Kurzbeschreibung

Bei Kriegsbeginn wurden die führenden deutschen Kernphysiker in das Heereswaffenamt berufen, um dort im Rahmen des sogenannten Uranprojekts unter Werner Heisenbergs Leitung zu erforschen, inwieweit die von Otto Hahn und Lise Meitner 1938 entdeckte Kernspaltung für Kriegszwecke eingesetzt werden könnte. Im Gegensatz zu ihren amerikanischen Kollegen im sogenannten Manhattan-Project, gelang es den deutschen Physikern allerdings nicht, eine eigene Kernwaffe zu entwickeln. Im Juni 1942 hatten die Forscher Albert Speer informiert, dass sie mit den vorhandenen Ressourcen nicht in der Lage waren, in weniger als 3-5 Jahren eine Atombombe zu bauen, woraufhin das Projekt verworfen wurde.

Nach Kriegsende versuchten die Westalliierten sowie die Sowjetunion, die deutschen Forscher für ihre eigenen Zwecke zu gewinnen. So wurden vom 3. Juli 1945 bis zum 3. Januar 1946 beispielsweise zehn deutsche Kernphysiker auf dem englischen Landsitz Farm Hall interniert, um hier durch geheimes Abhören Informationen über das deutsche Kernforschungsprojekt zu gewinnen. Die folgenden Aufzeichnungen zeigen die Reaktionen der Forscher auf die Nachricht vom amerikanischen Atombombenabwurf auf Hiroshima. Dabei gingen die Wissenschaftler auch auf ihr Verhältnis zum NS-Regime ein und gaben einige Zukunftsprognosen für Deutschland. Insbesondere Otto Hahn, der hier seine Erschütterung über den Atombombenabwurf zeigte, engagierte sich später gegen den Missbrauch der Kernenergie zur Kriegführung.

Heimlich aufgezeichnete Unterhaltungen deutscher Kernphysiker auf Farm Hall (6./7. August 1945)

Quelle

I. Vorbemerkung

1. Dieser Bericht umfaßt die ersten Reaktionen der Gäste auf die Nachricht, daß die Alliierten eine Atombombe konstruiert und bereits zum Einsatz gebracht hätten.

2. Die Gäste waren über die Nachricht äußerst verblüfft. Zuerst wollten sie sie nicht glauben und waren der Meinung, es handle sich um einen Bluff unsererseits, um die Japaner zur Kapitulation zu bewegen. Nachdem sie die offizielle Bekanntgabe gehört hatten, wurde ihnen bewußt, daß es sich um eine Tatsache handelte. Ihre erste und, wie ich glaube, aufrichtige Reaktion waren Äußerungen des Entsetzens darüber, daß wir diese Erfindung zum Zwecke der Zerstörung eingesetzt hatten.

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II. 6. August 1945

1. Kurz vor dem Abendessen am 6. August informierte ich Prof. Hahn über eine Meldung der BBC, daß eine Atombombe abgeworfen worden sei. Hahn war von dieser Nachricht wie vernichtet und sagte, er persönlich fühle sich verantwortlich für den Tod von Hunderttausenden, weil es seine Entdeckung gewesen sei, die die Atombombe möglich gemacht habe. Er sagte mir, daß er sich, als er die schreckliche Tragweite seiner Entdeckung erkannt habe, ursprünglich mit Selbstmordgedanken getragen habe und daß jetzt, wo die Möglichkeit Wirklichkeit geworden sei, ihn die volle Schuld treffe. Mit Hilfe einer nicht unbeträchtlichen Menge Alkohol beruhigte er sich, und wir gingen hinunter zum Abendessen, wo er die Nachricht den versammelten Gästen bekanntgab.

2. Wie zu erwarten war, wurde die Nachricht mit Skepsis aufgenommen. Im folgenden sind die Gespräche während des Abendessens wiedergegeben.

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HEISENBERG: Ich glaube kein Wort von der ganze Sache. Sie müssen ihre ganzen 500000000 Pfund Sterling für die Isotopentrennung ausgegeben haben; dann ist es möglich.

WEIZSÄCKER: Wenn es leicht ist und die Alliierten wissen, daß es leicht ist, dann wissen sie auch, daß wir es bald herausfinden werden, wie es gemacht wird, wenn wir weiterarbeiten.

HAHN: Ich hätte nicht gedacht, daß es in den nächsten zwanzig Jahren möglich sein würde.

WEIZSÄCKER: Ich glaube nicht, daß es was mit Uran zu tun hat.

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DIEBNER: Wir haben immer geglaubt, wir würden zwei Jahre für eine Bombe brauchen.

HAHN: Wenn sie sie wirklich haben, dann waren sie sehr geschickt, es geheimzuhalten.

WIRTZ: Ich bin froh, daß wir sie nicht hatten.

WEIZSÄCKER: Das ist eine andere Sache. Wie überrascht wäre Benzer (?) gewesen! Sie betrachteten sie stets als ein Zauberkunststück.

WIRTZ: Döpel, Benzer (?) und Co.

HAHN: Döpel war der erste, der die Neutronenvermehrung entdeckte.

HARTECK: Wer ist schuld?

STIMME (?): Hahn ist schuld.

WEIZSÄCKER: Ich meine, es ist schrecklich von den Amerikanern, das getan zu haben. Ich meine, es ist Wahnsinn.

