Kurzbeschreibung

Neunundzwanzig europäische Bildungsminister/innen sprachen sich in der traditionsreichen Universität von Bologna für die Einführung vergleichbarer BA- und MA-Abschlüsse aus, um einen „Europäischen Hochschulraum“ zu schaffen. Die Hochschulreform, die hierdurch auch in Deutschland eingeleitet wurde, wird als „Bologna-Prozess“ bezeichnet.

Der „Bologna-Prozess“ (19. Juni 1999)

Quelle

Der Europäische Hochschulraum

Gemeinsame Erklärung der Europäischen Bildungsminister

19. Juni 1999, Bologna

Dank der außerordentlichen Fortschritte der letzten Jahre ist der europäische Prozeß für die Union und ihre Bürger zunehmend eine konkrete und relevante Wirklichkeit geworden. Die Aussichten auf eine Erweiterung der Gemeinschaft und die sich vertiefenden Beziehungen zu anderen europäischen Ländern vergrößern die Dimension dieser Realität immer mehr. Inzwischen gibt es in weiten Teilen der politischen und akademischen Welt sowie in der öffentlichen Meinung ein wachsendes Bewußtsein für die Notwendigkeit der Errichtung eines vollständigeren und umfassenderen Europas, wobei wir insbesondere auf seinen geistigen, kulturellen, sozialen und wissenschaftlich-technologischen Dimensionen aufbauen und diese stärken sollten.

Inzwischen ist ein Europa des Wissens weitgehend anerkannt als unerläßliche Voraussetzung für gesellschaftliche und menschliche Entwicklung sowie als unverzichtbare Komponente der Festigung und Bereicherung der europäischen Bürgerschaft; dieses Europa des Wissens kann seinen Bürgern die notwendigen Kompetenzen für die Herausforderungen des neuen Jahrtausends ebenso vermitteln wie ein Bewußtsein für gemeinsame Werte und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen sozialen und kulturellen Raum.

Die Bedeutung von Bildung und Bildungszusammenarbeit für die Entwicklung und Stärkung stabiler, friedlicher und demokratischer Gesellschaften ist allgemein als wichtigstes Ziel anerkannt, besonders auch im Hinblick auf die Situation in Südosteuropa.

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Die europäischen Hochschulen haben ihrerseits die Herausforderungen angenommen und eine wichtige Rolle beim Aufbau des europäischen Hochschulraumes übernommen, auch auf der Grundlage der in der Magna Charta Universitatum von Bologna aus dem Jahre 1988 niedergelegten Grundsätze. Dies ist von größter Bedeutung, weil Unabhängigkeit und Autonomie der Universitäten gewährleisten, daß sich die Hochschul- und Forschungssysteme den sich wandelnden Erfordernissen, den gesellschaftlichen Anforderungen und den Fortschritten in der Wissenschaft laufend anpassen.

Die Weichen sind gestellt, und das Ziel ist sinnvoll. Dennoch bedarf es kontinuierlicher Impulse, um das Ziel größere Kompatibilität und Vergleichbarkeit der Hochschulsysteme vollständig zu verwirklichen. Um sichtbare Fortschritte zu erzielen, müssen wir diese Entwicklung durch Förderung konkreter Maßnahmen unterstützen. An dem Treffen am 18. Juni nahmen maßgebliche Experten und Wissenschaftler aus allen unseren Ländern teil, und das Ergebnis sind sehr nützliche Vorschläge für die zu ergreifenden Initiativen.

Insbesondere müssen wir uns mit dem Ziel der Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulsystems befassen. Die Vitalität und Effizienz jeder Zivilisation läßt sich an der Attraktivität messen, die ihre Kultur für andere Länder besitzt. Wir müssen sicherstellen, daß die europäischen Hochschulen weltweit ebenso attraktiv werden wie unsere außergewöhnlichen kulturellen und wissenschaftlichen Traditionen.

