Kurzbeschreibung

Die dramatische und vollständige Umstellung des Regimes auf eine Kriegswirtschaft im Rahmen des Vierjahresplans bedeutete eine Umverteilung von Ressourcen, Rohstoffen und Arbeitskräften zugunsten der Waffen- und Munitionsproduktion sowie der technologischen Forschung und Entwicklung. Für die deutsche Zivilbevölkerung bedeutete diese Umstellung, dass die Produktion von Konsumgütern zurückging, was zu einer materiellen Verknappung der Güter des täglichen Bedarfs führte. Die Rationierungspolitik trug dazu bei, diese Probleme bis zu einem gewissen Grad abzumildern, aber wie dieses Dokument zeigt, wurden die nicht rationierten Güter fast sofort nach Kriegsbeginn knapp.

Die Verantwortung für die Überwachung sozialer Fragen wie der Warenknappheit lag zum Teil beim Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (kurz: SD), dem staatlichen Nachrichtendienst der SS und der NSDAP. Der SD überwachte die Reaktion der Öffentlichkeit auf die Regierungspolitik und hielt das Regime durch seine Berichte über die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung auf dem Laufenden. Die SD-Berichte dienten somit als wichtiges Stimmungsbarometer für die Unterstützung des Regimes durch die Bevölkerung und ermöglichten es den politischen Entscheidungsträgern, die Reaktion der Öffentlichkeit auf ihre Initiativen vorherzusehen. Dieser SD-Bericht vom 18. März 1940 warnt vor der Unzufriedenheit der Bevölkerung über den Mangel an Verbrauchsgütern, insbesondere an nicht rationierten Lebensmitteln, Genussmitteln, Obst und Gemüse, und das schon zu Beginn des Krieges.

Bericht des Sicherheitsdienstes über den Warenmangel (18. März 1940)

Quelle

18. März 1940

Klagen der Bevölkerung über die Abgabe von Mangelware

Aus dem gesamten Reichsgebiet liegen Meldungen vor, die besagen, daß in der Bevölkerung große Mißstimmung über die Schwierigkeiten beim Einkauf bezugsscheinfreier Waren besteht. Hierbei handelt es sich vor allem um Nahrungs- und Genußmittel – Gemüse, Obst und Südfrüchte –, die für die tägliche Ernährung genauso wichtig sind, wie die der Bewirtschaftung unterliegenden Lebensmittel.

In fast allen Meldungen wird darauf hingewiesen, daß besonders die berufstätigen Frauen, die ihre Einkäufe regelmäßig erst in den Abendstunden tätigen können, darüber Klage führen, daß sie außer den kartenpflichtigen Lebensmitteln keine andere Ware mehr erhalten können. Auch ein großer Kreis von Hausfrauen, die nicht über genügend Zeit verfügen, um sich zum Teil stundenlang nach irgendwelchen knappen Waren anzustellen, sei davon betroffen. In den Nachrichten heißt es weiter, daß, obwohl der Einzelhandel vielfach dazu übergegangen sei, zum Zwecke einer gerechten Verteilung von Mangelware die Stammkundschaft gegenüber den Laufkunden bevorzugt zu bedienen, sich immer wieder Unzuträglichkeiten nicht nur mit der Kundschaft, sondern sehr oft auch mit den Aufsichtsbehörden ergeben würden. Während in vielen Fällen auch von amtlichen Stellen der Standpunkt gebilligt werde, knappe Waren in erster Linie der Stammkundschaft zuzuteilen, um damit dem Hamsterunwesen entgegenzutreten, würde andererseits von manchen Dienststellen die Auffassung vertreten, daß die Geschäftsleute jedem nachfragenden Verbraucher die verlangte Ware zu verkaufen hätten. Diese Einstellung gehe davon aus, daß die Geschäftsleute den Begriff „Stammkunde“ sehr oft mit dem sogenannten „besseren oder guten Kunden“, der nach der Höhe seiner Einkäufe bewertet wird, gleichsetzen würden. Dieselben Erscheinungen herrschen – nach Meldungen aus Köln, Duisburg, Mülheim, Krefeld und Gelsenkirchen– auf den Großmärkten. So heißt [es] z. B. in einer Meldung aus Köln, daß es nach den Äußerungen von Gemüsehändlern gegenwärtig sehr schwer sei, ohne Schmiergelder Gemüse auf dem Kölner Großmarkt zu erhalten. Für Obst und Südfrüchte (Apfelsinen) müßten Überpreise gezahlt werden, die sich je nach Größe des Warenpostens richteten. Außerdem würde von den Einzelhändlern verlangt, daß diese knappe, bzw. bewirtschaftete Lebensmittel, wie Butter, Eier und dergl. den Großhändlern als zusätzliche Gegenleistung für deren Lieferungen anbieten. Die gleichen Erscheinungen sind u. a. auch auf dem Duisburger Großmarkt beobachtet worden, wo die Großstädter z. T. gleichfalls ihre Lieferungen davon abhängig machten, ob die Geschäftsleute Geflügel, Butter und Seife mitbringen. Teilweise würden die Waren überhaupt nicht auf den Großmarkt gelangen, sondern unter der Hand verschoben werden (Einzelfälle wurden durch Eingreifen der örtlichen zuständigen Stellen erledigt).

Aufgrund dieser Auswirkung wird von der Verbraucherschaft, vor allem aber von den Kreisen, die infolge ihrer Berufstätigkeit an bestimmte Einkaufszeiten gebunden sind, die Forderung erhoben, auch Gemüse, Obst und andere Mangelware in die Bewirtschaftung einzubeziehen, zumindest in der Form, wie es bei der Abgabe von Wild, Geflügel und Fischen gehandhabt wird, daß nämlich von den Einzelhandelskaufleuten entweder Kundenlisten angelegt oder bestimmte Lebensmittelkarten abgestempelt werden. Mit dieser Regelung, die sowohl aus Verbraucher- wie auch aus Einzelhandelskreisen vorgeschlagen wird, könne einerseits eine gerechte Verteilung durchgeführt und andererseits das unnötige Schlangestehen – wie es neuerdings vielfach wieder bei Abgabe von Süßwaren festgestellt werden mußte – unterbunden werden. Einer Meldung aus Dortmund zufolge, sind dort bereits mit der neuen Bezugsperiode sogenannte Stammkarten für den Einkauf bezugsscheinfreier Waren ausgegeben. 

Quelle: Meldungen aus dem Reich (Nr. 67) 18. März 1940 in Meldungen aus dem Reich 1938–1945. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS. Hrsg. u. eingel. von Heinz Boberach. Band 4: Meldungen aus dem Reich Nr. 66 vom 15. März 1940 - Nr. 101 vom 1. Juli 1940. Herrsching: Pawlak Verlag, 1984. S. 897907.

Bericht des Sicherheitsdienstes über den Warenmangel (18. März 1940), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/deutschland-nationalsozialismus-1933-1945/ghdi:document-5122> [04.11.2024].