HEISENBERG: Das kann man nicht sagen. Ebensogut könnte man sagen: Es ist der schnellste Weg, den Krieg zu beenden.

HAHN: Das ist es, was mich tröstet.

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HAHN: Es tröstet mich, als – ich glaube, es war Weizsäcker, der sagte, daß es jetzt dieses 23-Minuten-Uran gab, das ich auch in meinem Institut fand; dieser Absorptionskörper, der die Sache unmöglich machte, tröstete mich, weil ich, als sie damals sagten, man könne Bomben herstellen, völlig erschüttert war.

WEIZSÄCKER: Ich meine, daß wir es in dem Tempo, das wir damals vorlegten, während dieses Krieges nie geschafft hätten.

HAHN: Ja.

WEIZSÄCKER: Es ist ein sehr schwacher Trost, wenn man sich vorstellt, daß man persönlich in der Lage ist, etwas zu machen, was andere Leute eines Tages sowieso machen.

HAHN: Einmal wollte ich sogar den Vorschlag machen, das gesamte Uran auf den Grund des Meeres zu versenken. Ich habe immer geglaubt, man könne nur eine Bombe von solcher Größe machen, daß eine ganze Provinz in die Luft fliegen würde.

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WIRTZ: Wir hatten nur einen Mann, der daran arbeitete, und die haben vielleicht zehntausend gehabt.

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HEISENBERG: Zwischen Entdeckungen und Erfindungen besteht ein himmelweiter Unterschied. Bei Entdeckungen kann man immer skeptisch sein, und es kann viele Überraschungen geben. Von Erfindungen aber können nur Leute wirklich überrascht werden, die damit nichts zu tun gehabt haben. Die Sache ist doch ein bißchen seltsam, nachdem wir fünf Jahre daran gearbeitet haben.

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HARTECK: Man hätte einen umfangreichen Mitarbeiterstab haben müssen, auch standen uns nur unzureichende Mittel zur Verfügung. Man hätte Hunderte von organischen Uranverbindungen herstellen, sie dann von Laborassistenten systematisch analysieren und schließlich chemisch untersuchen lassen müssen. Es gab niemanden, der das hätte machen können. Aber es war uns natürlich klar, wie es gemacht werden mußte. Doch das würde die Einstellung von hundert Leuten bedeutet haben, und das war unmöglich.

HAHN: Aus den vielen wissenschaftlichen Dingen, die mir meine zwei amerikanischen Mitarbeiter bis 1940 schickten, konnte ich ersehen, daß die Amerikaner an der Sache interessiert waren.

WEIZSÄCKER: Van der Grinten schrieb mir 1940, daß er bei General Electric mit Isotopentrennung beschäftigt sei.

HARTECK: War van der Grinten ein guter Mann?

WEIZSÄCKER: Er war eigentlich nicht sehr gut, aber die Tatsache, daß er gebraucht wurde, zeigte, daß man daran arbeitete.

HAHN: Dieser niederträchtige Bomke war in meinem Institut.

HARTECK: Mir ist noch nie ein so phantastischer Lügner begegnet.

HAHN: Dieser Mann kam 1938 zu mir, als das nichtarische Fräulein Meitner noch da war – es war nicht leicht, sie in meinem Institut zu behalten. Ich werde nie vergessen, wie Bomke zu uns kam und mir erzählte, er werde vom Staat verfolgt, weil er kein Nazi sei. Wir stellten ihn ein, und dann entpuppte er sich als alter Kämpfer.

WEIZSÄCKER: Dann könnten wir also von unseren Bomke-geschädigten Instituten sprechen (Gelächter).

3. Alle Gäste versammelten sich, um die offizielle Meldung in den 21-Uhr-Nachrichten zu hören. Sie waren wie erschlagen, als sie erkannten, daß Hahns Mitteilung den Tatsachen entsprach. Sie wurden allein gelassen in der Annahme, sie würden jetzt über die Lage sprechen. Es fielen die folgenden Äußerungen:

HARTECK: Sie haben es entweder mit Massenspektrographen in großem Maßstab geschafft, oder es ist ihnen mit einem photochemischen Verfahren gelungen.

WIRTZ: Also ich würde sagen: Photochemie oder Diffusion. Gewöhnlich Diffusion. Sie bestrahlen es mit einer bestimmten Wellenlänge – (alle reden durcheinander)

HARTECK: Oder sie setzen Massenspektrographen in ungeheuren Mengen ein. Es ist vielleicht möglich, daß ein Massenspektrograph an einem Tag ein Milligramm – sagen wir 235 – erzeugt. Sie könnten einen ganz billigen Massenspektrographen herstellen, der in großen Stückzahlen vielleicht hundert Dollar kostet. Dann könnte man es mit hunderttausend Massenspektrographen machen.

HEISENBERG: Ja, natürlich, wenn man es so macht, und sie scheinen ja tatsächlich in diesem Maßstab gearbeitet zu haben. 180 000 Leute haben daran gearbeitet.

HARTECK: Was hundertmal mehr ist, als wir hatten.

BAGGE: Goudsmit hat uns hinters Licht geführt.

HEISENBERG: Ja, und er hat das sehr geschickt gemacht.

HAHN: Chadwick und Cockcroft.

