Quelle
Von der Schußwaffe darf nur auf Befehl des Vorgesetzten oder auf eigenen Entschluß der zum Grenzdienst eingesetzten Kräfte Gebrauch gemacht werden,
a) um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder Fortsetzung einer Handlung zu verhindern, die sich den Umständen nach darstellt als ein
—Verbrechen gegen die Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik, den Frieden, die Menschlichkeit und die Menschenrechte,
—Verbrechen gegen die Deutsche Demokratische Republik, gegen die allgemeine Sicherheit oder gegen die staatliche Ordnung,
—Verbrechen gegen die Persönlichkeit,
—anderes Verbrechen, das insbesondere unter Anwendung von Schußwaffen oder Sprengmitteln begangen werden soll oder ausgeführt wird;
b) zur Verhinderung der Flucht oder Wiederergreifung von Personen,
—die eines Verbrechens dringend verdächtig sind oder wegen eines Verbrechens festgenommen wurden,
—die anderer Straftaten verdächtig sind oder deswegen festgenommen oder zu einer Strafe mit Freiheitsentzug verurteilt wurden; wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß von Schußwaffen oder Sprengmitteln Gebrauch gemacht oder in anderer Weise die Flucht mittels Gewalt oder tätlichen Angriffs gegen die mit der Durchführung der Festnahme, Bewachung oder Beaufsichtigung Beauftragten durchgeführt oder daß die Flucht gemeinschaftlich begangen wird;
c) gegen Personen, die wegen einer Straftat Festgenommene oder zu einer Strafe mit Freiheitsentzug Verurteilte mit Gewalt zu befreien suchen oder dabei behilflich sind;
d) wenn andere Mittel nicht mehr ausreichen, um einen unmittelbar drohenden oder gegenwärtigen Angriff auf Anlagen der bewaffneten Organe oder andere staatliche, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Einrichtungen auf sich selbst oder andere Personen erfolgreich zu verhindern oder abzuwenden;
e) zur Brechung bewaffneten Widerstandes;
f) zur Festnahme von Personen, wenn
—bewaffnete Personen die Aufforderung zum Ablegen der Waffen nicht befolgen oder sich ihrer Festnahme durch Bedrohung der Waffe oder Anwendung derselben zu entziehen versuchen,
—Personen dem Anruf oder der Aufforderung des Grenzpostens nicht Folge leisten und offensichtlich versuchen, die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik zu durchbrechen und alle anderen Mittel und Möglichkeiten zur Festnahme oder Verhinderung der Flucht erschöpft sind,
—Personen mit Transportmitteln vorschriftsmäßig gegebene Stoppzeichen unbeachtet ließen und Sperren durchbrochen, beiseite geräumt oder umfahren haben und sie eindeutig versuchen, die Staatsgrenze zu durchbrechen.
Der Gebrauch der Schußwaffe ist grundsätzlich mit „Halt! Grenzposten! Hände hoch!“ anzukündigen. Wird der Aufforderung nicht Folge geleistet, ist ein Warnschuß abzugeben. Bleibt auch diese Warnung erfolglos, ist gezieltes Feuer zu führen.
Die Schußwaffe ist ohne Anrufe und ohne Angabe eines Warnschusses gezielt anzuwenden, wenn
—es zur Abwehr eines plötzlichen tätlichen Angriffs sowie zur Brechung bewaffneten Widerstandes erforderlich ist;
—ein gegenwärtiger Angriff auf Anlagen der bewaffneten Organe und andere staatliche, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Einrichtungen, auf sich selbst oder andere Personen nicht anders verhindert oder abgewendet werden kann.
Beim Gebrauch der Schußwaffe ist das Leben der Personen nach Möglichkeit zu schonen. Verletzten ist unter Beachtung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen Erste Hilfe zu erweisen, sofern es die Durchsetzung dringender und keinen Aufschub duldender Aufgaben zuläßt. […]
Tödlich verletzte Personen sind außerhalb der vom Gegner einsehbaren Geländeabschnitte unterzubringen. Der Tatort ist zu markieren und zu sichern. In anderen Fällen ist die Lage des Toten nicht zu verändern. Die weiteren Handlungen sind entsprechend der Entscheidung des Militärstaatsanwaltes durchzuführen.
Wurde die Schußwaffe gegen Grenzverletzer angewandt, darf das Territorium des angrenzenden Staates oder West-Berlins nicht beschossen werden.
Quelle: DDR-Schießbefehl (ca. 1962); abgedruckt in Bernhard Pollmann, Hrsg., Lesebuch zur deutschen Geschichte. Band 3, Vom deutschen Reich bis zur Gegenwart. Dortmund, 1984, S. 245–46.