Kurzbeschreibung

Im Rahmen der NS-Besatzungspolitik beschlagnahmten die deutschen Truppen nach ihrem Einmarsch in die eroberten europäischen Gebiete kulturelle Artefakte in Museen, Schulen und Privathäusern. In fast allen Fällen stand für die deutschen Beamten die Liquidierung jüdischer Kultur- und Finanzwerte an erster Stelle, und die Besatzungsbehörden machten sich sofort an die Arbeit, um die Juden ihrer Häuser und Wertgegenstände, einschließlich der Kunst, zu berauben. Wie in diesem Dokument dargelegt wird, erfolgte diese Plünderung auf direkten Befehl Hitlers, wodurch eine klare Verbindung zwischen der Besatzungspolitik und den höchsten Ebenen der deutschen Regierung hergestellt wurde. Dieser Prozess umfasste jedoch mehr als nur die Ad-hoc-Beschlagnahme von jüdischer Kunst. Die Beschlagnahme, Verstaatlichung und Umverteilung jüdischer Kulturgüter, einschließlich ganzer Kunstsammlungen, stellte eine landesweite, systematische Initiative dar, die den Aufbau einer umfangreichen Bürokratie zur Koordinierung dieser Bemühungen erforderte. Die Besatzungsbehörden richteten Stellen ein, die speziell damit beauftragt waren, die wertvollsten öffentlichen und privaten Sammlungen zu bestimmen.

Wie dieser Bericht des Stabsleiters Robert Scholz darlegt, wurden die Kunstwerke katalogisiert, vermessen und nach Deutschland zurücktransportiert, was ein hohes Maß an detaillierter Planung erforderte. Der Bericht vermittelt einen Eindruck vom Ausmaß der Plünderungen und enthält Angaben über die Anzahl der gestohlenen Objekte sowie Beschreibungen der operativen Logistik. NS-Führer wie Adolf Hitler und Hermann Göring brachten die geraubten Kunstwerke nicht nur nach Deutschland, um sie weiterzuverkaufen, sondern erwarben sie auch in großer Zahl selbst und legten dabei riesige Privatsammlungen an. Göring unternahm während der Besatzungszeit mehrere Reisen nach Paris und nahm dabei fast 600 einzelne Kunstwerke für seine Privatsammlung mit.

Arbeitsbericht des Sonderstabs Bildende Kunst (1940–1944)

Quelle

SONDERSTAB BILDENDE KUNST

Arbeitsbericht über die Zeit vom Oktober 1940 bis Juli 1944.

Aufgrund des Führerbefehls vom 17.9.1940 über die Erfassung herrenlosen jüdischen Kunstbesitzes in den besetzten Westgebieten begann Anfang Oktober 1940 der Sonderstab Bildende Kunst zunächst in Paris mit der Erfassung des zurückgelassenen Kunstbesitzes der international auch als Besitzer grosser Kunstsammlungen bekannten jüdischen Familie Rothschild. Den verschiedenen Mitgliedern der Judenfamilie Rothschild sowie vielen anderen reichen Juden Frankreichs war es bei ihrer überstürzten Flucht vor der deutschen Besatzung nicht mehr gelungen, erhebliche Teile ihres Kunstbesitzes nach England und Amerika zu bringen. Der Einsatzstab hat nicht nur sehr umfangreiche Teile der in den Pariser Stadtpalais der Rothschilds zurückgelassenen Kunstwerte erfasst, sondern es wurden auch planmässig die Landsitze der einzelnen Mitglieder der Familie Rothschild, so die bekannten Loireschlösser nach Kunstwerten durchsucht und dabei sehr bedeutende Teile der weltberühmten Rothschild‘schen Kunstsammlungen für das Reich sichergestellt. Der Kunstbesitz der Rothschilds wurde nicht nur in geschickt angelegten Verstecken der einzelnen Schlösser sondern auch in Depots und Lagerhäusern wie z.B. in Bordeaux und anderen Küstenstädten ausgeforscht, wo diese Kunstwerte bereits verpackt zum Abtransport nach Amerika bereitgestellt waren. Auf dieselbe Weise wurde durch den Einsatzstab auch der Kunstbesitz der übrigen als Sammler bekannten französischen Juden wie Kahn, David-Weil, Levy de Benzion und Seligmann aufgespürt und restlos sichergestellt.

