Kurzbeschreibung

Auf der Versammlung der katholischen Vereine des Rheinlands und Westfalens vom 17.–20. April 1849 wurde darüber diskutiert, inwieweit sich die Vereine rein religiösen Belangen widmen oder auch politische Fragen erörtern sollten. Katholische Gruppen waren bereits in deutschen Parlamenten vertreten, so auch in der Frankfurter Nationalversammlung von 1848. Die Beschäftigung mit der sozialen Frage und später die Verteidigung der Kirche gegen staatliche Eingriffe führten zu verstärkter Politisierung. Es folgen Auszüge aus der Debatte vom 18. April 1849.

Die Katholiken: Die Versammlung der katholischen Vereine des Rheinlands und Westfalens (18. April 1849)

Quelle

Die Verhandlungen der zweiten Sektion begannen mit Erörterung der Vorfrage, ob sogenannte rein politische Fragen in der gegenwärtigen Versammlung der katholischen Vereine Rheinlands und Westfalens überhaupt verhandelt werden sollten. Es wurde nämlich von einer Seite der Antrag gestellt, die Versammlung möge ausdrücklich beschließen, daß sie mit solchen Fragen sich nicht befassen wolle. Dieser Antrag ist jedoch von der Mehrheit der Sektion mit 29 Stimmen gegen 12 Stimmen verworfen worden. Da nun nach der Geschäftsordnung ein in der Sektion verworfener Antrag nur dann in der Generalversammlung nicht wiederholt werden kann, wenn sich eine Majorität von mehr als 3/4 der Stimmenden dagegen ausgesprochen hat, eine solche Majorität im gegenwärtigen Fall nicht vorhanden ist, so fragt es sich zunächst, ob der Antragsteller, Herr Professor Dieringer aus Bonn, hier seinen fraglichen Antrag wiederholen will.

Herr Professor Dieringer (aus Bonn) erklärt, daß er allerdings seinen Antrag zur Entscheidung der Generalversammlung bringen wolle, den er hiermit als Berichterstatter der Minorität in folgender Fassung vorlege:

„Die Pius-Vereine erklären, daß sie sich nur mit den politischen Fragen beschäftigen, welche in direkter und notwendiger Verbindung mit den kirchlich-sozialen Zwecken der Pius-Vereine stehen,“ und für den Fall, daß diese Erklärung nicht beliebt werden sollte, stelle er den Unterantrag:

„Es möge den einzelnen Pius-Vereinen in Rheinland und Westfalen überlassen bleiben, ob und inwieweit sie sich mit rein politischen Fragen beschäftigen wollen“.

Verlesung der an die politische Sektion verwiesenen, im Wortlaut nicht wiedergegebenen Anträge.

Herr Rübsahmen gibt eine kurze Übersicht der in der Sektion bei Gelegenheit des angeführten Prinzipienstreites, ob sogenannte rein politische Fragen auszuschließen, von beiden Seiten geltend gemachten Gründe.

Von der einen Seite habe man behauptet, wenn diese Ausschließung nicht stattfinde, so möchte sich alsbald eine Verschiedenheit politischer Ansichten geltend machen, welche den Fortbestand der Pius-Vereine gefährden könnte; die Pius-Vereine, so habe man ferner behauptet, seien als kirchliche Vereine zu betrachten, dürften sich also schon deshalb nicht mit rein politischen Fragen befassen.

Hiergegen habe man von der anderen Seite angeführt, die Gefahr der Spaltung, die man durch Ausschließung politischer Fragen vermeiden wolle, würde gerade durch eine solche Ausschließung am leichtesten hervorgerufen werden können, wie solches bereits die Erfahrung in Köln, Werden und an anderen Orten gezeigt habe. Die Pius-Vereine seien auch nicht eigentlich kirchliche Vereine. Sie hätten freilich zunächst und vorzugsweise die Wahrung und Förderung der kirchlichen und religiösen Freiheit sich zur Aufgabe gestellt. Gleichwohl müßten sie auch mit politischen Fragen sich befassen, um auch über solche dem Volke klare Begriffe und ein gesundes Urteil beizubringen. Entweder müsse man das Volk in katholisch-politischen Vereinen, wo die Tagesfragen vom katholischen Standpunkt aus behandelt werden, zu bilden suchen, oder es den Wühlern überlassen, welche es bald auch um alle religiösen und kirchlichen Grundsätze bringen würden. Das Volk wolle einmal in der jetzigen Zeit an politischen Besprechungen sich beteiligen. Gewähre man seinem Bedürfnisse nach Belehrung über die politischen Zeitfragen keine Befriedigung in den Pius-Vereinen, so würde es sich bald von diesen fernhalten und anderen „rein politischen“ Vereinen zufallen, in welchen seine katholische Gesinnung untergehen müsse.

Nach Anhörung dieses Berichts wird zur Diskussion über obigen Antrag des Herrn Dieringer geschritten.

Herr Dieringer als Berichterstatter der Minderheit:

Ich appelliere nicht an Ihr Herz, meine Herren, sondern einzig an Ihren Verstand und hoffe auf Ihren guten Willen, mir zu folgen, wenn ich einen trockenen Gegenstand in prosaischer Sprache behandele. Vorerst muß ich hervorheben, daß der Antrag nicht dahin lautet, gar keine politischen Fragen als Beschäftigung der katholischen Vereine zu gestatten. Es ist keine Rede davon zu verhindern, daß man in den regelmäßigen Zusammenkünften der Vereine sich mit politischen Dingen befasse; wir haben nichts dagegen, daß einzelne Mitglieder dort mit klarer Einsicht dazu beitragen, die übrigen über die Sachlage in der Politik zu unterrichten, ihnen bestimmte und folgerichtige Ansichten mitzuteilen.

Es handelt sich in diesem Augenblick von dem Prinzip: ob politische Fragen ein Vorwurf der Pius-Vereine überhaupt sein sollen, ob der Pius-Verein das Geständnis öffentlich ablegen solle, er sei ein politischer Verein. Die Pius-Vereine müssen, wie der Name und ihre bisherige Geschichte besagen, keine politischen, sondern kirchlich-soziale Gesellschaften sein. Es bleibt nur zu untersuchen, was in unmittelbarem Verbande mit ihrer eigentlichen Aufgabe steht. Wenn die Worte Kirche und Staat zwei verschiedene Dinge bedeuten sollen, so sind die Pius-Vereine nicht für die Politik bestimmt; man muß sie nehmen, wie sie gegeben sind. Der erste Pius-Kongreß war selbst der Ansicht, die wir über das Gebiet der Vereine aufstellen, das Statut bezeichnet sie als katholische Vereine. Sie haben nicht allein eine kirchliche Notiznahme, sondern die Gutheißung kirchlicher Autoritäten gefunden; der Heilige Vater selbst hat seinen Beifall ausgesprochen und zwar auf Grund des Statuts. Daß die Bischöfe in dieser Unterstellung das Protektorat angetreten haben, ist Tatsache; die Aufgabe der katholischen Vereine ist somit etwas Gegebenes.

