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Der Briefträger bringt Berge neuer Beitrittserklärungen, Rundschreiben werden abgezogen und verschickt, Triptyks und Carnets ausgefertigt, Vormerkungen für die im Handumdrehen schon wieder vergriffenen Autoplaketten, Wimpel und Campingführer aufgenommen, Mitglieder- und Zeitungskarteien vervollständigt und tausend Anfragen beantwortet. Immer mehr Sportgeschäfte bewerben sich als autorisierte Beratungsstellen. Auf den Regalen türmen sich die Zeltplatzverzeichnisse aus ganz Europa, Richtlinien zum Ausbau von Campingplätzen und Muster einer Zeltplatzordnung. Zwei Dutzend Ordner können die Korrespondenz der ersten vier Monate dieses Jahres kaum aufnehmen. Längst reichen die beiden großen Räume und das siebenköpfige Personal nicht mehr. Das also ist die Geschäftsstelle des Deutschen Camping-Clubs in München, Ainmillerstraße 25. Unter seiner grünschwarzweißen Flagge mit dem Zelt im großen «C» sammelt sich die deutsche Camping-Bewegung. Eine enge Zusammenarbeit mit den Automobilclubs ist selbstverständlich. Der Aufbau der Organisation in den Ortsclubs macht täglich Fortschritte.
Den ganzen Betrieb leitet mit sicherer Hand Dr. Eckart, Vorsitzender des Clubs und einer der ältesten und erfahrensten Pioniere der deutschen Zeltwanderbewegung (wie er das als Mann der Wirtschaft so nebenbei macht, bleibt sein Geheimnis). Und das kam so: Man schrieb 1947, als zwei ihm unbekannte amerikanische Offiziere und ein englischer Zivilist sich bei ihm meldeten. Was denn mit dem deutschen Camping los sei? Hier müsse doch wohl schleunigst etwas geschehen, und niemand anders als Eckart sei dazu berufen. Das wurde – nach einigen Umwegen – der neue Start. Ein Jahr später schon wurde der Club gegründet und kurz darauf, als andere deutsche Sportarten noch in ungewollter Abgeschiedenheit lebten, wurde er bereits in den Internationalen Campingverband Paris aufgenommen, der heute 27 nationale Clubs umfaßt.
Der deutsche Club war kaum geboren, als die ganze Welt mit einer „Tagesleistung“ von durchschnittlich fünfzig Briefen an ihn schrieb. Erste Frage: „Wo kann man in Deutschland zelten?“ Man konnte das leider nicht, jedenfalls nicht auf solchen Plätzen, wie sie die ausländischen Campingfreunde gewohnt waren. Eckart begann gegen das übliche Beharrungsvermögen und Unverständnis, begann zugleich mit System, aber ohne Mittel Zeltplätze zu schaffen. 2200 westdeutsche Gemeinden wurden angeschrieben. Ein Fragebogen lag bei. „Erkundungsblatt für Zeltplätze“ hieß er, und es gab nichts, wonach nicht gefragt wurde. 500 Gemeinden antworteten, wobei der Schwarzwald besonders freundlich und aufgeschlossen reagierte. Anfang 1953 gab der Club den Camping-Führer mit Angaben über bereits 200 anerkannte Plätze heraus. Inzwischen sind es schon an die hundert mehr geworden. Am Rande sei vermerkt, daß Frankreich deren rund dreitausend hat, darunter sehr viele vorzügliche Privatplätze. Ebenfalls am Rande muß gesagt werden, daß entgegen einer weitverbreiteten Ansicht nicht Amerika die Heimat der Camping-Bewegung ist, sondern England. Deutschland, durch eine Zeit, in der man dem individuellen Wandern nicht sonderlich geneigt war, und durch den Krieg aus der Entwicklung geworfen, findet jetzt wieder Anschluß. Aber die Einzelindividuen mit dem Drang zur Absonderung ballen sich nun wieder zwangsläufig zu neuen Massen auf den Zeltplätzen zusammen. Immerhin sind es Massen von Gleichgesonnenen, was eine gewisse Rolle spielt.
Mitte vorigen Jahres entstand der Campingplatz in Lindau. Er ist zur Zeit der Stolz der deutschen Campingfreunde. Bis zum September zählte man dort eine durchschnittliche „Belegung“ von tausend Personen am Tag. Die Stadt München hofft, es mit ihrem Platz an der Isar, der zu Pfingsten eröffnet werden soll, an Komfort dem Lindauer gleichtun zu können.
90 000 Mark sind dafür veranschlagt. Eine Kommission hat das Gelände am Bodensee sondiert. Ein Büfett, eine Milchbar, modernste sanitäre Einrichtungen, Duschanlagen, Gasautomaten für Kochzwecke sind neben der Platzbewachung das mindeste, was man auch in München bieten möchte. An der Ostsee finden sich Zeltstände mit Mietzelten. Auch sonst tut sich allerlei in der deutschen Camping-Bewegung. Sportgeschäfte stellen auf Ruinengrundstücken der Großstädte ganze Ausrüstungen zur Schau. Ein Wanderprediger der Camping-Bewegung zieht durch Stadt und Land, und wo immer er seinen Film über einen Sommer mit Auto und Zelt vorführt, hat er ausverkaufte Häuser. Viele Gemeinden geben schon eigene Zeltbroschüren heraus. Ein dicker Führer „München–Neapel“ enthält die auf der Route gelegenen schönsten Zeltplätze. Kurzum: wir stehen auch in Deutschland an der Wende zu einer neuen Ära des Fremdenverkehrs, die in anderen Ländern schon längst begonnen hat.
Die deutsche Industrie hat das Ziel klar erkannt. Sie erwartet in den nächsten Jahren eine stürmische Aufwärtsentwicklung, die die deutsche Camping-Bewegung zumindest auf den Stand anderer europäischer Länder bringen wird. Neben alten Firmen, die mit einem guten Schuß Idealismus eine jahrzehntelange Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet haben und sich in den Frühzeiten oft erst einmal als lächerlich bezeichnen lassen mußten, treten neue auf den Plan. Das Ergebnis wird ein verschärfter Wettbewerb sein. Der Anblick einer der großen internationalen Zeltplätze zeigt dem Neuling, daß hier ein neuer Konsumbedarf im Entstehen ist. Zelte aller Aufmachungen und Farben, in manchmal abenteuerlichen Kombinationen, formen das Bild eines friedlichen Heerlagers des zwanzigsten Jahrhunderts. Vom kleinsten Einmannzelt bis zum dreiflügeligen Zelt für sechsköpfige Familien einschließlich Autogarage, batteriebetriebenem Kühlschrank und mehrflammigem Propangasherd, vom einfachen Zeltbahnzelt über die pyramiden- oder trapezförmige Zeltbehausung bis zur Lappenkote und dem Indianerwigwam reicht der Radius.
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Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Februar 1953; abgedruckt in Christoph Kleßmann und Georg Wagner, Hrsg., Das gespaltene Land. Leben in Deutschland 1945–1990. Texte und Dokumente zur Sozialgeschichte. München: C.H. Beck, 1993, S. 335–36.