Kurzbeschreibung

Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten hat grundlegende Prinzipien der liberalen internationalen Ordnung in Frage gestellt, auf denen die transatlantischen Beziehungen aufgebaut waren. Die daraus resultierende Unsicherheit hat zu Diskussionen über die Zukunft dieser Beziehungen geführt. Im ersten von drei Beiträgen plädieren renommierte deutsche Politikexperten für eine langfristige und differenzierte Strategie in den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten.

Ein transatlantisches Manifest (Oktober 2017)

Quelle

Trotz alledem: Amerika

Wie man ohne Trump – und zur Not auch gegen ihn – die transatlantische Partnerschaft retten könnte: Vorschläge für eine neue US-Strategie.

Unter US-Präsident Donald Trump sehen sich die Vereinigten Staaten, Miterfinder und bislang entschiedene Verfechter einer liberalen Weltordnung, mit ihrem multilateralen Politikverständnis, ihren globalen Normen und Werten, offenen Gesellschaften und Märkten gegenwärtig nicht mehr als deren Garant. Als erster US-Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg stellt Donald Trump Idee und Institutionen der liberalen internationalen Ordnung grundsätzlich infrage. Er stellt ihr eine machtbasierte nationale Interessenpolitik gegenüber, in der kleine und mittlere Mächte ihre Rolle als nachgeordnete Akteure finden sollen. Jeder Bindung der USA an multilaterale Institutionen und Normen steht er skeptisch gegenüber. Für die Bundesrepublik jedoch gehören internationale Zusammenarbeit und die Stärkung supranationaler Institutionen zu den Fundamenten ihrer Politik. Daraus ergibt sich ein bisher ungekannter Gegensatz zu unserem wichtigsten Verbündeten.

Weil der Erfolg und die Sicherheit der Bundesrepublik und Europas auf diesem System beruhen, weil Präsident Donald Trump die USA auf einen anderen Kurs einschwört, entfällt auf Deutschland und die Europäische Union eine besondere Verantwortung, dieses System zu erhalten und zu stärken.

Man kann nicht ignorieren, dass Donald Trump 60 Millionen Wählerinnen und Wähler hinter sich versammeln konnte. Auch haben nationale Alleingänge, protektionistische Anwandlungen und der Ruf nach „America first“ eine lange Tradition. Dennoch ist Trump ein Präsident sui generis, der sich in keine der etablierten Traditionslinien amerikanischer Politik einordnet. Seine Verachtung internationaler Allianzen und Institutionen trifft auf breites Unverständnis außerhalb und sogar innerhalb des Regierungsapparates. Ob sich die Unterminierung der internationalen Ordnung als amerikanische Strategie durchsetzen wird, ist ungewiss, ja sogar unwahrscheinlich.

Manche wollen aus dieser Ungewissheit weitreichende Konsequenzen ziehen und streben eine außen- und sicherheitspolitische Abkoppelung Europas von den Vereinigten Staaten an. Andere setzen auf ein deutsch-französisches Kleineuropa. Manchmal verkleiden die europäischen Bekenntnisse nur deutschen Nationalismus, mit dem man auf amerikanischen Nationalismus reagieren will. Dann sind Empfehlungen nicht weit, Deutschland solle auf Ad-hoc-Koalitionen setzen, Äquidistanz zwischen Russland und Amerika halten oder gar einen Schritt weitergehen und sich an Russland oder China anlehnen. All diese Vorstellungen sind kostspielig oder gefährlich oder beides.

Wer sich von den Vereinigten Staaten abkoppeln möchte, bringt Unsicherheit über Deutschland und Europa.

Keine andere Macht übernimmt so weitreichende Sicherheitsgarantien und stellt so umfassende politische Ressourcen bereit wie die USA. Deutschland braucht die USA, um als starker europäischer Akteur handeln zu können. Wer die Bindung zu Amerika kappen will, verzichtet auf die Rückversicherung, die andere europäische Länder benötigen, um ein starkes Deutschland in der Mitte des Kontinents zu akzeptieren. Eine Abkoppelung von den USA würde zudem eine der wichtigsten politisch-kulturellen Errungenschaften der vergangenen 70 Jahre infrage stellen: Deutschlands Westbindung und damit Deutschlands Selbstbindung an die Werte von Freiheit und Demokratie und an die Zusammenarbeit mit allen, die dafür eintreten. Jede Abkehr von dieser transatlantischen Bindung beschwört die Gefahr eines deutschen Sonderweges, stärkt linke und rechte Nationalisten und gefährdet die europäische Friedensordnung.

