Kurzbeschreibung

Während des Zweiten Weltkriegs wurden 23 % der Dresdner Industriegebäude und 50 % der Wohngebäude bei Bombenangriffen zerstört. Nach dem Krieg entwickelte sich Dresden zu einem bedeutenden Industriezentrum in der DDR. Die Stadtführung baute einige der wichtigsten historischen Gebäude wieder auf, entschied sich jedoch für den Wiederaufbau eines Großteils der Stadt im Stil der „sozialistischen Moderne“, zum Teil aus finanziellen Gründen, zum Teil aber auch, weil sie die Stadt von ihrer Vergangenheit als königliche Residenzstadt Sachsens und Hochburg des deutschen Bürgertums distanzieren wollte.

Das Ringen um die Durchsetzung der sozialistischen Ideologie zieht sich durch alle Bereiche der ostdeutschen Gesellschaft, auch beim Bau und der Gestaltung von Wohnungen und öffentlichen Räumen. Die DDR strebte danach, ein autarkes Produktions- und Kulturzentrum zu werden, wurde aber durch wirtschaftliche Beschränkungen, mangelnde Ressourcen und, wie dieser Artikel aus Neues Deutschland, der offiziellen Tageszeitung der SED, zeigt, durch selbst auferlegte Beschränkungen in Form von „Handwerkelei“ und der Unfähigkeit, mit dem sich wandelnden und modernisierenden Geschmack Schritt zu halten, gebremst. In der DDR stand die Funktion im Mittelpunkt des Designs, aber das Design hatte auch die schwierige Aufgabe, nicht nur die Wünsche der Verbraucher*innen, sondern auch ihre Ideale widerzuspiegeln. Unter dem Druck der Ideologie blieb das Design weitgehend gleich, und die Verbraucher*innen wurden unzufrieden und wünschten sich mehr gut durchdachte, elegante oder kreative Möglichkeiten.

Die Wünsche der Mieter: Moderne Wohnungen und formschöne Möbel (1956)

Quelle

Moderne Wohnungen und formschöne Möbel

„Fassadenarchitektur“ und alte Serienmöbel schränken moderne Wohnkultur ein

Beim Neuaufbau der zerstörten Zentren der Städte unserer Republik bemühen sich die Architekten, die wichtigsten Faktoren der jeweilig örtlich vorherrschenden Architekturtradition mit dem Zweck der neuen Gebäude zu verbinden, die in jedem Fall, ob Wohn- oder Geschäftshaus, modernen Ansprüchen genügen müssen.

Besonders kompliziert war und ist diese Aufgabe bei der Neugestaltung des Stadtkerns von Dresden, seiner großen Magistralen und des zentralen Platzes. Es ist für die Städteplaner und Architekten nicht leicht, einer Stadt, in der vor ihrer Zerstörung barocke Elemente überragten, ihren Charakter zu erhalten und gleichzeitig das Neue in unserem gesellschaftlichen Leben nicht nur im Zweck der Neubauten, sondern auch in ihrer Gestaltung sichtbar werden zu lassen.

Mit Recht klagen viele der Werktätigen, die eine Neubauwohnung im wiederentstehenden Zentrum der Stadt Dresden bezogen haben, noch über eine gewisse „Fassadenarchitektur“, die nicht nur der modernen Wohnkultur Schranken setzt, sondern auch die immer noch vorhandene Handwerkelei in unserem Bauwesen unterstützt.

Die Wünsche der Mieter

Die Bauten am Altmarkt in Dresden lassen gegenüber den neuentstandenen Blocks an der Grunaer Straße, ebenfalls im Dresdner Stadtzentrum in den Jahren bis 1952 erbaut, den Fortschritt in unserem Bauen sehr deutlich werden. Die beiden siebengeschossigen Häuserfronten an der Ost- und Westseite des Altmarktes sind wuchtiger als ihre 1945 zerstörten Vorgänger, ohne aber die historischen Bauten der Innenstadt, die erhalten geblieben sind oder wieder aufgebaut werden, etwa zu „erdrücken“. Es wäre jedoch falsch, nicht auch die kleinen vermeidbaren Fehler zu sehen, über die sich viele Mieter mit Recht beklagen. Im Haus Altmarkt 4 grenzen die Wohnzimmer der einen Wohnung an die Badezimmer der Nachbarwohnungen. Wahrscheinlich haben die Architekten noch nie in einem solchen Wohnzimmer gesessen, wenn nebenan ein Bad gerichtet wird.

Als sehr schön werden von den Bewohnern die in die Decke eingelassenen Gardinenzüge empfunden, durch die häufig den Raum nicht schmückende Holzleisten überflüssig geworden sind. Muß aber wenige Zentimeter davon entfernt ein mehrfach geschweißtes Steigrohr für die Fernheizung die Gesamtwirkung des Raume abschwächen? In einigen Wohnungen verlaufen diese Rohre nicht nur an der Vorderwand des Zimmers, sondern „schmücken“ auch noch einen Teil der Zimmerdecke. Die Zimmer, die kein Parkett haben, erhielten verschiedenfarbigen Fußbodenbelag, aber in allen Zimmern sind die Fensterbretter aus Kunststein der gleichen Farbe. Man kann es auch erleben, daß in einer Wohnung das Fenster eines Zimmers so in die Ecke gerückt ist, daß es wirklich schwerfällt, sich vorzustellen, wie die künftigen Mieter Übergardinen anbringen wollen. Damit die „Symmetrie“ wieder hergestellt ist, befindet sich der Heizkörper in der anderen Ecke. Die Wohnungen, die mit einer gediegen gestalteten Diele, Müllschlucker usw. versehen sind, hätten auch durch eine Trennung von Bad und Toiletten noch gewonnen.

