Kurzbeschreibung

Während in den von den Westalliierten besetzten Zonen Deutschlands die Suche nach Vermissten durch das Deutsche Rote Kreuz organisiert war, wurde in der SBZ 1946 der „Suchdienst für vermisste Deutsche“ gegründet, der hauptsächlich der Registrierung von als „Umsiedlern“ bezeichneten Flüchtlingen dienen sollte. Hier beschreibt August Mayer, der von 1946–47 als Präsident des Suchdienstes fungierte, die Arbeit des Suchdienstes sowie die Zusammenarbeit mit der Volkssolidarität, der wichtigsten Hilfsorganisation in der SBZ.

August Mayer, Präsident des Suchdienstes für vermisste Deutsche: Volkssolidarität und Suchdienst (1947)

  • August Mayer

Quelle

Volkssolidarität und Suchdienst

Die ganze Welt leidet unter den Folgen des verhängnisvollen Hitler-Krieges. Es wird lange, lange dauern, bis die Wunden geheilt sind. Neben den großen materiellen Verlusten, die wiedergutzumachen sind, hat der Krieg unendliches seelisches Leid über die ganze Welt gebracht. Millionen verloren in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern, Zuchthäusern, Kriegsfabriken ihr Leben oder die Gesundheit, ganz zu schweigen von den durch die unmittelbare Einwirkung des Krieges getöteten Menschen.

Zu Hunderttausenden wurden die Angehörigen der sogenannten feindlichen Länder nach Deutschland verschleppt, um in den Kriegsfabriken zu arbeiten und zu darben. Wenn es sich um Widerstandskämpfer handelte, wurden sie in Konzentrationslager geschleppt. Die Juden wurden sogar der vollkommenen Ausrottung preisgegeben. Das von altersher geheiligte Recht der Familie trat man mit Füßen, nahm de Vater oder die Mutter weg und schickte die Kinder zur Zwangsarbeit und verjagte zu unzählige in die ganze Welt, einem ungewissen Schicksal preisgegeben. Millionen Angehörigen der alliierten Nationen ging es so. Aber auch viele hunderttausende Deutscher traf dieses Schicksal. Beginnend mit der „Wieder-heim-ins-Reich“-Bewegung, der Verlegung von Betrieben, der Räumung von kriegsgefährdeten Gebeten und Städten, der Evakuierung von Kinderheimen, Schulen, Krankenhäuser, der Kriegsgefangenschaft deutscher Soldaten in der ganzen Welt, und schließlich als Kriegsfolge, flüchtend vor dem Ansturm der siegreich vordringenden alliierten Heere und der von den Alliierten beschlossenen Umsiedlung aus dem Osten und Südosten, wurden große Teile des Ostens zersplittert, jede Verbindung mit der Familie riß ab. Hoffnungslosigkeit erfüllte die Herzen dieser Menschen, die allein in irgendeiner Ecke unseres deutschen Vaterlandes, inmitten einer fremden Umgebung und fremder, manchmal unfreundlicher Menschen, sehnsuchtsvoll nach einer Möglichkeit ausschauten, wieder mit ihrer Familie zusammenzukommen oder wenigstens doch von den Lieben etwas zu hören.

Erschwert wurde alles noch durch die Aufteilung Deutschlands in verschiedene Zonen und das Nichtvorhandensein geeigneter Behörden, Einrichtungen oder Organisationen, die Ordnung in dieses Chaos bringen konnten.

Unter solchen Umständen fanden sich nach dem Zusammenbruch kirchliche und caritative Stellen, Organisationen und private Stellen, die es sich zur Aufgabe machten, hier zu helfen. Nach und nach nahmen Behörden diese Arbeit in die Hand. So entstanden im Westen die Zonenzentralen des Suchdienstes für de amerikanische, britische und die französische Zone und im August 1946 der „Suchdienst für vermißte Deutsche“. 15 Millionen Deutsche leben heute als Ortsfremde, d.h. sie wohnen nicht mehr in ihren ursprünglichen Heimatorten, sondern sind durch die Wirrsale des Krieges in andere Gegenden verschlagen worden. An dieser Zahl läßt sich ermessen, wie viele familiäre Verbindungen abgerissen sind und welche Unmenge an Arbeit nötig ist, um hier ein menschlich und volkswirtschaftlich wichtiges Problem zu lösen. Das ist wahrhaft eine große Aufgabe. Gelöst kann sie nur werden, wenn die gesamte Bevölkerung tatkräftig mithilft. Eine Behörde allein kann aus eigener Kraft diese Aufgabe nicht meistern. Die Mithilfe vieler Stellen ist nötig. Es gilt, dem Umsiedler, dem Heimkehrer, dem elternlosen Kinde und vielen anderen die neue Heimat zu geben, die nicht nur allein in der Seßhaftmachung besteht, sondern die unbedingt ergänzt werden muß durch das Wiederfinden der Familie.

