Kurzbeschreibung

Die Leitlinien des amerikanischen Außenministeriums vom 11. Dezember 1945 zur Frage der deutschen Reparationsleistungen und der zukünftigen Stellung des Landes in der Weltwirtschaft machen deutlich, dass die USA an einem wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands interessiert sind und eine dauerhafte Schwächung der deutschen Wirtschaftskraft – etwa zugunsten wirtschaftlicher Vorteile anderer Länder – nicht wünschen. Die Deindustrialisierung des Landes soll auf kriegswichtige Bereiche beschränkt bleiben. Der Lebensstandard in Deutschland soll sich bis 1948 am gegenwärtigen europäischen Durchschnitt und dem deutschen Durchschnitt der 1930er Jahre orientieren. Die zurzeit noch notwendige alliierte Wirtschaftshilfe für Importe soll dadurch überflüssig werden, dass die deutsche Wirtschaft ihre Leistung steigert und wieder Güter exportieren kann.

Das Reparationsabkommen und die Friedenswirtschaft in Deutschland: Mitteilung des US-Außenministeriums (Pressemitteilung vom 12. Dezember 1945)

Quelle

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3. Das Sicherheitsinteresse der Vereinigten Staaten und seiner Alliierten verlangt in Deutschland die Zerstörung solcher wesentlicher Industrieausrüstung, die nicht als Reparation entfernt werden kann und nur für die Rüstungsproduktion oder die Produktion metallurgischer Produkte, Maschinerie oder chemischer Produkte über den Bedarf der deutschen Friedenswirtschaft hinaus genutzt werden kann. Es liegt jedoch nicht in der Absicht der Vereinigten Staaten, mutwillig deutsche Strukturen und Einrichtungen zu zerstören, die leicht für die gestattete industrielle Tätigkeit in Friedenszeiten oder als vorübergehende Unterkunft genutzt werden können. Es wird offensichtlich notwendig sein, spezialisierte Einrichtungen und Strukturen, die zum Schiffbau genutzt wurden, Flugzeuge, Waffen, Sprengstoffe sowie bestimmte Chemikalien, die nicht als Reparationen entfernt werden können, zu zerstören. Nicht spezialisierte Einrichtungen und Strukturen in denselben Bereichen in solchen Industriekomplexen, die derart angelegt sind, die Wiederumwandlung von friedlichen zu Kriegszwecken zu einem späteren Zeitpunkt wesentlich erleichtern zu können, mögen im Wesentlichen zerstört werden müssen, soweit sie nicht als Reparationen verlangt werden. Abschließend sollte bei der Entfernung von Ausrüstung aus Anlagen, die für Reparationen als verfügbar erklärt wurden, nicht in Erwägung gezogen werden, Teile der Ausrüstung einzubehalten, die von einem Reparationsempfänger verlangt werden, um die verbleibenden Einrichtungen und Strukturen in nutzbarerem Zustand für die friedliche Nutzung zu bewahren. Innerhalb dieser Einschränkungen sind die Reparations- und Sicherheitspolitik der Vereinigten Staaten jedoch nicht darauf angelegt, in bestrafender Zerstörung der für die deutsche Friedenswirtschaft wertvollen Produktionsmittel zu resultieren.

4. Zum Zweck der Festlegung der industriellen Kapazität der deutschen Friedenswirtschaft – und damit der Auslöschung ihres Kriegspotenzials – der tatsächlichen Basis, auf welcher die Menge und Art der Reparationsdemontagen berechnet werden müssen – sollte davon ausgegangen werden, dass die geografischen Grenzen Deutschlands diejenigen sind, die den Bestimmungen der Berliner Erklärung entsprechen, d.h. diejenigen des Altreichs abzüglich der Gebiete östlich der Oder-Neiße Linie.

