Quelle
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Und nun zu den Bewohnern des schönen Landes selbst, das in seiner Milde den Übergang zu den südlicheren Gegenden bildet. Wie das Land, so sein Bewohner, der ja, wenn man will, nur der vergeistigte Ausdruck des Landcharakters ist. In der lustigen, heitern, reichen Pfalz können auch nur heitere, fröhliche, reichbegabte Menschen wohnen. Schon was den Körperbau betrifft, kann der rheinfränkische Schlag der Pfälzer als einer der bevorzugtesten gelten, schlanke, — gerade und doch noch kräftige Figuren herrschen durchgängig vor. Die Pfälzer sind wohl im Durchschnitt die an Gestalt größten Süddeutschen, — sie liefern das ansehnlichste Kontingent zu den bayerischen Kürassieren. Schon das flotte Äußere zeugt von Kraft, aber noch mehr von Gewandtheit und natürlichem Anstand und spricht die Erregbarkeit, die Rührigkeit und Gewecktheit des Geistes aus, welche diesen Stamm auszeichnen. Die Tätigkeit des Volkes, der ausdauernde Fleiß, das Geschick und die Gewandtheit, gepaart mit natürlicher Intelligenz und Geistesfrische, sind längst anerkannt. Und jener preußische Offizier, welcher während der Kriegsjahre von 1793 und 94 die Briefe über die rheinische Pfalz geschrieben, hat sicherlich recht, wenn er, erstaunt über die „Sintflut von Bemerkungen des kultivierten Verstandes“ bei einem pfälzischen Bauer, meint, in einem ganzen Jahr bringe ein norddeutscher Bauer nicht so viel Gedanken und Worte zu Tage, als jener Bauer in einer halben Stunde. — Bei dem Pfälzer gesellt sich der Liebe zum Besitz Unternehmungsgeist bei, der besonders großen Reinlichkeits- und Ordnungsliebe auch der Sinn für heiteres gesellschaftliches Zusammenleben und für die Freuden der Zeit. Pfälzische Gastfreundlichkeit ist fast sprichwörtlich geworden und die rührendsten Beispiele könnten ihre Ausdehnung beweisen. Bei aller Freiheitsliebe und aller aufbrausenden Hitze hat der Pfälzer auch in den kritischen Momenten die Achtung vor dem Gesetze, welche dem pfälzischen Volke eigen ist, nicht außer acht gelassen; bei aller Toleranz in religiösen Dingen denkt er streng in moralischen und hat sich durch alle Stürme der Vergangenheit und der Gegenwart noch immer eine gewisse Tüchtigkeit der Gesinnung, eine feste Selbständigkeit bewahrt, die von der gerühmten Naturkraft anderer Stämme gar merklich absticht. — Zu allen diesen guten Eigenschaften gesellen sich freilich auch eine Reihe weniger lobenswerte. Die Liebe zum Besitz wirkt manchmal allzumächtig, — das Selbstgefühl ist oft stärker ausgebildet als gerade zur Bescheidenheit notwendig ist, — die Gescheitheit legt sich oft zu breit „an den Laden“, und daraus folgt dann, daß die an und für sich nicht tadelnswerte Mundfertigkeit in „Krischerei“ übergeht, die mit dem „großen Maul“ über alles herfällt, alles besser weiß, aller besser macht und alles zu Boden „kreischt“, was nicht in dem Kopfe dieses kleinen Herrgotts von einem Krischer entstanden ist. Der leicht erregbare Charakter des Volkes überstürzt sich dann nur zu leicht und kennt das rechte Maß nicht mehr, bis er vor den Konsequenzen seines Tuns endlich selbst zurückbebt und nicht selten wieder in die ganz entgegengesetzte Bahn einlenkt, ehe er zur Besinnung kommt.
Dies sind allgemeine Züge, von denen es natürlich eine Masse Ausnahmen bei den Einzelnen gibt. Aber auch bei den Bewohnern der einzelnen Landesteile modifiziert sich dieses Urteil.
Die herrlich prangende, wein- und fruchtreiche Vorderpfalz in ihrer glanzvollen landschaftlichen Schönheit, — das hügelige rauhere Westrich mit seinen stillen Tälern und waldigen Bergen, deren Tiefen erzene Schätze bergen, — beide bilden entsprechende Gegensätze auch im Charakter der Bewohner.
