Quelle
Bruno Taut hat mit dem Pavillon des Stahlwerksverbandes auf der Leipziger Baufach-Ausstellung einen ersten großen und allgemeinen Erfolg errungen! Das »Monument des Eisens«, wie das Haus kurz und bündig getauft wurde, erregte auch bei denen Aufmerksamkeit, die sonst architektonischen Schöpfungen weniger teilnahmsvoll gegenüberstehen. Es fühlte ein jeder, daß in diesem knappen, phrasenlosen, und wundervoll energischen Gefüge ein wirklich moderner und völlig zeitgemäßer Künstler steckte. Aber leider hat das starke Interesse an dem Leipziger Pavillon nicht dazu geführt, daß die Allgemeinheit sich nun auch dem sonstigen Schaffen Bruno Tauts zugewendet hätte. Das ist um so bedauerlicher, als Bruno Taut in Wahrheit schon Bedeutenderes geleistet hat als jenen Leipziger Pavillon. Gerade jetzt hat er in Groß-Berlin ein neues Wohnhaus gebaut, das eine ganz seltene und wahrhaft hinreißende architektonische Leistung darstellt!
Es handelt sich um das Eckhaus der Hardenberg- und Schillerstraße in Charlottenburg, das Bruno Taut über einem städtebaulich sehr interessanten Grundriß von Arthur Vogdt aufgeführt hat.
Nichts liegt Bruno Taut ferner, als Extravaganz, Spielerei oder Bluff. Was ihn auszeichnet, ist seine strenge Sachlichkeit – freilich eine künstlerische Sachlichkeit, nicht die Sachlichkeit des „Zweckkünstlers“ oder des „Puritaners“. In diesem künstlerischen Sinne war das „Monument des Eisens“ absolut sachlich. Die goldene Kugel, die über der Achteckpyramide saß und die hier und da Bedenken erregte, hatte praktisch-ökonomisch allerdings keinen Zweck! Aber künstlerisch hatte sie durchaus ihren Zweck, war sie niemals zu entbehren!
In diesem künstlerischen Sinne ist auch das Hardenberghaus (das Haus trägt nicht diesen Namen, sei aber im Interesse der Kürze hier einmal so bezeichnet) völlig sachlich. Bruno Taut geht hier bewußt auf die Urelemente des Bauens zurück und läßt alles beiseite liegen, was nur Konvention, nur Ableitung ist. Auch er bemüht sich, wie die besten Künstler unserer Tage, um eine neue Einfachheit, um Primitivität. Das alles lag schon im Leipziger Pavillon enthalten und hat hier auf die Besucher, ohne daß sie sich der Ursachen klar wurden, sehr tief gewirkt. Aber um vieles bedeutungsvoller und nachdrücklicher spricht sich das Streben Bruno Tauts im Hardenberghaus aus.
Eine neue Gesinnung, ein neues Lebensgefühl liegt in dieser Architektur! Hier ist alles Äußerliche, aller Putz, alle „Dekoration“ wie mit einem eisernen Besen weggefegt! Wer einen Blick auf die Häuser der Umgebung wirft, atmet, wenn sein Auge zu der Fassade Bruno Tauts zurückkehrt, aus tiefstem Grunde auf. Ein geradezu erlösendes Gefühl der Ruhe überkommt ihn. Es ist, als ob man nach einem vielstimmigen, unklaren, verwirrenden Geräusch einen reinen und vollen Ton vernimmt. Reinheit! Das ist vielleicht das Wort, das am ehesten der Architektur Tauts gerecht wird.
Ich sagte, daß Bruno Taut auf die Urelemente alles Bauens für seine Fassade zurückgegangen ist. Diese Urelemente sind: die Wand und die Öffnung!
Wo sieht man heute an unseren Häusern etwas von der Wand! Karyatiden, Säulen, Kartuschen, Büsten. Reliefs decken sie zu – obwohl es gegen früher besser geworden ist. Taut zeigt die Wand, die doch der Sinn des ganzen Bauens ist, in aller ungebrochenen Fülle – und Schönheit. Und er nimmt den Fenstern den Charakter des Zufälligen, des Unbezwungenen, den sie fast überall tragen, nimmt sie als das zweite große Hauptmotiv, setzt sie in ihre vollen Rechte ein! Er hat keine Furcht, daß ihm etwa große Fenster die Fassade zerreißen, er macht sie so groß als irgend möglich, läßt Querholz und Fensterkreuz fallen und gewinnt aus dem Fenster etwas Ausdrucksvolles, das nun imstande ist, die Wand zu gliedern! Wand und Öffnung – sie haben jetzt eine bestimmte Rolle, bedeuten etwas, wirken sich aus!
Was hier geleistet worden ist, das ist endlich wieder einmal etwas Ganzes, etwas Persönliches, etwas Bleibendes. Es ist eine Befreiung der Architektur von der Konvention, ein Besinnen auf das Echte.
Zu den Urelementen des Bauens gehört freilich noch ein Drittes: die Freude am Schmuck. Diese Freude ist bei Bruno Taut sehr stark und lebendig ausgeprägt. Wo es sein muß, baut er so einfach und schlicht wie kein Zweiter (seine Gartenstadtarchitektur für Falkenberg beweist es), wo aber eine gewisse Repräsentation zum Wesen der Aufgabe gehört, ist er nicht ängstlich! Daß für ein teures Miethaus in der vornehmen Hardenbergstraße ein Bedürfnis an Schmuck vorliegt, versteht sich von selbst. Taut hat dem gebührend Rechnung getragen und hat auch hier etwas Kühnes und Ungewöhnliches geschaffen, indem er seine Architektur in eine ganz freie Verbindung mit der Plastik brachte! Auch hier ist der Wunsch, etwas Echtes statt einer Mischung zu geben, leitend gewesen. Das Genre der sogenannten dekorativen Architekturplastik ist ja doch eine Mischung, in der die Plastik die Architektur und die Architektur die Plastik stört. Taut zog Georg Kolbe zur freien Mitarbeit heran. Kolbe hat, nur sehr allgemein an eine Skizze Tauts gehalten, unter dem Dach eine Reihe von schwebenden Frauenakten, fast vollrund, modelliert, die, leicht und frei bewegt, dem Hause etwas Lebendiges, Atmendes geben. Falsch wäre es, diesen Figuren gegenüber wiederum, wie bei der Leipziger Goldkugel, nach dem „Zweck“ zu fragen! Sie haben keinen anderen als einen innerlich künstlerischen! Wären sie nicht da, so fehlte etwas!
Das ist gerade das Schöne, daß Bruno Taut nicht aus dem Intellekte und nicht nach dem „Geschmack“ baut, sondern aus der Phantasie!
Quelle: Adolf Behne, „Bruno Taut“, Der Sturm, Nr. 198/199 (Februar 1914), S. 182 f. Online verfügbar unter: https://bluemountain.princeton.edu/bluemtn/?a=d&d=bmtnabg19140215-01.2.6