Kurzbeschreibung

Zwar wurde der Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft“ 1947 von Alfred Müller-Armack geprägt, der später Staatssekretär im Wirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard wurde. Doch war Erhard aus dem Krieg mit der Überzeugung heimgekehrt, dass die westdeutsche Nachkriegswirtschaft radikal umstrukturiert werden müsse. Seit langem hatte er das deutsche Industriesystem kritisiert, das in Kartellen und Syndikaten organisiert war, bei denen es sich im Wesentlichen um rechtsverbindliche Absprachen zwischen unabhängigen Unternehmen handelte, um Preise und Produktionsquoten untereinander festzulegen und so das Prinzip des kapitalistischen Wettbewerbs auf dem Markt zu umgehen. Syndikate waren Vertriebsorganisationen, die den Absatz der Produkte eines bestimmten Kartells koordinierten. Als Mitglied der Wirtschaftsverwaltung, welche die Westalliierten in ihren Besatzungszonen eingerichtet hatten, wusste Erhard, dass die Amerikaner diese Tradition strikt ablehnten und die Bildung von Kartellen in der Nachkriegszeit strikt untersagten. Sein Glaube an das Prinzip des Wettbewerbs wurde auch konzeptionell durch die Theorien einer Gruppe von Ökonomen an der Universität Freiburg und insbesondere von Professor Walter Eucken gestützt, der sogar auf der Einführung des von ihm so genannten „vollkommenen Wettbewerbs“ bestand. Es verbot die Bildung von Monopolen und bestand auch auf der Überwachung der Tätigkeit von Großunternehmen, um zu verhindern, dass diese auf unlauteren Wettbewerb zurückgreifen, der das Überleben der kleinen und mittleren Unternehmen bedroht. Während Erhard den Wettbewerb als Schlüssel zum „Wohlstand für alle“ sah, wie er eines seiner Bücher betitelte, so enthielt seine Vorstellung von einer modernen Marktwirtschaft jedoch auch ein ausdrückliches „soziales“ Element. Als er 1949 Wirtschaftsminister der Bundesrepublik wurde, gab es Hunderttausende von Kriegswitwen, Waisenkindern, Flüchtlingen, Vertriebenen und Ausgebombten. Sie konnten nicht einfach dem rauen Wind des kapitalistischen Wettbewerbs ausgesetzt werden; sie mussten mit einem Sicherheitsnetz aus Sozialleistungen und staatlichen Renten versorgt werden, damit sie nicht verarmten und im Zeitalter des allgemeinen Wahlrechts nicht radikalen Parteien des linken und rechten Spektrums zuliefen, wie es in den verzweifelten Zeiten der frühen 30er Jahre geschehen war. Obwohl es also gute Gründe für den Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft gab, war das „Soziale“ ebenso ein integraler Bestandteil von Erhards sozialer Marktwirtschaft. Der folgende Auszug aus Erhards Buch stammt ursprünglich aus einer Rede, die er am 28. August 1948 auf dem CDU-Parteitag in Recklinghausen gehalten hatte.

Ludwig Erhard über die soziale Marktwirtschaft (22. August 1948)

Quelle

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Es ist gar nicht so, als ob wir bei vernünftigem Handeln die freie Entscheidung gehabt hätten. Was wir in dieser Situation tun mußten, war, die Fesseln zu lösen. Wir mußten dazu bereit sein, um in unserem Volk endlich wieder moralische Grundsätze zur Anwendung zu bringen und den Beginn einer Läuterung unserer Gesellschaftswirtschaft einzuleiten.

Mit der wirtschaftspolitischen Wendung von der Zwangswirtschaft hin zur Marktwirtschaft haben wir mehr getan, als nur im engeren Sinne marktwirtschaftliche Maßnahmen getroffen. Wir haben vielmehr unser gesellschaftlich-wirtschaftliches und soziales Leben auf eine neue Grundlage und vor einen neuen Anfang gestellt. Wir mußten abschwören der Intoleranz, die über die geistige Unfreiheit zur Tyrannei und zum Totalitarismus führt. Wir mußten hin zu einer Ordnung, die durch freiwillige Einordnung, durch Verantwortungsbewußtsein in einer sinnvoll organischen Weise zum Ganzen strebt.

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Quelle: Ludwig Erhard, Wohlstand für alle. Düsseldorf: Econ-Verlag, 1957, S. 23. © 2020 Econ in der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.