Quelle
[…] Der Eindruck beim Anblick eines ausgebrannten Stadtteiles ist farblos gegenüber dem Brand selbst, dem Heulen des Feuersturmes, dem Schreien und Wimmern der sterbenden Menschen und dem Krachen der dazwischenfallenden Bomben. […]
Die Ursache für das besondere Ausmaß der schweren Schäden, vor allem aber die im Verhältnis zu früheren Angriffen außergewöhnlich hohe Zahl an Todesopfern, ist das Auftreten von Feuerstürmen. Durch sie wurde, hauptsächlich beim zweiten Großangriff in der Nacht vom 27. zum 28. Juli, eine Lage geschaffen, die in jeder Hinsicht als neu und unvorstellbar bezeichnet werden muß.
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Der Feuersturm und seine Erscheinungsweise sind feste, aus der Geschichte der Städtebrände bekannte Begriffe. Die Erklärung des physikalischen Vorganges ist einfach. Durch das Ineinanderfließen einer Zahl von Bränden wird die darüber befindliche Luft so stark erwärmt, daß sie infolge ihres verringerten spezifischen Gewichtes einen gewaltigen Auftrieb erhält, der zu einem stärksten Sog umliegender Luftmengen in radialer Richtung auf das Zentrum des Brandes führt. Durch diesen Feuersturm, insbesondere die gewaltige Sogwirkung, werden Luftbewegungen von größerer Stärke als die bekannten Windstärken ausgelöst. Wie in der Meteorologie ist also auch bei Feuerstürmen die entstehende Luftbewegung durch den Ausgleich von Temperaturdifferenzen zu erklären. Während diese in der Meteorologie im allgemeinen 20 bis 30 Grad Celsius betragen, handelt es sich bei Feuerstürmen um Temperaturdifferenzen von 600, 800 oder gar 1000 Grad Celsius. Aus diesem Umstande erklärt sich die ungeheure Gewalt der Feuerstürme, die mit bekannten und normalen meteorologischen Vorgängen nicht verglichen werden kann. […]
Die städtebaulichen Verhältnisse in einem betroffenen Gebiet werden also in gleicher Weise die Entstehung eines Feuersturmes begünstigen oder verzögern, wie Art, Umfang und Größe der ursprünglichen Einzelbrände. In Hamburg sind die Feuerstürme in eng bebauten und dicht besiedelten Gebieten entstanden, in denen also bereits durch die Bauweise, Dichte und Massierung der betroffenen Gebäude günstige Voraussetzungen für die Entstehung eines Feuersturmes bestanden. In den in Hamburg betroffenen Gebieten befanden sich in durchweg engen Straßenzügen große Wohnhäuser mit zahlreichen Hinterhäusern, Terrassen (Hinterhöfen) usw. In diesen Höfen konnten sich in kürzester Frist Feuerkessel entwickeln, die im wahrsten Sinne des Wortes zu Menschenfallen wurden. Die engen Straßen bildeten Feuerschleusen, durch die lange Flammen hindurchgepeitscht wurden.
