Kurzbeschreibung

Trotz der Versuche der Nazis, die deutsche Kultur während des Dritten Reichs zu dominieren, verschwand der Wunsch der Deutschen nach leichterer Unterhaltung nie. Wie dieser Bericht über die Buchverkäufe in Berlin deutlich macht, konsumierten die Deutschen zu Beginn des Krieges sogar mehr Unterhaltung, nicht weniger. Die befragten Händler gaben an, dass die Umsätze gestiegen waren – in einem Fall sogar um 50 Prozent – und dass die Deutschen sogar die teuersten angebotenen Bücher kauften. Dies alles waren Anzeichen dafür, dass Bücher auch während des Krieges sehr gefragt waren. Angesichts der zunehmenden Konsumknappheit wendeten sich die Deutschen dem Buch als Ersatz für andere Formen der Unterhaltung zu, die aus dem Alltag verschwanden.

Die in diesem Bericht aufgelisteten Titel sind aufschlussreich, da sie die Gattungen, Themen und Fragestellungen widerspiegeln, die für die Verbraucher von Interesse waren – dabei ist bemerkenswert, dass die beliebtesten Themen nicht immer mit explizit propagandistischen oder politischen Botschaften übereinstimmten. So verkauften sich zum Beispiel schon 1940 Bücher über den Ersten Weltkrieg nicht gut. Stattdessen scheinen sich die Deutschen mehr für den aktuellen Krieg interessiert zu haben, was durch den besonders starken Anstieg der Käufe von Büchern über Großbritannien in diesem Zeitraum deutlich wird. Besonders faszinierend – und recht ironisch – war der Anstieg der Verkaufszahlen von Das andere Ufer von Alba de Céspedes, einer italienischen antifaschistischen Feministin, die von Mussolinis Regime inhaftiert worden war. Sicherlich kauften die Deutschen immer noch einige politische Materialien, wie z. B. die Biografie von Hermann Göring. Doch die Betonung der populären Literatur in diesem Bericht und der relativ geringe Anteil politischer Titel lassen auf einen Trend zur Unterhaltung schließen. Zum Beispiel erwies sich William Hubertus von Simpsons Der Enkel, Teil einer Familiendrama-Trilogie, ebenfalls als recht populär, was darauf hindeutet, dass die Deutschen nach nachvollziehbaren und spannenden Geschichten suchten und nicht interessiert waren, offenkundig politische Titel zu lesen.

„Was wird gelesen?“ Umfrage in Berliner Buchhandlungen (1940)

Quelle

Was wird gelesen?

Eine Rundfrage in Berliner Buchhandlungen. Von Christian Bock

Die Untersuchung, deren Ergebnis hier vorgelegt wird, ist nur innerhalb Groß-Berlins angestellt worden. Es wurde auch mit Absicht darauf verzichtet, Gesamtziffern zu ermitteln – statt dessen wurden Stichproben gemacht. Das Ergebnis ist also im einzelnen wohl typisch, ohne im ganzen unbedingt gültig zu sein (Man hätte die Untersuchung sonst auch nicht auf Groß-Berlin beschränken dürfen.)

Was wird am meisten gekauft?

In einer Buchhandlung in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Zoo, die zu drei Vierteln Laufkundschaft hat, zu einem Viertel nur Stammkundschaft, wurden in letzter Zeit die folgenden Bücher am meisten verkauft:
Céspedes: „Das andere Ufer“
Simpson: „Die Barrings“
Simpson: „Der Enkel“
Harsanji: „Ungarische Rhapsodie“
Harsanji: „Mit den Augen einer Frau“
Wiechert: „Das einfache Leben“
Gullvaag: „Es began in einer Mittsommernacht“
Mungenast: „Der Zauberer Muzot“
Knittel: „Via Mala“, „Therese Etienne“, „Amadeus“
Philipp: „Scotland Yard“
Kluge: „Der Herr Kortüm“
Seidel: „Lennacker“
Caldwell: „Einst wird kommen der Tag“.

Der Umsatz dieser Buchhandlung hat sich seit Kriegsbeginn um etwa 50 Proz. erhöht.

Der höhere Umsatz im Buchhandel läßt sich selbstverständlich nicht so erklären, daß heute die, die auch sonst Bücher kauften, nun soviel mehr kaufen: es sind ganz neue Bücherkäufer zu den alten hinzugekommen. Leute, also, deren Literaturverbrauch in Friedenszeiten so sparsam war, daß sie keineswegs zu den regelmäßigen Bücherkäufern zählen konnten. Man müßte eigentlich annehmen, daß das ganz natürlich zu einer gewissen Senkung des Niveaus der verlangten Bücher geführt hat. Es ist durchaus erstaunlich, daß das nicht der Fall ist. Es wird durchweg gute Literatur verlangt. Überall bestätigt sich dies. Und der Käufer knausert nicht, er legt für ein Buch auch Geld an. Teure Bücher gehen besser, als sie sonst gingen.

