Quelle
Verkitschte Massenseele
Hans Otto Wesemann
Auf den Prachtstraßen des amerikanischen Kriegslärmes marschieren, von Gaffern aus aller Welt bewundert, die großen Columnisten, die Leitartikelschreiber, auf deren reichlich vergossener Tinte eine nach Millionen zählende Nachbeterschaft schwimmt, auch die Rundfunksprecher, die mit den Wellen von beihnahe zweihundert Sendern die eigene Meinung ihrer Hörer ertränken, in ziemlichem Abstand die Kriegsberichter und dann der Trupp der Einzelgänger, etwa einige wilde Senatoren, untermischt mit Generalen, Amazonen und mitteilungsbedürftigen Baseballspielern. Man kann sie nicht überhören, und im Grunde hat ihr Publikum auch nicht den Wunsch danach, es fühlt sich wohl unter der Lärmglocke, die es sich zur Vermeidung eigener Denkanstrengungen übergestülpt hat. Aber nicht von Ipman und Dorothy Thompson, von Eleanor und Westbrock Pegler wollen wir sprechen, sondern von jenen Meinungsbildnern, die sich im Gewand des Inserats auf die Seele des Publikums legen.
Sie haben den Ruhm verdient, das in einem Kühlschrank inkarnierte Kulturideal der Nordamerikaner voll in Kurs gesetzt zu haben. Sie haben jenen Geist mitgestaltet, der in der Höhe des Einkommens die Hand Gottes sieht und das größte Orchester für das beste hält. Sie haben die Jahre des Friedens damit verbracht, das Volk zum geschlossenen Verbrauch von Camel und Palmolive, von Chevrolets und Kelvinator-Kühlschränken zu erziehen, sie haben in vollen Zügen die amerikanische Freiheit genossen, jede individuelle Regung in die platte Ebene der Gleichförmigkeit einzuwalzen. Ihrer nie versagenden Tüchtigkeit verdankt das Volk den Typ seines männlichen Helden, bestehend im erfolgreichen Businessman, und sein weibliches Ideal, das durch eine leistungsfähige Industrie des make up von Florida bis Washington zum heiter lächelnden Girl zurechtgeschliffen worden ist.
Der Krieg hat dieses Konzept der amerikanischen Werbung empfindlich gestört. Es war früher nicht ihre Sache gewesen, nationale Pflichten mit privaten Geschäftsinteressen zu verkoppeln; ein solcher Versuch hätte dazu genötigt, die Objekte der Werbung zu selbständigen Überlegungen anzuhalten, und gerade das wäre der dringend erwünschte Uniformierung des Lebensstiles höchst abträglich gewesen. In den Anfangszeiten des New Deal ließ es sich die Bürokratie Washingons viel Geld und Mühe kosten, die Ideale der Kaufkrafttheorie auf dem Weg über wohlgeformte Mädchen mit knappgeschnittenen Badekostümen im Volk zu verbreiten; es war ein außerordentlicher Mißerfolg. Als die Aufrüstungskonjunktur begann, erübrigten sich solche Versuche ohnehin; man konnte sich der altbewährten Methode von neuem bedienen.
Heute aber steht die Werbung vor zwiespältigen Aufgaben. Die Kundenwünsche, die sie mit allen Apparaten der Massenpsychologie entfesselt hat, lassen sich wegen der Einschränkungen in der Verbrauchsgütererzeugung nicht mehr befriedigen. Es bleibt also der Versuch, einen neuen Stil der Erinnerungsreklame zu finden und mit ihr die Kaufbegierden des Publikums in wohltemperierter Weise teils wachzuhalten, teils auf Eis zu legen. Dieser Versuch aber ist begleitet von sehr spürbaren Regungen eines schlechten Gewissens, soweit allerdings die Berücksichtigung nationaler Interessen eine Frage des Gewissens ist; das nationale Wohl würde gebieten, daß alle Werbung in den Dienst der Pflicht gestellt werde, so wenig wie nur möglich zu kaufen. Es gibt ja in den Händen der Verbraucher weit mehr Dollars als Güter für sie gekauft werden können, und alle kriegswirtschaftlichen Regelungen haben in USA den gut liberalistischen Grundsatz noch nicht aufheben können, daß bei einem freien Markt das Übergewicht der Nachfrage die Preise in die Höhe treibt. Senat und Repräsentantenhaus haben Roosevelt nicht die Möglichkeit gelassen, durch energische Besteuerung die Kluft zwischen Geldmenge und Güterknappheit zu schließen, so bleibt die Regierung auf gutes Zureden angewiesen, und das tut sie nicht nur mit dem Heer folgsamer Zeitungsschreiber, sondern ebensosehr mit unmittelbarer Werbung. Der War Advertising Council versucht, mit ganzseitigen Anzeigen wirtschafliche Vernunft zu predigen. „Wir wollen nicht einen einzigen Gegenstand kaufen, den wir entbehren können. Wir wollen nicht höhere Löhne für unsere Arbeit verlangen oder höhere Preise für die Dinge, die wir verkaufen. Wir wollen willig unsere Steuern zahlen, gleichviel wir hohe Steuern unser Land benötigt. Wir wollen niemals einen Cent mehr als die festgelegten Preise bezahlen. Und wir wollen bewirtschaftete Güter nur gegen Marken kaufen. Wir wollen sparen und eine angemessene Lebensversicherung eingehen.“ – Nicht wenige werden diesen Ausflug in die Autosuggestion als einen gut gemachten, aber nicht sehr erfolgversprechenden Versuch bezeichnen, wirtschaftliche Einsicht und nationale Disziplin in Köpfe zu pflanzen, die dafür längst verdorben sind.