In solchen Gebieten entstanden in kürzester Frist durch den konzentrischen Angriff des Feindes und dichteste Brandbombenabwürfe eine ungeheure Zahl von Bränden. Dabei ist besonders zu beachten, daß es nicht ausschließlich Dachstuhlbrände waren, sondern daß durch Phosphor- und Flüssigkeitsbrandbomben an vielen Stellen große Wohnhäuser vom untersten Geschoß her schlagartig in Flammen gesetzt wurden. Die Brände konnten sich mit rasender Geschwindigkeit entwickeln, da durch dichteste Spreng- und Minenbombenabwürfe Dächer abgedeckt, Wände eingedrückt, Fenster und Türen aus den Füllungen gerissen oder zertrümmert waren und damit das Feuer ungehindert reiche Nahrung fand. Das Zwischenstadium der Entstehungsbrände, deren Bekämpfung bei früheren Angriffen möglich war und zu den größten Erfolgen des Selbstschutzes in Hamburg geführt hatte, fiel aus diesen Gründen gänzlich aus. An vielen Stellen entstanden so in kürzester Frist Flächenbrände. In jedem einzelnen dieser Flächenbrandgebiete entstand auf Grund der geschilderten physikalischen Gesetze ein Feuersturm. Der Sog des Feuersturmes in den größeren oder den größten dieser Flächenbrandgebiete hatte die Wirkung, daß die bereits überhitzte Luft kleinerer Flächenbrandgebiete angesogen wurde. Die überlagernd heftigsten Feuersturmkerne zogen also das Feuer aus den kleineren Flächenbrandgebieten zu sich heran. Eine Auswirkung dieser Erscheinung war, daß das Feuer in den kleineren Flächenbrandgebieten gebläseartig angefacht wurde, da der zentrale Sog der größten und stärksten Flächenbrände die vermehrte und beschleunigte Heranziehung der umliegenden Frischluftmassen zur Folge hatte. Alle Flächenbrände wuchsen so zu einem einzigen großen Flächenbrand zusammen.
Um nun von der Gewalt dieses durch die Verschmelzung einer Unzahl kleinerer Feuerstürme entstandenen großen Feuersturmes eine Vorstellung zu bekommen, muß man sich vor Augen halten, daß z. B. das beim Großangriff in der Nacht zum 28. Juli betroffene Gebiet eine Größe von 5½ km Länge und 4 km Breite, also 22 qkm Ausdehnung hat.
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Die Geschwindigkeit, mit der Brände und Feuersturm entstanden, machte hier jegliche Pläne und jegliche Verteidigungsabsicht der Bevölkerung zunichte. Häuser, die in den vorhergehenden Angriffen durch tapferen Einsatz der Selbstschutz- und anderer Kräfte hatten gehalten werden können, wurden nun ein Raub der Flammen. Bevor die Notwendigkeit zur Flucht erkannt werden konnte, war vielfach jeder Weg zur Rettung abgeschnitten.
Nach dem Alarm erwarteten die Selbstschutzkräfte in ihren Schutzräumen, die Brandwachen in ES- und WLS-Betrieben auf den ihnen zugewiesenen Plätzen Beginn und Entwicklung des Angriffes. Reihenweise Spreng- und Minenbombeneinschläge erschütterten die Häuser bis in die Grundmauern. Bereits kurze Zeit nachdem die ersten Sprengbomben gefallen waren, war durch dichtesten Brandbombenabwurf – vermischt mit Sprengbomben – eine ungeheure Anzahl von Bränden entstanden. Die Menschen, die nun ihre Schutzräume verlassen wollten, um nach der Lage zu sehen oder das Feuer zu bekämpfen, wurden von einem Flammenmeer empfangen. Alles ringsherum brannte. Wasser fehlte, und bei der gewaltigen Anzahl von Bränden und ihrer Ausdehnung war jeder Löschversuch von Anfang an aussichtlos.
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Wenn noch heute an manchen Tagen bis zu 100 Gefallene und darüber hinaus gefunden und geborgen werden, so gibt auch das nur ein schwaches Bild. Die Vernichtung im ganzen ist so radikal, daß auch von vielen Menschen buchstäblich nichts geblieben ist. Bei einer losen Aschenschicht in einem großen Luftschutzraum konnte von den Ärzten die Zahl der Menschen, die hier ums Leben kamen, nur schätzungsweise mit 250 bis 300 angegeben werden. Eine genaue Ermittlung wird erst ermöglicht, wenn alle in jener Zeit in Hamburg anwesenden Personen sich, soweit sie leben, wieder gemeldet haben.
Die Schreckensszenen, die sich im Feuersturmgebiet abgespielt haben, sind unbeschreiblich. Kinder wurden durch die Gewalt des Orkans von der Hand der Eltern gerissen und ins Feuer gewirbelt. Menschen, die sich gerettet glaubten, fielen vor der alles vernichtenden Gewalt der Hitze um und starben in Augenblicken. Flüchtende mußten sich ihren Weg über Sterbende und Tote bahnen. Kranke und Gebrechliche mußten von den Rettern zurückgelassen werden, da diese selbst in Gefahr gerieten, zu verbrennen.