In einer Buchhandlung in der Friedrichstraße wurden die folgenden Bücher als die meist verkauften angegeben (hier wie oben ist die Reihenfolge keine Rangfolge!):

Gritzbach: „Hermann Göring, Mensch und Werk“
Kuni Tremel-Eggert: „Bard“ (Roman)
Philipp: „Scotland Yard“
Reichspressechef Dietrich: „Auf den Straßen des Sieges“
Créspedes: „Das andere Ufer“ (Roman aus dem italienischen)
Simpson: „Der Enkel“
Eugen Roth: „Ein Mensch“
„Deutscher Geist“ (Lesebuch aus zwei Jahrhunderten)
Emil Strauß: „Lebenstanz“
Günter Prien: „Mein Weg nach Scapa Flow“
Dr. Johanna Haarer: „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“
Dibelius: „England“
Trevelyan: „Geschichte Englands“
Kolonialliteratur.

Reihen wie Inselbücherei, Kröners Taschenausgaben. Sammlung Dieterich

Die Kundschaft dieser Buchhandlung ist nur zu etwas 40 Proz. Laufkundschaft. Aus einem Gespräch mit dem Inhaber scheint einiges noch bemerkenswert. Kriegsbücher vom letzten Krieg werden kaum verlangt. Ja, das Interesse selbst für den gegenwärtigen Krieg ist ein so stark politisch-aktuelles Interesse, daß zur Zeit nur noch Englandliteratur gefragt ist. Alle Bücher über den Krieg in Frankreich (und natürlich vom Polenfeldzug) gehen im Augenblick kaum mehr. Sicherlich wird das Interesse dafür wieder aufleben, aber solange noch der Kampf gegen England andauert, wird das Interesse für militärische und politische Ereignisse, hinter die schon der Schlußpunk gesetzt ist, flau bleiben.

Alle Englanliteratur dagegen, vom grundlegenden Werk bis zur Broschüre, wird immer weiter gekauft. Die Buchhandlung, von der hier die Rede ist, hat einem normalen Friedensmoment gegenüber den dreifachen Umsatz. Die Zahlen schwanken in den Buchhandlungen zwischen 50 Proz. und 300 Proz.

In einer Leihbücherei

Da ein Teil der Konjunktur auf das Konto Geschenke gesetzt werden muß, schien es angebracht, die gleichen Fragen auch in einer Leihbücherei zu untersuchen, wo ja die Kundengruppe ausfällt, die Bücher kauft, um sie zu verschenken oder ins Feld zu schicken.

Diese Leihbücherei hat alle Neuerscheinungen sofort da, so daß das Ergebnis im übrigen keinen Einschränkungen unterliegt. Am häufigsten verliehen wurden hier in letzte Zeit folgende Bücher:

Simpson, „Die Barrings“
Simpson, „Der Enkel“
Mungenast, „Der Zauberer Muzot“
Caldwell, „Einst wird kommen der Tag“
Boerner, „Das unwandelbare Herz“
Holzach, „Der goldene Rahmen“
Langenscheidt, „Königin der Meere“
Varé, „Der lachende Diplomat“
Prien, „Mein Weg nach Scapa Flow“.

Auch hier werden mehr Bücher verlangt und verliehen als frührer, und auch hier hat sich während des Krieges bemerkbar gemacht, daß der „Schmöker“ nicht mehr so gefragt ist. Über Nacht ist das gute Buch entdeckt worden.

Fragebogen

In einer Buchhandlung in der Friedrichstraße wurde einige Stunden lang ein Fragebogen ausgelegt, dessen Beantwortung allerlei interessantes Material brachte. Es wurde gefragt, ob der Käufer des Buches Mann oder Frau ist, ob er das Buch für sich kaufe oder um es zu verschenken oder um es ins Feld zu schicken. Weiter wurde gefragt, was den Käufer veranlaßte, das Buch zu kaufen, ob er von dem Buch gehört oder gelesen hatte, ob er dieses bestimmte Buch suchte oder sich erst in der Buchhandlung zu diesem Buch entschloß. Dann wurde die Frage gestellt, ob ihn die während des Krieges eingeschränkte Möglichkeit, andere Waren nach Belieben zu kaufen, veranlaßt hatte, statt einer anderen Ware ein Buch zu kaufen oder ob er auch sonst ein Buch gekauft hätte.

Nun ist so ein Fragebogen freilich etwas summarisch. Einige Käufer haben trotzdem, wenn sie etwa Goethes Iphigenie kauften, die Frage, ob sie von diesem Buch gehört haben, brav mit „ja“ beantwortet und die Gegenfrage, oder ob sie sich in der Buchhandlung zu diesem Buch entschloßen haben, mit „nein“.