Wir wollen moderne Möbel kaufen

Wenn man mit Familien spricht, die eine Neubauwohnung bezogen haben, stellt man fest, daß ihr Interesse an den Entwicklungen unserer Möbelindustrie ebenso groß ist wie bei jungen Menschen. In der Möbelabteilung des HO-Warenhauses Dresden betrachtete der Feinmechaniker Gerd Lusdorf mit seiner Braut das Angebot besonders gründlich. Sie wollen noch in diesem Jahr heiraten und hoffen, auch bald eine Wohnung zu erhalten. „Natürlich wollen wir uns modern einrichten“, ist Gerds Meinung, aber von den schönen vor eineinhalb Jahren gezeigten Modellen, die uns schon damals so gut gefielen, ist in den Kaufhäusern noch wenig zu sehen. Es ist mit der Möbelindustrie wahrscheinlich so wie bei der Mode – an Einfällen und zweckmäßig schönen Modellen fehlt es nicht, aber eben an Einkäufern und Verkaufsstellenleitern ohne konservatives Jackett. Seine Braut, eine junge Kindergärtnerin, ist der Meinung, daß viele der jetzigen Serienmöbel den Eindruck hinterlassen, als seien alte Zeichnungen in den Konstruktionsbüros etwas modernisiert worden, ohne dabei zu berücksichtigen, daß die Größe und Höhe der Zimmer in den Neubauten die frühere Wirkung gar nicht mehr zuläßt. Auch den Industrieladen des VEB Deutsche Werkstätten Hellerau hatten beide schon besucht. Ihre Meinung: Abgesehen von ein paar „ausgefallenen“ Sachen alles sehr schön. Sie verstehen auch, daß die Preisgestaltung für diese Erzeugnisse nicht mit der von Serienprodukten gleichgesetzt werden kann. Was hält aber unsere Möbelindustrie ab, solche formschöne und zweckmäßige Möbel in die Serienproduktion aufzunehmen und dadurch auch auf die Preisfestsetzung günstig einzuwirken?

Besonders dringend ist die Entwicklung neuer Kleinmöbel. Es ist erstaunlich, was (und in welchen Mengen) noch an überholten und kitschigen Modellen von Radiotischen, Zeitungshaltern, Bücherregalen, kombinierten Lampentischen und Hausbarlampen angeboten wird. Es handelt sich dabei nicht etwa um Erzeugnisse der Produktion von 1950 oder 1952. Meist sind diese Kleinmöbel neuester Produktion. Es ist nicht damit getan, wenn zum Beispiel eine Verkäuferin sagte: „Wir werden einfach solche Waren, die unserem Formempfinden nicht mehr entsprechen und die nicht dazu angetan sind, die Wohnungen unserer Werktätigen wirklich zu schmücken, nicht mehr verkaufen.“ Das ist zwar eine wichtige Erkenntnis des Handels, man muß das Übel aber an der Wurzel packen. Das ist nicht der Verkauf, sondern die Herstellung solcher Waren, denn sind sie erst einmal produziert, ist der volkswirtschaftliche Schaden schon angerichtet. Hinzu kommt noch, daß man den Kitsch nicht nur als eine Geschmacksverirrung bezeichnen darf, ohne seinen politischen Charakter zu erkennen.

Was sagt der Handel dazu?

Mehrere Verkaufsstellen, die wir besuchten, hinterließen den gleichen Eindruck. Im allgemeinen bemüht man sich, die Kundenwünsche zu befriedigen, ohne allerdings durch eine fachkundige Beratung genügend auf die Geschmacksbildung einzuwirken. Immer wieder hörten wir solche Meinungen wie die des Leiters der Möbelabteilung des HO-Warenhauses Dresden, Rüdiger, eines alten Fachmannes, der sich vorbildlich um die Wünsche seiner Kunden bemüht. „Die Neuentwicklungen der Deutschen Werkstätten und der Bauakademie sind gut. Wir können aber nicht viel abnehmen. Erst müssen wir den Bedarf erforschen. Viele Möbel, die den von der Bauakademie angestrebten Formen nahekommen, stehen bei uns schon lange auf Lager. Sie werden einfach nicht verlangt.“ Die Gründe: Eine Dielengarnitur im Stil der deutschen Werkstätten kostet zum Beispiel 500 DM. Warum? Der Preis ist nicht günstiger, weil der Handel so zaghaft bestellt. Große Serien mit typisierten Bauelementen würden wesentlich billiger angeboten werden können. Dann würde auch bestimmt die Nachfrage steigen. Damit ist der Ring, dieser „fehlerhafte Kreislauf“, geschlossen.

Es ist dringend notwendig, an der Schwelle des zweiten Fünfjahrplanes alle Fehler und Schwächen sowohl in den für den Wohnungsbau verantwortlichen Entwurfsbüros der Architekten als auch in den Konstruktionsabteilungen der Möbelindustrie und im Handel zu überwinden, damit die ständig wachsenden Bedürfnisse unserer Werktätigen auch bei der Einrichtung ihrer Wohnungen besser berücksichtigt werden.

Quelle: H. R., „Moderne Wohnungen und formschöne Möbel“, Neues Deutschland, Nr. 89, 12. April 1956, S. 4.

Die Wünsche der Mieter: Moderne Wohnungen und formschöne Möbel (1956), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/die-besatzungszeit-und-die-entstehung-zweier-staaten-1945-1961/ghdi:document-5271> [11.05.2024].