Wenn wir sagen, die rein politischen Fragen sollen nicht ausgeschlossen sein, so würden wir vom Geschichtlichen abgehen. Wenn die Vereine sich in politische Erörterungen einlassen, so würde die Gefahr entstehen, daß der Episkopat, welcher das Protektorat über die Vereine angenommen, deren Bestreben mißbilligt und sie also in eine schiefe Stellung geraten würden. Wenn die Vereine politische sein sollen, so müssen sie eine politische Partei werden; sie werden dann eine widerwärtige und gefährliche Stellung erhalten und alle anderen Parteien gegen sich haben. Aber auch nicht alle aufrichtigen und redlichen Katholiken sind in der Politik unter einen Hut zu bringen, nicht alle haben Kraft, Ausdauer und Opferwilligkeit genug, statt gegenseitiger Achtung würden Anfeindungen entstehen; es muß aber vielmehr ein Mitglied dieser oder jener Partei angehören können, unbeschadet der vorgelegten Frage.

Es ist die Tatsache nicht zu verkennen, daß schon jetzt das Verhalten einiger Vereine bei anderen einen unangenehmen peinlichen Eindruck hervorgebracht hat. So gut es gemeint war, hat es dennoch Anstoß gegeben. Es könnten daher leicht die Vereine, obschon sie im wesentlichen einig sind, wegen der Politik auseinanderfallen. Die Aufnahme der Politik möchte leicht den Keim zur Zerstörung und zum Zwiespalt legen. Dies sind die Gründe, welche die Minderheit bei dem bereits verlesenen Unterantrag geleitet haben.

Herr v. Fürth, Sohn, für den Mehrheitsantrag:

Meine Herren! Der vorige Redner hat den wahren Standpunkt der Frage verrückt. Es ist dem Kölner Verein nicht eingefallen, sie hierhin einzuladen, damit sich die katholischen Vereine Rheinlands und Westfalens als politische Partei konstituierten. Ich verweise deshalb auf das von uns erlassene Einladungsschreiben, wo bloß von einer Einigung über diejenigen politischen Fragen die Rede ist, welche für die Katholiken als solche von Bedeutung sind, sowie über den Standpunkt, welchen die Katholiken als solche den bestehenden politischen Parteien gegenüber einzunehmen haben.

Auf eine Widerlegung des von dem Referenten der Minorität Vorgebrachten eingehend, stützte sich der Redner hauptsächlich auf folgende Gründe:

Erstlich: Die meisten und wichtigsten politischen Fragen seien derart, daß ihre Lösung auch für die Zukunft des Katholizismus in Deutschland von Bedeutung sei. Die Pius-Vereine müßten sich jeglicher politischer Bestrebung, von der man einsehe, daß, falls sie zum Ziel gelange, die Unabhängigkeit der Kirche gefährdet sei, widersetzen.

Zweitens müßten diejenigen, welche immer mehr einsähen, daß der Staat nur zur Kirche zurückkehrend und durch die Kirche regeneriert werden könne, dahin streben, daß eine dem Katholizismus entsprechende und vom Geiste desselben durchdrungene Politik vom Volke als die einzig richtige anerkannt werde. Sowohl die Anhänger der sogenannten konstitutionellen Partei als die Radikalen pflegten in ihren Versammlungen weitläufig über dasjenige zu reden, was das Volk seines eigenen Nutzens wegen tun müsse, aber niemals werde von ihnen untersucht, ob irgend ein politisches Bestreben den Grundsätzen des Rechts und der Moral sowie den Vorschriften der Kirche entspreche. An solche Behandlung politischer Fragen gewöhnt, verliere das Volk immer mehr den Sinn für Rechtlichkeit. Die Piusvereine müßten das Unkatholische bekämpfen, wo sie es fänden, somit auch in den politischen Bestrebungen unserer Zeit. Das Volk verlange gegenwärtig nach politischer Freiheit, man müsse ihm beweisen, daß man ein Herz für seine Freiheit habe, dann erwerbe man sein Vertrauen und könne es von politischer Verirrung zurückführen.

Endlich habe drittens die Erfahrung bewiesen, daß, wenn politische Fragen von der Wirksamkeit der Piusvereine ausgeschlossen würden, deren Mitglieder größtenteils zugleich in die demokratischen oder konstitutionellen Vereine einträten und daß es alsdann unmöglich sei, sie diesen Vereinen abwendig zu machen und bei politischen Akten, zum Beispiel bei Wahlen, die Katholiken als solche zu einer einigen Masse zusammen-zubringen. Dieses Letztere sei aber nötig, denn wer heutigen Tages nicht mitteile, der werde totgeteilt. Die Mitglieder der Minorität fürchteten, daß die Behandlung politischer Fragen Uneinigkeit in den Vereinen hervorrufe, allein bei den letzten Wahlen hätten gerade diejenigen Piusvereine, welche am meisten die Politik behandelten, die größte Einigkeit unter ihren Mitgliedern bewiesen.

Zuletzt bezeichnete der Redner die ausgesprochene Befürchtung, daß der Episkopat die politische Tätigkeit der Piusvereine mißbilligen werde, als grundlos und schloß mit der Mahnung, daß, wenn man sich durch die Furcht, Anstoß auf irgendeiner Seite zu erregen, abhalten lasse, man nichts in der gegenwärtigen Zeit erreichen könne.

[]

Herr Hofrat Buß (aus Freiburg): Meine Herren! Schon seit langem und von verschiedenen Seiten äußerte man mir vom Rhein Besorgnisse vor Spaltung der katholischen Vereine über deren Beteiligung an der Politik. Eine solche Befürchtung sprach auch selbst aus dem freundlichen Einladungsschreiben, welches mich in ihre gastliche Stadt berief, und bestimmt mich vorzugsweise zur Teilnahme an gegenwärtiger Versammlung. Ähnliche Befürchtungen treten nicht bloß in Rheinland und Westfalen, sie treten überall in Deutschland hervor, wo die katholischen Vereine auf das Feld politischer Wirksamkeit irgendwie geschritten sind.

