Kurzbeschreibung

Die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder stimmen den alliierten Vorschlägen der Londoner Dokumente [auch: Frankfurter Dokumente] auf ihrer Konferenz in Koblenz vom

8.–10. Juli 1948 grundsätzlich zu. Um den provisorischen Charakter des westdeutschen Teilstaates und die fortbestehende Beschränkung der deutschen Souveränität deutlich zu machen, soll allerdings statt einer Verfassungsgebenden Versammlung ein Parlamentarischer Rat gewählt und statt einer Verfassung nur ein vorläufiges Grundgesetz ausgearbeitet werden. Außerdem wünschen die Ministerpräsidenten eine Präzisierung der alliierten Rechte in einem ausformulierten Besatzungsstatut. Die deutschen Änderungswünsche stoßen bei Amerikanern und Briten auf Widerstand.

Beschlüsse der Koblenzer Ministerpräsidentenkonferenz (10. Juli 1948)

Quelle

Stellungnahme der Ministerpräsidenten zu dem Dokument Nr. 1

1. Die Ministerpräsidenten werden die ihnen am 1. Juli 1948 durch die Militärgouverneure der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone übertragenen Vollmachten wahrnehmen.

2. Die Einberufung einer deutschen Nationalversammlung und die Ausarbeitung einer deutschen Verfassung sollen zurückgestellt werden, bis die Voraussetzungen für eine gesamtdeutsche Regelung gegeben sind und die deutsche Souveränität in ausreichendem Maße wieder hergestellt ist.

3. Die Ministerpräsidenten werden den Landtagen der drei Zonen empfehlen, eine Vertretung (Parlamentarischer Rat) zu wählen, die die Aufgabe hat,

a) ein Grundgesetz für die einheitliche Verwaltung des Besatzungsgebietes der Westmächte auszuarbeiten,

b) ein Wahlgesetz für eine auf allgemeinen und direkten Wahlen beruhende Volksvertretung zu erlassen.

Die Beteiligung der Länderregierungen an den Beratungen des Parlamentarischen Rates ist sicherzustellen.

Die Vertretung soll nach den ziffernmäßigen Vorschlägen des Dokumentes Nr. I gebildet werden und spätestens bis zum 1. September 1948 zusammentreten. Jedes Land stellt mindestens einen Vertreter; für mindestens 200 000 überschießende Stimmen wird ein weiterer Vertreter bestellt.

4. Die Wahlen zur Volksvertretung sollen noch im Laufe des Jahres 1948 durchgeführt werden.

5. Das Grundgesetz muß außer der aus allgemeinen Wahlen hervorgehenden Volksvertretung eine bei der Gesetzgebung mitwirkende Vertretung der Länder vorsehen.

6. Hat die aus den Landtagen gewählte Vertretung (Ziffer 2) ihre Aufgabe erfüllt, so werden die Ministerpräsidenten nach Anhörung der Landtage das Grundgesetz mit ihrer Stellungnahme den Militärgouverneuren zuleiten, die gebeten werden, die Ministerpräsidenten zur Verkündung dieses Gesetzes zu ermächtigen.

7. Die Volksvertretung soll alle Funktionen erfüllen, die einem demokratisch gewählten Parlament zukommen.

8. Das für das Besatzungsgebiet der Westmächte vorgesehene gemeinsame Exekutivorgan wird nach Maßgabe des Grundgesetzes bestellt.

Stellungnahme der Ministerpräsidenten zu dem Dokument Nr. II

Die Ministerpräsidenten stimmen mit den Militärgouverneuren überein, daß eine Überprüfung der Grenzen der deutschen Länder zweckmäßig ist.

Sie sind jedoch der Ansicht, daß diese Frage einer sorgfältigen Untersuchung bedarf, die innerhalb kurzer Frist nicht durchzuführen ist.

Unter diesen Umständen können die Ministerpräsidenten von sich aus im Augenblick keine Gesamtlösung unterbreiten. Sie sind aber der Ansicht, daß die Grenzen der Länder im Südwesten dringend einer Änderung bedürfen. Über diese Änderung soll der Parlamentarische Rat beraten und den Ministerpräsidenten Vorschläge unterbreiten.

Das Recht der beteiligten Länder, selbständig eine Regelung zu treffen, bleibt unberührt.

Stellungnahme der Ministerpräsidenten zu dem Dokument Nr. III:

Leitsätze für ein Besatzungsstatut

I

1. Zur Verwirklichung der wirtschaftlichen und administrativen Einheit aller der Besatzungshoheit Großbritanniens, Frankreichs und der USA unterstehenden deutschen Gebietsteile werden diese zu einem einheitlichen Gebiet zusammengeschlossen, mit dessen Organisation die Besatzungsmächte dessen Bevölkerung beauftragen.

2. Die deutschen Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungsbefugnisse sind nur durch die sich aus dem Text des Besatzungsstatutes selbst ergebenden Befugnisse der Besatzungsmächte beschränkt. Die Vermutung spricht für die Zuständigkeit der deutschen Organe.

3. Die Besatzungsmächte behalten sich Maßnahmen nur insoweit vor, als diese zur Sicherheit der Verwirklichung der Besatzungszwecke notwendig sind.

4. Diese Maßnahme können bestehen in:

a) eigener unmittelbarer Verwaltung durch Besatzungsorgane,

b) Kontrolle,

c) Überwachung,

d) Beobachtung, Beratung und Unterstützung.

5. Die Besatzungszwecke sind:

a) Gewährleistung der Sicherheit der Besatzungstruppen,

b) Gewährleistung des Bestandes einer demokratischen Ordnung in Deutschland,

c) Entmilitarisierung Deutschlands,

d) Gewährleistung der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen Deutschlands.

