Kurzbeschreibung

Die Zerstörungen und Verluste des Zweiten Weltkriegs haben die deutsche Bevölkerung nicht gleichmäßig getroffen, sondern den Millionen Ausgebombten und Flüchtlingen, die ihren gesamten Besitz verloren haben, stehen vor allem in ländlichen Regionen Menschen gegenüber, die kaum materielle Einbußen erlitten haben. Deshalb wird nach 1945 frühzeitig über die Möglichkeit eines Lastenausgleichs in Deutschland diskutiert. Die Berliner Tägliche Rundschau erteilt aber Überlegungen vor allem bei der SPD eine Absage, dies durch die tatsächliche Beschlagnahme und Umverteilung von Hausrat, Kleidung usw. durchzuführen. Der Kommentar hält eine solche Lösung für praktisch undurchführbar und sogar für kontraproduktiv, da ihr Scheitern die viel wichtigere Sozialisierung der Wirtschaft diskreditieren würde.

Die Tägliche Rundschau zur Frage eines Lastenausgleichs (15. Februar 1947)

Quelle

Lastenausgleich durch Naturalausgabe? Ein Zankapfel als Ablenkungsmanöver der Reaktion

Der Krieg hat die deutsche Bevölkerung in tiefes Elend gestürzt. Die Not der unmittelbar Betroffenen ist tief und schreit nach Abhilfe. Aber es ist nicht das deutsche Volk allein, das durch Hitlers Angriffskrieg ins Unglück geraten ist. Fast ganz Europa ist in die gleichen chaotischen Zustände gestürzt worden. In diesem großen Rahmen und nur so muß man die Dinge betrachten, wenn man eine vernünftige Klärung der Frage finden will, wie ein wenigstens teilweiser Ausgleich dieser Schäden erreicht werden kann.

Neuerdings wird von gewissen Kreisen mit großer Hartnäckigkeit eine Lösung angepriesen, die auf den ersten Blick verführerisch erscheint und die darum zweifellos sehr viele Anhänger hat. Man schlägt eine Zwangsabgabe von Gebrauchsgegenständen aus dem Eigentum der weniger Betroffenen an diejenigen vor, die am schwersten geschädigt wurden. Es sind besonders die Organe der SPD, die einer solchen Lösung das Wort reden; aber auch bürgerliche Kreise haben in nicht wenigen Fällen derartige Maßnahmen empfohlen. So beschäftigt sich der Süddeutsche Länderrat mit einem Gesetzentwurf zur Erfassung von Hausrat. Württemberg-Baden hat einen eigenen dahingehenden Entwurf ausgearbeitet und aus Solingen wird gemeldet, daß man demnächst zu Zwangsmaßnahmen greifen will, wenn die freiwillige Abgabe von Möbeln und Hausrat nicht die erhofften Ergebnisse zeitigt.

Es ist naheliegend, daß solche Pläne bei denen, die davon eine Hilfe erwarten, mit großen Hoffnungen aufgenommen werden. Sie haben täglich ihr eigenes Elend vor Augen und müssen andererseits mit ansehen, daß anderen Personen in ihrer nächsten Nachbarschaft sehr viel oder scheinbar sogar alles verblieben ist, was sie vor dem Kriege besessen haben. Nicht selten ist die Annahme gerechtfertigt, daß einzelne Personen heute sogar besser dastehen als früher. Es kann sich dabei allerdings nur um Ausnahmefälle handeln, aber gerade diese ziehen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich und machen viel böses Blut. Es ist nicht nur die Not, es ist oft auch der Neid, der bei Beurteilung dieser Zusammenhänge den Blick trübt. Es erscheint daher notwendig, die Sachlage einmal mit nüchternen Augen zu betrachten.

Der Krieg hat die deutsche Bevölkerung sehr ungleichmäßig betroffen. Während die einen buchstäblich alles verloren haben oder nur wenige schlechte Kleidungsstücke auf ihrem Leibe retten konnten, sitzen andere noch in ihren unzerstörten Wohnungen und können sich ungeschmälert ihres Vermögens erfreuen, das zuweilen aus einem Landgut, einer oder mehreren Fabriken und anderen wertvollen Einkommensquellen besteht. Es handelt sich zunächst nur um die Frage, ob es zweckmäßig oder erwünscht ist, durch Naturalabgabe von Hausrat und anderen Gebrauchsgegenständen auf gesetzlichem Wege eine Hilfe für die Bedürftigen zu schaffen, solange ihnen noch nicht durch bevorzugte Belieferung mit Gebrauchsgütern aus neuer Produktion geholfen werden kann.

Der Kreis der Personen, denen die lebensnotwendigsten Gebrauchsgegenstände fehlen, ist sehr groß. Mit der Begrenzung auf die Umgesiedelten und total Ausgebombten allein ist ihre Zahl nicht erschöpft. Sie sind zusammen fast ein Drittel der deutschen Bevölkerung. Die übrigen befinden sich aber durchaus nicht alle in einer beneidenswerten Lage.

Selbstverständlich wird sich niemand gegen die moralische Forderung auflehnen, daß den Ärmsten der Armen durch Naturalleistungen aus den Haushaltungen der Bessergestellten geholfen werden muß. Das ist in großem Umfang bereits geschehen und geschieht auch weiterhin durch die Volkssolidarität, ohne daß die Nächstbeteiligten darüber viel Worte verlieren. Was man jedoch ganz entschieden ablehnen muß, ist eine zwangsweise Erfassung des Hausrats der scheinbar oder tatsächlich Bessergestellten.

