Kurzbeschreibung

Neben den beiden Arbeiterparteien KPD und SPD sowie der bürgerlichen Sammlungspartei CDU wird das Parteienspektrum in Deutschland nach 1945 durch die Wiederbelebung des in der Endphase der Weimarer Republik weitgehend untergegangenen politischen Liberalismus vervollständigt. Die Richtlinien der Freien Demokratischen Partei (FDP) der britischen Zone vom 4. Februar 1946 betonen entgegen dem zeitgenössischen Trend zur Wirtschaftsplanung den Wert des Privateigentums und der persönlichen Initiative für die Wirtschaft und setzen sich für ein föderales politisches System sowie die Direktwahl der Parlamentsabgeordneten ein.

Programmatische Richtlinien der Freien Demokratischen Partei (4. Februar 1946)

Quelle

1. Inmitten des Unglücks, das der imperialistische Zwangsstaat herbeigeführt hat, darf das deutsche Volk nicht den Glauben an sich selbst verlieren. In der festen Zuversicht, daß der demokratische Gedanke, wie überall auf Erden, so auch im Herzen Europas, die Zukunft der Nationen bestimmen wird, wirkt die freie demokratische Partei für die Wiedererstehung eines deutschen Reiches.

Das neue Reich soll in organischer Neugliederung als Ganzes einen Staat bilden. Dieser Staat soll auf breitester Grundlage von unten nach oben aufgebaut werden, in freier Selbstverwaltung sollen unten die Gemeinden, darüber die Kreise, im größeren Bereich die Länder ihre eigenen Angelegenheiten selbständig regeln. Die Grenzen dieser Selbständigkeit bestimmt das Reich. Das Reich allein führt und bestimmt die Politik.

2. Das neue Reich des deutschen Volkes soll sobald wie möglich in die werdende Organisation der Menschheit eingegliedert werden. Die Vereinigten Staaten von Europa sollen für die Vereinigten Staaten der Erde die festeste Stütze sein.

3. Im Innern soll das Reich als Staat des deutschen Volkes ein wahrer Volksstaat sein, der sich jeglicher Diktatur widersetzt und keine Reste des alten Obrigkeitsstaates mehr duldet. Völlige Rechtssicherheit soll die Freiheit des Staatsbürgers schützen. Es soll nur ein Recht in Deutschland geben, ein gleiches Recht für alle, ohne Ansehen der Person, des Standes, der Konfession, der Rasse und des Geschlechts.

Diese Gleichheit des Rechts soll selbstverständlich auch für die Wahlen zu den Volksvertretungen gelten in Gemeinde, Kreis, Land und Reich. Dabei muß das Wahlverfahren so sein, daß der Wähler seinen Kandidaten direkt wählt. Anstelle der zersplitternden Verhältnis- und Listenwahl soll die persönliche Wahl durch Mehrheitsentscheidung klare und feste Mehrheitsverhältnisse in der Volksvertretung schaffen und damit eine starke politische Staatsführung sichern.

4. Zu den Rechten des freien Staatsbürgers gehört nicht zuletzt das Recht auf eine wirksame und folgerichtige Sozialpolitik, die bei gerechtem sozialen Ausgleich das Menschenrecht auf Arbeit und Schutz der Alten, Schwachen und Kranken sichert und insbesondere auch für die Kriegshinterbliebenen und Kriegsversehrten in würdiger und ausreichender Weise sorgt. Die Gewerkschaften sollen zu verantwortlichen Organisationen des Staates ausgebaut werden, die den Schutz der Arbeit gewährleisten. Ziel solcher Sozialpolitik ist die Verhinderung materieller Not, die Erhaltung der Menschenwürde und der persönlichen Freiheit und die Sicherung des sozialen Friedens.

5. Wie der Staat nicht Selbstzweck ist, sondern dem Volke dient, so auch die Wirtschaft. Erstes Ziel der Wirtschaftspolitik ist deshalb entsprechend dem Bedürfnis der breiten Massen die Steigerung der Erzeugung auf allen Gebieten zur Befriedigung des Lebensbedarfs der vermehrten Bevölkerung im verengten Raum. Das Ziel kann nur erreicht werden durch Wiedereinschaltung der freien Initiative unter Abbau der Wirtschaftsbürokratie. Die zur Überwindung von Notständen unentbehrliche Planung und Lenkung darf deshalb nicht bürokratisch sein, sondern muß in demokratischer Selbstverwaltung der Wirtschaft durch deren Organe unter kontrollierender Mitwirkung des Staates erfolgen. Die Planwirtschaft darf nicht Selbstzweck werden, damit nicht schließlich alles Leben und alle freie Leistung im staatlichen Zwang erstickt.

Persönliche Initiative und freier Wettbewerb steigern die wirtschaftliche Leistung, und persönliches Eigentum ist eine wesentliche Grundlage gesunder Wirtschaft.

Andererseits darf jedoch die Freiheit der Wirtschaft nicht sozial mißbraucht werden und nicht zur Übermacht von Überstarken führen. Das Recht und die Möglichkeiten der Kleinen, sich neben den Großen zu behaupten, muß ebenso gesichert sein wie das Recht derer, die ihr Leben nicht in Selbständigkeit, sondern als Mitarbeiter in großen und kleinen Betrieben verbringen.

Es ist Aufgabe und Pflicht der Wirtschaft, die Bedürfnisse der Masse zu decken. Um das zu können, muß die Wirtschaft unter internationaler Arbeitsteilung in die Weltwirtschaft eingegliedert werden.

6. Was von der Wirtschaft im allgemeinen, gilt von der Landwirtschaft im besonderen: Die erste Aufgabe der Agrarpolitik ist die Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung. Wo und wenn das Besitzrecht die Leistungssteigerung nicht fördert, sondern hemmt, ist es Aufgabe einer mit weisem Bedacht vorgehenden Politik, dafür zu sorgen, daß das Recht auch die Pflicht zur Nutzung des Bodens in sich schließt, um so die größtmögliche Erzeugung zu gewährleisten. Nur solche Politik, nicht willkürliche Zerschlagung und Enteignung, bedeutet eine wahre Bodenreform. Die bewährte Tüchtigkeit des deutschen Bauern, der mit dem Boden verwachsen ist, verbürgt am sichersten die rechte Nutzung. Darum ist die Erhaltung und Förderung des freien Bauernstandes die Grundlage demokratischer Agrarpolitik.

Quelle: Programmatische Richtlinien der Freien Demokratischen Partei (4. Februar 1946); abgedruckt in Theo Stammen, Hrsg., Einigkeit und Recht und Freiheit. München 1965, S. 108-09.