HARTECK: Und auch Simon. Er ist der Tieftemperaturmann.

KORSCHING: Das beweist jedenfalls, daß die Amerikaner zu wirklicher Zusammenarbeit in ungeheurem Ausmaß fähig sind. In Deutschland wäre das unmöglich gewesen. Jeder behauptete, der andere sei inkompetent.

GERLACH: Sie können das wirklich so nicht sagen, was die Urangruppe betrifft. Sie können sich keine größere Zusammenarbeit, kein größeres Vertrauen vorstellen, als es in dieser Gruppe herrschte. Man kann einfach nicht sagen, daß einer von ihnen behauptet hätte, der andere sei inkompetent.

KORSCHING: Nicht offiziell natürlich.

GERLACH (brüllend): Auch nicht inoffiziell. Widersprechen Sie mir nicht. Es gibt zu viele Leute hier, die Bescheid wissen.

HAHN: Wir konnten natürlich nicht in diesem Maßstab arbeiten.

HEISENBERG: Man kann sagen, daß in Deutschland größere Mittel zum erstenmal im Frühjahr 1942 zur Verfügung gestellt wurden, nach der Sitzung mit Rust, als wir ihn überzeugten, daß wir den absolut sicheren Beweis dafür hätten, daß die Sache machbar sei.

BAGGE: Es war auch hier [bei den Alliierten] nicht viel früher.

HARTECK: Wir wußten tatsächlich schon vorher, daß die Sache machbar war, wenn wir genügend Material bekommen konnten. Nehmen Sie das schwere Wasser. Es gab drei Verfahren, von denen das teuerste 2 Mark pro Gramm und das billigste vielleicht 50 Pfennig kostete. Und dann haben sie dauernd darum gestritten, was zu tun sei, weil niemand bereit war, 10 Millionen auszugeben, wenn man es für drei Millionen machen konnte.

HEISENBERG: Andererseits kann die ganze Sache mit dem schweren Wasser, die ich, soweit es mir möglich war, unterstützt habe, keinen Sprengstoff erzeugen.

HARTECK: Erst wenn die Maschine läuft.

HAHN: Die scheinen einen Sprengstoff gemacht zu haben, bevor sie die Maschine machten, und jetzt sagen sie: „In Zukunft werden wir Maschinen bauen.“

HARTECK: Wenn es stimmt, daß ein Sprengstoff mittels des Massenspektrographen hergestellt werden kann, hätten wir das nie gemacht, da wir nie 56 000 Arbeiter hätten beschäftigen können. Als wir uns beispielsweise die Clusius-Linde-Sache in Verbindung mit unserem Austauschzyklus überlegten, hätten wir ständig 50 Arbeiter beschäftigen müssen, um im Jahr 2 t zu produzieren. Hätten wir 10 t herstellen wollen, dann hätten wir 250 Männer beschäftigen müssen. Das konnten wir nicht machen.

WEIZSÄCKER: Wieviel Leute haben an der V 1 und V 2 gearbeitet?

DIEBNER: Tausende haben daran gearbeitet.

HEISENBERG: Wir hätten gar nicht den moralischen Mut aufgebracht, im Frühjahr 1942 der Regierung zu empfehlen, 120 000 Mann einzustellen, nur um die Sache aufzubauen.

WEIZSÄCKER: Ich glaube, es ist uns nicht gelungen, weil alle Physiker im Grunde gar nicht wollten, daß es gelang. Wenn wir alle gewollt hätten, daß Deutschland den Krieg gewinnt, hätte es uns gelingen können.

HAHN: Das glaube ich nicht, aber ich bin dankbar, daß es uns nicht gelungen ist.

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HEISENBERG: Es ist möglich, daß der Krieg morgen vorbei ist.

HARTECK: Am Tag darauf gehen wir nach Hause.

KORSCHING: Wir werden nie wieder nach Hause gehen.

HARTECK: Wenn wir weitergekommen wären, hätte uns der Secret Service umgebracht. Wir sollten froh sein, daß wir noch leben. Laßt uns den Abend in diesem Geiste feiern.

DIEBNER: Prof. Gerlach wäre SS-Obergruppenführer geworden und säße jetzt in Luxemburg als Kriegsverbrecher.

KORSCHING: Wenn man nicht den Mut hat, ist es besser, sofort aufzugeben.

GERLACH: Machen Sie doch nicht immer so aggressive Bemerkungen.

KORSCHING: Die Amerikaner konnten es eben besser als wir, das ist mal klar.

(Gerlach verläßt den Raum)

HEISENBERG: Die Beziehungen zwischen Wissenschaftler und Staat waren in Deutschland derart, daß wir einerseits nicht hundertprozentig dazu entschlossen waren und daß andererseits der Staat uns so wenig Vertrauen entgegenbrachte. Selbst wenn wir gewollt hätten, wäre es nicht leicht gewesen, die Sache durchzukriegen.

DIEBNER: Weil die offiziellen Leute nur an Sofortergebnissen interessiert waren. Sie wollten nicht auf einer langfristigen Basis arbeiten, wie es Amerika gemacht hat.

WEIZSÄCKER: Selbst wenn wir alles bekommen hätten, was wir wollten, ist es keinesfalls sicher, ob wir so weit gekommen wären, wie die Amerikaner und die Engländer jetzt gekommen sind. Es geht nicht darum, daß wir fast so weit wie sie waren, vielmehr ist es eine Tatsache, daß wir alle davon überzeugt waren, daß die Sache während des Krieges nicht zu Ende gebracht werden konnte.