Das erklärt sich auch leicht. Die Katholiken sind an sich geduldig und haben Jahrhunderte lang den Frieden und die Friedlichkeit des Duldens geübt; es ist schon Jahrhunderte, daß sie als eine politische Macht in der Geschichte gestanden. Es ist natürlich, daß jetzt, wo Not und Pflicht sie in die Politik hinüberreißt und zieht, viele und ganz gute Katholiken darin eine Verleugnung katholischer Art erkennen.

Allein so war es, meine Herren, nicht immer, so soll, so darf es nicht jetzt und in Zukunft sein. Ich gebe zu, daß in einer Zeit wie in der Gegenwart, wo alles aus den Fugen gewichen, auch hier Abirrungen sich zeigen können, sich zeigen werden, ja sich schon gezeigt haben; allein diese kann, diese soll man abweisen, das Gesunde dieser Richtung aber soll man nicht nur behalten, sondern weiterführen. Die Grenzen lassen sich ziehen: die katholischen Vereine müssen diesen Gegenstand ordnen. Erst und zu spät in der Stadt und in der Versammlung angekommen, kenne ich den Stand nicht, zu welchem die Beratung gediehen; allein nach allem, was ich über den Stand der Frage dem lichtvollen Bericht des Herrn Referenten entnommen, müßte ich mich von vornherein als ein Sünder gegen die Absichten der Minderheit bekennen. Denn ich selbst habe, die Initiative nach ernster Überlegung ergreifend, die katholischen Vereine Badens in den jüngsten Tagen zur Ausübung ihrer politischen Pflichten aufgerufen. Es geschah gerade vor meiner Abreise hierher und in Betreff jener ungeheuren Interessen, welche die Brust keines Deutschen, das Gewissen keines Katholiken, er siedle in welchem Stamme und Stande, verschonen. Mit welchem Erfolg ich diese politische Bewegung meines engeren Vaterlandes eingeleitet, das weiß ich zur Stunde noch nicht, aber so viel weiß ich, daß ich dadurch meinen Pflichten gegen meine Landsleute, gegen meine Glaubensbrüder, gegen mein Vaterland und gegen meine Kirche genügt habe.

Nicht nach der flüchtigen Zukömmlichkeit des Tages, nicht nach dem Rat der irrenden Stunden – nein, meine Herren, nach den ewigen Grundsätzen der Gerechtigkeit, nach den bleibenden Zielen der Geschichte eines Volkes und nach den Gestirnen, welche die Kirche Gottes den in der Geschichte wandernden Stämmen der Menschheit als Zeichen für ihren großen weiten Wandelgang aufrichtet und welche ihr leitendes Licht hinabstrahlen in das Gewissen jedwedes Menschen – treibt der Katholik Politik. Und diese Politik, von welcher freilich die Kabinette der Fürsten und die Hallen der Verfassunggebenden Versammlungen nur wenig hören, die trage ich in die katholischen Vereine und möchte um sie sammeln die auseinanderfahrenden Überzeugungen meiner Brüder. Und täte ich dieses nicht bei meiner Überzeugung von dem Segen, von der Notwendigkeit dieses Verfahrens, ich könnte es nicht vor meinem Gewissen, nicht vor dem großen Vaterland, nicht vor meiner Kirche und vor dem ewigen Gott verantworten.

Überhaupt scheinen mir über die Beteiligung der katholischen Vereine an der Politik große Mißverständnisse, jedoch mehr in der Lehre als im Leben obzuwalten. Das Leben der Nation, das Leben des Einzelnen läßt sich nicht durch Pläne abgrenzen. Wer gibt mir die Grenzmarke an, wo der Christ aufhört und der Patriot anfängt, ich glaube vielmehr, beide stecken ineinander. (Bravo). Wir müssen daher Übergänge annehmen; das Verlassen des Prinzips hilft uns nichts, sondern es gilt, die praktische Anwendung desselben zu machen. Auch die Minorität ist teilweise für die Hereinziehung politischer Fragen, nur will sie diese durch die Worte „unmittelbar“ und „rein politisch“ begrenzt wissen. Sie hat nur die Beteiligung an denjenigen politischen Fragen im Auge, die sich unmittelbar auf die Kirche beziehen; dadurch wird natürlich jede rein politische Frage beseitigt.

Es versteht sich von selbst, daß kirchliche Freiheit, Autonomie kirchlicher Korporationen, selbständige Verwaltung des Vermögens usw. unmittelbar mit der Kirche zusammenhängende Fragen sind. Allein ich gehe weiter: auch die nur mittelbar mit den kirchlichen Zwecken zusammenhängenden politischen Fragen rechne ich zum Wirkungskreise der katholischen Vereine. Der praktische Verstand weiß mit ziemlicher Gewißheit die Grenze zu finden, wie weit dieses „unmittelbar“ auszudehnen ist. Aber auch durch die Doktrin läßt sich diese Grenze finden, denn sie stellt den Satz auf, daß alle politischen Rechte, welche entweder ausschließlich Mittel sind zur Erreichung rein kirchlicher Zwecke oder doch teilweise Mittel zur Erreichung der Kirchenfreiheit, ebensowohl als rein kirchliche Rechte in mittelbarem Zusammenhang mit der Kirche stehen. Die Erlangung dieser Rechte und Freiheiten gehört daher auch zur Tätigkeit der Piusvereine. Wer den Zweck will, muß auch dessen ausschließliche Mittel wollen.

Glauben Sie denn, es genüge, wenn die Verfassung die Selbständigkeit der katholischen Kirche gewährleistet? Die Selbständigkeit der Kirche beruht auf der Freiheit der kirchlichen Korporationen. Diese ist aber nur dann sichergestellt, wenn alle Korporationen frei sind. Es ist also diese rein politische Freiheit, die nur im mittelbaren Zusammenhang mit der Kirche steht, zur Erhaltung der kirchlichen Freiheit nötig. Man fragt: Was hat die Freiheit der Kirche mit einer freien Gemeinde- und Provinzialverfassung zu schaffen? Die Freiheit der Kirche hat damit sehr viel zu schaffen, da die Schule ja grundrechtlich in die Hand der Gemeinde gegeben ist, sie wird also bei einer schlechten Gemeindeordnung ebenfalls schlecht sein. Ebensoviel hat sie mit der Provinzialverfassung zu schaffen, denn ihr größter Feind ist die Bürokratie; diese muß durch autonomische Provinzialverwaltungen gezügelt werden. Es gibt in diesen Provinzen eine Menge kirchlicher Stiftungen; sie alle befinden sich unter Vormundschaft der Bürokratie, und viele gingen in ihren Händen verloren. (Bravo) Eine freie Verfassung aber reißt sie jenen aus den Klauen (Bravo) und zwingt sie, die Stiftungen wieder herauszugeben.