Der Suchdienst für vermißte Deutsche hat seit dem 1. August 1946 große Anstrengungen gemacht und nicht unwesentliche Erfolge erzielt. Durch die Hilfe der Presse, des Suchzeitung, des Rundfunks, des Films, mit der Unterstützung vieler Behörden, der Zusammenarbeit mit den Zonenzentralen des Westens und der Hilfe alliierter Stellen gelang es, einen Aufklärungsfeldzug zu führen, um den Sinn unserer Arbeit klarzulegen. Das Geheimnis besteht darin, den Suchdienst in eine solche innige Verbindung mit der Bevölkerung zu bringen, daß er, im Volke wurzelnd, die Nöte desselben versteht und entsprechend den materiellen und ideellen Voraussetzungen das Größtmöglichste leistet.

Aber Presse, Rundfunk, Film genügen nicht. Sie reichen nicht aus, um in das kleinste Dorf zu dringen und um den letzten Umsiedler, den letzten Menschen, der nach seinen lieben Vermißten sucht, aufzuklären, welchen Weg er einzuschlagen hat, um zu einem Ergebnis zu gelangen. Hier müssen Wege gefunden werden, um noch mehr als bisher Kenntnis zu geben von der Arbeit des Suchdienstes. Hier gilt es, Transmissionsriemen von der Behörde zur Bevölkerung einzuschalten, deren Aufgabe es ist, überall dort helfend einzugreifen, wo der Arm einer Zentralstelle nicht lang genug ist. Die Massenorganisationen, seien es Gewerkschaften, kulturelle Organisationen, politische Parteien, Organisationen zum Wohl des Volkes, sie alle haben die Möglichkeit, hier zu helfen. Eine der wichtigsten dieser Organisationen ist die Volkssolidarität, die Organisation der Solidarität für das Volk.

Wir können mit Freude feststellen, daß uns die Volkssolidarität schon viel geholfen hat, sei es den Umsiedlern oder den armen Alten, die ohne Verbindung mit ihren Kindern sind, seien es Kinder, die in Heimen untergebracht werden müssen, überall fühlten wir den hilfreichen Arm dieser Organisation.

Besonders erwähnen wollen wir her die rühmenswerte Initiative des Landes Sachsen, das eine Broschüre elternloser Kinder in Zusammenarbeit mit dem Suchdienst herausgegeben hat. Es ist zu hoffen, daß diese Initiative alle Länder erfaßt und zentral geleitet wird, damit auch her ein Höchstmaß von Erfolg in gedeihlicher Zusammenarbeit mit den Landesorganisationen der Volkssolidarität verzeichnet werden kann. Die Hilfe, welche die Volkssolidarität den elternlosen Kindern gewährt, muß ergänzt werden durch die gemeinsame Arbeit der zuständigen Stellen, das Letzte zu tun, allen Spuren nachzugehen, um die Eltern Elternteile oder Verwandte der heute noch ohne Nachricht dastehenden Kinder aufzufinden. []

Aus Kaliningrad, dem früheren Königsberg (Pr.), sind 3200 Kinder, die dort in Waisenhäusern untergebracht waren, in Quarantänelagern in der sowjetischen Besatzungszone eingetroffen. Der „Suchdienst für vermißte Deutsche“ steht nun vor der schweren Aufgabe, festzustellen, ob und wo eventuell noch Angehörige dieser Kinder leben. Bisher konnten durch den „Suchdienst für vermißte Deutsche“ Eltern oder Angehörige von 323 Kindern gefunden werden. Wieviel Freude ist wieder durch den „Suchdienst“ den nach ihren Kindern bangenden Müttern oder Angehörigen gemacht worden. Für jeden muß es eine menschliche Verpflichtung sein, mitzuhelfen, den Kindern, wenn möglich noch zum Weihnachtsfest, ihr Elternhaus wiederzugeben.

Alle, die Angaben machen oder Hinweise über den Aufenthaltsort der Eltern oder Angehörigen der unten aufgeführten Kinder geben können, teilen dies bitte dem „Suchdienst für vermißte Deutsche“, Berlin W8, Kanonierstraße 35, mit. Suchanträge nach Kindern sind durch die amtliche Suchpostkarte, die auf allen Postämtern der sowjetischen Besatzungszone erhältlich ist, an den „Suchdienst für vermißte Deutsche“ zu richten.

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Quelle: August Mayer, „Volkssolidarität und Suchdienst“, Volkssolidarität. Mitteilungsblatt für alle Ortsausschüsse und Aktivisten der Volkssolidarität. Dezember 1947, Nr. 9, S. 7.