Kurzbeschreibung

Der führende Architekt innerhalb des nationalsozialistischen Regimes, Albert Speer (1905-1981), stieg 1942 zum Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion auf. Vor dem Krieg wurde Speer aufgrund seiner Fähigkeiten als Architekt mit mehreren großen Bauprojekten betraut, darunter das Zeppelinfeld-Stadion in Nürnberg für Parteiversammlungen der Nationalsozialisten und der Neubau der Reichskanzlei. Speers bei weitem größtes Projekt war der vollständige Neubau Berlins, ein Projekt, bei dem Berlin im großen Stil als „Germania“ neu konzipiert werden sollte, mit breiten Boulevards, massiven Gebäuden – wie etwa den Plänen für die „Volkshalle,“ einem riesigen Kuppelbau im Zentrum der neu geplanten Hauptstadt. Diese Bauprojekte kamen nach Kriegsausbruch zum Stillstand.

Speers Aufstieg zur Macht – und Ruhm – resultierte zum Teil aus der Überzeugung der Naztionalsozialisten, dass die Architektur die ideale Kunstform für ihre Bewegung und die von ihnen angestrebte „neue Welt“ darstellte. In diesem Beitrag ordnet der Kulturjournalist Jürgen Petersen die Architektur in eine längere Geschichte künstlerischer Bewegungen und Epochen ein und bezeichnet das 20. Jahrhundert als architektonisches Zeitalter.

Jürgen Petersen, „Albert Speer – Ueber einen deutschen Baumeister“(1942)

Quelle

Es gibt eine Theorie von der Ablösung der Künste. Danach war das 16. und 17. Jahrhundert die große Zeit der Malerei, das 18. gehörte der Dichtung und Publizistik, die Romantiker waren wesentlich Musiker. Das stimmt sicher nicht ganz, wie alle geschichtlichen Grenzziehungen. Vieles ist gleichzeitig nebeneinander in Blüte, die Bereiche fließen ineinander über. Aber nach der schöpferischen Dürre des späten 19. Jahrhunderts in der Baukunst und den tastenden und oft verirrten Ansätzen des beginnenden 20. Jahrhunderts sprechen viele Anzeichen dafür, daß die Gegenwart am Beginn eines architektonischen Zeitalters steht.

Aus scheinbaren Zufällen werden schicksalhafte Notwendigkeiten. Zu ihnen gehört es, daß der Mann, der das nationalsozialistische Reich schuf, von der Architektur herkommt. Für die Gegenwart begründet sich daraus jene Einheit von Politik und Baukunst, wie sie so nur in der Renaissance und Antike lebendig war. Der Wille und die Kraft des nationalsozialistischen Bauens sind Ausdruck eines politischen Glaubens und eines Anspruchs auf Herrschaft. „Zur Stärkung dieser Autorität entstehen unsere Bauten“, heißt es in der Kulturrede des Führers von 1937. Architektur um ihrer selbst willen bleibt hier ohne Sinn. Sie erhält ihre wahre Begründung aus dem Leben. Es ist das Leben der Nation, das zugleich auch die Kunst bewegt. Es gibt keine Trennung beider Sphären. Die deutsche Architektur will das Antlitz des Kampfes zeigen. Sie will etwas aussagen von jenen harten Entscheidungen, unter denen das politische Dasein dauernd steht. In den Bauten ergänzt sich das Wort des Führers zum „Wort aus Stein“. Man hat vom „gebauten Nationalsozialismus“ gesprochen, und das will besagen, daß es der gegenwärtigen deutschen Baukunst nicht um technische Fragen oder ästhetische Werte geht, sondern um eine politische Lebensform, die aus den Bauten spricht.

Es galt noch der letzten Generation als Selbstverständlichkeit, daß Politik und Kunst durch Abgründe von einander getrennt sind. Die Bindung zwischen beiden Bereichen im nationalsozialistischen Bauen ist so eng wie möglich. Von hier aus (und nicht aus stilistischer Anempfindung) begründet sich die Nähe zur Architektur der Renaissance und der Antike oder etwa zum romanischen Stil. Es sind die eigentlich politischen Epochen der europäischen Architektur. In ihnen ist Strenge und Fülle zugleich. In lebt der geistige Adel des perikleischen Zeitalters, die kraftvolle morgendliche des ottonischen Reiches, das verschwenderische Raumgefühl der Medici, männliche Stile also – während Gotik, Barock oder Biedermeier sich in diesem Sinne als „weibliche“ Stile kennzeichnen. Man begreift das Gesicht der neuen Bauten in Deutschland nicht ohne diesen zutiefst männlichen Ausdruck ihres Wesens. In dem was sie aussagen, sind sie keinen Augenblick entfernt von den politischen und geistigen Fundamenten der Gegenwart. Ursprung und Absicht sind nirgends zufällig. Alles ist begründet.

Quelle: Jürgen Petersen, “Albert Speer – Ueber einen deutschen Baumeister,” in Das Reich vom 11.Januar 1942; abgedruckt in Joseph Wulf, Hg. Die Bildenden Künste im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Gütersloh: Sigbert Mohn, 1963, S. 228-29.