Der Westen ist auch heute ohne die USA weder ideell noch als politisches Subjekt existent. Selbst wenn der aktuelle Präsident wesentliche Teile der gemeinsamen demokratischen Ordnung zu Hause infrage stellt, so bleiben die USA eine Demokratie. Präsident Trump ist ebenso wenig mit Amerika gleichzusetzen, wie die illiberale Gegenbewegung, für die er steht, ausschließlich ein amerikanisches Phänomen ist. Sie erhebt ihr Haupt auch in Europa. Deshalb handelt es sich nicht um einen Gegensatz zwischen Europa und den USA, sondern um einen Konflikt innerhalb des Westens, der auf beiden Seiten des Atlantiks ausgetragen wird. Eine strategische Abkoppelung von den USA gefährdet die liberale internationale Ordnung am Ende mehr als die kritische Zusammenarbeit mit einem Amerika, dessen Führungsspitze gegenwärtig an dieser Ordnung rüttelt. Autokratien wie China und Russland mögen wichtige Ad-hoc-Partner für einzelne Projekte sein; der strategische Partner eines demokratischen und europäischen Deutschlands müssen die Vereinigten Staaten bleiben.

Deutschland braucht eine Amerika-Strategie

Die Abwendung von den USA ist für Deutschland ebenso wenig eine verantwortliche Option wie ein Weiter-so. Vier oder gar acht Jahre sind auch zu lang für ein Aussitzen.

Deutschland braucht also etwas, das es in dieser Form bisher nicht geben musste: eine Amerika-Strategie.

Eine verantwortliche Amerika-Politik muss langfristig angelegt sein und eine Brücke bauen in eine Zeit jenseits der Präsidentschaft Trumps, auch wenn es danach keine Rückkehr zum Status quo ante geben wird. In den USA dürften einige Trendlinien politischer Überzeugungen die Periode Trump überdauern – zum Beispiel die Forderung nach einer ausgewogeneren Lastenteilung zwischen Europa und den USA innerhalb der Nato. Solange aber Einigkeit in grundlegenden politischen Ordnungsfragen besteht, können solche Meinungsverschiedenheiten wieder konstruktiv gelöst oder überbrückt werden. Diese langfristige Perspektive muss der Orientierungspunkt für Deutschlands kurzfristiges Handeln während der Periode Trump sein.

Kurzfristig gilt es, stärker als bisher zu unterscheiden zwischen dem Lösbaren, dem Unlösbaren und dem Zwischenfeld eines pragmatischen Umgangs mit Konflikten.

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Große gemeinsame Projekte mit der Regierung Trump wird es dort nicht geben können, wo sie den populistischen Kernbereich von Präsident Trumps Agenda berühren. Wer hier zu viel versucht, wird am Ende nur Streit säen.

Deutschlands Amerika-Strategie muss also Verschiedenes gleichzeitig erlauben: Kerninteressen aktiv zu vertreten, Konflikte zu moderieren, unrealistische Ambitionen zu vermeiden und so eine Brücke in eine bessere Zukunft der transatlantischen Beziehungen zu bauen.

Nüchtern betrachtet, stehen die Zeichen nicht günstig für größere Projekte in einigen Bereichen, in denen sie besonders notwendig wären, etwa in der Handelspolitik. Trotz aller Kontroversen sind die strategischen und wirtschaftlichen Gründe für ein transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP) seit November 2016 nicht geringer geworden. []

Es deutet sich schon jetzt an, dass die USA und die EU auf Handelsauseinandersetzungen zusteuern. Auf Strafzölle soll und muss die Europäische Union reagieren – aber zur Vermeidung von Eskalation ausschließlich legal, proportional und symmetrisch.

Wenig erfolgversprechend sind auch größere gemeinsame Initiativen in der internationalen Flüchtlingspolitik: Das internationale Schutzsystem braucht bringend eine Reform, bei der es gälte, die Rechte von Flüchtlingen zu wahren, illegale Migration einzuhegen und die Schlepperkriminalität zu bekämpfen, die das universelle Flüchtlingsregime aushöhlt. Allerdings ist schwer vorstellbar, dass sich die Regierung Trump auf derlei Initiativen einlassen wird. Deshalb muss Europa hier selbst aktiv werden – so gut es geht.

Handels- wie Flüchtlingspolitik fallen in die Kategorie der schwierigen, gegenwärtig kaum lösbaren Fälle transatlantischer Politik, in denen bestenfalls kleine Fortschritte denkbar sind.

Ohne die USA gibt es keine Sicherheit für und in Deutschland

Anders verhält es sich in der Sicherheitspolitik. Ohne die USA gibt es bis auf Weiteres keine Sicherheit für und in Deutschland. Das gilt für die Territorial- und Bündnisverteidigung im Rahmen der Nato, für nukleare Abschreckung, die Bekämpfung von Cyberkriminalität und Geldwäsche und schließlich für den Schutz vor Terrorismus und damit für die Zusammenarbeit der Geheimdienste. Weder einzelne europäische Staaten noch Deutschland oder die EU können die notwendigen Ressourcen bereitstellen, um Sicherheit auf dem Kontinent zu garantieren. An der Nato festzuhalten ist eine Möglichkeit, die USA in multilaterale Sicherheitspolitik einzubinden und Alleingänge zu erschweren. Das gilt auch für die Frage der nuklearen Teilhabe, also der Beteiligung des nicht atomar bewaffneten Deutschland an der nuklearen Abschreckung der USA. Hier steht in der kommenden Legislaturperiode die Entscheidung darüber an, ob Deutschland eingebunden bleiben kann – und will.