5. Die Berliner Erklärung legt als Leitlinie für die Demontage industrieller Ausrüstung zu Reparationszwecken das Konzept einer ausgewogenen deutschen Friedenswirtschaft vor, die in der Lage ist, dem deutschen Volk einen Lebensstandard zu ermöglichen, der den europäischen Durchschnitt (mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) nicht übersteigt. Nach Ansicht des Außenministeriums hat die Berliner Erklärung nicht die Absicht, eine Verminderung des deutschen Lebensstandards zu erzwingen, außer dort, wo eine solche Verminderung nötig ist, um Deutschland zu ermöglichen, seine Reparationszahlungen begleichen zu können. Tatsächlich bestimmt die Berliner Erklärung lediglich, dass die Verpflichtung Deutschlands zu Reparationen für die Kriegsschäden, die seine Aggression anderen Ländern zugefügt hat, nicht vermindert werden sollte, um es Deutschland zu ermöglichen, einen Lebensstandard oberhalb des europäischen Durchschnitts zu halten. Das Außenministerium interpretiert außerdem das Lebensstandard-Kriterium dahingehend, dass es sich auf das Jahr unmittelbar nach der zweijährigen Phase der Reparationsdemontagen bezieht. Um diese Forderung zu erfüllen, sollte die deutsche Industriekapazität nach den Demontagen physisch in der Lage sein, einen Lebensstandard hervorzubringen, der dem des europäischen Durchschnitts z.B. des Jahres 1948 entspricht. Angesichts der schwierigen Probleme der Verwaltung und wirtschaftlichen Organisation, mit denen die deutsche Friedenswirtschaft auch im Jahr 1948 noch konfrontiert sein wird, mag es bezweifelt werden, dass in Deutschland verbleibende Industrieausrüstung zu diesem Zeitpunkt tatsächlich mit voller Leistung produzieren wird, sodass der in Deutschland verwirklichte Lebensstandard wahrscheinlich für einige Zeit hinter dem des europäischen Durchschnitts zurückbleiben wird.

6. Es kann angenommen werden, dass der europäische Lebensstandard 1948 etwa dem durchschnittlichen Lebensstandard der Phase von 1930–38 entsprechen wird. Übernimmt man diese Vermutung, so kann man zu dem als Basis für die Berechnung der zu verbleibenden Industrieproduktionsmittel dienenden deutschen Lebensstandard kommen, indem man deutsche Verbrauchsdaten eines Jahres benutzt, in dem der durch den nationalen Einkommensindex ermittelte deutsche Lebensstandard am ehesten dem europäischen Durchschnitt von 1930–38 entsprach. Der deutsche Verbrauchsstandard im ausgewählten Jahr sollte Anpassungen nach unten oder oben unterliegen, um allgemeine Unterschiede zwischen dem deutschen Standard im gewählten Jahr und dem europäischen Durchschnitt auszugleichen. Aufzeichnungen über den Verbrauch in der Vergangenheit, die wie oben vorgeschlagen definiert sind, sind lediglich als genereller Anhaltspunkt gemeint. Sie würden die folgenden weiteren Anpassungen benötigen:

(a) Berücksichtigung der Bevölkerungsveränderung zwischen dem gewählten Jahr und 1948.

(b) Anpassung, die merkliche Abweichungen im deutschen Verbrauchsmuster des gewählten Jahres vom normalen Muster berücksichtigt.

(c) Freibetrag, um es dem deutschen Volk zu ermöglichen, in angemessenen Graden des Wiederaufbaus die weitreichenden Schäden an Gebäuden in Deutschland und am Verkehrssystem, wie es zur Erfüllung der Anforderungen der deutschen Friedenswirtschaft verkleinert wurde, wiedergutzumachen. Es wird vorgeschlagen, ausreichende zusätzliche Ressourcen über die zur Produktion des angepassten Ertrages des ausgewählten Jahres benötigten hinaus zu belassen, um den Gebäudenotstand in den nächsten zwanzig Jahren zu überwinden und um Instandsetzungen an Strukturen des Schienen- und Straßennetzes über fünf Jahre hinweg zu bewerkstelligen.

(d) Es sollten Deutschland ausreichende Ressourcen gelassen werden, um es dem Land zu ermöglichen, nach Abschluss der Industriedemontagen und der Wiederbelebung der verbliebenen Ressourcen ohne äußere Unterstützung zu existieren. Dieses Thema wird unten ausführlicher behandelt.

7. Bei der Planung der deutschen Friedenswirtschaft sind die Interessen der Vereinigten Staaten auf die industrielle Abrüstung Deutschlands und die Einrichtung einer ausgewogenen wirtschaftlichen Stellung bei dem genannten Lebensstandard begrenzt. Die Vereinigten Staaten trachten nicht danach, deutsche Industrien friedlichen Charakters, mit denen Deutschland erfolgreich für den Weltmarkt produziert hat, auszulöschen oder zu schwächen, mit der Absicht, amerikanische Märkte vor deutschen Waren zu schützen, amerikanische Exporte zu fördern oder zu irgendeinem anderen eigennützigen Vorteil. Ebenso stehen die Vereinigten Staaten dem Versuch irgendeines anderen Landes entgegen, den industriellen Abrüstungsplan der Berliner Erklärung zu dessen eigenen kommerziellen Zwecken auf Kosten einer deutschen Friedenswirtschaft auszunutzen. Es ist unser Wunsch, die Wirtschaft Deutschlands auf ein Weltsystem ausgerichtet zu sehen und nicht auf ein autarkes System.

