Kurzbeschreibung

In den ersten Monaten nach Kriegsende ist in Deutschland der Aufbau zentraler Strukturen zur Bewältigung der Flüchtlingsströme aus den ehemals deutschen Gebieten in Osteuropa noch nicht möglich. Die provisorisch entstehenden Aufnahmelager und Verwaltungsstellen sind ihren Aufgaben nicht immer gewachsen und nicht in der Lage, angemessen mit den traumatisierten und häufig auch körperlich kranken Menschen umzugehen. Die einheimische Bevölkerung betrachtet die Fremden feindselig. Die Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler in der sowjetischen Besatzungszone prangert Ende 1945 diese Missstände offen an und fordert ein stärkeres Engagement der politischen Parteien in der Umsiedlerfrage.

Rechenschaftsbericht der Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler im sowjetischen Okkupationsgebiet (23. Dezember 1945)

Quelle

Die Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler im sowjetischen Okkupationsgebiet

Berlin, 23. Dezember 1945

Der von uns geforderte Rechenschaftsbericht kann in seiner Gesamtheit nur unvollkommen sein, da die bisherigen objektiven Schwierigkeiten bei der Gründung der Zentralverwaltung (Fehlen von Telefon- und Postverbindungen usw., eine ständige Berichterstattung seit Beginn) die Arbeiten erschwerten. Erst in den letzten Wochen ist es zu einer regelmässigen Berichterstattung aus den Ländern und Provinzen gekommen. Trotzdem muss auch heute noch gesagt werden, dass einzelne Gebiete, wie z.B. Teile von Mecklenburg und Brandenburg durch das Ausfallen der Postverbindung in einer regelmässigen Berichterstattung gehemmt sind. Andererseits sind durch die bisherigen mangelnden Kontrollen und zu schwache Beeinflussung in der Personalpolitik der Länder und Provinzen Verwaltungsapparate entstanden, die den Anforderungen nicht genügen. Hinzugefügt soll noch werden, dass in der Frage der Umsiedlung keinerlei Fachkenntnisse oder Erfahrungen vorlagen, so dass schon bei der Aufstellung der Organisation und beim Personaleinsatz erhebliche Fehlgriffe vorkommen mussten. Erst jetzt nach mehr als zweimonatiger Erfahrung auf dem Gebiet der Umsiedlung können wir dazu übergehen, die Organisation und die Menschen, die diese Organisation leiten, auszuwerten, so dass sie den Bedürfnissen entsprechen.

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II. Arbeit der Organisations-Abteilungen

(Abrechnung und Verteilung - Statistik - Transport)

a) Organisation der Aufnahme und Austauschpunkte.

Da die Gründung der Zentralverwaltung erst sehr später erfolgte, musste sie sich den bereits bestehenden und aus den Bedürfnissen entstandenen Verhältnissen an den Grenzübergängen anpassen. Bis zum heutigen Tage erfolgte die Übernahme der Umsiedler planlos und unter ausserordentlichen schwierigen Verhältnissen. Der Übergang erfolgte, besonders im Osten, an unvorhergesehenen Stellen und stossweise, so dass es zeitweilig zu kritischen Situationen kam. Hinzukommt noch, dass die Umsiedler bei ihrem Marsch durch das polnische Gebiet oder beim Grenzübertritt ausgeplündert und misshandelt wurden, verlaust oder krank über die Grenze kamen. Die durch die örtlichen Instanzen geschaffenen Aufnahme- und Auffangstationen wurden dann im weiteren Verlauf der Arbeit der Zentralverwaltung ausgebaut und vereinheitlicht. Grundsätzlich werden alle Umsiedler, die irgendwo über die Grenze kommen, im nächsten Auffanglager registriert, ärztlich untersucht und entlaust. Von da aus erfolgt der Weitertransport in die Gebiete, die für ihre Aufnahme bestimmt sind. Dort werden sie einer 14tätigen Quarantäne unter ärztlicher Aufsicht unterzogen und dann erfolgt die Weiterleitung in die Gemeinden, in denen sie angesiedelt und sesshaft gemacht werden sollen. Das Schema der Aufnahme- und Austauschpunkte wird beigefügt.

b) Bewegung der Umsiedler.

Im Gebiet der sowjetischen Okkupationszone sind 4.525.144 Umsiedler erfasst. Die 1. statistische Erhebung über die in der Zone vorhandenen Umsiedler wurde mit dem Stichtag 10.11.45 durchgeführt. In der Zeit vom 10.11. bis 15.12. erhöhte sich die Zahl der Ost-Umsiedler um 353.504. Da die Möglichkeit der Zählung der Umsiedler beim Grenzübertritt beschränkt ist, musste diese Zahl rechnerisch durch Gegenüberstellung des Umsiedlerstandes an den beiden Stichtagen in den Ländern und Provinzen ermittelt werden. Die Zahl der tatsächlich übernommenen Umsiedler liegt höher, da sich ein Teil der Umsiedler der sofortigen Registrierung entzieht.

