Quelle
1) Die katholische Kirche verpflichtet Niemanden zu irgend einem politischen Partei-Standpunkte; sie verträgt sich mit jeder Staatsform und jedem politischen System, welches nicht in Widerspruch steht mit den Geboten Gottes und den Grundsätzen der Gerechtigkeit;
2) die katholische Kirche ist keine Stütze des Despotismus und keine Feindin politischer Freiheit und Selbstständigkeit. Wie in allen Jahrhunderten, verwirft sie auch heute jede Willkürherrschaft, mag sie von Fürsten, von Parlamenten oder Parteien geübt werden;
3) die Katholiken sind nicht Gegner des politischen Fortschrittes; sie begrüßen alle politischen Reformen, welche dem Wohle der Völker dienen; aber sie verwerfen gewissenhaft allen Rechtsbruch und verabscheuen jede Revolution, mag sie sich auf allgemeines Stimmrecht oder auf Nationalitäts-Princip oder auf das sog. Princip der vollendeten Thatsachen stützen;
4) die katholische Versammlung erneuert den im vorigen Jahre zu München erhobenen Protest gegen die Beraubung des heiligen Stuhles. Sie fordert für den heiligen Vater den Vollbesitz seiner weltlichen Herrschaft zurück, wie die göttliche Vorsehung sie ihm gegeben und ihm kraft des Völkerrechts und heiliger Verträge gebührt, und bekennt sich feierlich zu den Grundsätzen, welche die in Rom versammelten Bischöfe in ihrer Adresse an Pius IX. ausgesprochen haben;
5) die Versammlung sieht in der Existenz des sogenannten Königreiches Italien einen die ganze europäische Ordnung bedrohenden Sieg der Revolution; sie beklagt daher auf‘s tiefste die Anerkennung, welche dasselbe theilweise erlangt hat, und dankt den Fürsten und allen Männern, welche sich dieser Anerkennung widersetzt haben;
6) durchdrungen von der innigsten Liebe zum deutschen Vaterlande, protestiren die hier versammelten Katholiken gegen die Verleumdung, daß sie, die man mit dem Schlagwort „Ultramontane“ verdächtigt, nicht gute Patrioten seien. Sie rufen die große deutsche Vergangenheit von Karl dem Großen an zum Zeugniß dafür auf, daß die Ergebenheit gegen den heiligen Stuhl zu keiner Zeit die Größe und Herrlichkeit des Vaterlandes beeinträchtigt hat;
7) obgleich die Einheit des Glaubens das sicherste Fundament politischer Einheit ist, so sehen doch die Katholiken in der Glaubensspaltung Deutschlands kein unüberwindliches Hinderniß deutscher Einheit, wofern nur die Grundsätze der Gerechtigkeit und wahrer Duldung in allen Staaten und in dem Gesammt-Vaterlande zur Geltung kommen;
8) die in Aachen, der alten deutschen Kaiserstadt an den Grenzen des Vaterlandes, versammelten Katholiken erklären jeden Versuch einer Zerstückelung Deutschlands, sei es zu Gunsten einer deutschen, sei es einer fremden Macht, für einen Frevel. Sie protestiren gegen den Ausschluß des katholischen Kaiserhauses aus Deutschland und verabscheuen jede Nachgiebigkeit gegen fremden Ehrgeiz;
9) die katholische Generalversammlung, Angesichts der fortdauernden Bedrängnisse des heiligen Vaters Papst Pius IX. und der täglich sich steigernden Bedürfnisse zur Aufrechterhaltung seiner Würde, Freiheit und Unabhängigkeit, erklärt die Leistung des Peterspfennigs als ein unter den gegenwärtigen Zeitverhältnissen vorzüglich gutes Werk, in welchem der Katholik nicht nur die Pflicht christlicher Barmherzigkeit übt, sondern zugleich seinen Eifer für den heiligen Glauben und seine Liebe zur Kirche und zur Freiheit offenbart; sie fordert deshalb alle Mitglieder der katholischen Vereine auf, in der Leistung des Peterspfennigs nicht nur selbst fortzufahren, sondern auch dafür bei Anderen nach Möglichkeit zu wirken.
Quelle: H. Schultheß, Europäischer Geschichtskalender, Jg. 3, 1862, S. 89f; abgedruckt in Ernst Rudolf Huber, Hrsg., Deutsche Verfassungsdokumente, 1851–1900, Band 2, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, dritte neubearbeitete und vermehrte Auflage. Stuttgart: W. Kohlhammer, 1986, S. 132–33. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer-Verlags.