HEISENBERG: Nun, das stimmt nicht ganz. Ich würde sagen, ich war absolut von der Möglichkeit überzeugt, daß wir eine Uranmaschine machen, aber ich habe nie gedacht, daß wir eine Bombe machen würden, und im Grunde meines Herzens war ich wirklich froh, daß es eine Maschine sein sollte und nicht eine Bombe. Das muß ich zugeben.

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(Hahn verläßt den Raum)

WEIZSÄCKER: Wenn wir die Sache rechtzeitig genug angefangen hätten, hätten wir es irgendwie schaffen können. Wenn die die Sache im Sommer 1945 zum Abschluß bringen konnten, hätten wir vielleicht das Glück gehabt, damit schon im Winter 1944/45 fertig zu werden.

WIRTZ: Die Folge wäre gewesen, daß wir London ausgelöscht, aber noch immer nicht die Welt erobert hätten, und dann hätten sie die Dinger auf uns abgeworfen.

WEIZSÄCKER: Ich meine, wir sollten uns jetzt nicht in Rechtfertigungen ergehen, weil es uns nicht gelungen ist, vielmehr müssen wir zugeben, daß wir gar nicht wollten, daß die Sache gelingt. Auch wenn wir die gleiche Energie hineingesteckt hätten wie die Amerikaner und es wirklich gewollt hätten wie sie, wäre es uns mit Sicherheit nicht gelungen, weil sie unsere Fabriken in Trümmer gelegt hätten.

DIEBNER: Natürlich haben sie uns die ganze Zeit über beobachtet.

WEIZSÄCKER: Man kann sagen, es wäre für die Welt ein viel größeres Unglück gewesen, wenn Deutschland die Uranbombe gehabt hätte. Stellen Sie sich mal vor, wenn wir London mit Uranbomben zerstört hätten, würde das den Krieg noch nicht beendet haben, und wenn der Krieg dann wirklich zu Ende gewesen wäre, ist es immer noch zweifelhaft, ob das eine gute Sache gewesen wäre.

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HEISENBERG: Ja. (Pause) Vor etwa einem Jahr hörte ich von Segner (?) vom Auswärtigen Amt, daß die Amerikaner mit dem Abwurf einer Uranbombe auf Dresden gedroht hätten, wenn wir nicht bald kapitulierten. Damals wurde ich gefragt, ob ich dies für möglich hielte, und ich antwortete in voller Überzeugung: nein.

WIRTZ: Ich halte es für typisch, daß die Deutschen die Entdeckung gemacht und sie nicht eingesetzt haben, während die Amerikaner sie zum Einsatz brachten. Ich muß sagen, ich dachte nicht, daß die Amerikaner es wagen würden, sie einzusetzen.

4. Hahn und Laue erörterten gemeinsam die Lage. Hahn bezeichnete die Nachricht als eine gewaltige Leistung, die in der Geschichte ohnegleichen sei, und Laue brachte angesichts dieser neuen Ereignisse die Hoffnung auf eine rasche Haftentlassung zum Ausdruck.

5. Nachdem Gerlach den Raum verlassen hatte, ging er sofort in sein Schlafzimmer, wo man ihn schluchzen hörte. Von Laue und Harteck gingen nach oben, um nach ihm zu sehen, und versuchten ihn zu trösten. Er schien sich in der Lage eines besiegten Generals zu sehen, dem nur noch die Wahl blieb, sich zu erschießen. Zum Glück hatte er keine Waffe, und schließlich gelang es seinen Kollegen, ihn einigermaßen zu beruhigen. Im Laufe des Gesprächs mit von Laue und Harteck äußerte er sich wie folgt:

GERLACH: Als ich diese Sache übernahm, sprach ich darüber mit Heisenberg und Hahn, und ich sagte zu meiner Frau: „Der Krieg ist verloren, und die Folge wird sein, daß, sobald der Feind in das Land vordringt, ich verhaftet und weggebracht werde.“ Ich habe das nur getan, weil ich mir sagte, das ist eine deutsche Angelegenheit, und wir müssen zusehen, daß die deutsche Physik erhalten bleibt. Keinen Augenblick dachte ich an eine Bombe, aber ich habe mir gesagt: „Wenn Hahn diese Entdeckung gemacht hat, dann wollen wir wenigstens die ersten sein, die von ihr Gebrauch machen.“ Wenn wir nach Deutschland zurückkommen, wird es uns schlimm ergehen. Man wird uns als diejenigen ansehen, die alles sabotiert haben. Wir werden dort nicht lange am Leben bleiben. Sie können sicher sein, daß es viele Leute in Deutschland gibt, die sagen, daß es unsere Schuld ist. Lassen Sie mich bitte allein.

6. Etwas später ging Hahn nach oben, um Gerlach zu beruhigen; dabei entwickelte sich das folgende Gespräch:

HAHN: Sind Sie außer sich, weil wir die Uranbombe nicht gebaut haben? Ich danke Gott auf den Knien, daß wir keine Uranbombe gebaut haben. Oder sind Sie deprimiert, weil die Amerikaner besser waren?