Reizvoller aber als dieser amtliche Zweig der Werbung, dem das Thema genau vorgeschrieben und dessen Wirkungsmittel begrenzt sind, ist die Betrachtung des Kriegsgewandes, das sich die private Anzeige angelegt hat. Der amerikanische Reklamefachmann hat in den Jahren des Friedens Zeit genug gehabt, jene Masseninstinkte aufzuspüren und zu pflegen, die anzusprechen mit Sicherheit zum Erfolge führt. Das Bild, zu dem sie bei dieser Arbeit gelangt sind, liefert einen bemerkenswert guten Durchschnitt durch die amerikanische Geisteshaltung und in ihm sind die wesentlichen Züge des Volkscharakters getreulich aufgezeichnet. So verwirrend das Bild der amerikanischen Anzeige in seiner Vielgestaltigkeit auch sein mag, so lassen sich in ihm doch einige wenige Grudnzüge als Fundament jeder Massenbeeinflussung wiederfinden. Diese Grundzüge, mag es sich nun um das weite Feld des sex appeal oder um den frömmelnden Mißbrauch des Christentum, um die Sehnsucht nach einem in den Gangstertyp umgeschlagenen Heldenideal oder um schlichten, aber auf jeden Fall rührenden Kitsch handeln, sind auch im Kriege nicht weniger wirksam als zuvor; jetzt aber ist ihnen eine weitere Komponente beigegeben, bestehend in einem nationalen Paroxysmus, der mit allen Mitteln wohlerprobter Massenbeeinflussung erzeugt worden ist. Dieser neue Ton mischt sich in das sonst wohlbekannte, nur in wenigen Tonarten stehende Konzert der amerikanischen Reklame. Man kann nicht sagen, daß der durchschnittliche amerikanische Inserent sehr viel Erfindungskraft darauf verschwendet, in die zeitgemäßen nationalistischen Töne einzustimmen. Ein Büstenhalterinserat z. B., das wir hier abgebildet haben, und auf dem die Augen des Betrachters sicherlich mit jenem Wohlgefallen ruhen, das die Verwandlung von Natur in Kunst erzeugt, hat sich von seiner attraktiven Grundlinie auch durch den Krieg keineswegs abbringen lassen. Es wirkt zu seinem bescheidenen Teil an der Errichtung des genormten Schönheitsideals mit, sucht den Eindruck einer besonderen Erlesenheit des angepriesenen Geräts zu erwecken, gönnt dem Leser das Vergnügen einer leichten sprachlichen Zweideutigkeit („The lift that never lets you down“) und erfüllt damit die Ansprüche, die bei einem durchschnittlichen Produkt dieser Art gegeben sind. Aber der Krieg hat dies vermocht: ein Büstenhalter ist nicht zu unbedeutend, als daß durch ihn eine so hehre Sache wie die amerikanische Freiheit, angesprochen werden könnte: „Lassen Sie sich von niemandem ihr amerikanisches Recht rauben . . .“ Und am Schluße kehrt die zur landläufigen Kriegsgewohnheit gewordene Wendung wieder: „Kauft mehr Kriegsanleihe.“
Mit diesem Satz leistet der ganz überwiegende Teil der amerikanischen Inserenten der Pflicht Genüge, auch etwas zur Hebung der amerikanischen Kriegsmoral beizusteuern. Unter den Firmen, die diesem Grundsatz der bequemen Schablone huldigen, befinden sich zumeist solche, die nicht oder nur teilweise verknappte Güter anzubieten haben. Sie brauchen heute weniger als je besorgt zu sein, dass sie von der Konkurrenz niedergeboxt werden, denn zur Zeit hat die amerikanische Erde reichlich Raum für alle Produzenten von Whisky oder Sockenhaltern, von Haarfärbemitteln oder Füllbleistiften. Anders dagegen ist es um jene Industrien bestellt, die sich auf die Erzeugung von Kriegsmaterial jeder Art haben umstellen müssen. Unter ihnen befindet sich eine namhafte Zahlt der Großinserenten, so vor allem die Automobilindustrie, die Fotoindustrie, die Elektroindustrie