6. Unmittelbare Verwaltung wird durch die Besatzungsmächte ausgeübt zur vorläufigen Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten; jedoch sind deutsche Vertretungen zur Wahrung der wirtschaftlichen und Handelsinteressen im Ausland zuzulassen, deren Leiter die einem Konsul entsprechende Rechtsstellung haben soll.

7. Die Maßnahmen der Besatzungsmächte beschränken sich grundsätzlich auf allgemeine Überwachung der Tätigkeit der deutschen Organe. Dem deutschen Außenhandel gegenüber kann das Recht der Kontrolle ausgeübt werden, jedoch nur insoweit, als zu befürchten ist, daß die Verpflichtungen, welche die Besatzungsmächte in bezug auf Deutschland eingegangen sind, nicht beachtet oder die für Deutschland verfügbar gemachten Mittel nicht zweckmäßig verwendet werden. Die Kontrolle soll sich nicht darauf erstrecken, ob die deutschen Maßnahmen technisch richtig und zweckmäßig sind.

Die Kontrolle wird sich weiterhin beziehen können auf die Sicherstellung der noch fälligen deutschen Reparationsverpflichtungen, die Einhaltung der den Stand der deutschen Industrie festlegenden Bestimmungen, die Durchführung der Dekartellisierung, der Abrüstung und Entmilitarisierung, sowie auf solche wissenschaftlichen Forschungsunternehmen, die der deutschen Kriegswirtschaft gedient haben.

Die Befugnisse einer Internationalen Ruhrbehörde sind nicht Gegenstand dieses Statutes.

8. Anweisungen im Rahmen obiger Bestimmungen werden nur durch die obersten Organe der Besatzungsmächte an die oberste deutsche Gebietsbehörde erteilt.

9. Einem ordnungsgemäß erlassenen deutschen Gesetz gegenüber soll von dem Rechte des Einspruchs nur Gebrauch gemacht werden, wenn es geeignet ist, die Verwirklichung der Besatzungszwecke zu gefährden. Wenn nicht binnen 21 Tagen nach Erlaß dieses Gesetzes von den Militärgouverneuren gemeinsam Einspruch eingelegt wird, tritt das Gesetz in Kraft.

10. Auf dem Gebiete der Demokratisierung des politischen und sozialen Lebens sowie der Erziehung werden sich die Besatzungsmächte auf Beobachtung, Beratung und Unterstützung beschränken.

11. Die Unabhängigkeit und territoriale und sachliche Universalität der deutschen Rechtspflege wird anerkannt.

12. Die Gerichtsbarkeit der Besatzungsgerichte wird beschränkt auf:

a) die nichtdeutschen Mitglieder der Besatzungstruppen und der Besatzungsverwaltung sowie deren Familienangehörige

b) Verbrechen und Vergehen gegen die Sicherheit oder Eigentum der Besatzungsmächte oder die Person ihrer Angehörigen.

13. Für Rechtsstreitigkeiten zwischen Deutschen und Angehörigen der Besatzungsmächte werden gemischte Gerichte gebildet.

II

Der deutschen Bevölkerung werden die allgemeinen Menschenrechte sowie die bürgerlichen Rechte und Freiheiten auch den Organen der Besatzungsmächte gegenüber gewährleistet.

III

1. Natural- und Dienstleistungen können nur in dem Umfange gefordert werden, der notwendig ist, um die Bedürfnisse der Besatzungstruppen und der Besatzungsverwaltung zu befriedigen. Sie müssen im Verhältnis zu den Hilfsquellen des Landes stehen.

2. Art und Umfang der aufzubringenden Natural- und Dienstleistungen sowie die Form ihrer Vergütung werden durch die Militärgouverneure gemeinsam bestimmt. Es ist für Anforderung und Aufbringung ein besonderes Verfahren zu schaffen, bei dem deutsche Stellen zu beteiligen sind.

3. Die Besatzungskosten sind für ein Jahr im voraus festzusetzen. Hierauf sind sämtliche deutschen Leistungen nach Ziffer III 1 bis 2 in Anrechnung zu bringen.

Die Kosten müssen in einer festen Summe festgesetzt werden und dürfen einen bestimmten Prozentsatz der fortdauernden Ausgaben des ordentlichen Haushalts nicht überschreiten. Die Festsetzung wird im Benehmen mit den zuständigen deutschen Stellen erfolgen.

IV

Für die Durchführung der Sicherstellung der Reparationsleistung und der Vorgriffe auf die noch festzusetzenden deutschen Reparationsverpflichtungen sowie für die Durchführung der Restitutionen wird ein besonderes Verfahren geschaffen werden, das eine gemeinsame Beteiligung deutscher Organe vorsehen wird.

V

Für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung und Anwendung des Besatzungstatutes werden Schieds- und Vergleichsstellen geschaffen werden.

VI

Falls die Militärgouverneure die Wiederaufnahme der Ausübung ihrer Machtbefugnisse für notwendig erachten, werden sie dies nur als Notmaßnahme und in gemeinsamer Entschließung tun, sowie nur für den Fall, daß ein Notstand die Sicherheit bedroht oder es erforderlich erscheint, um die Beachtung der Verfassungen und des Besatzungsstatuts zu erzwingen.

Quelle: Beschlüsse der Koblenzer Ministerpräsidentenkonferenz (8.–10. Juli 1948), in E.R. Huber, Quellen zum deutschen Staatsrecht. Tübingen, 1950. Bd. II, S. 200–05; abgedruckt in Theo Stammen, Hrsg., Einigkeit und Recht und Freiheit: westdeutsche Innenpolitik 1945–1955. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1965, S. 184–88.