GERLACH: Ja.

HAHN: Sie sind doch mit Sicherheit nicht für eine so unmenschliche Waffe wie die Uranbombe?

GERLACH: Nein. Wir haben nie an der Bombe gearbeitet. Ich habe nicht geglaubt, daß es so schnell gehen würde. Aber ich war allerdings der Meinung, daß wir alles unternehmen sollten, um die Energiequellen verfügbar zu machen und deren Möglichkeiten für die Zukunft zu nutzen. Als das erste Ergebnis vorlag und sich herausstellte, daß die Konzentration durch die Würfelmethode stark anstieg, sprach ich zuerst mit Speers rechter Hand, da Speer damals nicht zu erreichen war, einem Oberst Geist, und später fragte mich Sauckel in Weimar: „Was wollen Sie mit diesen Dingern anfangen?“ Ich antwortete: „Meiner Meinung nach kann ein Politiker, der im Besitz einer solchen Maschine ist, alles erreichen, was er will.“ Etwa zehn oder vierzehn Tage vor der Kapitulation erwiderte Geist: „Leider haben wir keinen solchen Politiker.“

HAHN: Ich bin dankbar, daß wir nicht die ersten waren, die die Uranbombe abwarfen.

GERLACH: Sie können ihre Entwicklung nicht verhindern. Ich hatte Angst, an die Bombe zu denken, aber ich habe sie mir als eine Sache der Zukunft vorgestellt; derjenige, der mit dem Einsatz der Bombe drohen konnte, würde alles erreichen können. Genau das habe ich Geist, Sauckel und Murr mitgeteilt. Heisenberg war damals in Stuttgart.

(Harteck kommt herein)

Sagen Sie, Harteck, ist es nicht schade, daß es die anderen geschafft haben?

HAHN: Darüber bin ich froh.

GERLACH: Ja, aber wofür haben wir dann gearbeitet?

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GERLACH: Wir dürfen vor diesen zwei Engländern nicht sagen, daß wir in dieser Sache mehr hätten tun sollen. Wirtz sagte, daß wir mehr an der Isotopentrennung hätten arbeiten sollen. Es ist etwas anderes, wenn man sagt, daß wir nicht genügend Mittel hatten, aber man kann vor einem Engländer nicht sagen, daß wir uns nicht genügend Mühe gegeben hätten. Sie waren unsere Feinde, obwohl wir den Krieg sabotierten. Es gibt einige Dinge, die man weiß und über die man gemeinsam diskutieren kann, aber die man nicht in Gegenwart von Engländern erörtern kann.

HAHN: Ich muß ehrlich sagen, daß ich den Krieg sabotiert hätte, wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre.

7. Hahn und Heisenberg setzten die Diskussion allein fort. Hahn erklärte Heisenberg, daß die ganze Sache ihn sehr mitgenommen habe. Er sagte, er könne wirklich nicht verstehen, warum Gerlach sich so aufgeregt habe. Heisenberg erwiderte, er könne das schon verstehen, denn Gerlach sei der einzige unter ihnen, der einen deutschen Sieg wirklich gewollt habe. Obwohl er die Verbrechen der Nazis einsehe und sie mißbillige, habe er sich nicht der Tatsache verschließen können, daß er für Deutschland arbeite.

Hahn erwiderte, daß auch er sein Land liebe und daß er, so seltsam es erscheinen mag, gerade aus diesem Grunde dessen Niederlage erhofft habe. Heisenberg fuhr fort und meinte, er glaube, der Besitz der Uranbombe werde die Position der Amerikaner gegenüber den Russen stärken. Sie setzten ihre Diskussion über dasselbe Thema wie zuvor fort, daß sie nie an einer Bombe hätten arbeiten wollen und daß sie froh gewesen seien, als die Entscheidung fiel, alle Anstrengungen auf den Bau der Maschine zu richten. Die Menschen in Deutschland, so Heisenberg, könnten jedoch sagen, die Physiker hätten die Behörden zwingen sollen, ihnen die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen und 100 000 Mann freizusetzen, um die Bombe herzustellen; er selber sei der Meinung, daß sie moralisch in der gleichen Lage gewesen seien wie die Amerikaner, und wenn sie sich gesagt hätten, daß es nur darauf ankomme, daß Hitler den Krieg gewinnt, dann hätte es gelingen können, während sie in Wirklichkeit gar nicht gewollt hätten, daß er gewinnt. Hahn räumte allerdings ein, er habe nie geglaubt, daß eine deutsche Niederlage eine so schreckliche Tragödie für sein Land bedeuten würde. Sie sprachen dann über die Gefühle und Ansichten der britischen und amerikanischen Wissenschaftler, die die Bombe hergestellt hatten, und Heisenberg sagte, er glaube, in ihrem Fall liege die Sache anders, da sie Hitler als Verbrecher betrachteten. Sie beide hofften, daß die neue Entdeckung der Menschheit letztlich zum Nutzen gereichen werde. Heisenberg stellte weiterhin Vermutungen darüber an, auf welche Weise Amerika die neue Entdeckung wohl anwenden werde, und fragte sich, ob die Amerikaner sie benutzen würden, um Kontrolle über Rußland zu erlangen, oder eher warten wollten, bis Stalin sie nachgebaut habe. Dann stellten sie Überlegungen an, wie viele Bomben wohl existierten.