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Und jeder dieser flammendurchzuckten Nächte folgte ein Tag, der das Grauen in dem fahlen und unwirklichen Licht eines qualmverdeckten Himmels zeigte. Hochsommerliche Hitze, durch die Glut der Feuerstürme ins Unerträgliche gesteigert, feinster, alles durchdringender Staub aus der aufgewühlten Erde und den Ruinen und Trümmern zerstörter Stadtgebiete, Ruß und Aschenregen und wieder Hitze und Staub, über allem ein pestilenzartiger Geruch verwesender Leichen und schwelender Brände drückten auf die müden Menschen.
Und diesen Tagen folgten neue Nächte mit neuem Grauen, noch mehr Qualm und Ruß, Hitze und Staub, mit noch mehr Tod und Vernichtung. Den Menschen wurde keine Zeit gelassen, zu ruhen oder planmäßig Hab und Gut zu retten oder nächste Angehörige zu suchen. Der Feind hetzte durch unaufhörliche Angriffe, bis das Werk der Vernichtung vollendet war. Sein Haß triumphierte in den Feuerstürmen, die Menschen wie Materie in gleicher Weise unbarmherzig vernichteten.
Das utopisch anmutende Bild einer schnell verödenden Großstadt ohne Gas, Wasser, Licht und Verkehrsverbindungen, mit den Steinwüsten einst blühender Wohngebiete war Wirklichkeit geworden.
Die Straßen waren mit Hunderten von Leichen bedeckt. Mütter mit ihren Kindern, Männer, Greise, verbrannt, verkohlt, unversehrt und bekleidet, nackend und in wächserner Blässe wie Schaufensterpuppen, lagen sie in jeder Stellung, ruhig und friedlich oder verkrampft, den Todeskampf im letzten Ausdruck des Gesichts. Die Schutzräume boten das gleiche Bild, grausiger noch in seiner Wirkung, da es zum Teil den letzten verzweifelten Kampf gegen ein erbarmungsloses Schicksal zeigte. Saßen an einer Stelle die Schutzrauminsassen ruhig, friedlich und unversehrt wie Schlafende auf ihren Stühlen, durch Kohlenoxydgas ahnungslos und ohne Schmerzen getötet, so zeigt die Lage von Knochenresten und Schädeln in anderen Schutzräumen, wie ihre Insassen noch Flucht und Rettung aus dem verschütteten Gefängnis gesucht hatten.
Es wird keiner Phantasie jemals gelingen können, die Szenen des Schreckens und Grauens zu ermessen und zu beschreiben, die sich in zahlreichen verschütteten LS-Räumen abgespielt haben. Die Nachwelt wird nur ehrfürchtig schweigen können vor dem Schicksal dieser Unschuldigen, die der Mordgier eines sadistischen Feindes zum Opfer fielen.
Die Haltung der Bevölkerung, die zu keiner Zeit und an keiner Stelle weder eine Panik noch panikartige Erscheinungen aufkommen ließ, war, wie auch ihr Einsatz, der Größe dieses Opfers würdig. Sie entsprach hanseatischem Geist und Charakter, die während der Angriffe in kameradschaftlicher Hilfeleistung und Verbundenheit ihren schönsten Ausdruck fanden und nach den Angriffen durch die Tat einen unbeugsamen Aufbauwillen bekundet haben.
Quelle: Bericht des Polizeipräsidenten im Hamburg als örtlicher Luftschutzleiter über die schweren Großluftangriffe auf Hamburg im Juli/August 1943: Erfahrungen.Teil 1: Berichtsband. Hamburg: Hamburg/Polizei, 1943; abgedruckt in Erhard Klöss, Der Luftkrieg über Deutschland 1939-1945. Nach den „Dokumenten deutscher Kriegsschäden“, herausgegeben vom Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1963, S. 35-58.