8. Bei der Festlegung des Ausmaßes der Demontagen zu Reparationszwecken sollten die Vereinigten Staaten solche Demontagen nicht genehmigen, deren Ausmaß es Deutschland durch einen Mangel an Produktionsmitteln unmöglich machen würde, Waren in ausreichender Menge zu exportieren, um grundlegende Importe finanzieren zu können. Daher sollte eine Produktionsleistung belassen werden, die es Deutschland ermöglicht, für den Export Güter zu produzieren, die genug Devisen einbringen, um diejenigen Importe zu finanzieren, die für einen Lebensstandard notwendig sind, der dem europäischen Durchschnitt, ausgenommen das Vereinigte Königreich und die Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken, entspricht. In diesem Zusammenhang sollten die folgenden Punkte betont werden:

(a) Bei der Festlegung der Menge der in Deutschland zu erhaltenden Produktionsmittel bedarf es einer Bestimmung, damit die Kapazität der Produktion von Exportgütern ausreicht, um die geschätzten gegenwärtigen Importe zu finanzieren. In der deutschen Exportindustrie sollten keine Nachlässe gewährt werden, um Kapazitäten zu schaffen für die Finanzierung von äußerlich anfallenden Besatzungskosten, einschließlich des Imports von Gütern, die von Besatzungskräften verbraucht werden und Truppenbesoldung, die nicht in Deutschland ausgegeben wird.

(b) Die Bestimmung in der Berliner Erklärung, welche vorschreibt, dass beim Aufbau der deutschen Wirtschaft „die grundlegende Betonung auf der Entwicklung landwirtschaftlicher und friedlicher heimischer Industrien liegen soll“ erfordert die maximalen möglichen Vorkehrungen für Exporte anderen Ursprungs als der Metall-, Maschinen- und chemischen Industrie.

(c) In der Berliner Erklärung wird implizit anerkannt, dass die Politik der Demontage industrieller Produktionsmittel und die Exportbeschränkungen in den Bereichen Metall, Maschinen und Chemie es für solche Länder, die zuvor von Deutschland als Quelle dieser Produkte abhängig waren, notwendig machen wird, sie anderweitig zu beschaffen. Da diejenige Kapazität in der Metall-, Maschinen- und Chemieindustrie, die den Bedarf der deutschen Friedenswirtschaft übersteigt, an Länder übertragen werden soll, die Anspruch auf Reparationen von Deutschland haben, wird erwartet, dass die in Deutschland verlorengegangene industrielle Kapazität nach einigem zeitlichem Abstand weitgehend andernorts in der Welt, und größtenteils in Europa, wiedererlangt werden wird. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die aus Deutschland entfernte Industrie im Grunde Industrie ersetzt, die von den Deutschen zerstört wurde und nicht ausreichen wird, um die Nachfrage aus Vorkriegszeiten zu decken. Es sollte jedoch betont werden, dass es keiner Bemühung um industriellen Aufschwung in Deutschland erlaubt sein darf, den Wiederaufbau in europäischen Ländern, die unter der deutschen Aggression gelitten haben, zu hemmen.

(d) Bei der Festlegung der Höhe der Produktionsleistung, die nötig ist, um ein Gleichgewicht zwischen Export und Import zu erreichen, können die Vereinigten Staaten und andere Besatzungsmächte nicht tatsächlich garantieren, dass ein Export-Import-Gleichgewicht erreicht werden kann. Ihre Verantwortung beschränkt sich darauf, angemessene Möglichkeiten für das Erreichen eines Gleichgewichts bei dem vereinbarten minimalen Level des Lebensstandards zu schaffen. Durch die Festsetzung der für den Export notwendigen Höhe industrieller Produktionsleistung ist die Bestimmung von Sicherheitsspielräumen unnötig, wenn Deutschlands Exportpotenzial auf einer angemessenen Grundlage berechnet wird. Es sollte zur Kenntnis genommen werden, dass wenn Deutschland Ressourcen gelassen werden, um es ihm zu ermöglichen, seine Kriegsschäden wiedergutzumachen und auch die Abschreibungen bei Wohnraum und Transportwegen über einen bestimmten Zeitraum hinweg wie in Paragraph 6 (d) vorgeschlagen, die Verlängerung des Zeitraums, in dem solche Defizite liquidiert werden im Bedarfsfall einige zusätzliche Kapazität für die Produktion von Exportgütern verfügbar machen würde.