Ich könnte Ihnen eine Menge politischer Fragen aufzählen, die in einem wesentlichen, wenn auch nur mittelbaren Zusammenhange mit der Freiheit der Kirche stehen. Eine solche ist die große Frage, die jetzt in Deutschland jedes Herz berührt; die Oberhaupt-frage, die doch als rein politisch zu betrachten ist. Wie Sie wissen, hat man in der Paulskirche ein Erbkaisertum festgesetzt; ich habe kein Verdienst an dieser Märzerrungenschaft. (Langandauernder Beifall). Die dafür stimmten, wußten nicht, was Kaisertum ist, nur dem preußischen Oberkönigtum haben sie ihre Stimme gegeben.

Das Kaisertum ist eine historische Institution, es starb; das erneuerte muß verdient und von dem Willen der ganzen Nation gegeben werden; weniger die oberen Schichten der Bevölkerung als die Masse des Volkes, und an die halte ich mich, wollen das alte Kaisertum. (Bravo) Ich will nicht bloß im deutschen Reiche haben, was deutsch spricht, sondern auch andere Völker will ich heben und weiden mit deutschem Geist, deutscher Erziehung und Gesittung.

Dazu bedarf es eines Kaisers, der die Macht hat, diese anderen Völker sich heranzuziehen. Durch den germanischen Geist müssen die slawischen Völker der österreichischen Monarchie dem russischen Einfluß entzogen werden. Aber auch jene Staatentrümmer, die früher zum Deutschen Reiche gehörten und die doch zum germanischen Stamm gehören, sie führen ein ephemeres Leben; sie werden nicht zu dauernder Ruhe gelangen, bis sie von Deutschland wieder angezogen sind. So die Schweiz, Holland u. a. m. Die deutsche Nation muß die Größe wiedererlangen, die historisch ist, die früher in ihr lebte und wozu sie noch gegenwärtig befähigt ist. (Bravo) Das Kaisertum beruhte auf der Schirmvogtei über die Kirche, deren Schützer der Kaiser als advocatus ecclesiae war. Das deutsche Kaisertum wurzelte im Katholizismus, es war die größte katholische Idee der Geschichte. Und gegen dieses Kaisertum sollten wir uns bloß negativ verhalten, dafür sollten wir keine Sympathien haben? Das dürfen wir nicht, das wäre Verrat am Vaterlande. (Bravo) Das Kaisertum darf nicht verstümmelt werden, es darf nicht zum halben Deutschland herabsinken, sondern es werde so, wie es im Herzen des Volkes lebt. (Bravo)

Es ist die Pflicht jedes Katholiken, auf gesetzlichem Weg zu verhindern, daß die Idee des Kaisertums nicht auf Kosten des ganzen Deutschland ausgeführt und so die Erneuerung des echten Kaisertums verhindert werde. Wenn sich die katholischen Vereine am Zustandekommen desselben beteiligen, so verstoßen sie gewiß weder gegen den Geist noch die Satzungen des katholischen Vereins, wie sie zu Mainz beschlossen wurden.

Man sagt, es steht zu erwarten, daß eine Ausschließlichkeit eintreten wird, woraus Feindseligkeiten folgen, die einen Verein vom anderen trennen würden. Allein der katholische Geist ist kein trennender, sondern ein versöhnender, und wenn die Politik im katholischen Sinne geübt wird, so muß ihre Wirksamkeit ebenfalls versöhnend sein.

Ich bin in gewisser Beziehung ein Legitimist; ich habe keinen von jenen Grundsätzen angenommen, womit man das Volk irreführt. Ich glaube nicht, daß die öffentliche Gewalt von dem Einzelnen ausgeht, also auch nicht von der Gesamtheit, welche entsteht, wenn man die Einzelnen addiert. Wer mir seine Gewalt aufdrängen will, dem sage ich: Du hast mich nicht zu beherrschen, und wenn zehn kommen, wenn Tausende oder eine Million, so ist das Prinzip nicht gewechselt, und ich sage: Ich gehorche Euch nicht. Ich habe vielmehr eine höhere Anschauung von der Quelle der öffentlichen Gewalt; ich sage: Alle Gewalt kommt von Gott. (Bravo)

Ich bin aber auch Demokrat, denn ich sage: Jeder ist vor Gott dem andern gleich, und die von höherer Macht übertragene Gewalt liegt in der Berufung des Volkes; die Gewalt beruht somit nicht in zwei oder zwanzig oder zweihundert Millionen addierter Stimmen. Der Legitimist wohnt also mit dem Demokraten in einem Hause.

Ich bin auch ein Aristokrat; die Aristokratie des Geistes und der Tugend verehre ich. Ich bin also Legitimist, Demokrat und Aristokrat, doch entspringt aus der Vereinigung dieser drei keine Verfeindung, im Gegenteil, sie ergänzen sich. Wie Paulus von der Kirche sagt: sie sei ein mystischer Leib, worin verschiedene Tätigkeiten und Geistesgaben zusammenwirken, so ist es auch mit den Piusvereinen. (Bravo) Bei den Katholiken gibt es keinen Zwang, sondern nur Freiheit der Überzeugung und Stärke in brüderlicher Vereinigung. An der Vereinzelung sind wir zugrundegegangen, deshalb müssen wir uns zusammenscharen, um den Undank und den Verrat am Vaterlande zu bekämpfen. (Bravo)

Ich bin in der Politik ein Allopath und suche, alle Übel mit den entgegengesetzten Mitteln zu heilen. Früher hatte Deutschland die Herrschaft der Welt; damals erzählten die Chroniken viel von der Grobheit der Deutschen. Jetzt hat sich diese in Demut umgewandelt, und Deutschland spielte eine traurige Rolle oder vielmehr gar keine mehr seit der sogenannten Kirchenreformation und dem Westfälischen Frieden. Dort hat man die Kirche aus dem öffentlichen Leben herausgeworfen; jetzt aber ist der Groll des Volkes majestätisch hervorgetreten, es hat das Schwert in die Hand genommen, um der das Volk vertretenden Kirche das Steuer, das ihr freventlich entwunden, wieder zu erobern. (Bravo)

Seit jener Zeit war die Kraft der Nation zertrümmert, das Volk schwach und gesinnungslos, denn es fehlte die Herrschaft der Prinzipien; jetzt aber muß es endlich aus dem Schlafe der falschen Toleranz, Pastoralklugheit und Expektoriermethoden herausgerissen werden. In der gewöhnlichen Politik gibt es nur relativ Gutes; die Politik unter Christen aber muß auf Prinzipien beruhen und daher entweder absolut gut sein, oder sie wird absolut Schlechtes hervorrufen; auch ist die Herrschaft der Prinzipien eine Notwendigkeit des Lebens.