und ähnliche Zweige. Sie sind, wenn sie sich heute über die Reklame an ihr Publikum wenden, völlig aus den gewohnten Bahnen geworfen. Der frühere Zweck der Webung, der vor allem darin bestand, der Konkurrenz den Rang abzulaufen, ist heute sinnlos geworden; was würde es den General Motors eintragen, die Vorzüge des Chevrolet gegenüber dem Ford zu preisen, da doch keiner von ihnen Automobile für den zivilen Verbraucher erzeugt? So haben alle Reklamegrößen dieses Schlages eine sonst nicht gewohnte Bewegungsfreiheit gewonnen. Sie machen von ihr Gebrauch, indem sie ohne weitere Hemmungen tief in die Kiste der unvergänglichen Gefühle greifen, die dem durchschnittlichen Amerikaner eigen sind.
Diese schöpferische Freiheit hat zu bemerkenswerten Ergebnissen geführt. Der Nash-Konzern, der sich unter normalen Verhältnissen mit der Herstellung von Automobilen und Kühleinrichtungen beschäftigt, hat Verfasser von Kurzgeschichten in seine wohlbezahlten Dienste genommen, mit dem Auftrag, einen Haufen von Stories zu erfinden, in denen echtes Amerikanertum lebendg ist. Und so erscheint denn da, wo früher von Stromlinie und unabhängiger Radaufhängung rühmend die Rede war, die Geschichte von einem Gottesdienst im Dschungel. Wir haben diesen poetischen Klimmzug hier abgebildet, weil man nicht immer die Möglichkeit hat, in so wenigen Zeilen eine so konzentrierte Darbietung amerikanischer Mentalität zu finden. Man macht Bekanntschaft mit einem Bericht, dessen Mischung von rührseligem Heldengehabe, priesterlicher Salbaderei, verkitscher Familienkomplexe und nationaler Großspurigkeit für die unmittelbare Wirkung auf die Gefühlsnerven berechnet ist; sollte es auch für die Geschmacksnerven gedacht sein, so müßte man wohl sagen, daß jedem richtigen Soldaten die Tinte in der Feder gerinnen würde, sollte er so etwas zu Papier bringen.
In diesen Reklamegeschichten ist im Laufe der Zeit alles aufgetreten, was – allerdings in anderer Form – den Gegenstand von Kriegsberichten bilden könnte. Gewiß hat ein amerikanischer Soldat seinen verwundeten Kameraden aus der Feuerlinie zu bergen versucht, gewiß hat ein anderer einen mutigen Vorstoß mit seinem Flammenwerfertrupp unternommen, gewiß haben viele hier wie dort ihre Pflicht getan – spiegeln sich aber ihre Taten in Kurzgeschichten solches Schlages wider, so werden sie eine unerträgliche Ausdünstung verkitschter Gesinnung . „Höre, Amerika! Öffnet eure Herzen, Frauen und Töchter! Öffnet eure Brieftaschen, Väter! Gebt euer Blut, Brüder und Schwestern! Gebt euer Geld . . . gebt eure Arbeit. So werden die Freiheit, das Land und die Zukunft, wie ihr sie euch wünscht, da sein, wenn wir wieder nach Hause kommen.” Und übergangslos auf diesen angeblichen Schwulst eines amerikanischen Soldaten, folgt, gleich einer Erholung, die geschäftliche Mitteilung: „Hier bei Nash Kelvinator bauen wir Motoren für Marineflugzeuge usw.“
Noch nie ist die amerikanische Presse in ihren durchschnittlichen Vertretern sehr wählerisch in ihren Mitteln gewesen, wenn es ihr darauf ankam, sich bei den Instinkten der Masse einzuschmeicheln. Je weniger vom wagemutigen Pionier der amerikanischen Frühzeit übriggeblieben war, je bequemer das Leben jedes einzelnen durch die Errungenschaften der Technik wurde, je mehr die geistige und physische Haltung des Volkes auf ein bequemes Durchschnittsmaß hinabsank, um so größer mußte die Sehnsucht nach dem Außerordentlichen, nach dem Helden in jeglicher Gestalt werden. Man hat, wie die Welt weiß, diese