Wie man unter dem Begriff der Pfalz gewöhnlich nur den vorderen Teil im Auge hat, so findet man den pfälzischen Volkscharakter in der Vorderpfalz und hier wieder vor allem bei dem Bewohner des herrlichen Weinlandes von der Haardt und den Vogesen am reinsten und ausgeprägtesten. Dort findet man sowohl die Licht- als die Schattenseiten potenziert. Es gibt kein gastfreieres, edelsinnigeres, großherzigeres Völkchen als die Weinpfälzer, aber auch keines, wo so viele Übergescheitheit bei wirklichem Verstande, so viel „Krischerei“ bei Wohlberedtheit und gesundem Urteil herrscht, als hier. Die Heiterkeit und Zutraulichkeit, das offene, biedere Wesen des Weinländers und seine Umgänglichkeit machen ihn jedoch noch immer zu einem liebenswürdigen Menschen, während die Einbildung und das Selbstgefühl des Gaubauern, der die „reiche Ebene“ bewohnt, dieses Pochen auf den Geldsack einen Bauernhochmut entwickelt, der recht unliebenswürdig sein kann. Während oben am Gebirg noch jedermann den Fremden auf der Straße grüßt, tut das der Gaubauer schon nicht mehr oder doch selten. Der Gaubauer ist eigensinniger, hartköpfiger und geiziger als jeder andere Pfälzer. Daß in den einzelnen Strichen dieses alles verschieden nüanciert, ist natürlich, und die Bewohner des niederen Wasgaus jenseits der Queich und des Oberlandes gegen das Elsaß hin sind merklich verschieden von den Bauern in der Ebene von Frankenthal oder in der idyllischen Landschaft von Grünstadt. Jenseits der Queich tritt elsässisches, d. h. alemannisches Element hinzu, dort ist noch mehr altes Volkstum als in der übrigen Vorderpfalz und die alten Trachten haben sich dort noch zum Teil erhalten. In den reichen, stadtähnlichen Dörfern der Haardt und auch im Gau herrschen längst schon städtische Sitten, städtische Kleidung und städtische Art vor, — das „Manschettenbauerntum“, der Übergang zum völligen Städter ist dort vorzüglich ausgebildet. Und solche pfälzische Manschettenbauern können heute als der Typus des pfälzischen Volkstums gelten — sie sind die eigentlichen Pfälzer. Ihre Häuser bekommen städtischen Anstrich, ihre Stuben werden ausgemalt und mit Kupferstichen behängt — und der weiße Kalkanstrich und die braunen Balken dazwischen an den Straßengiebeln verschwinden nach und nach. Was aber für die ganze Vorderpfalz gilt, das ist das flotte Aussehen aller Dörfer, — schön und bequem wollen die Pfälzer wohnen. Jeder Familienvater hat sein eignes Haus mit Hof und Nebengebäuden, und wenn das Haus auch noch so geräumig und in seinen zwei Stockwerken Platz genug böte, so wird sich doch kein Vorderpfälzer leicht dazu entschließen, selbst mit seinem verheirateten Sohne in demselben Hause zu wohnen. Was die Stellung des Weibes anbetrifft, so verrät auch sie eine höhere Kultur in diesen Weingegenden und man darf wohl sagen, in der Pfalz überhaupt, wenn auch im Westrich die Frauen häufiger Männerarbeit verrichten. Es wird nicht leicht eine Frau die Peitsche zur Hand nehmen oder gar den Dreschflegel wie besonders in Altbayern. Man wird auch nie eine im Schubkarren sehen, dafür aber auch keine im Wirtshaus, wie man das besonders wieder in Bayern trifft. Überhaupt überlassen die pfälzischen Frauen des Mannes Obliegenheiten dem Mann, indem sie desto eifriger den ihrigen nachhängen und als tüchtige Hausfrauen schon lange bekannt sind, — so überlassen sie auch das Trinken den Männern, was diese freilich dafür manchmal doppelt tun. Der Wein mag denn auch vom größten Einfluß auf den Charakter des Volkes sein. Auf seine Rechnung kommt das hitzige, aufbrausende Blut des Weinpfälzers, dessen Stolz und Ehrgefühl sich schnell verletzt fühlt und der — wir sagen dies als Berichtigung vieler gegenteiliger Behauptungen — eben so rasch mit der Faust dreinzufahren geneigt ist als mit dem Mund. Nur kommt eben das angeborene Gefühl für Anstand und gute Sitte hinzu, die dann auch weit seltner übersprungen werden als anderswo. — An dem ganzen