt vor dem Vestibül empfingen, gab der Kronprinz einen neuen Beweis seiner herzgewinnenden scherzenden Leutseligkeit und guten Laune, indem er mich mit den Worten anredete: „Mein Gott, da sind Sie ja schon wieder!“ Während Oberbürgermeister und Stadtverordneten-Vorsteher den Kronprinzen, der Bürgermeister und mein College, der Major Schrader, den Prinzen Friedrich Karl zunächst in das Foyer führten, fiel mir die Ehre zu, den Prinzen Wilhelm, unseres jetzigen Kaisers Majestät, zu begleiten. Nach beendetem Festspiel nahmen die Herrschaften den Thee in Gesellschaft der zur Vorstellung befohlenen Damen und reisten dann zurück, weil der Kronprinz noch den Nachtzug nach Petersburg erreichen mußte, um seinen hohen Vater beim Leichenbegängniß der Kaiserin von Rußland zu vertreten. Der hohe Herr vergaß aber nicht, sich zu überzeugen, ob sein Adjutant auch wohl die ihm überreichten Bouquets habe, um sie seiner Gemahlin bei dem kurzen Zusammensein in Berlin, wo sie ihn auf dem Lehrter Bahnhof noch begrüßen wollte, auf der Durchreise zu übergeben. Darunter war auch eines, welches ihm mein Töchterchen, freilich außerhalb des Programmes, gebracht und das er ihr mit den freundlichsten und gütigsten Worten abgenommen hatte, nicht ohne ihr, bei der Frage nach ihrem Namen, noch zu sagen, daß er mich auch schon kennen gelernt habe. Man möge mir verzeihen, wenn ich bei diesem Tage und dem, was er mir persönlich gebracht hat, so lange verweilt habe, aber er ist ein Glanzpunkt in der Erinnerung an meine Vergangenheit.

Quelle: Otto Pilet, Ein Rückblick auf mein Leben, insbesondere auf die Entwicklung des Handels in den letzten 50 Jahren. Magdeburg, 1900, S. 67–70; abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hrsg., Deutsche Sozialgeschichte 1870–1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: C. H. Beck, 1982, S. 73–75.