Kurzbeschreibung

Ferdinand Freiligrath (1810–1876) verfasste politische Gedichte, die von den Zensoren in den 1840er Jahren aufgrund ihrer liberalen und demokratischen Sichtweise verboten wurden. Nachdem er 1846 nach London emigriert war, kehrte er 1848 nach Deutschland zurück, wo er Karl Marx (1818–1883) traf und Herausgeber von Marx’ Neuer Rheinischer Zeitung wurde. Nach einer Zeit im Gefängnis musste er 1851 nach London ins Exil und blieb dort bis 1868. Freiligraths revolutionäre Vorgeschichte hielt ihn nicht davon ab, sich eine Art der Dichtung zu eigen zu machen, die gefühlsbetont, protestantisch und offensichtlich politisch war. Das folgende Gedicht entstand nur wenige Tage nach Frankreichs Kriegserklärung an Preußen im Juli 1870. Der Rhein ist ein wichtiges Symbol in dem Gedicht, ebenso wie er es für viele Nationalisten war, die behaupteten, dass Frankreich niemals das linksrheinische Ufer beherrschen dürfe: der Fluss sollte immer ein „deutscher Rhein“ sein. Das Gedicht spiegelt den Erfolg von Bismarcks Strategie wider, Deutschland als eine friedliebende Nation darzustellen: Germania, personifiziert als Frau und Mutter, wird zu Unrecht von einem kampflustigen Feind angegriffen, beschließt jedoch in berechtigtem Zorn, ihre Kinder zu verteidigen, die sich wiederum zu ihrem Beistand zusammenschließen.

Ferdinand Freiligrath, „Hurra, Germania!“ (25. Juli 1870)

  • Ferdinand Freiligrath

Quelle

Hurra, Germania!

Hurra, du stolzes, schönes Weib,
Hurra, Germania!
Wie kühn mit vorgebeugtem Leib,
Am Rheine stehst du da!
Im vollen Brand der Juliglut,
Wie ziehst du risch dein Schwert!
Wie trittst du zornig frohgemut,
Zum Schutz vor deinen Herd!
Hurra, hurra, hurra!
Hurra, Germania!

Du dachtest nicht an Kampf und Streit:
In Fried’ und Freud’ und Ruh’,
Auf deinen Feldern, weit und breit,
Die Ernte schnittest du,
Bei Sichelklang im Ährenkranz,
Die Garben fuhrst du ein:
Da plötzlich, horch, ein andrer Tanz!
Das Kriegshorn überm Rhein!
Hurra, hurra, hurra!
Hurra, Germania!

Da warfst die Sichel du ins Korn,
Den Ährenkranz dazu;
Da fuhrst du auf in hellem Zorn,
Tief atmend auf im Nu;
Schlugst jauchzend in die Hände dann:
Willst du’s, so mag es sein!
Auf, meine Kinder, alle Mann!
Zum Rhein! zum Rhein! zum Rhein!
Hurra, hurra, hurra!
Hurra, Germania!

Da rauscht das Haff, da rauscht der Belt,
Da rauscht das deutsche Meer;
Da rückt die Oder dreist ins Feld,
Die Elbe greift zur Wehr.
Neckar und Weser stürmen an,
Sogar die Flut des Mains!
Vergessen ist der alte Span:
Das deutsche Volk ist eins!
Hurra, hurra, hurra!
Hurra, Germania!

Schwaben und Preußen Hand in Hand;
Der Nord, der Süd ein Heer!
Was ist des Deutschen Vaterland –
Wir fragen’s heut nicht mehr!
Ein Geist, ein Arm, ein einz’ger Leib,
Ein Wille sind wir heut!
Hurra, Germania, stolzes Weib!
Hurra, du große Zeit!
Hurra, hurra, hurra!
Hurra, Germania!

Mag kommen nun, was kommen mag:
Fest steht Germania!
Dies ist All-Deutschlands Ehrentag:
Nun weh dir, Gallia!
Weh, daß ein Räuber dir das Schwert,
Frech in die Hand gedrückt!
Fluch ihm! Und nun für Heim und Herd,
Das deutsche Schwert gezückt!
Hurra, hurra, hurra!
Hurra, Germania!

Für Heim und Herd, für Weib und Kind,
Für jedes teure Gut,
Dem wir bestellt zu Hütern sind,
Vor fremdem Frevelmut!
Für deutsches Recht, für deutsches Wort,
Für deutsche Sitt’ und Art –
Für jeden heil’gen deutschen Hort,
Hurra! zur Kriegesfahrt!
Hurra, hurra, hurra!
Hurra, Germania!

Auf, Deutschland, auf, und Gott mit dir!
Ins Feld! der Würfel klirrt!
Wohl schnürt’s die Brust uns, denken wir,
Des Bluts, das fließen wird!
Dennoch das Auge kühn empor!
Denn siegen wirst du ja:
Groß, herrlich, frei, wie nie zuvor!
Hurra, Germania!
Hurra, Viktoria!
Hurra, Germania!

Quelle: Ferdinand Freiligrath, „Hurra, Germania!“ (25. Juli 1870), in Freiligraths Werke, herausgegeben von Paul Zaunert, neubearbeitet und erweitert Aufl., 2 Bde. Leipzig und Wien: Bibliographisches Institut, 1912, Bd. 2, S. 146–48.