Quelle
Mit Schlagsahne und Schinkenbrötchen, Schokolade und Räucheraal sind auch die Sorgen um die schlanke Linie wieder aufgetaucht. Sorgen – das ist ja eigentlich ganz etwas anderes als diese aus einem zu guten Leben sich ergebenden Stoßseufzer, die wir lieber „Gewissensbisse“ nennen wollen darüber, daß wir in der Freude über die wieder erschienenen guten Dinge etwas über die Stränge geschlagen haben.
Wie dem auch sei: der Mantel ist zu eng, die Kostümjacke geht nicht mehr zu, das Kleid kracht in allen Nähten, und das Jackett – ja, auch Sie, meine Herren, sind diesmal „Betroffene“ – läßt sich weder durch Knopfversetzen noch durch Nahtauslassen mehr erweitern. Unser Gesicht nähert sich dem Vollmondformat, aus einem Kinn sind mindestens zwei geworden. Über den verlängerten Rücken und die Hüften breiten wir lieber den Mantel der Nächstenliebe, und Herr Müller muß immer sein Söhnchen fragen, ob seine Schuhe staubig sind, denn der Bauch versperrt jede Aussicht nach unten.
Eins ist also sicher: Wir haben in der letzten Zeit zuviel oder besser gesagt falsch gegessen. Immer gerade das, nach dem wir nach den langen Jahren des Entbehrens so unwiderstehlich verlangten und was so hübsch Fett ansetzt. Nicht die Menge des Essens tut es, das klassische Schlankheitsrezept „F. d. H.“ (auf gut deutsch: Friß die Hälfte!) hat daher nur bedingt Geltung. Um schlank zu werden und schlank zu bleiben, bedarf es nur einer natürlichen Lebensweise mit vernünftig gemischter Kost. Wir stellen also die Pflanzenkost vor die Fleischkost, bevorzugen Gemüse (ohne Mehl gekocht und möglichst roh genossen), Salat (ohne Öl und Speck, aber mit viel Kräutern), Obst und Obstsäfte. Wir meiden fettes und in Fett gebratenes Fleisch, gebackenen Fisch oder fetten Fisch, wie z. B. Aal, und sagen dem süßen Backwerk, den Torten, der Schokolade und anderen Süßigkeiten für eine Weile tapfer Valet. Quark und Milch, Kochfisch, gekochte Eier bereichern unseren Küchenzettel. Statt Bier trinken wir lieber ein Glas Moselwein und machen es uns vor allem zur Regel, nie während des Essens, sondern nur vorher oder zwischen den Mahlzeiten und nie viel zu trinken.
Quelle: Ratgeber 1950, Nr. 9, S. 257; abgedruckt in Christoph Kleßmann und Georg Wagner, Hrsg., Das gespaltene Land. Leben in Deutschland 1945–1990. Texte und Dokumente zur Sozialgeschichte. München: C.H. Beck, 1993, S. 186.