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HEISENBERG: Vielleicht haben sie nichts weiter gemacht als 235 produziert und damit eine Bombe gemacht. Dann muß es jede Menge wissenschaftliche Dinge geben, über die zu arbeiten interessant wäre.

HAHN: Ja, aber sie müssen verhindern, daß die Russen es machen.

HEISENBERG: Ich möchte wissen, was Stalin heute abend denkt. Natürlich haben sie gute Leute wie Landau, und die können es auch schaffen. Da ist nicht viel dran, wenn man über die Spaltung Bescheid weiß. Das Ganze ist eine Frage der Isotopentrennung.

HAHN: Nein, in dieser Hinsicht sind ihnen die Amerikaner und überhaupt alle Angelsachsen weit überlegen. Ich habe das Gefühl, daß der Krieg gegen Japan in den nächsten Tagen zu Ende ist und wir dann wahrscheinlich ziemlich bald nach Hause geschickt werden und alles viel leichter sein wird als zuvor. Wer weiß, ob das am Ende vielleicht ein Segen ist?

8. Die Gäste beschlossen, ihre Besorgnis nach außen nicht zu zeigen. Folglich bestanden sie darauf, wie gewöhnlich bis nach Mitternacht Karten zu spielen. Von Weizsäcker, Wirtz, Harteck und Bagge blieben noch zusammen, nachdem die anderen zu Bett gegangen waren. Es fand das folgende Gespräch statt:

BAGGE: Wir müssen vor diesen Leuten den Hut ziehen, weil sie den Mut hatten, so viele Millionen zu riskieren.

HARTECK: Es hätte uns gelingen können, wenn die obersten Behörden gesagt hätten: „Wir sind bereit, alles zu opfern.“

WEIZSÄCKER: In unserem Fall haben selbst die Wissenschaftler gesagt, daß die Sache nicht zu schaffen sei.

BAGGE: Das stimmt nicht. Sie waren selber auf dieser Konferenz in Berlin. Ich glaube, es war am 8. September, daß jeder gefragt wurde – Geiger, Bothe und Sie, Harteck, waren auch da –, und jeder sagte, es müsse sofort gemacht werden. Jemand sagte: „Es ist natürlich eine offene Frage, ob man so etwas überhaupt machen sollte.“ Daraufhin stand Bothe auf und sagte: „Meine Herren, es muß gemacht werden.“ Dann stand Geiger auf und sagte: „Wenn auch nur die geringste Aussicht besteht, daß es möglich ist – dann muß es gemacht werden.“ Das war am 8. September 1939.

WEIZSÄCKER: Ich weiß nicht, wie Sie so was sagen können. 50 Prozent der Leute waren dagegen.

HARTECK: All die Wissenschaftler, die nichts davon verstanden, sprachen sich dagegen aus, und von denen, die nun wirklich was davon verstanden, sprach sich ein Drittel dagegen aus. Da 90 Prozent nichts davon verstanden, sprachen sich 90 Prozent dagegen aus. Wir wußten, daß die Sache im Prinzip zu machen war, aber auf der anderen Seite erkannten wir auch, daß es sich um eine furchtbar gefährliche Sache handelte.

BAGGE: Wenn die Deutschen 10 Milliarden Mark dafür aufgewendet hätten und die Sache wäre nicht gelungen, hätte man allen Physikern den Kopf abgeschlagen.

WIRTZ: Die Sache ist doch die, daß in Deutschland nur sehr wenige Leute daran glaubten. Und selbst diejenigen, die von der Machbarkeit überzeugt waren, haben nicht alle daran gearbeitet.

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WIRTZ: Korsching hatte wirklich recht, als er sagte, es habe in der Urangruppe keine sehr gute Zusammenarbeit gegeben, wie Gerlach behauptet hat. Gerlach hat eigentlich gegen uns gearbeitet. Er und Diebner haben die ganze Zeit gegen uns gearbeitet. Schließlich versuchten sie sogar, uns die Maschine wegzunehmen. Wenn ein deutsches Gericht die ganze Frage untersuchen sollte, warum es in Deutschland nicht geklappt hat, wäre das eine sehr, sehr gefährliche Sache. Wenn wir 1939 richtig angefangen und uns tüchtig ins Zeug gelegt hätten, wäre alles in Ordnung gewesen.

HARTECK: Dann wären wir alle vom britischen Geheimdienst umgebracht worden.

WIRTZ: Ich bin froh, daß es nicht so war, sonst wären wir alle tot.

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9. Gerlach und Heisenberg hatten in Gerlachs Zimmer ein langes Gespräch, das sich die halbe Nacht hinzog. Im Laufe dieses Gesprächs wiederholten sie die meisten der Behauptungen, die während der allgemeinen Unterhaltung unten formuliert worden waren und über die bereits berichtet wurde. Im folgenden sind Auszüge aus dem Gespräch wiedergegeben:

GERLACH: Ich habe nie an die Bombe gedacht, ich wollte lediglich, daß wir alles Mögliche unternehmen, um Hahns Entdeckung für unser Land weiterzuentwickeln.