Wir müssen daher, um wieder Prinzipien zu gewinnen, die Kirche ans Ruder stellen, denn nur sie hat ewige Prinzipien. Der Staat hat keine ewigen Grundsätze; wo sind jetzt die, welche vor März vorigen Jahres bestanden? Wir werden sie indes wohl in den nächsten Monaten wiedersehen! (Bravo) Das Unglück liegt in der Feigheit im öffentlichen Leben, darin, daß man sich nicht zu einer Farbe zu bekennen wagt. Wer in unserer Zeit nicht seinen Kopf daran setzt, um das Prinzip der Freiheit zu verteidigen, ist nicht wert, frei zu sein.

Wenn ich unter der Fahne des Prinzips stehe und ich stürze unter ihm zusammen, so falle ich ehrenvoller als die, welche ohne Prinzipien sind. Siegen werden nur die, welche Prinzipien haben und wären es auch nur eine Handvoll Männer gegen grundsatzlose Minderheiten; die letzteren können in die Länge nicht widerstehen, weil sie keine höheren Grundsätze haben. (Bravo)

Die Gegenwart ist belehrend für alle, die aufmerken wollen. Die deutschen Regierungen sind nicht geneigt, sich dem preußischen Oberkönigtum zu unterwerfen, nicht eine unterwirft sich freiwillig, alle nur aus Furcht vor diesem, aus Furcht vor jenem. Beachten Sie nur das Zustandekommen dieses Kaisertums. Welche Partei hat sich nicht dabei verwüstet? Die Demokraten haben ihre Verachtung gegen das Erbkaisertum und dessen Verfechter offen ausgedrückt, und doch haben sie sich mit den Reaktionären und den Bürokraten der Rechten in der Paulskirche vereinigt. Dagegen haben sie die Roten zu Hülfe gerufen und sind jetzt gegen die Regierungen. In der Katharinenkirche haben diese das Volk zur rettenden Tat aufgerufen; und es haben sich die ruhigen Bürger gleich wieder hinter die Gardinen versteckt. Auch jene 28 Regierungen haben sich gegen ihren Willen aus Furcht unterworfen, weil sie ohne Prinzipien sind. (Bravo) Nur wir, die katholische Partei, wir sind nicht gewichen.

In unserer Zeit werden nur die siegen, welche mit Entschiedenheit auftreten. Wie das Böse mit Keckheit zum Ziele gelangt, so auch das Gute; wenn die Guten zusammenstehen und entschieden auftreten, so werden großartige Ergebnisse sich zeigen. Es haben viele das Gute mit Kühnheit zu erstreben gesucht; wer verlieh ihnen Mut dazu? Etwa politische Begeisterung? Nein, die Hingebung an die Kirche. Nur wer sein Leben hinwirft wie einen alten Rock und die Seele rettet, die es verhüllt, der wird zum Ziel gelangen. (Bravo)

Die katholischen Vereine sollen als solche keine politische Partei bilden; aber sie sollen die von der Kirche gebotenen bürgerlichen Pflichten üben, und dann üben sie die Politik ihrer Kirche. Darum bitte, darum beschwöre ich Sie, nebst den unmittelbar die Kirche berührenden Fragen auch die mittelbar damit zusammenhängenden in Ihren Kreis aufzunehmen, sonst gehen sie unter. Das Volk weiß nicht, woran es ist, deshalb fragt es kummervoll, wie es geht, was geschieht, weil es bekümmert ist um das Schicksal unseres großen deutschen Vaterlandes. Es ist gut und zu allem bereit, aber die Bürokratie hat das Volk um alle moralische Größe gebracht. Das Volk muß belehrt und erzogen werden; der Keim alles Großen ist in ihm, deshalb erziehe man es mit den Lehren, vor denen es Achtung und Ehrfurcht hat, mit den Lehren unserer heiligen Kirche. (Langandauernder Beifall)

Herr Propst Döllinger aus München:

Nur an Ihren Verstand werde ich mich wenden, meine Herren, nicht an Ihr Gefühl, nicht an Ihre Sympathien, wie der Redner vor mir getan hat. Wenn man, wie er, zu den unmittelbar mit den kirchlichen Interessen zusammenhängenden Fragen auch die mittelbar darauf Bezug habenden politischen Fragen hinzuzieht, dann kann man allerdings so ziemlich das ganze Gebiet der Politik in den Bereich der katholischen Vereine ziehen. Es würde nicht schwerfallen, bei allen Gegenständen der Politik irgendeinen Zusammenhang derselben mit kirchlichen Interessen zu deduzieren. Ich möchte den Vorredner auffordern, mir irgendeine Streitfrage der höheren Politik zu nennen, die nicht wenigstens mittelbar mit den religiösen und kirchlichen Interessen zusammenhinge.

Meine Herren, ich stelle Ihnen die Sache offen dar, wie sie liegt. Die Kirche ist im Grunde bei jeder politischen Frage näher oder entfernter, von der einen oder anderen Seite beteiligt; es wäre also die Beteiligung schon ein zureichender Grund für Vereine zu kirchlichen Zwecken, auch alle bedeutenderen Fragen der Tagespolitik in den Kreis ihrer Tätigkeit zu ziehen, wenn jene Behauptung gegründet wäre. Wohin dies aber führen, welchen schädlichen Einfluß es auf die ganze Stellung, ja die Existenz dieser Vereine ausüben müßte, das lassen Sie uns an derjenigen Frage betrachten, welche gegenwärtig die gespannteste Teilnahme aller Deutschen in Anspruch nimmt, an der Frage von der Reichsverfassung und der Wahl des Reichsoberhauptes. Es ist kein Zweifel, daß die deutsche Nation über diese Frage gespalten ist, und zur Stunde kann noch niemand mit Sicherheit bestimmen, nach welcher Seite die überwiegende Mehrheit des Volkes sich neige. Den Äußerungen des verehrlichen Redners vor mir zufolge, wäre es nun der Beruf und die Aufgabe der Piusvereine, sich mit ihrer Energie und den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln der Volksbelehrung und Volksüberredung auf diese Fragen von Kaiser und Reich zu werfen, und zwar sollen wir als Katholiken im Interesse unseres Glaubens für die Wiederherstellung des alten Kaisertums, wie es im Mittelalter geblüht, und für die Rückkehr der Kaiserkrone in das alte Kaiserhaus, das habsburgische, arbeiten, dann, meint und wünscht er, werde auch die alte Schirmvogtei des Kaisers über die katholische Kirche wiederhergestellt werden.

