Quelle
Die Schande
In Westberlin ist jetzt ein neues Machwerk von Veit Harlan angelaufen. Es ist ein Film mit dem bezeichnenden Titel „Anders als Du und ich“ und es geht – welch weltbewegendes Problem für die Gegenwart – um diejenigen die anders sind als die anderen, im Volksmund auch schlicht „175er“ genannt. Nun hat sich zwar Harlan in seiner bisherigen Karriere niemals – wie schon die Zeitung „Die Welt“ bemerkt hat – durch Geschmack und Takt ausgezeichnet, aber hinter diesem neuen Opus steckt doch noch mehr.
Der Drehbuchautor ist Herr Felix Lützkendorf. Er hat sich als Nazi-Autor genauso wie Harlan während der zwölf braunen Jahre „ausgezeichnet“. So kann es nicht Wunder nehmen, daß in dem neuen Film der böse Verführer braver deutscher Knaben ein ziemlich undurchsichtiges Element ausländischer Herkunft mit dem Vornamen Boris ist. Die Rassenhetze feiert also, wenn auch in verschleierter Form, böse Urstände.
Das ist um so fürchterlicher, als Harlans schmutziger Film ausgerechnet in den Tagen in Westberlin aufgeführt wird, da sich die Erinnerung an die Kristallnacht aufdrängt. Am 10. November 1938 wurden die jüdischen Bürger in Deutschland von johlenden Nazihorden bespiehen, beschimpft, mißhandelt, wurden ihre Wohnungen besudelt, ihre Geschäfte demoliert, ihre Gotteshäuser angezündet. Und Herr Harlan hatte als Autor des „Jud-Süß“-Films seinen Teil zu diesen Exzessen beigetragen.
All das muß jeden anständigen Menschen in Berlin zum Protest aufrufen, muß zur Wachsamkeit mahnen. Es ist einerseits bezeichnend, andererseits eine tiefe Schande, daß heute in der Frontstadt eine derartige Provokation geschehen kann.
Quelle: „Die Schande“, Berliner Zeitung, Nr. 265, 12. November 1957, S. 3.