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HEISENBERG: Ich bin noch immer überzeugt, daß unser Ziel wirklich richtig war und daß die Tatsache, daß wir uns auf das Uran konzentrierten, uns vielleicht die Chance einer Zusammenarbeit gibt. Ich glaube, diese Uransache wird den Angelsachsen eine so ungeheure Macht verschaffen, daß Europa zu einem Block unter angelsächsischer Vorherrschaft wird. Falls das zutrifft, wird es eine sehr gute Sache sein. Ich frage mich, ob Stalin sich gegen die anderen wird behaupten können, wie er es in der Vergangenheit getan hat.

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GERLACH: Wenn Deutschland eine Waffe besessen hätte, mit der der Krieg gewonnen worden wäre, dann wäre Deutschland im Recht und die anderen im Unrecht – und ob die Verhältnisse in Deutschland jetzt besser sind, als sie es nach einem Sieg Hitlers gewesen wären?

HEISENBERG: Ich glaube nicht. Andererseits sind die Tage der kleinen Länder vorbei. Angenommen, Hitler wäre es gelungen, sein Europa zu schaffen, und es hätte in Europa kein Uran gegeben.

GERLACH: Wenn wir wirklich eine Uranmaschine geplant hätten – im Sommer 1944 hätten wir eine Bombe noch nicht gehabt – und das wäre propagandistisch richtig ausgeschlachtet worden–

HARTECK: – dann hätte das eine Basis für Verhandlungen sein können. Es wäre eine Verhandlungsgrundlage für jede deutsche Regierung gewesen, aber nicht für Hitler.

GERLACH: Ich rannte mit offenen Augen in mein Verderben, aber ich glaubte die deutsche Physik und die deutschen Physiker retten zu können, und das ist mir ja auch gelungen.

HEISENBERG: Vielleicht kann die deutsche Physik als Teil in einer großen westlichen Gruppe mitarbeiten.

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HEISENBERG: Mir scheint es am vernünftigsten zu sein, daß wir versuchen, mit den Angelsachsen zusammenzuarbeiten. Wir können das jetzt mit einem besseren Gewissen tun, weil man sieht, daß sie wahrscheinlich Europa beherrschen werden. Es ist klar, daß Leute wie Chadwick und Cherwell beträchtlichen Einfluß haben.

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10. Wirtz und Weizsäcker diskutierten in ihrem Zimmer gemeinsam über die Situation. Von Weizsäcker drückte dabei die Meinung aus, daß keiner von ihnen wirklich am Uran gearbeitet habe, mit Ausnahme von Wirtz und Harteck. Ferner beschuldigte er Gerlach und Diebner der Sabotage. Wirtz drückte Entsetzen darüber aus, daß die Alliierten die neue Waffe eingesetzt hatten. Sie sprachen des weiteren über die Möglichkeit, daß die Russen das Geheimnis entdecken könnten, und kamen zu dem Schluß, daß es ihnen nicht vor Ablauf von zehn Jahren gelingen würde. Das Gespräch nahm dann wie folgt seinen Fortgang:

WIRTZ: Mir scheint, daß die politische Situation sich für Stalin jetzt völlig geändert hat.

WEIZSÄCKER: Hoffentlich. Stalin hat sie gewiß noch nicht. Wären die Amerikaner und die Briten wirkliche Imperialisten, würden sie morgen mit dem Ding Stalin angreifen. Sie werden das aber nicht tun, weil sie die Bombe als politische Waffe benutzen. Das ist natürlich gut so, doch wird das Ergebnis ein Friede sein, der so lange hält, bis die Russen sie auch haben, und dann wird es sicher Krieg geben.

In diesem Augenblick trat Heisenberg zu Wirtz und Weizsäcker. Es fielen die folgenden Äußerungen:

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WEIZSÄCKER: Unsere Stärke ist jetzt die Tatsache, daß wir „Nicht-Nazis“ sind.

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WEIZSÄCKER: Ich gebe zu, daß ich nach dieser Sache eher bereit bin, nach Deutschland zurückzugehen, trotz des Vordringens der Russen.

WIRTZ: Meine schlimmsten Befürchtungen hinsichtlich der Komplikationen, die sich unsretwegen jetzt ergeben werden, sind Wirklichkeit geworden.

HEISENBERG: Ich glaube, wir sind jetzt weit mehr an die Angelsachsen gebunden als zuvor, da wir keine Möglichkeit haben, zu den Russen überzuwechseln, selbst wenn wir wollten.

WIRTZ: Die würden uns auch nicht lassen.

HEISENBERG: Andererseits können wir es mit gutem Gewissen tun, weil wir sehen können, daß Deutschland in nächster Zukunft unter angelsächsischem Einfluß stehen wird.

WIRTZ: Das ist eine opportunistische Einstellung.

HEISENBERG: Im Moment ist es aber sehr schwierig, anders zu denken, weil man nicht weiß, was besser ist.

WEIZSÄCKER: Wenn ich mich frage, für welche Seite ich lieber arbeiten würde, würde ich natürlich sagen: für keine von beiden.

11. Diebner und Bagge sprachen ebenfalls allein über die Situation:

BAGGE: Was, glauben Sie, wird jetzt mit uns geschehen?

DIEBNER: Die lassen uns nicht nach Deutschland zurückgehen. Sonst würden uns die Russen nehmen. Es ist doch ganz klar, wie die es geschafft haben, sie haben bloß ein anderes System als wir. Wenn ein Mann wie Gerlach früher dagewesen wäre, hätten sich die Dinge anders entwickelt.