Fassen wir hier den letzten Punkt zuerst ins Auge, so erregt er mir schon große Bedenken. Soll nämlich dem neuen Kaiser die Pflicht eines besonderen Schutzamtes über die Kirche obliegen, so kann es nicht fehlen, er wird nach der Regel, daß die Verpflichtung gegen einen anderen immer auch mit entsprechenden Rechten und Ansprüchen verbunden ist, seinerseits auch einen Einfluß auf die von ihm beschützte Kirche gewinnen und an der Leitung ihrer Angelegenheiten teilnehmen wollen, und man wird weder Fug noch Macht haben, dem bestellten Schutzherrn der Kirche diesen Anteil vorzuenthalten. Wie steht es dann aber um jene Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche, die wir als eine so glückliche, wenn auch freilich noch lange nicht in Sicherheit gebrachte Errungenschaft der jüngsten Zeit betrachten? Werden wir denn nicht zugeben oder selbst darauf antragen müssen, daß die Paragraphen in den deutschen Grundrechten und der neuen preußischen Verfassung, welche diese Unabhängigkeit aussprechen, wieder getilgt werden?

Weiter aber liegt in dieser Wiederherstellung des alten Kaisertums und der ihm zu überweisenden kirchlichen Advokatur die Forderung, daß der Kaiser der Deutschen nur ein Katholik sein dürfte. Hier, meine Herren, appelliere ich an Ihre Gerechtigkeit: Können, dürfen wir wirklich in Deutschland diese Forderung stellen bei der unbedingten Parität der Rechte, welche für die Genossen aller Religionen und namentlich für Katholiken und Protestanten bestehen soll?

Wir Katholiken bilden jetzt schon, solange Deutschland im Umfang des Deutschen Bundes besteht, nur eine kleine Majorität; sollte Österreich wirklich aus dem neuen Reich ausscheiden, dann würden wir in „Kleindeutschland“ sogar stark in der Minorität uns befinden, und gleichwohl sollten wir an unsere protestantischen Mitbürger mit Fug die Forderung stellen können, daß das Oberhaupt der ganzen Nation nie ihrer, sondern immer nur unserer Konfession zugetan sein dürfe? Es wäre dies ein Vorzug, der jetzt, wo doch alle Privilegien und insbesondere alle Begünstigungen einer Konfession vor der anderen endlich einmal aufhören sollen, ganz wieder die Gestalt eines konfessionellen Privilegiums hätte und nicht verfehlen würde, auf der Gegenseite Mißstimmung und Übergriffe zur Vergeltung hervorzurufen.

Und vollends ein mit der Schirmvogtei über die katholische Kirche bekleideter Kaiser! Würden die Protestanten denn nicht ihrerseits verlangen, daß auch für ihre Kirche ein kaiserlicher Schirmvogt bestellt, also ein protestantischer Kaiser neben dem katholischen eingesetzt werde? Sie sehen, auf diesem Wege können wir wohl zwei Kaiser und zwei deutsche Kaisertümer erlangen. So bedenklich ist die Blöße, die wir uns mit solchen Forderungen geben würden, und so schwer würde der Vorwurf abzulehnen sein, daß wir die Rechtsgleichheit der Bekenntnisse in Deutschland, die wir eben erst errungen und zur Wahrheit gemacht zu haben glauben, gleich selbst wieder verletzten, ja mit Füßen träten.

Es zeigt uns aber dieses schlagende Beispiel, auf welches schlüpfrige und gefahrvolle Gebiet die katholischen Vereine unvermeidlich geraten müssen, sobald sie die politischen Angelegenheiten des Tages in den Kreis ihrer Tätigkeit zu ziehen unternehmen. Jedes Heraustreten aus dem eigenen Gebiet und Übertreten in ein fremdes rächt sich; die Piusvereine aber sind ihrer Natur und ihrem ursprünglichen Programm nach kirchlich; die Politik ist nicht ihr Feld.

Wohl hat man gesagt, die Piusvereine dürften nur feste, im kirchlichen Boden wurzelnde Prinzipien an die Spitze ihrer politischen Tätigkeit stellen, um auch hier sicherzugehen und ersprießlich zu wirken. An und für sich ist es allerdings recht und gut, daß man Prinzipien voranstelle; aber die Anwendung dieser Prinzipien in einzelnen gegebenen Fällen ist gewöhnlich nicht so klar und einleuchtend als das Prinzip selbst, und auch auf dem politischen Gebiete pflegt der Kampf nicht sowohl über das Prinzip, als über die Konsequenzen, welche aus dem Prinzip gezogen werden sollen, geführt zu werden. Wo gibt es mehr Zweifel, Schwanken und Ungewißheit als in dem Gebiet der neuesten deutschen Politik? Wenn irgend, so ist es hier dringend nötig, jedem seine Überzeugung zu lassen, jedem zu gestatten, seine eigenen Schlüsse aus den gemeinschaftlich anerkannten Prinzipien zu ziehen.

Wollen die Piusvereine hier unduldsam werden und in ihrem Schoße nur ein ganz speziell entwickeltes politisches Glaubensbekenntnis und eine diesem Bekenntnisse genau entsprechende Handlungsweise zugeben, so wird große Unzufriedenheit die nächste Folge sein; aus dieser werden sich Spaltungen entwickeln, die dann zur Auflösung der Vereine führen müssen. Zwar hat man von einer katholischen Politik gesprochen in der Meinung, daß die Vereine nur diese zu ihrer Richtschnur zu nehmen brauchten, um sich einig zu bleiben und eine gedeihliche Tätigkeit zu entwickeln; ich gestehe jedoch, daß ich mir von dieser katholischen Politik keine klare Vorstellung zu bilden vermag, daß ich mir nicht zutraue, von jeder gegebenen wichtigeren politischen Frage sofort zu bestimmen, welches die katholische und welches die unkatholische Lösung derselben sei.

Ebensowenig möchte ich es wagen, wenn über eine Frage, z.B. über die größere oder geringere Ausdehnung des Wahlrechts oder über den Umfang der Repressivmittel gegen Mißbrauch der Presse Parteiungen entstehen, derjenigen Partei, welche die der meinigen entgegengesetzte Meinung verficht, sofort auch den Vorwurf zu machen, daß sie einer antikatholischen Politik huldige. Einer der größten Theologen hat allerdings den Versuch gemacht, ein System der Politik im Geiste der Kirche und nach ihren Grundsätzen zu schreiben; ich meine das Werk Bossuets: „Politique tirée de l'écriture sainte“. Aber gerade dieses Werk zeigt auf schlagende Weise, wie schwierig es ist, auf diesem Felde zu einer Übereinstimmung zu gelangen und wie wandelbar hier die Meinungen und Systeme sind, während doch gerade alles, was auf die Geltung eines katholischen Prinzips Anspruch macht, auch den der kirchlichen Lehre eigentümlichen Charakter der Unwandelbarkeit tragen müßte. Bossuet hat in seinem Buche über die Rechte der Monarchen und die Verpflichtungen der Völker zu unbedingtem Gehorsam und passiver Widerstandslosigkeit, selbst gegen Tyrannei, Grundsätze aufgestellt, die gegenwärtig die große Mehrzahl der Katholiken in Deutschland sowohl als in Frankreich weit von sich weisen würde; er aber und wohl auch Millionen seiner Zeitgenossen mit ihm hielten dergleichen wirklich und aufrichtig für katholische Politik. So veränderlich sind hier die Systeme und so mißlich, ja so unverantwortlich wäre es, in Dingen, welche die Kirche von jeher dem Urteil der einzelnen freigegeben hat, die Geister binden zu wollen.