Gebirgssaume bis weit in die Ebene hinab trinkt der pfälzische Landmann das ganze Jahr hindurch bei seiner Arbeit, bei Tische und in der Zwischenzeit Wein. Kein Taglöhner würde in den Taglohn gehen, wenn er nicht bei jedem Imbiß und dann noch an heißen Sommertagen zwischendrein jedesmal seinen Schoppen (große Pfälzerschoppen) oder doch halben Schoppen Wein bekäme. Besonders die Arbeiter in den Weinbergen selbst leeren viele Fuder Pfälzerwein alljährlich. Dafür ißt der Mann auch weniger und dem oft gehörten Satz, daß das Bier nähre und der Wein zehre, wird von den Weinpfälzern tatsächlich widersprochen. Sie bemitleiden auch niemand mehr als die Bauern drunten am Rhein, wo der Wein gekauft werden muß oder gar die Westricher Kartoffelbauern. Branntwein trinkt der Weinbauer nur in äußerst seltenen Fällen, ihm aber mit Bier aufzuwarten wäre wirklich beleidigend. Er mag das Bier nicht, das sollen die Altbayern trinken, meint er, oder die Herrenleute, die nichts arbeiten und der Biermode huldigen. In der Tat müßten denn auch die ganz wenigen Bierschenken im Weinland ihre Schilder einstecken, wenn nicht die Stadt- und Landhonoratioren und die Juden Bier tränken. — In der Ebene und in Städten wird mehr Bier getrunken, — die Gaubauern sollen aber auch andere Mägen haben als die Weinpfälzer und tüchtige Esser sein, was sie in ihrem reichen Lande wohl sein dürfen und können.
Gar vieles ist nun anders im Westrich, wo das Land nicht so reizend, nicht so fruchtbar, das Klima nicht so milde ist. Der Vorderpfälzer kriegt immer Gänsehaut, wenn er ans Westrich denkt, wenigstens tut er so. Aber er soll nicht vergessen, daß hinter den Bergen auch Leute wohnen und Leute, die sich sehen lassen dürfen. Das dicke waldige Hochland der Haardt wird jetzt mit der Eisenbahn rasch durchflogen und man hätte nun Gelegenheit genug, Land und Leute dahinten besser kennen zu lernen als vom bloßen Hörensagen. Aber noch immer denkt man sich in der Vorderpfalz das Westrich als ein Urland voll Urmenschen, ein trauriger Wechsel von Wald, Heide und Felsen; man beurteilt es eben nach den der Vorderpfalz zunächst liegenden Strichen, nach den Waldtälern am Speyerbach, wo in den Einzelhöfen bei Elmstein die Leute sogar dem Hungertyphus verfallen, oder nach dem Felsenland des Gossersweiler und Dahner Tals im Wasgau und dessen düsteren armen Bewohnern. — Fleiß und Ausdauer charakterisieren auch den Westricher, Geschick und Talent zur Landwirtschaft ist ihm so sehr eigen wie dem Vorderpfälzer und einzelne Striche seines Hügellandes hat er sogar zu Musterländern der Landwirtschaft und Viehzucht umgeschaffen. Im Ganzen fehlt ihm freilich die Elastizität des Geistes und Körpers, wie sie dem Vorderpfälzer eigen ist; er ist weder so mundfertig noch so witzig, weder so laut lärmend in seiner Lustigkeit noch so feurig. Selbst seine Figur steht der des Vorderpfälzers nach und gar häufig findet man dies mehr gedrückte Wesen auch in seiner Haltung ausgesprochen. Es ist mehr Innerlichkeit, mehr Sinnigkeit in dem stillen Westricher, er läßt nicht so gerne seinen Witz glänzen und selbst seine Schalkhaftigkeit hat den gutmütigen Anstrich liebenswürdiger Naivetät, wo der Vorderpfälzer satyrisch, ja sarkastisch werden kann. Ihm ist das „Utzen“, das Sticheln und Foppen bei weitem weniger geläufig als dem Vorderpfälzer, dem das „Utzen“ angeboren ist, der sich gar nicht wohlfühlen würde, wenn er nicht jemand hätte, an dem er seinen „Utz“ und Witz auslassen könnte. Da wird denn in Ermangelung eines Schwaben oder Altbayern draußen am ehesten der Westricher geutzt, der sich‘s zumeist auch in gutmütiger Weise gefallen läßt. Aber er denkt dafür auch seinen Teil über die „groben Pfälzerbauern“ und die „Krischer“ im Weinland. — Das Westrich kann man im allgemeinen freilich als das Kartoffelland im Gegensatz zu dem Fruchtland und dem Weinland der Vorderpfalz bezeichnen. Es ist ärmer, — seine Bewohner können sich zumeist nicht am Wein