In der Diskussion über diese Frage ist schon mehrfach angedeutet worden, warum solche Zwangsmaßnahmen undurchführbar und schädlich sind. Wenn die Verordnung, die bei den Betroffenen auf starken Widerstand stoßen würde, nicht auf dem Papier bleiben soll, müßten scharfe Kontroll- und Strafbestimmungen erlassen werden. Das würde zu einer endlosen Kette von Denunziationen, Umgehungsmanövern, Bestechungen der Kontrollorgane und zu einer tiefen Zerrüttung des gesellschaftlichen Lebens führen, die sich äußerst nachteilig auf die Arbeitsfreude der gesamten Bevölkerung auswirken würde. Ein erheblicher Personaleinsatz wäre unvermeidlich. Durch all dies würde aber die wertvollste Quelle der gesuchten Gebrauchsgüter, die Neuproduktion behindert anstatt gefördert werden.

In den Gesetzentwürfen zu dieser Frage hat man sich auch darüber Gedanken gemacht, wie die beabsichtigte Abgabe von Hausrat zugunsten der Minderbemittelten gestaffelt werden müßte. Man ist dabei zum Beispiel von einer Vermögensschätzung zu Anschaffungspreisen der Vorkriegszeit ausgegangen. Es liegt auf der Hand, daß hier eine Quelle unzähliger Streitigkeiten liegt. Diese Streitigkeiten müssen um so erbitterter und das Gefühl der ungerechten Behandlung wird um so brennender sein, wenn es darum geht, ob die Grenze, von der an die Abgabequote sich erhöht, bereits überschritten ist oder nicht. So sieht z.B. ein uns bekannter Entwurf vor, daß der Ausgleichspflichtige bei einem Hausratwert bis zu 5.000 Mark 5 Prozent abgeben soll, bei einem Wert von 5.000 bis 10.000 Mark dagegen 10 Prozent.

Übrigens zeigen solche Sätze, daß das Ergebnis einer derartigen Abgabe selbst ihre glühendsten Anhänger sehr enttäuschen müßte. Denn die große Masse der deutschen Bevölkerung fällt wahrscheinlich in die unterste Kategorie, und wenn von dieser tatsächlich 5 Prozent des Hausrats abgeliefert werden würde, so wäre das als Hilfe für eine Masse von 25 Millionen Menschen oder noch mehr eine ganz unbefriedigende Menge, deren Verwaltung und Verteilung viel mehr Arbeit machen würde, als die ganze Sache wert ist.

Endlich müssen sich die Umgesiedelten, Ausgebombten und andere Notleidende auch vor Augen halten, daß sie im Falle einer Zwangsabgabe nicht Sachen von guter Verwendbarkeit, sondern in den meisten Fällen Gegenstände erhalten würden, die ohnehin schon so gut wie unbrauchbar sind. Vieles davon würde auf dem Transport zerbrechen oder schwer beschädigt werden. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich das im einzelnen auszumalen; aber anscheinend verfügen die Gesetzemacher, die solche Pläne ausbrüten, nur über eine sehr geringe Vorstellungsgabe und Kenntnis des praktischen Lebens oder sie haben es sich in den Kopf gesetzt, diesen Zankapfel auf jeden Fall in das deutsche Volk zu werfen, um es von wichtigeren Dingen abzulenken.

Das ist gar nicht so schlecht ausgedacht. Für ein verarmtes Großmütterchen ist der Kochtopf, den es durch ein solches Gesetz zu bekommen hofft oder zu verlieren fürchtet, sehr viel wichtiger als die Frage, ob irgendein Konzernleiter im ganzen oder teilweisen Besitz seiner Verfügungsgewalt über Teile der deutschen Industrie bleiben soll. Indem man mit der „Sozialisierung“ bei den lebensnotwendigsten Gebrauchsgegenständen der werktätigen Massen beginnt, hofft man diesen Massen den Geschmack an Eingriffen in das Konzerneigentum gründlich zu verderben. Die Verfechter der „Sozialisierung der Gebrauchsgüter“ wissen auch genau, daß einer Naturalabgabe von Hausrat unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen, wenn sie mit einiger Aussicht auf praktische Ergebnisse durchgeführt werden soll. Eben diese Schwierigkeiten wünschen sie, um dann sagen zu können: „Da seht ihr, wohin es führt, wenn man auch nur geringe Eingriffe in das Privateigentum vornimmt!“

Der einzige vernünftige Ausweg aus der gegenwärtigen Not ist weitere freundnachbarliche Hilfe auf freiwilliger Grundlage und eine möglichst schnelle und große Neuproduktion. Für die sowjetische Besatzungszone hat der Befehl Marschall Sokolowskijs gezeigt, daß diese Neuproduktion nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Wenn auch zunächst nur die allerdringendsten Bedürfnisse gedeckt werden können - wobei man sich nicht schematisch auf Umsiedler und Ausgebombte beschränken darf -, so führt dieser Weg doch sicherer zum Ziel als demagogische Gesetze, mit denen die Reaktion die Spaltung der Werktätigen noch weiter vertiefen will.

Quelle: „Lastenausgleich durch Naturalausgabe? Ein Zankapfel als Ablenkungsmanöver der Reaktion“, Tägliche Rundschau, Nr. 39, 15. Februar 1947; abgedruckt in Udo Wengst, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Bd. 2/2: 1945–1949: Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten. Dokumente. Baden-Baden: Nomos, 2001, Nr. 132, S. 285–87.