Nach der Erfassung der bekanntesten jüdischen Kunstsammlungen in Paris wurden vom Sonderstab Bildende Kunst planmässig alle verlassenen Wohnungen der begüterten Pariser Juden sowie die Lagerhäuser aller Speditionsfirmen und viele andere sehr oft durch französische Arier getarnte Kunstdepots emigrierter Juden durchsucht und dabei sehr erhebliche Kunstwerte aufgefunden. Diese Erfassungen wurden anhand vorhergegangener eingehender Nachforschungen in den Meldelisten der französischen Polizeibehörden, aufgrund jüdischer Handbücher der Lager- und Auftragsbücher der französischen Speditionsfirmen sowie aufgrund der französischen Kunst- und Sammlerkataloge durchgeführt. Die einwandfreie jüdische Herkunft der einzelnen Besitzer wurde in Zusammenarbeit mit den französischen Polizeibehörden und dem Sicherheitsdienst sowie aufgrund des eigenen politischen Quellenmaterials des Einsatzstabes in jedem Falle belegbar nachgewiesen.

Nach demselben System wurde die Erfassung des herrenlosen jüdischen Kunstbesitzes nach und nach über das gesamte französische Gebiet ausgedehnt. Die Nachforschungen des Sonderstabes Bildende Kunst wurden durch bewusste Sabotage der französischen Behörden sowie durch Verschleierungen der von den Juden als Treuhänder ihres Besitzes vorgeschobenen französischen Arier oft ausserordentlich erschwert. Trotzdem konnte der jüdische Kunstbesitz in den besetzten französischen Gebieten in einem Umfang erfasst werden, der zu der Annahme berechtigt, dass trotz aller Widerstände und Verschleierungen der wesentlichste Teil des in Judenhänden gewesenen Kunstbesitzes in Frankreich, soweit er nicht schon vor der Besetzung abgewandert war, vom Einsatzstab sichergestellt wurde. Eine Abwanderung unersetzlicher Werte europäischer Kunst grossen Stils wurde dadurch verhindert, und höchste Kunstleistungen aller europäischen Nationen für Europa gesichert.

Im Verlauf dieser Kunsterfassungsaktion des Einsatzstabes in den besetzten Westgebieten wurden erfasst:

203 Einsatzstellen (Sammlungen) mit

21903 bisher gezählten und inventarisierten Kunstgegenständen aller Art.

Für jede Einsatzstelle wurde ein Erfassungsprotokoll angelegt, das die Herkunft des Gegenstandes mit gehauen Einzelangaben nachweist. Alle erfassten Kunstwerte wurden zunächst in ein Sammellager im ehemaligen Museum Jeu de Paume und in dafür zur Verfügung gestellten Räumen des Louvre verbracht. Sie wurden dort von kunstwissenschaftlichen Mitarbeitern des Sonderstabes Bildende Kunst wissenschaftlich inventarisiert, fotografiert und durch Fachkräfte für den Abtransport ins Reich sorgfältig verpackt. Diese Arbeiten gestalteten sich dadurch besonders schwierig, da die meisten Sammlungen und einzelnen Kunstgegenstände ohne alle Inventare oder Herkunftsbezeichnungen übernommen wurden und die wissenschaftlichen Zuschreibungen erst durch die Kunstwissenschaftler des Einsatzstabes durchgeführt werden mussten.

Seit Anfang 1943 wurde die Kunsterfassungsaktion des Einsatzstabes auch auf die Möbelerfassungsaktion des Ostministeriums ausgedehnt, wobei aus Einzelwohnungen und Lagern eine grosse Zahl wertvoller Einzelkunstwerke erfasst werden konnten.