Für die Geistlichen, welche doch in den Piusvereinen eine sehr bedeutende Stelle einnehmen, ist eine der Politik des Tages zugewandte Tätigkeit, die noch dazu häufig den Charakter politischer Agitation annehmen würde, mit ganz besonderem Nachteil verknüpft. Ich erinnere mich hier der Antwort, die mir ein katholischer, zugleich in Irland ansässiger Engländer gab. Ich hatte ihn damals, als O'Connells Agitation den Gipfel erreicht hatte, gefragt, was er von der Teilnahme der irischen Geistlichkeit an dieser Agitation halte. Ich fürchte, erwiderte er mir, daß man, um einen augenblicklichen Vorteil zu erlangen, ein dauerndes Unheil anrichte.

Das war die Ansicht eines Mannes, der sonst dem religiösen und sittlichen Charakter der irischen Geistlichkeit, ihrer Aufopferungsfähigkeit und dem unbedingten Vertrauen, welches das Volk in sie setzte, eine warme Lobrede hielt, der aber meint, daß die echt priesterliche Tätigkeit des Klerus und die politische notwendig auf die Dauer beeinträchtigt und gelähmt werden müsse; und wenn eine derartige Beteiligung an der Politik von Seiten der Geistlichen irgendwo entschuldigt oder beziehungsweise gerechtfertigt werden kann, so ist dies in Irland der Fall, wo das katholische Volk, von den höheren, ihm größtenteils feindlichen Ständen verlassen, niemand hat, von dem es Rat, Leitung und Hilfe erwarten könnte, als seine Priester. Man wird mir hier entgegnen, es sei ja nicht die Geistlichkeit, sondern die zum größten Teil auch aus Weltlichen bestehenden Vereine seien es, welchen eine politische Tätigkeit zugemutet werde. Aber die geistlichen Glieder dieser Vereine müßten ja doch an dieser Tätigkeit teilnehmen; sie müßten wohl, in den Landgemeinden wenigstens, selbst das meiste dabei tun, und ist es dann nicht eine gegründete Besorgnis, daß der Schaden, der dadurch gestiftet würde, häufig größer und gewiß dauerhafter sein würde als der Nutzen. Es wird nicht zu vermeiden sein, daß die Stellung des Geistlichen zu seiner Gemeinde, daß sein priesterliches Ansehen darin gefährdet und beeinträchtigt werde. Häufig wird der Priester mit einem einer anderen Politik folgenden oder von einem anderen politischen Führer geleiteten Teile seiner Gemeinde in einen Konflikt geraten, der nur schwer wieder beigelegt werden könnte, und es läßt sich nicht erwarten, daß die Menschen immer oder auch nur häufig zwischen dem politischen Charakter und dem Seelsorger unterscheiden, daß sie dem letzteren das Vertrauen bewahren werden, welches sie dem ersteren entzogen haben.

Mit Recht hat ein früherer Redner auf Nordamerika und das Beispiel der dortigen katholischen Geistlichkeit hingewiesen. Dort vermeidet es der Klerus aus Grundsatz, in die politischen Kämpfe und Parteiungen sich einzumischen. Dies hindert jedoch nicht, daß das katholische Volk im ganzen einer eigenen politischen Richtung folge, und es ist eine schon von Tocqueville hervorgehobene Tatsache, daß die Katholiken dort der großen Mehrzahl nach der demokratischen Partei im Gegensatz zu den aristokratischen Wighs angehören.

Gestatten Sie mir, meine Herren, mit Ernst und Nachdruck vor den Gefahren zu warnen, welche aus der Vermischung kirchlicher Interessen mit bloß politischen unvermeidlich erwachsen. Ich habe es gestern schon in einem engeren Kreise ausgesprochen, daß ich die voreilige Annahme eines politischen Prinzips durch die Vereine für ein Unglück halte. Möge der, welcher in den Streitfragen der Gegenwart eine bestimmte, scharf abgegrenzte politische Ansicht sich gebildet, sie mit allen redlichen, ihm zu Gebote stehenden Mitteln verteidigen; nur möge er nicht eines zu ganz anderen, höheren Zwecken gebildeten Vereines sich als eines Werkzeugs für die Verwirklichung seiner politischen Ideale und Wünsche bedienen wollen.

Als ich auf die Gefahr hinwies, daß ein Verein sich für eine politische Gestaltung verbürgen könnte, die bald nachher durch die Ereignisse vereitelt würde und daß hiermit das Ansehen, ja die Existenz des Vereins in Frage gestellt werden könnte, da erwiderte man mir: Wer unter der Fahne eines Prinzips kämpfend fällt, der fällt immer mit Ehre, auch wenn dies Prinzip von dem Gegner nicht anerkannt wird. Das ließe sich hören, wenn es sich jetzt wirklich um solche Prinzipien handelte, welche nur Ausdruck ewiger und unwandelbarer Wahrheiten wären. Wer wird dies aber von den Formen der neuen deutschen Verfassung, bezüglich welcher man den Piusvereinen Partei zu nehmen ansinnt, behaupten wollen? Selbst in der Paulskirche zu Frankfurt waren und sind die Ansichten der katholischen Mitglieder über diese Frage geteilt. Die große Mehrzahl derselben stimmte für ein Direktorium und hielt weder ein österreichisches noch ein preußisches Erbkaisertum den jetzigen Bedürfnissen und Verhältnissen Deutschlands für angemessen.