9. Die Notwendigkeit, Importe nach Deutschland zu finanzieren und möglicherweise auch in den nächsten Jahren für solche Importe zu zahlen, die den Vereinigten Staaten und anderen Besatzungsmächten zufällt, entsteht nicht in erster Linie aus der Politik der Reparationsdemontagen, die in Potsdam vereinbart wurde. Die deutsche Wirtschaft wurde praktisch zum Stillstand gebracht durch die Niederlage Deutschlands, die einen fast vollständigen Zusammenbruch des Verkehrs, der wirtschaftlichen Ordnung, der Verwaltung und Führung hervorrief. Selbst wenn keinerlei Demontagen von industriellen Produktionsmitteln unternommen würden, bräuchte Deutschland immer noch die Unterstützung der Vereinten Nationen zur Finanzierung und womöglich auch bei der Bezahlung der minimalen Importe, die nötig sind, um Krankheiten und Unruhen vorzubeugen. Selbst nach Abschluss der wesentlichen Demontagen ist es wegen der begrenzten Verfügbarkeit von Treibstoff, Nahrung, Rohmaterial und dem langsamen Fortschritt dabei, die Lücke zu füllen, die von den Nazis in der wirtschaftlichen und politischen Organisation Deutschlands hinterlassen wurde, zweifelhaft, dass die deutsche Wirtschaft für einige Zeit bis zu den Grenzen der verbleibenden industriellen Kapazität funktionieren kann. Es ist möglich, sogar wahrscheinlich, dass der physische Transport von Reparationsdemontagen die Transportkapazität einschränken wird, die zur Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft und der Ausweitung des Exports zur Verfügung steht. Dies ist jedoch die einzige Hinsicht, in der die in der Berliner Erklärung festgehaltene Reparationspolitik von den Vereinten Nationen verlangen könnte, deutsche Importe für einen längeren Zeitraum zu finanzieren oder in größerem Ausmaß für sie zu zahlen, als wenn keine Bestimmungen über die Reparationen aus Deutschland getroffen worden wären.

10. Während der nächsten zwei Jahre müssen die Vereinigten Staaten und andere Besatzungsmächte minimale wesentliche Importe nach Deutschland finanzieren, soweit Exporte aus Vorräten und gegenwärtiger Produktion nicht ausreichen, die Kosten solcher Importe zu decken. Da die Berliner Erklärung keine Bestimmungen hinsichtlich des deutschen Lebensstandards im Zeitraum der Besatzung trifft, sind die Besatzungsmächte nicht verpflichtet, Importe bereitzustellen, die ausreichen, um in Deutschland einen Lebensstandard zu erreichen, der dem europäischen Durchschnitt entspricht. Der gegenwärtige Versorgungsstandard in Deutschland wird, was die Vereinigten Staaten betrifft, noch immer von der „Krankheit und Unruhe“-Formel bestimmt. Unter den in Paragraph 9 dargelegten Bedingungen wird es sich als wünschenswert erweisen, Art und Umfang der Importe nach Deutschland zu erweitern, nicht nur wegen unseres Interesses daran, ausgewählte deutsche Exportindustrien wiederzubeleben, die eine Menge an Devisen einbringen würden, und um so weit wie möglich die vergangenen Auslagen der Besatzungsmächte für Importe zurückzuzahlen. Falls wenn die Zeit für den Abschluss eines Friedensvertrags mit Deutschland kommt, ein Rückstand unbezahlter Importe verbleibt, werden die Besatzungsmächte entscheiden müssen, ob sie Deutschland verpflichten wollen, das angesammelte Defizit abzuzahlen oder nicht.

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12. Die Rolle der Besatzungsbehörden bei der Erneuerung Deutschlands sollte allgemein die sein, die Bedingungen zu schaffen und festzulegen, innerhalb derer die Deutschen selbst Verantwortung für die deutsche Wirtschaftsleistung übernehmen. Zu diesem Zweck sollten die Besatzungsbehörden ihre hauptsächliche Aufmerksamkeit der Planung zur Wiederbelebung der Entwicklung des deutschen Verwaltungsmechanismus widmen, nicht nur im Bereich von intrazonaler Produktion und Handel, sondern auch im interzonalen und internationalen Handel und in der Anwendung einheitlicher Regeln für Transport, Landwirtschaft, Bankwesen, Währung, Besteuerung, usw.

Als ein Aspekt dieses Prozesses sollte die Entnazifizierung im gegenwärtigen Zeitraum zufriedenstellend abgeschlossen werden. Für die restlichen hängt große Bedeutung an dem innerhalb des Alliierten Kontrollrats gefassten Beschluss über Vereinbarungen, die diejenigen Strategien bestimmen, die in den verschiedenen aufgezählten Aspekten der deutschen Wirtschaft verfolgt werden sollen und die interzonale deutsche Mechanismen für deren Anwendung entwerfen.

Quelle: U.S. Economic Policy towards Germany, U.S. State Department Publication, Washington, DC, 1946, S. 93–101; abgedruckt in Beata Ruhm von Oppen, Hrsg., Documents on Germany under Occupation, 1945–1954. London und New York: Oxford University Press, 1955, S. 93–97.

Übersetzung: Insa Kummer