Quelle
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Die private Welt ist eingebettet in ein Stück Deutschland, das meiner Generation von Westdeutschen, den Mittdreißigern, meist nur noch aus Geschichtsunterricht und Wandkalendern bekannt ist. Kindheitserinnerungen an behäbige thüringische Residenzstädtchen, in Ostberlin bewahrte Bilder aus der preußischen Geschichte – was war mir außerdem schon davon gewärtig geblieben? Jetzt fuhr ich plötzlich durch Fontanes Ribbeck, stand im Magdeburger Dom unerwartet vor dem Sarkophag Ottos des Großen, in der Wittenberger Schloßkirche vor der Grablege des Reformators. Die verblaßte Landkarte, die ich von der deutschen Welt jenseits der Elbe im Kopfe trug, füllte sich plötzlich wieder mit Namen, Gestalten, Gebäuden.
Verwinkelt und versponnen dämmern die kleinen Kreisstädte und die Bauerndörfer vor sich hin, von den schönen Fassaden blättert der Putz, der Wagen rumpelt über Kopfsteinpflaster, noch ist der Verkehr nirgends ein alles verschlingender Moloch. Auf diese Weise ist die DDR eine Art Freilichtmuseum deutscher Vergangenheit geworden: das Deutschland von Anno dazumal ist dort konserviert, das Zeitalter der Fußgänger und Bierkutscher noch nicht zu Ende.
Diese altertümliche Welt der DDR hat ihren sentimentalen Reiz, jedoch auch ihre aktuellen Nachteile. Die meisten Städte bestimmt ein düsteres Grau, kraftlose Straßenlampen werfen nachts nur trübes Licht. Das Wachstum der Orte ist Ende der zwanziger oder Anfang der dreißiger Jahre gewaltsam gestoppt worden, die Dörfer und Städte haben seitdem keine Jahresringe von Neubauten angesetzt. Nur dort, so scheint es, wo der Krieg Zerstörungen angerichtet hat, sind überhaupt neue Gebäude errichtet worden. Auch sie sind allerdings keine helle Freude.
Überall in der DDR stößt der Besucher aus dem Westen auf die Stalin-Alleen im Moskauer Zuckerbäckerstil. Nicht nur in Ostberlin stehen diese monumentalen Scheußlichkeiten – sie verderben einem auch den Genuß am Wiederaufbau des Dresdener Altmarkts oder an der wiedererstandenen Magdeburger Innenstadt. Mittlerweile haben sich die Staatsarchitekten drüben zwar von dem Konditorstil gelöst, sie bauen jetzt entschnörkelte Häuser, freundlicher, froher und farbiger, aber sie bauen überall genormt. Allenthalben wachsen die gleichen Typenhausreihen aus dem Boden, und wer Abwechslung für die Würze des Lebens hält, wird auch die nachstalinistische Bauweise noch immer als einförmig, ja, trist empfinden.
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Quelle: Marion Gräfin Dönhoff, Reise in ein fernes Land. Hamburg, 1964, S. 97 ff.; abgedruckt in Christoph Kleßmann und Georg Wagner, Hrsg., Das gespaltene Land. Leben in Deutschland 1945-1990. München, 1993, S. 40–41. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.