Werfen wir einen Blick auf die Stellung des Klerus in Frankreich. Dort hat die Geistlichkeit bei den infolge der jüngsten Umwälzung eingetretenen politischen Ereignissen, ohne ihre Überzeugung und ihre Sympathien zu verbergen, doch mit großer Mäßigung und Zurückhaltung sich benommen. Hätte sie stärker eingegriffen, wäre sie z.B. nach dem Beispiel eines Bischofs bei der letzten Präsidentenwahl zu Gunsten Cavaignacs aufgetreten, die unheilvollen Folgen einer solchen politischen Tätigkeit würden sich sogleich eingestellt haben, und doch läßt sich nicht verkennen, daß die Wahl des Präsidenten auch die Kirche sehr nahe berührt. Dank der Vorsicht der großen Mehrzahl und ihrer weisen wohlbemessenen Haltung haben wir diesmal nicht, wie bei der Juli-Revolution, von Vertreibungen einzelner Bischöfe und Pfarrer aus ihren Gemeinden gehört. Es war ein wohlgemeinter, aber in seinen Wirkungen höchst schädlicher Irrtum, der zur Zeit Ludwigs XVIII. und Karls X. so viele französische Priester und Missionare verleitete, fast bei jeder Gelegenheit den Namen des Königs mit dem Namen Gottes zu verknüpfen und die Ergebenheit gegen die Bourbonen, als ob sie ein kirchliches Dogma wäre, von der Kanzel und vom Altar zu predigen. Es ist bekannt, wie schwer diese religiöse Politik und politische Religion nach der Juli-Revolution an den Geistlichen gerochen [!] wurde.

Ja, ich gehe noch weiter: ich betrachte die Verbindung kirchlicher Interessen mit politischen Tagesmeinungen und Lieblingswünschen als etwas an sich Unnatürliches, als ob man edles Metall mit gemeiner Tonerde zu einem Gusse vermischen wollte, und in solcher Vermischung ist es immer das Edlere, was dadurch befleckt und entwürdigt wird. Die Religion ist es, die dann nur allzu leicht zur Magd der Politik sich erniedrigt sieht, und hoffen Sie nicht, meine Herren, daß es Ihnen gelingen werde, sich gegen jeden Nachteil, jede Mißdeutung durch die Berufung auf Ihren guten Willen, Ihre reinen Absichten sicherzustellen.

Ihre politischen Gegner und nicht bloß diese, sondern selbst alle Neutralen, alle, die nur nicht gerade zu Ihrer Partei gehören, werden Ihnen stets den Vorwurf machen, werden stets dem Volke sagen, daß das Wohl der Religion, die Erhaltung der Kirche nur der Vorwand und Deckmantel sei, daß Sie die Liebe des Volkes für seinen Glauben, das Vertrauen des Volkes zu seinen Priestern nur zur Erreichung selbstsüchtiger politischer Bestrebungen auszubeuten suchen.

Mißverstehen Sie mich aber auch nicht, als ob ich eine schlechthinnige Scheidung beider Gebiete, des religiösen und des politischen, eine Scheidung wie zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gut und Böse hier für möglich und ausführbar hielte. Gerne gebe ich zu, daß Vereine wie der unsrige sich jenen Fragen, welche in nächstem naturnotwendigen Zusammenhang mit den kirchlichen Dingen stehen, anzunehmen Recht und Beruf haben.

Wenn sich die Politik auf das Gebiet der sozialen Fragen begibt, so ist es ebenfalls Pflicht der katholischen Vereine, tätig zu sein, und das Recht, in diesem Fall selbst eine Agitation zu betreiben, im Dienst der ewigen Wahrheiten, welche die Grundlage alles Rechts, alles staatlichen wie kirchlichen Verbandes bilden, ist unbestreitbar. Diese Andeutungen mögen dazu beitragen, den Weg vorzuzeichnen, den die katholischen Vereine zu gehen haben, um nicht in gefährliche Konflikte zu geraten.

Jetzt aber sollen auch solche politischen Probleme, welche durchaus nicht von so hoher, allgemein eingreifender Bedeutung sind, Probleme, über welche auch unter den Bestunterrichteten sehr verschiedenartige Ansichten bestehen, in den Bereich der Vereinstätigkeit gezogen werden, so z.B. die Verantwortlichkeit der Minister, eine Frage, an welcher allerdings auch ein kirchliches Interesse nachgewiesen werden könnte. Wenn wir aber einmal von der Verantwortlichkeit der Minister sprechen, so müssen wir zergliedern, wie weit diese Verantwortlichkeit auszudehnen sei, vor welchem Tribunal sie zu verurteilen usw. Das sind doch keine Gegenstände, die für die Kirche und kirchlichen Vereine große Bedeutung haben? Man muß es der Überzeugung der einzelnen überlassen, wie bei den Katholiken die politische Gesinnung sich aussprechen soll; die Vereine können sich nicht zu Werkzeugen politischer Theorien hergeben, damit sie ihre Kräfte nicht zersplittern. Die Tätigkeit der katholischen Vereine wird durch die ihnen zugewiesenen Gegenstände vollauf beschäftigt werden, wenn sie auch die Kaiserfrage und ähnliche ihrem Schicksal überlassen.

Und nun zum Schlusse noch eine Erinnerung; ich habe als fernstehender, unbefangener Beobachter vielfach die Bemerkung gemacht, daß eine Mißstimmung gegen die preußische Regierung besteht, welche besonders in der Rheinprovinz sehr eingewurzelt und verbreitet ist. Dieselbe übt großen Einfluß, nimmt gegen alles von der Regierung Herkommende ein, gibt manchem ihre bestimmte Färbung. Das Mißtrauen in die Tendenzen der Regierung erscheint in diesen Provinzen mehr als irgendwo von Einfluß und der unbefangenen Würdigung der Verfassungsfragen im Wege zu stehen. (Sehr wahr!) Wie gefährlich ist es daher, gerade für Vereine in diesen Provinzen eine bestimmte politische Richtung anzunehmen! Wie leicht würde die Kirche dadurch in den Schein systematischer Opposition gegen die Regierung, gegen das Ministerium, selbst gegen noch höher gestellte Personen gebracht. Und jeder Angriff ruft entsprechenden Widerstand hervor; unheilbare Zwietracht könnte auf lange Jahre entstehen, die Kraft des Katholizismus muß sich in Parteikämpfen abreiben. Eine dritte Partei, die gewissenlos ihre Zwecke verfolgt, ist schon jetzt stark, es steht in Aussicht, daß sie noch mächtiger wird, und diese gerade wird aus solchen Kämpfen ihren Nutzen ziehen. Immer wäre es dann die zu enge Verbindung der Kirche mit der Politik, die böse Saat aussät, und diese Saat überwuchert dann das Gute, welches diese Vereine sonst zu stiften geeignet sind.

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Quelle: Heinz Boberach, Hrsg., Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830–1850, Band 3 (1849–1850) aus der Reihe Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830–1850, Hrsg. Joseph Hansen. Düsseldorf: Droste, 1998, S. 130–33, 134–45. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde.