Kurzbeschreibung

Veit Harlan, der Regisseur des Films Anders als du und ich von 1957, war in Deutschland eine umstrittene Figur. Während des NS-Regimes hatte er antisemitische Propagandafilme gedreht, am berüchtigtsten Jud Süß. Nach dem Krieg wurde Harlan wegen Unterstützung der Nazis angeklagt, argumentierte aber, dass die Nazis seine Arbeit kontrollierten und er nicht persönlich für die Arbeit verantwortlich gemacht werden könnte, die er unter dem Regime produzierte. Harlan wurde schließlich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, weil er bei Jud Süß Regie geführt hatte, wurde aber freigesprochen. Diese Rezension von Anders als du und ich in der ostdeutschen Berliner Zeitung konzentriert sich weniger auf den Film, der in der DDR nicht gezeigt wurde, sondern nimmt den Film zum Anlass, die Öffentlichkeit daran zu erinnern, dass Veit Harlan weiterhin in der BRD arbeiten durfte, und zwar in der Filmindustrie. Insofern reiht sich der Artikel in die offiziellen ostdeutschen Pressedarstellungen der BRD als faschistisches Regime ein, das Nazis nach Kriegsende nicht nur in der Regierung, sondern auch in der Kultur an der Macht hielt.

Ostdeutsche Filmkritik zu Anders als du und ich (12. November 1957)

Quelle

Die Schande

In Westberlin ist jetzt ein neues Machwerk von Veit Harlan angelaufen. Es ist ein Film mit dem bezeichnenden Titel „Anders als Du und ich“ und es geht – welch weltbewegendes Problem für die Gegenwart – um diejenigen die anders sind als die anderen, im Volksmund auch schlicht „175er“ genannt. Nun hat sich zwar Harlan in seiner bisherigen Karriere niemals – wie schon die Zeitung „Die Welt“ bemerkt hat – durch Geschmack und Takt ausgezeichnet, aber hinter diesem neuen Opus steckt doch noch mehr.

Der Drehbuchautor ist Herr Felix Lützkendorf. Er hat sich als Nazi-Autor genauso wie Harlan während der zwölf braunen Jahre „ausgezeichnet“. So kann es nicht Wunder nehmen, daß in dem neuen Film der böse Verführer braver deutscher Knaben ein ziemlich undurchsichtiges Element ausländischer Herkunft mit dem Vornamen Boris ist. Die Rassenhetze feiert also, wenn auch in verschleierter Form, böse Urstände.

Das ist um so fürchterlicher, als Harlans schmutziger Film ausgerechnet in den Tagen in Westberlin aufgeführt wird, da sich die Erinnerung an die Kristallnacht aufdrängt. Am 10. November 1938 wurden die jüdischen Bürger in Deutschland von johlenden Nazihorden bespiehen, beschimpft, mißhandelt, wurden ihre Wohnungen besudelt, ihre Geschäfte demoliert, ihre Gotteshäuser angezündet. Und Herr Harlan hatte als Autor des „Jud-Süß“-Films seinen Teil zu diesen Exzessen beigetragen.

All das muß jeden anständigen Menschen in Berlin zum Protest aufrufen, muß zur Wachsamkeit mahnen. Es ist einerseits bezeichnend, andererseits eine tiefe Schande, daß heute in der Frontstadt eine derartige Provokation geschehen kann.

Quelle: „Die Schande“, Berliner Zeitung, Nr. 265, 12. November 1957, S. 3.