In der Zeit vom März 1941 bis Juli 1944 wurden vom Sonderstab Bildende Kunst ins Reich verbracht:

29 grosse Transporte umfassend

137 Waggons mit

4174 Kisten mit Kunstwerken.

Diese Transporte wurden in 6 Bergungsorte im Reich verbracht, ausgepackt und unter Beachtung aller konservatorischen, luftschutz- und feuersicherungsmässigen Gesichtspunkte eingelagert. In den Bergungsorten wurde die zunächst in Paris nur der Identifizierung dienende Inventarisierung nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten ergänzt und die Ergebnisse der kunstwissenschaftlichen Zuschreibung in Inventarlisten und einer jeden Kunstgegenstand erfassenden Kartei niedergelegt. Bei dieser wissenschaftlichen Inventarisierung eines in seinem Umfang und seiner Bedeutung einmaligen Materials bisher der Kunstforschung unbekannter Werte wurde von dem. Sonderstab Bildende Kunst eine für die gesamte Kunstwissenschaft wichtige Arbeit geleistet. Diese Inventarisierungsarbeiten werden die Grundlage eines wissenschaftlichen Gesamtkatalogs bilden, in dem Hergang, Umfang, wissenschaftliche und politische Bedeutung dieser historisch einmaligen Kunsterfassungsaktion dokumentarisch niedergelegt werden sollen. Es wurde vom Sonderstab eine mit allen technischen Hilfsmitteln ausgerüstete Restaurierungswerkstätte an einem der Bergungsorte eingerichtet, die sich mit der Pflege und Wiederherstellung der erfassten Kunstwerte sowie ihrer ständigen Beobachtung in den Bergungsorten beschäftigt. Einige hunderte von den jüdischen Besitzern vernachlässigte oder früher unsachgemäss wiederhergestellte Kunstwerke konnten in dieser Werkstätte wiederhergestellt und in ihrem Bestand gesichert werden.

Ausserdem wurden alle erfassten Kunstwerke durch die Fotowerkstätte des Einsatzstabes fotografiert und in einer Fotothek erfasst. Hierdurch wurde nicht nur die Identität jedes einzelnen Kunstwerkes dokumentarisch belegt sondern auch ein kunstwissenschaftliches Studien- und Veröffentlichungsmaterial von bleibendem Wert geschaffen.

Es wurden bis zum 15.7.1944 wissenschaftlich inventarisiert:

2 1 903 Kunstgegenstände

5 281 Gemälde, Pastelle, Aquarelle, Zeichnungen

684 Miniaturen, Glas- und Emailmalereien, Buch- und Handschriften

583 Plastiken, Terrakotten, Medaillen und Plaketten

2 477 Möbel mit kunstgeschichtlichem Wert

583 Textilien (Gobelins, Teppiche, Stickereien, koptische Stoffe)

5 825 kunsthandwerkliche Gegenstände (Porzellan, Bronzen, Fayencen, Majoliken, Keramik, Schmuck, Münzen, Gegenstände aus Edelsteinen)

1 286 Ost-asiatische Kunstwerke (Bronzen, Plastik, Porzellan, Gemälde, Wandschirme, Waffen)

259 Antike Kunstwerke (Skulpturen, Bronzen, Vasen, Schmuck, Schalen, geschnittene Steine, Terrakotten).

Diese Zahlen werden sich noch dadurch erhöhen, dass die Erfassungsaktion im Westen noch nicht beendet ist und aus Mangel an Fachkräften ein Teil der erfassten Bestände noch nicht wissenschaftlich inventarisiert werden konnte.

Der aussergewöhnliche künstlerische und materielle Wert der erfassten Kunstwerte ist in Zahlen nicht erfassbar. Bei den Gemälden, Stilmöbeln des 17. und 18.Jahrhunderts, den Gobelins, bei den Antiken und Renaissanceschmuck der Rothschilds handelt es sich um Objekte eines so einmaligen Charakters, dass eine Taxierung deshalb unmöglich ist, weil auf dem Kunstmarkt keine vergleichbaren Werte erschienen sind.

Auch der künstlerische Wert der Sammlungen kann im Rahmen eines kurzen Berichts nur angedeutet werden. Unter den erfassten Gemälden, Pastellungen und Zeichnungen befinden sich einige hundert Werke allererster Qualität, Spitzenwerte der europäischen Kunst, die an die erste Stelle jeden Museums gestellt werden können. Es befinden sich darunter einwandfrei nachgewiesene und signierte Werke von Rembrandt van Rijn, Rubens, Frans Hals, Vermeer van Delft, Velasquez, Murillo, Goya, Sebastiano del Piombo, Palma Vecchio etc.