Helden genommen, wo man sie fand; der amerikanischen Öffentlichkeit war Capone genau so lieb wie Lindbergh, Joe Louis genaus so lieb wie der fünfmal geschiedene Hollywoodstar. Das Verbrechen ist ein ganz unentbehrlicher Bestandteil der amerikanischen Publizität geworden. Eine amerikanische Zeitschrift ohne „Fotocrime“, ohne einen Gattenmord, eine Kindesentführung oder einen Gangsterüberfall ist schwer vorstellbar, und der liebevollen Versenkung, die insbesondere den scheußlichsten Seiten solcher Vorgänge zuteil wird, wäre kein so starker Zuspruch beschieden, wenn nicht in der breiten Masse der Amerikaner eine sadistische Ader verborgen wäre, die sich von der Wirklichkeit der Lynchjustiz ebenso gern anschlagen läßt wie von dem Bilde jedes handfesten Verbrechens. Für die tiefe Verwurzelung dieses Instinktes läßt sich wohl kein schlüssigerer Bewesi finden als der, daß die amtliche Propaganda, die sich von der sonstigen Werbung durch das Streben nach vernünftiger Argumentation angenehm von danderer Reklame abhebt, auf das Requisit der Grauenhaftigkeit nicht glaubt verzichten zu können. In der Serie von Inseraten, mit denen für die Zeichnung von Kreigsanleihe geworben wird, befindet sich ein hier abgebildetes Stück, das die zerfetzte und halbverweste Leiche eines amerikanischen Soldaten auf irgendeinem Schlachtfeld zeigt. Und die Überschrift lautet“ „Von diesem Amerikaner kann man nicht erwarten, daß er die fünfte Kriegsanleihe zeichnet.“ Nun verläuft die Zeichnung der amerikanischen Kriegsanleihe nicht so unbefriedigend, als daß sich die Regierung genötigt sähe, schon den stärksten Tobak zu verschleißen. Nein, diese Art von Anfeuerung des zahlungsfähigen Publikums ist nur aus einer massenpsychologischen Eigentümlichkeit des Amerikanertums zu erklären, die uns unter anderem verrät, daß mehr als nur ein Ozean zwischen jenem Erdteil und Europa liegt.
Eine Hose mit einem Flicken wird fotografiert. In der Unterschrift wird empfohlen, man solle sich in Kriegszeiten, bevor man etwas kauft, immer fragen, ob man dies oder das wirklich nötig habe. Eine Hose könnte man flicken, man könnte sie stopfen oder könnte sie wenden. Das sind zweifellos vernünftige Ratschläge. In anspruchsloser Gestalt, wie eben so eine geflickte Hose aussieht, werden sie dem Beschauer sichtbar gemacht. Diese Hose wirkt in dem bombastischen Trubel leicht hysterischer Anzeigenseiten wie das bescheidene Wahrzeichen jener, die sich noch daran erinnern, daß jedes Ding zwei Seiten hat. Sie sind eine kleine Minorität, derer zu gedenken aus zwiefachem Grunde gut ist. Sie zeigen uns nicht nur, daß der Herdentrieb des Amerikanertums noch einige Einzelwesen übriggelassen hat, die das sonst so erschreckende Bild der Massenhaftigkeit mit sanfteren Tupfern beschönigen; ebenso sehr aber bieten sie das Gegenbeispiel für einen Menschenhaufen, der sich durch einen seiner Schriftsteller mit folgenden, bester amerikanischer Reklame entsprechenden Worten anpreisen ließ: „Wir sind das größte Volk der Erde. Unsere Regierung ist die beste. Was Religion, Glaube und Sittlichkeit angeht, sind wir genau das, was der Mensch sein muß. Wir sind die besten Soldaten, die die Welt je gesehen hat. Wir sind das weiseste, das freieste und das sozial am weitesten entwickelte Volk.“ Die alte Hose ist leichter zu behandeln als dieser Geist: sie läßt sich wenigstens noch wenden.
Quelle: Hans Otto Wesemann, „Verkitschte Massenseele. Kriegsinserate der Amerikaner“, Das Reich, Nr. 33, Berlin 13. August 1944.