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e) Organisation der Lager, ihre Anzahl und Belegung zum 1.1.46.

Da die Lager nicht nach einem zentralen Plan gegründet und gebaut worden sind, sondern den jeweiligen örtlichen Verhältnissen entsprechend ausgebaut oder neugeschaffen wurden, ist ihre Leitung und Organisation nicht einheitlich gewesen. Die Zentralverwaltung hat sich bemüht, in den letzten Monaten die Verwaltung und Wirtschaftsführung der Lager zu vereinheitlichen und zu diesem Zweck eine Reihe von Verfügungen, Merkblättern und Formularen herausgegeben, die den Verwaltungen der Länder und Provinzen als Anleitung für die Vereinheitlichung für die Organisation der Lager dienen sollen.

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g) Kontroll- und Revisionsarbeit.

Erst in letzter Zeit ist in der Zentralverwaltung eine systematische Kontroll- und Revisionsarbeit aufgenommen worden. Bei diesen Kontrollen hat sich herausgestellt, dass die bisher gegebenen Anweisungen und Verfügungen der Zentralverwaltung über Organisation der Lager, sanitäre Betreuung, wirtschaftsmaterielle Versorgung der Umsiedler sehr vernachlässigt worden sind. Unterschlagungen, schlechte Organisation, Unfähigkeit, mangelnde Übersicht sind an der Tagesordnung. In allen Fällen, wo Unterschlagungen oder Unfähigkeit festgestellt wird, wird im Einvernehmen mit der Landes-Provinzialverwaltung Abänderung geschaffen. Die Schuldigen werden dem Gericht übergegeben, Unfähige werden ausgewechselt.

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III. Stimmungen unter den Umsiedlern.

(Es sind konkrete Tatsachen über Klagen sowie positive Äußerungen anzuführen.)

Es ist erklärlich, daß der Zentralverwaltung vonseiten der Umsiedler nur Beschwerden und Klagen zugehen. Denn nur dann, wenn die örtlichen Instanzen oder die Provinz-Landesverwaltungen entweder nicht reagierten oder nicht in der Lage sind, auf die Klagen der Umsiedler einzugehen, wenden sich die Umsiedler an die Zentralverwaltung. Dabei liegen die größten Klagen über Schwierigkeiten und Mißstände bei den Transporten vor (Verzögerung in der Zuggestellung, Lokomotivmangel und damit verbundenes tagelanges Stehen auf Bahnhöfen und Bahnstrecken, Überfüllung, schlechte Lebensmittelversorgung, Kälte, mangelnde sanitäre Betreuung, Fehlleitung von Zügen).

In Mecklenburg wird vor allem über mangelnden Wohnraum geklagt. Eine ganz besondere Art der Klage wird von Seiten der Umsiedler gegen die einheimische Bevölkerung vor allem in Mecklenburg geführt, die in kleinen Dörfern oftmals auf Gnade und Ungnade den Bauern und örtlichen Instanzen ausgeliefert sind. Überteuerte Mietpreise, asoziale Haltung einiger Bauern in der Frage der Arbeitsbeschaffung, schlechte Lebensmittelversorgung, Wucherpreise für Lebensmittel, schlechte ärztliche Versorgung, das sind die hauptsächlichen Klagen, die bisher an uns gebracht wurden. In allen den Fällen, wo konkrete Tatsachen der ZV. vorgetragen werden, versuchen wir über die Provinzen und Länder auf die örtlichen Instanzen einzuwirken, die Mißstände abzustellen. Eine wirkliche Änderung der Verhältnisse kann aber nur erfolgen, wenn das Umsiedlungsproblem als ein politisches Problem auf breitester Basis von den politischen Parteien übernommen wird. Kontrollen seitens der politischen Parteien, die organisierte soziale Hilfe über die politischen Parteien, die Verstärkung der Arbeit der Umsiedlerausschüsse und die rücksichtslose Bestrafung von Wucherern und asozialen Elementen sind die Voraussetzung für die Schaffung einer gesunden Atmosphäre.

Wenn die Klagen und Beschwerden, wenn auch nicht zahlreich, doch zur Zentralverwaltung kommen, so sind uns bisher aus den Reihen der Umsiedler Anerkennungsschreiben nicht zugegangen.

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Die positiven Momente treten eigentlich erst in Erscheinung, wenn die Umsiedler irgendwo Arbeit und Wohnung gefunden haben und sich in ihrer neuen Arbeitsstätte eingelebt haben. Wir werden in Zukunft ein besonderes Gewicht auf die Sammlung dieser guten Beispiele legen.

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Quelle: BArch, DO 2/1164, Ausfertigung (Auszüge); abgedruckt in Udo Wengst, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Bd. 2/2: 1945–1949: Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten. Dokumente. Baden-Baden: Nomos, 2001, Nr. 41, S. 113–15.