BAGGE: Gerlach ist nicht verantwortlich, er übernahm die Sache zu spät. Andererseits ist es ganz klar, daß Heisenberg nicht der richtige Mann dafür war. Das Tragische daran ist, daß Korsching mit dem, was er zu Gerlach äußerte, recht hat. Ich meine, es ist absurd von Weizsäcker, zu sagen, wir hätten gar nicht gewollt, daß die Sache gelingt. Das mag für ihn zutreffen, aber nicht für uns alle. Auch Weizsäcker war nicht der richtige Mann, der es hätte schaffen können. Heisenberg konnte niemanden überzeugen, daß die ganze Sache von der Isotopentrennung abhing. Die ganze Isotopentrennung wurde als Nebensache betrachtet. Wenn ich an meine eigene Vorrichtung denke – sie entstand gegen Heisenbergs Wunsch.

DIEBNER: Jetzt werden sich die anderen an den Major heranzumachen versuchen und sich verkaufen. Natürlich können sie mit uns machen, was sie wollen, sie brauchen uns ja nicht mehr.

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BAGGE: Man kann Speer nicht dafür verantwortlich machen, da keiner der Wissenschaftler hier die Sache durchgezogen hat. Es war unmöglich, da wir in Deutschland niemand hatten, der tatsächlich schon Uran getrennt hatte. Es gab in Deutschland keine Massenspektrographen.

DIEBNER: Sie haben alle versagt. Walcher und Herzog wollten einen bauen, aber es ist ihnen nicht gelungen.

12. Obwohl die Gäste gegen 1.30 Uhr zu Bett gingen, verbrachten die meisten von ihnen anscheinend eine recht unruhige Nacht, nach den tiefen Seufzern und den gelegentlichen Rufen zu urteilen, die im Laufe der Nacht zu hören waren. Auch war auf den Korridoren ein beträchtliches Kommen und Gehen zu vernehmen.

III. 7. August

1. Am Morgen des 7. August verschlangen unsre Gäste förmlich die neuesten Zeitungen. Der größte Teil des Vormittags wurde mit deren Lektüre zugebracht.

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4. Gerlach und von Laue sprachen über die Position von Niels Bohr und die Rolle, die er gespielt hatte. Gerlach sagte, er sei darüber sehr bestürzt gewesen, da er sich bei der deutschen Regierung persönlich für Bohr verbürgt habe. Von Laue meinte, man dürfe nicht alles glauben, was in den Zeitungen steht.

5. In einem Gespräch mit von Laue meinte von Weizsäcker, es werde nicht mehr lange dauern, bis die Namen der deutschen Wissenschaftler in den Zeitungen erscheinen, während es noch geraume Zeit dauern werde, bevor sie sich in den Augen ihrer eigenen Landsleute reinwaschen könnten. Dann zitierte er aus der Zeitung, daß wir noch nicht imstande seien, die Energie zu kontrollieren, woraus er den Schluß zog, daß wir nicht im Besitz einer Uranmaschine seien, so daß ihre Arbeit noch von beträchtlichem Wert sein würde. Schließlich sagte er:

WEIZSÄCKER: Die Geschichte wird festhalten, daß die Amerikaner und die Engländer eine Bombe bauten und daß zur selben Zeit die Deutschen unter dem Hitler-Regime eine funktionsfähige Maschine herstellten. Mit anderen Worten, die friedliche Entwicklung der Uranmaschine fand in Deutschland unter dem Hitler-Regime statt, während die Amerikaner und die Engländer diese gräßliche Kriegswaffe entwickelten.

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7. In einem Gespräch zwischen Wirtz, von Weizsäcker und Heisenberg wiederholte Heisenberg, daß im Juli 1944 ein höherer SS-Offizier ihn aufgesucht und gefragt habe, ob er ernsthaft glaube, daß die Amerikaner eine Atombombe herstellen könnten. Heisenberg habe ihm daraufhin gesagt, daß dies seiner Meinung nach durchaus möglich sei, da die Amerikaner viel besser und schneller als die Deutschen arbeiten könnten. Von Weizsäcker drückte erneut Entsetzen über den Einsatz der Waffe aus, und Heisenberg erwiderte, daß, wenn sie eine solche Bombe hergestellt und abgeworfen hätten, sie mit Sicherheit als Kriegsverbrecher, die die „denkbar teuflischste Sache“ hergestellt hätten, hingerichtet worden wären.

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Quelle: Dieter Hoffman, Operation Epsilon: Die Farm Hall Protokolle oder die Angst der Alliierten vor der deutschen Atombombe. Berlin: Rohwohlt, 1993, S. 145–77.

Heimlich aufgezeichnete Unterhaltungen deutscher Kernphysiker auf Farm Hall (6./7. August 1945)

Quelle: Transcript of Surreptitiously Taped Conversations among German Nuclear Physicists at Farm Hall (6./7. August 1945). Operation “Epsilon.” National Archives and Records Administration, College Park, MD, RG 77, Entry 22, Box 164.

Heimlich aufgezeichnete Unterhaltungen deutscher Kernphysiker auf Farm Hall (6./7. August 1945), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/deutschland-nationalsozialismus-1933-1945/ghdi:document-2320> [25.04.2024].