laben, sie greifen zum Branntwein oft im Übermaß und schon das stellt sie in den Augen des Vorderpfälzers tiefer, obgleich der seinen Wein auch häufiger trinkt, als gerade zum Durstlöschen notwendig wäre und dem alten Spruch „nach Pfälzer Art trinken“ noch immer eine gewisse Bedeutung gibt. — Oft findet man im Westrich noch auf den Häusern die alten Strohdächer, die schon seit Jahrhunderten aus der Vorderpfalz verschwunden sind. Unter diesen Strohdächern wohnt nun zwar manchmal viel Armut und Elend, aber noch öfter der stille, genügsame Sinn, die Ehrlichkeit und jene Tiefe des Gemüts, welche uns mehr anmutet als der glänzende äußere Schein, — so wie uns oft die stillen Täler in ihrer anspruchslosen Idylle, wie man sie im Westrich trifft, leicht mehr anheimeln als die reiche Flur im Gau der Ebene oder im Weinlande. Draußen in der Pfalz bei glänzendem äußeren Anscheine häufig etwas Oberflächlichkeit, — hier innen im Westrich unter rauherer Schale ein guter Kern, so Land wie Volk. —
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Da hatte man wol vollkommen Recht, wenn man draußen von den pfälzischen „Franzosenköpfen“ sprach, die alle Erinnerungen und alle Sympathien für Deutschland verloren hätten, — nur vergaß man, daß Deutschland daran selbst vollkommen schuld war und daß es überhaupt noch zu wundern ist, wie sich das Deutschtum in der Pfalz nur erhielt und jetzt bereits schon so völlig erkräftigt ist, nachdem mit den Zollschranken wenigstens eine Scheidelinie gefallen, welche das Land vom übrigen Deutschland trennte. Die Ereignisse von 1832 und 1849 gingen ja ohnedies ganz von der Idee des Deutschtums aus. Daß in jenen Jahren, was Deutschland bewegte, in dem Lande, wo von jeher die Bebungen in der politischen Welt Europas am stärksten nachempfunden wurden, wieder den lautesten Nachhall gefunden, ist schon wegen des leicht erregbaren Charakters des Volkes erklärlich. Man gibt sich hier um so lieber und schneller politischen Erregungen hin, weil die rein geistigen bei dem Mangel einer größeren Stadt ganz wegfallen und der lebhafte Sinn des Volkes doch eine Nahrung haben muß. Daß auch Bewegungen im royalistischen Sinne hervorgerufen werden können, hat die Pfalz gezeigt, als sie von Bayern ihren alten Namen empfing und als der „junge Pfalzgraf“ die Enkelin der Hohenzollern heimführte.
Es ist wahr, der Pfälzer hat jetzt noch mehr spezifisch pfälzischen Stolz als den Stolz des Deutschen. Aber leider ist ja das in Deutschland überall so und ist immer so gewesen. Sicherlich würde heute jeder Pfälzer seinen Lokalpatriotismus dem allgemeinen opfern, wenn es zu einem einigen Deutschland käme. Solange er aber sieht, daß der Österreicher sich als Österreicher, der Brandenburger als Brandenburger fühlt, kann er des Gedankens nicht los werden, ob denn auch die alte rheinische Pfalz nicht in politischer Ebenbürtigkeit den andern gegenüber stehen könne, warum denn gerade sie zerstückelt und getrennt sein müsse! […]
Wir wollen uns nicht länger bei dergleichen politischen Intensionen und Illusionen aufhalten, indem wir nur noch einige Worte über das Verhältnis der Pfalz zu Bayern hinzufügen. Die gegenseitige Stammeseifersucht ist noch nicht erloschen. Seit Jahrhunderten genährt, gründet sie ohnedies zu sehr auf der Verschiedenheit des Volksstammes. Die Bayern meinen, sie hätten einen schlechten Fang an der Pfalz gemacht, wo lauter Franzosenköpfe und Bettelleute wohnten, — denn in der Tat spricht man in Altbayern noch immer von der „armen Pfalz“ und von den Kosten, welche sie dem Lande mache, was freilich eine arge Unkenntnis der Sachlage verrät. „Die Pfälzer haben nichts, als ihr großes Maul!“ heißt es dann und dagegen sagen die Pfälzer: „Die Bayern haben nichts, als ihren Bauch; so lange man ihnen auf den nicht tritt, rühren sie sich nicht!