Bündnisverteidigung ist die preiswerteste Form der Verteidigung. Deutschland sollte deshalb den Ruf nach fairer Lastenverteilung innerhalb des Bündnisses ernst nehmen und die Verpflichtungen umsetzen, die es gegenüber der Nato eingegangen ist. Und das bedeutet, seine Verteidigungsausgaben zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes anzunähern. Es stellt die Dinge auf den Kopf, wenn diese Verpflichtung in der deutschen Debatte als Bedrohung des europäischen Gleichgewichts dargestellt wird. Es sind gerade unsere europäischen Nachbarn und Verbündeten, die sich verstärkte Beiträge der Bundesrepublik im Rahmen der Nato und der europäischen Verteidigungspolitik wünschen. Noch besser wäre es, die Bundesrepublik würde ein weiteres Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufwenden und damit auch mehr für Entwicklungszusammenarbeit, internationale Polizeieinsätze, UN-Missionen, Konfliktpräventionen und Diplomatie ausgeben.

So kann die europäische Verteidigungsfähigkeit innerhalb der transatlantischen Allianz substanziell gestärkt werden, was im Kerninteresse der Bundesrepublik liegt. Die Erfolgschancen dieser Strategie sind gut: Aller Nato-kritischen Rhetorik zum Trotz hat die Regierung Trump die von ihren Vorgängern gegebenen Zusagen in der Nato konsequent eingehalten.

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Auch im Bereich der Energiesicherheitspolitik sollte die Bundesregierung im eigenen Interesse ihre Positionen überprüfen, um Fortschritte zu ermöglichen: Die Vereinigten Staaten haben Nord Stream 2, die geplante Ostsee-Pipeline nach Russland, zutreffend als geostrategisches Projekt identifiziert. Wichtiger noch: Dieses Pipeline-Projekt liegt nicht in einem gesamteuropäischen Interesse. Nord Stream 2 widerspricht einer Politik größerer Energieunabhängigkeit und unterminiert die angestrebte europäische Energie-Union. In dieser Frage sollten wir eine gemeinsame Position mit unseren europäischen Nachbarn und den USA suchen.

Wer das Lösbare mit Entschlossenheit angeht und das Unlösbare einstweilen beiseitelässt, muss sich am Ende jenen Politikfeldern zuwenden, in denen es vorerst darum geht, Konflikte verantwortungsvoll zu handhaben. Ebenso zwecklos ist es, die US-Administration von der Bedeutung des Pariser Klimaabkommens überzeugen zu wollen oder sie in der internationalen Klima- und Energiepolitik isolieren zu wollen. Notwendige Kritik darf nicht in Rechthaberei umschlagen.

Stattdessen sollte Deutschland mit Amerika konkrete Fortschritte im Klimaschutz suchen. Der Einsicht folgend, dass Präsident Trump nicht (ganz) Amerika ist, kann Berlin auf andere Partner zugehen, die an klimapolitischer Kooperation interessiert sind. []

Auch auf dem Gebiet der Digitalpolitik zeichnet sich eine Konfrontation ab – über regulatorische Fragen wie über Marktanteile. Hier gilt es wieder, möglichst frühzeitig Konfliktfelder zu erkennen und unnötige Eskalation zu vermeiden. Jede gegenseitige Abschottung der digitalen Märkte Europas und Amerikas würde auf beiden Seiten gravierende negative Konsequenzen für Wachstum und Arbeitsmärkte auslösen. Europäische Verbraucher und Datenschutzstandards werden sich global vor allem mit, aber kaum gegen die Vereinigten Staaten durchsetzen lassen.

Wo immer möglich, Fortschritte auch mit der Regierung Trump erzielen, Konflikte moderieren und nicht eskalieren lassen, das Spektrum transatlantischer Kooperationspartner über die gegenwärtige Regierung hinaus erweitern – das ist der Kern einer Amerika-Strategie, die erlaubt, das transatlantische Verhältnis mit und notfalls gegen diesen amerikanischen Präsidenten zu bewahren und über ihn hinaus zu denken. Mehr europäische Selbstverantwortung und Eigeninitiative sind unerlässlich. Aber es wäre ein historischer Irrtum, „mehr Europa“ gegen die transatlantische Allianz auszuspielen.

Quelle: Deidre Berger u.a., „Trotz alledem: Amerika“, Zeit Online, 18. Oktober 2017. Online verfügbar unter: http://www.zeit.de/2017/42/transatlantische-partnerschaft-strategie-usa-deutschland-europa/komplettansicht