Ein Teil der beantworteten Fragebogen mußte für den Zwek unserer Untersuchung ausfallen: Wenn ein Schüler die „Räuber“ oder ein Wörterbuch kaufte, eine Angestellte einen Duden und dergleichen. Auch ein Teil der Fragebogen, der ungenau beantwortet war, schied aus. Es blieben 53 Fragebogen. Von den Käufern dieser 53 Bücher waren 36 Männer, 17 Frauen. 27 Bücher wurden zum Verschenken gekauft (davon sollten 7 Bücher ins Feld geschickt werden), 26 Kunden kauften die Bücher für sich.

Von den 53 Käufern kamen 43, um ein bestimmtes Buch zu kaufen. Nur 10 entschlossen sich erst in der Buchhandlung zu dem Buch, das sie kauften. Die letzte Frage beantworteten nur 6 Käufer dahin, dass sie kein Buch gekauft hätten, sondern etwas anderes, wenn nicht diese Möglichkeit während des Krieges eingeschränkt wäre. Hier handelte es sich nur um Geschenke.

Die gekauften Bücher sind durchweg gute wertvolle Literatur.

Natürlich war auch dies nur eine Stichprobe, und das Ergebnis kann nicht allgemein gültig sein. Der Fragebogen wurde Mitte November ausgelegt.

Soll und Haben

So allgemein diese Buchhandlung am Alexanderplatz im Grunde aussieht, eine Buchhandlung wie andere – so anders scheint alles, wenn man oben im 1. Stock flankiert von wandhohen, büchergefüllten Regalen, wie durch Portale zum Bürozimmer des Inhabers kommt. Plötzlich steht man in seinem kleinen Zimmer, dem alle moderne Bürogroßartigkeit fehlt. Schreibtisch, Bücherschrank, Stühle, das steht alles, wie es seit 20 Jahren hier gestanden haben mag, seit der Gründung der Buchhandlung. Eine wunderbare anheimelnde Solidheit. Wie mitten aus Freytags „Soll und Haben“. Selbst das Telefon scheint sich geduckt diesem Stil anzupassen.

Der Inhaber erzählt, wie sie hier vor 20 Jahren nach der Lektüre Hamsuns sich entschlossen, 2000 Exemplare zu bestellen. Zu einer Zeit, als Hamsun sich noch keineswegs durchgesetzt hatte. Es war ein großes Risiko. Natürlich, ein Buchhändler braucht so ein Risiko nicht einzugehen, er kann es ja lassen, er kann ja abwarten, ob der Herr Hamsun sich durchsetzt, und dann bestellen. Aber wenn er mehr will als sichere Geschäfte machen, dann riskiert er für ein Buch, das ihm Achtung abzwingt, mit wenigstens soviel Idealismus wie der Verleger, sein bares Geld. Unter den Branchen, die die größten Verluste zu tragen haben steht amtlich an 2. Stelle der Buchhandel (Wenn Glas und Porzellan an erster stehen, so hat das ja realere und bekanntere Gründe).

Hier oben in diesem kleinen Zimmer sind die Druckfahnen manchen Buches gelesen worden, und manches Risiko haben die drei, die ihr Urteil dann abgaben, der Inhaber, sein Sohn und der Geschäftsführer, mit mehr Idealismus als Realismus auf sich genommen. Der Inhaber gibt dem Geschäftsführer, der heute im Felde steht, die Ehre, er war es damals, der sich vor allem für Hamsun einsetzte, und er behielt recht, der Hamsun ging.

Man hätte übrigens erwarten können, daß hier am Alexanderplatz vielleicht ganz andere Bücher die meistgekauften sein würden, aber es sind etwa dieselben wie im Westen Berlins oder in der Friedrichstraße:

Goebbels: „Der Kampf um Berlin“
Tremmel-Eggert: „Bard“
Gritzbach: „Hermann Göring, Mensch und Werk“
Céspedes: „Das andere Ufer“
Philipp: „Einst wie jetzt“
Harsanji: „Ungarische Rhapsodie“
„Deutscher Geist“
Fried: „Männer der Weltwirdschaft“
Schenzinger: „Metall“
Winschuh: „Männer, Traditionen, Signale“
Knittel: „Therese Etienne“
Varé: „Der lachende Diplomat“
Prien: „Mein Weg nach Scapa Flow“

Quelle: Das Reich, Nr. 30, 15. Dezember 1940.

„Was wird gelesen?“ Umfrage in Berliner Buchhandlungen (1940), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/deutschland-nationalsozialismus-1933-1945/ghdi:document-5145> [08.05.2024].