Kurzbeschreibung

Der Film Anders als du und ich von 1957 wurde von Hans Giese, einem renommierten Sexualforscher, der selbst schwul war, konzipiert, um eine Diskussion über den Paragrafen 175 des deutschen Strafgesetzbuches anzustoßen. Er wollte die Botschaft vermitteln, dass schwule Männer zwar anders, aber nicht kriminell sind. Ziel des Films war es nach Gieses Ansicht, die öffentliche Meinung über Homosexualität zu verändern und den Paragrafen 175 zu liberalisieren. Veit Harlan, ein umstrittener Regisseur, der während des Nationalsozialismus Propagandafilme gedreht hatte, übernahm das Projekt in der Hoffnung, sein Image zu rehabilitieren. Die zentrale Idee des Films, dass eine Mutter ihren Sohn vor der Homosexualität „rettet“, um dann selbst wegen Kuppelei angeklagt zu werden, sollte nicht nur die deutsche Einstellung zur Homosexualität in Frage stellen, sondern auch das deutsche Gesetz gegen Kuppelei, das viele für überholt hielten. Wie in diesem Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung deutlich wird, verfehlte der Film sein Ziel auf ganzer Linie. Harlan wurde von der Kritik vorgeworfen, einen Film gedreht zu haben, der ebenso homophob war wie sein berüchtigter NS-Propagandafilm Jud Süß antisemitisch war. Harlans Versuch, einen Film zu drehen, der die veralteten Gesetze zur Eindämmung des „Lasters“ in Frage stellt, war letztlich nicht erfolgreich, wobei einige der Kritiken, denen der Film ausgesetzt war, auch von homophoben Untertönen durchzogen waren.

Westdeutsche Filmkritik zu Anders als du und ich (6. November 1957)

Quelle

Ein überflüssiger Film

„Anders als du und ich“

Laßt uns danach die Hände waschen. Wir haben eine unappetitliche Sache gesehen und eine höchst überflüssige dazu. Es geht um den Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches. Am Kinoeingang heißt es, er werde „zur Diskussion“ gestellt. Aber das ist nicht der Fall. Die Homosexualität sitzt auf der Anklagebank. Nun braucht man weder prüde zu sein, noch dem homoerotischen Treiben gleichgültig oder gar freundlich gegenüberzustehen, um sich zu fragen, ob es nicht thematische Grenzen für den Film gibt. Ob nicht auch dieser Rückgriff auf die völlig nutzlosen „Sitten- und Aufklärungsfilme“ in Sphären eindringt, die nicht Sache der Flimmerkiste sind, gleich wie die künstliche Befruchtung oder das Kinderkriegen, wie „künstlerisch“ auch immer sie gemacht sein mögen. Die Homosexualität ist uralt und offenbar nicht aus der Welt zu schaffen. Ihre Auswüchse sollen in Deutschland durch das Strafgesetz eingedämmt werden. Ob der Film da helfen kann, wird bestritten werden dürfen.

Aber das Unglück ist nun einmal geschehen. Veit Harlan ist wohl zuallerletzt der Vorwurf zu machen, er wage sich nicht an prekäre Themen heran; also hat er auch nach diesem gegriffen und ein Drehbuch von Felix Lützkendorf ins Bild gesetzt. Es ist die Geschichte eines noch unerfahrenen, labilen jungen Mannes, der in homoerotische Kreise gerät, ohne sich dessen so recht bewußt zu sein. In ihrer Not bringt seine Mutter ihn deshalb mit der liebvollen Haustochter zusammen und wird, im Verlauf der ränkevollen Begegnungen zwischen ihrer achtbaren Bankiersfamilie und dem homosexuellen Verführer selbst zur Angeklagten: wegen Kuppelei. Wegen der besonderen Umstände kommt sie mit einer milden Strafe davon.

Das klingt nicht nur nach Kolportage, das ist es auch. Man muß das harte Wort gebrauchen, trotz oder gerade wegen der wirklichen großen Not, in die Eltern geraten können, wenn sie mit ansehen müssen, wie die Söhne auf Abwege solcher Art geraten.

Das Schlimme aber — und da gibt es kein Pardon — an diesem Film ist etwas ganz anderes. Schlimm und übel ist die Identifizierung der Homosexualität mit der modernen Kunst, wie sie hier von Harlan und Lützkendorf angeboten wird: Man weiß am Ende nicht, ob Harlan für den Paragraphen 175 und seine strenge Anwendung ficht oder ob er ihn nicht als Vehikel benutzt, um eine neue Ausstellung der „Entarteten Kunst“ anzuregen. Der sokratische Verführer ist nämlich ein Kunsthändler, seine Strichjungen spielen Elektronenmusik, malen abstrakt und dichten modern. Alle anderen sehen normal und tüchtig, rechtschaffen und brav aus. Aber lassen wir das. Die „Homos“ bei Harlan sind natürlich eine internationale Clique, sie sind einflußreich, sitzen überall, expressis verbis auch in den Zeitungsredaktionen, nie aber in Banken, Wirtschaftsgremien, Fabriken oder Bürohäusern. „Homos“ bilden die fünfte Kolonne der Kunst und des Geistes, den zu diffamieren Herr Harlan, der ein kluger Mann ist, wirklich nicht nötig hätte. Sein Film stammt aus Bildungsressentiments gegen die Intellektuellen. Damit fängt es an.

Und damit hört es auch schon auf. Denn, soll man noch etwas sagen über das Glück, Paula Wessely endlich einmal wieder im Film zu sehen und eine junge Begabung, Christian Wolff, der auch schon in den „Frühreifen“ als einziger Profil gezeigt hatte? Harlan hat ja Routine und gelegentlich auch Könnerschaft genug, um Schauspieler sicher zu führen. Aber daß gerade er herkommt und seine Ressentiments gegen die moderne Kunst auf diese Art loswerden will, das darf man ihm nicht abnehmen. S.-F.

Quelle: S.-F., „Ein überflüssiger Film: ,Anders als du und ich‘“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. November, 1957, S. 12.