“ Soldat werden heißt noch heute in der Pfalz, „zu den Bayern müssen“ und hierzu kommt noch die Abneigung des Pfälzers gegen das Kasernenleben. Er geht lieber nach Frankreich oder Amerika, wo in Algier und im mexikanischen Feldzug Tausende von Pfälzern gegen die Kabylen und Spaniolen fochten, was die Reden von Mangel an kriegerischem Geiste hinlänglich beleuchten mag. — Als im Jahre 1849 die altbayerischen Truppen die Pfalz besetzten, fragten die Soldaten beim Marsche durch die großen reichen Orte in der Ebene der Pfalz, wann man denn einmal in ein Dorf komme. Da man ihnen sagte, daß dies lauter Dörfer seinen, meinten sie: „Malefiz Demokrat‘n! Müssen allweil was bessers hab‘n!“ Das charakterisiert zur Genüge die gegenseitige Stimmung, — Pfälzer und Altbayern vertragen sich so selten wie Wein und Bier. — Der altbayerische Beamte findet in der Pfalz vieles anders als daheim. Der Pfälzer Bauer läßt sich nicht duzen, sogar nicht einmal Prügel aufzählen; er weiß genau, wie weit des Beamten Vollmacht und Befugnis reicht, — läßt sich vielleicht auch von dem einheimischen Beamten lieber ein hartes Wort sagen als von dem „Altbayer“! Der Pfälzer will aber vor allem eine freundliche, respektierliche Behandlung; Beamtengrobheit imponiert ihm nicht. Was dem bayerischen in die Pfalz kommenden Beamten noch auffallen wird, ist der Mangel an Standesunterschieden und Titeln, die völlige Gleichheit in Ansehen der Person. Hier gibt es längst keinen Adel mehr und was noch von dem früheren Landadel übrig ist, macht keinen Gebrauch davon. In den Städten spricht man eine Person nicht mit dem Amtstitel, sondern einfach bei ihrem bürgerlichen Namen an und von der Titelsucht und dem Titelstolz des übrigen Deutschland wußte man in der Pfalz bis in die neuere Zeit nichts. (Nach und nach scheint sich das zu ändern.) Selbst der Unterschied zwischen Bürger und Bauer besteht nicht in einem Lande, wo jeder Bauer als Bürger sich fühlt und als solcher angesehen wird. Es existieren keine städtischen Vorrechte mehr, in der Pfalz gibt es eben nur „Gemeinden“ und ohnedies können sich ja die meisten Dörfer der Einwohnerzahl, dem Reichtum und dem äußeren Ansehen nach neben die pfälzischen Städtchen stellen. — Wenn man schließen wollte, der Beamtenstand sei hier nicht geachtet, so würde man weit fehlschießen, im Gegenteil gibt der Pfälzer gerne Ehre, dem Ehre gebührt, aber eben nie in grober Unterwürfigkeit. Im ganzen wäre zu wünschen, daß Bayern und Pfalz einmal einsehen, daß keines durch das andere etwas verliere und hüben wie drüben tüchtige, der Achtung werte Menschen wohnen. —
Auffallend ist bei aller Intelligenz des pfälzischen Volkes das geringe Interesse an dem geistigen Bestreben auf dem Gebiete der Kunst. Hier wird der Mangel einer größeren Stadt ganz besonders fühlbar, wo sich die Kräfte des Landes konzentrieren könnten. Ein Pfälzer, welcher sich der Kunst widmet, hat von vornherein die schwierigste Stellung. Er muß ebensowohl mit der geringen Achtung seiner eigenen Landsleute für solche „unrentablen“ Dinge, ja wohl auch mit Spott und Hohn kämpfen, als mit dem Vorurteil der Welt draußen, welche noch nicht viel von dem künstlerischen Vermögen der Rheinpfälzer vernommen hat und ihnen überhaupt keines zuzutrauen geneigt ist. Der Rheinpfälzer, der es gewagt, den Weg der Kunst einzuschlagen, wird bei seiner Selbständigkeitsliebe, seiner angeborenen Gradheit und Offenheit ohnedies den härtesten Kampf gegen Clique und Coterie kämpfen müssen, die seiner in der Welt draußen warten. Man sorgt schon dafür, draußen und daheim, daß ihm der eingeschlagene Weg nicht zu leicht wird. Aber so sehr zu wünschen wäre, daß die warme, milde Sonne der Pfalz endlich auch für die Kunst scheine, bewahre doch Gott das schöne Land vor Treibhäusern der Kunst!
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Quelle: August Becker, Die Pfalz und die Pfälzer. Leipzig: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber, 1858, S. 16–20, 37–41. Online verfügbar unter: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10371063?page=5