Bedeutungsmässig an erster Stelle stehen unter den erfassten Werten der Malerei die Gemälde der berühmten französischen Maler des 18.Jahrhunderts mit Spitzenwerken von Boucher, Watteau, Rigaud, Largielliere, Nattier, Fragonard, Pater, Danloux und de Troy. Diese Sammlung kann sich mit dem Bestand auch der grössten europäischen Museen messen. Sie enthält in einem grossen Umfang Werke der ersten französischen Meister, die bisher auch in den besten deutschen Museen nur unzulänglich vertreten waren. Sehr bedeutend ist auch der Anteil an Meisterwerken der holländischen Malerei des 17. und 18.Jahrhunderts. Zu nennen sind hier an erster Stelle bedeutende Werke von van Dyck, Salomon und Jacob Ruisdael, Wouvermann, Terborch, Jan Weenix, Gabriel Metsu, Adrian van Ostade, David Teniers, Pieter de Hooch, Willem van der Velde u.a. Höchsten Rang hat auch der Bestand an Werken der englischen Malerei des 18. und frühen 19.Jahrhunderts mit Spitzenwerken von Reynolds, Romney und Gainsborough. Von deutschen Meistern sind Cranach und Amberger hervorzuheben.

Wertmässig vielleicht noch höher einzuschätzen ist die Sammlung der französischen Möbel des 17. und 18.Jahrhunderts. Es handelt sich um hunderte besterhaltener und meist signierter Werke der bekanntesten Kunsttischler aus der Zeit Ludwigs XIV. bis Ludwig XVI. Für den erst jetzt in der Kunstwissenschaft erkannten bedeutenden Anteil der deutschen Kunsttischler an dieser Hochblüte französischer Möbelkunst ist diese Sammlung von einmaliger Bedeutung.

Die Sammlung der Gobelins und -persischen Wandteppiche enthält unzählige weltberühmte Objekte. Die Sammlung des Kunsthandwerks, die Renaissanceschmucksammlung der Rothschilds ist wertmässig ohne Gegenbeispiel.

Ausser in den besetzten Gebieten Frankreichs wurden auch in Belgien und aus dem Umzugsgut jüdischer Emigranten in Holland erhebliche Kunstwerte durch den Einsatzstab erfasst.

Arbeit in den Ostgebieten:

In den besetzten Ostgebieten beschränkte sich die Tätigkeit des Sonderstabes Bildende Kunst auf eine wissenschaftliche und fotografische Erfassung der öffentlichen Sammlungen und ihre Sicherung und Betreuung in Zusammenarbeit mit den militärischen und zivilen Dienststellen. Im Zuge der Räumung der Gebiete wurden einige hundert wertvollster russischer Ikonen, einige hundert Gemälde der russischen Malerei des 18. und 19.Jahrhunderts, Einzelmöbel und Einrichtungsgegenstände aus Schlössern in Zusammenarbeit mit einzelnen Heeresgruppen geborgen und in ein Bergungslager ins Reich gebracht.

Auch eine Sammlung entarteter bolschewistischer Kunst sowie eine Sammlung entarteter westlicher Kunst wurde für politische Studienzwecke angelegt. Ausserdem wurde durch den Sonderstab Bildende Kunst eine umfangreiche Materialsammlung über sowjetische Kunstpflege, Museumspolitik, Kunstpublizistik und Bildmaterial über sowjetische Architektur geschaffen.

25 Bildermappen mit den wertvollsten Werken der im Westen erfassten Kunstsammlungen sind dem Führer am 20.April 1943 zusammen mit drei Bänden eines vorläufigen Gemäldekatalogs und einem Zwischenarbeitsbericht überreicht. Es werden diesem Bericht 10 weitere Bildermappen angefügt. Weitere Bildermappen sind in Vorbereitung.

Robert Scholz
Bereichsleiter
Leiter des Sonderstabes Bildende Kunst

Quelle: Arbeitsbericht des „Sonderstabes bildende Kunst“ über die Zeit vom Oktober 1940 bis Juli 1944. Plünderung berühmter Sammlungen und Erfassung von Kunstgegenständen in den besetzten West- und Ostgebieten (Beweisstück US-385; RF-1323); Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg 14. November 19451. Oktober 1946. Band XXVI, Amtlicher Text – Deutsche Ausgabe, Urkunden und anderes Beweismaterial. Nürnberg 1947. Neuauflage: München, Delphin Verlag, 1989, Dokument 1015-PS, S. 524–30.