Wir bekräftigen unsere Unterstützung der in der Sorbonne-Erklärung dargelegten allgemeinen Grundsätze, und wir werden unsere Maßnahmen koordinieren, um kurzfristig, auf jeden Fall aber innerhalb der ersten Dekade des dritten Jahrtausends, die folgenden Ziele, die wir für die Errichtung des europäischen Hochschulraumes und für die Förderung der europäischen Hochschulen weltweit für vorrangig halten, zu erreichen:

Einführung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse, auch durch die Einführung des Diplomzusatzes (Diploma Supplement) mit dem Ziel, die arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen der europäischen Bürger ebenso wie die internationale Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulsystems zu fördern.

Einführung eines Systems, das sich im Wesentlichen auf zwei Hauptzyklen stützt: einen Zyklus bis zum ersten Abschluß (undergraduate) und einen Zyklus nach dem ersten Abschluß (graduate). Regelvoraussetzung für die Zulassung zum zweiten Zyklus ist der erfolgreiche Abschluß des ersten Studienzyklus, der mindestens drei Jahre dauert. Der nach dem ersten Zyklus erworbene Abschluß attestiert eine für den europäischen Arbeitsmarkt relevante Qualifikationsebene. Der zweite Zyklus sollte, wie in vielen europäischen Ländern, mit dem Master und/oder der Promotion abschließen.

Einführung eines Leistungspunktesystems – ähnlich dem ECTS – als geeignetes Mittel der Förderung größtmöglicher Mobilität der Studierenden. Punkte sollten auch außerhalb der Hochschulen, beispielsweise durch lebenslanges Lernen, erworben werden können, vorausgesetzt, sie werden durch die jeweiligen aufnehmenden Hochschulen anerkannt.

Förderung der Mobilität durch Überwindung der Hindernisse, die der Freizügigkeit in der Praxis im Wege stehen, insbesondere:

— für Studierende: Zugang zu Studien- und Ausbildungsangeboten und zu entsprechenden Dienstleistungen

— für Lehrer, Wissenschaftler und Verwaltungspersonal: Anerkennung und Anrechnung von Auslandsaufenthalten zu Forschungs-, Lehr- oder Ausbildungszwecken, unbeschadet der gesetzlichen Rechte dieser Personengruppen.

Förderung der europäischen Zusammenarbeit bei der Qualitätssicherung im Hinblick auf die Erarbeitung vergleichbarer Kriterien und Methoden.

Förderung der erforderlichen europäischen Dimensionen im Hochschulbereich, insbesondere in Bezug auf Curriculum-Entwicklung, Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, Mobilitätprojekte und integrierte Studien-, Ausbildungs- und Forschungsprogramme.

Wir verpflichten uns hiermit, diese Ziele – im Rahmen unserer institutionellen Kompetenzen und unter uneingeschränkter Achtung der Vielfalt der Kulturen, der Sprachen, der nationalen Bildungssysteme und der Autonomie der Universitäten – umzusetzen, um den europäischen Hochschulraum zu festigen. Dafür werden wir die Möglichkeiten der Zusammenarbeit sowohl auf Regierungsebene als auch auf der Ebene der Zusammenarbeit mit auf dem Gebiet der Hochschulen ausgewiesenen europäischen Nichtregierungsorganisationen nutzen. Wir erwarten, daß die Hochschulen wiederum prompt und positiv reagieren und aktiv zum Erfolg unserer Anstrengungen beitragen.

In der Überzeugung, daß die Errichtung des europäischen Hochschulraumes ständiger Unterstützung, Überwachung und Anpassung an die sich unaufhörlich wandelnden Anforderungen bedarf, beschließen wir, uns spätestens in zwei Jahren wieder zu treffen, um die bis dahin erzielten Fortschritte und die dann zu ergreifenden Maßnahmen zu bewerten.

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Quelle: Gemeinsame Erklärung der Europäischen Bildungsminister, 19. Juni 1999. https://www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-28289