Quelle
O. wurde 1826 geboren; er beendete seine juristische Ausbildung 1850 und heiratete 1852; er hatte als Richter, dann als höherer Verwaltungsbeamter mehrere Stellen inne – seit 1862 endgültig in Berlin, zunächst als Mitglied des Kollegiums einer Landeszentralbehörde. 1878 wurde er an die Spitze dieser Behörde berufen; 1882 wurde er Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat Exzellenz. Sein jährliches Gehalt einschließlich Wohngeldzuschuß betrug 1863 6000M., 1873 9900 M., 1889 22500 M.; insgesamt verdiente er in den Jahren 1863-1889
389 225 M., d. h. im Durchschnitt 14416 M. pro Jahr. Dazu kamen von 1863-1889 Einnahmen aus Nebenämtern, Vermögenszinsen, Gratifikationen etc. in Höhe von insgesamt 69 804 M. Aus der Quelle, die auf der Basis der Rechnungsbücher der Beamtenfamilie ein genaues Bild ihrer Einnahmen, Ausgaben und Lebensgewohnheiten entwirft, werden im folgenden a) die Kosten einer Juristen-Ausbildung, einschließlich „Einjähriges“ und Referendariat 1870-1877 abgedruckt (erster Sohn), dann b) die Gesamtkosten für die Aufbringung und Ausbildung aller drei Söhne (2 Juristen, ein Forstwirt) von 1859-1889, schließlich c) einige Informationen zur Töchter-Erziehung. Die Ausgaben für Aufbringung und Ausbildung der fünf Kinder beliefen sich in diesen 31 Jahren fast auf 50% der Gesamtausgaben der Familie:
a) Die Ausbildung eines Juristen: Im September 1870 machte der älteste, damals 17jährige Sohn das Abiturientenexamen. Unter den Ausstattungsstücken für den feierlichen Akt sind genannt: ein Hut für 2½ Tl., Handschuhe für ½ Tl. und eine Halsbinde für 10 Gr. Für das Examen sind 3 ½ Tl. gebucht. Trat nun zum ersten Male ein Sohn aus der strengen Gebundenheit des Schülerlebens in die akademische Freiheit hinaus, so schien es dem Vater nicht geraten, ihm mit einem Schlage volleste Ungebundenheit zu gewähren. Ein Semester im Elternhause sollte den Uebergang bilden. Die Immatrikulation in Berlin kostete 6 Tl., an Kollegiengelder sind im Semester 18 Tl. gebucht, für die Exmatrikel 4 Tl. 20 Gr. Im April 1871 bezog der junge Studiosus der Rechtswissenschaften die Universität Heidelberg. Sein Wechsel für die vier Monate des Sommersemesters (Mitte April bis Mitte August) betrug 211 Tl., was einen täglichen Betrag von 1 Tl. 22 Gr. bedeutete; davon waren der Unterhalt (mit Ausnahme der Kleidung) und die Studienkosten zu bezahlen. Für die fünf Monate des Wintersemesters überwies ihm der Vater 235 Tl. Zwischen den Semestern durfte der Sohn eine Schweizerreise machen, für die 100 Tl. ausgesetzt wurden. Dagegen erachtete der Vater einen Besuch im Elternhause während dieses Jahres als überflüssig. Die drei letzten Semester seiner Studentenzeit verlebte der Sohn wieder im Elternhause. Er bekam hier ein Quartalsgeld von
50 Tl., von dem Kleider und Taschenausgaben, nicht aber die Kollegiengelder bezahlt wurden. Diese betrugen im 4. Semester 22 Tl. 27 Gr., im 5. Semester 11 Tl. 15 Gr., im letzten Semester sind keine notiert.
Für das Referendarexamen im November 1873 sind 4 Tl. Gebühren angeschrieben. Den nun folgenden Aufenthalt in einer kleinen märkischen Amtsgerichtsstadt mußte der Sohn mit 45 Tl. monatlich bestreiten; nach der Rückkehr ins Elternhaus bezog er wieder wie vordem 50 Tl. vierteljährlich. Im Frühjahr 1876 trat er bei einem Berliner Garde-Infanterie-Regiment ein, nachdem er zuvor noch Reitunterricht für 30 Tl. genommen hatte. Die Kosten des Dienstjahres betrugen insgesamt 1966 M.; davon kamen 1620 M. auf den Unterhalt außerhalb des Elternhauses, 173,50 M. auf die Anschaffung von Uniformstücken, der Rest auf Zulagen zum Manöver und dgl. Im Anschluß an das Dienstjahr machte der Sohn gleich die erste militärische Uebung, die 330 M. in Anspruch nahm; die danach angeschaffte Offiziersuniform kostete mit Porte d’épée 342 M. Dann kehrte er noch einmal ins Elternhaus zurück mit dem gleichen Taschengeld wie vordem. Ueber das Jahr 1877 hinausgreifend sei hinzugefügt, daß er 1878 zunächst eine militärische Uebung machte, für die 218 M. gebucht sind, und dann im Juni das Doktorexamen bestand. Druck der Dissertation und Prüfungsgebühren nebst Trinkgeldern kosteten den Vater 439 M.; außerdem ließ er 260 M. für einen fröhlichen Doktorschmauß springen, an dem auch die Examinatoren teilnahmen. Anfang Mai 1879 bestand der Sohn das Assessorexamen, 30 M. Prüfungskosten sind gebucht.
Die gesamte Ausbildung zum Juristen einschließlich aller Prüfungen und zweier militärischer Uebungen nahm 7 Jahre 7 Monate in Anspruch; es war demnach auch nicht ein Vierteljahr verloren gegangen. Die Kosten der juristischen Ausbildung ohne die Ausgaben für militärische Dienstleistungen betrugen 7220 M., mit Dienstjahr und militärischen Uebungen 10 076 M. Dabei sind für Kleidung und kleine Ausgaben, die Gelder, die der Sohn während des Aufenthaltes im Elternhause bezog, mit eingerechnet, nicht aber die Kosten, die seine Anwesenheit im Haushalt verursachte.
b) Die Aufbringungs- und Ausbildungskosten für die drei Söhne betrugen:
- | 1. | 2. | 3. | 4. |
---|---|---|---|---|
- | M. | M. | M. | M. |
1. Sohn | 13 713 | 10 076 | 9 877 | 33 666 |
2. Sohn | 18 580 | 16 762 | 2 784 | 38 126 |
3. Sohn | 26 277 | 11 786 | 10 746 | 48 809 |
- | - | - | - | Sa. 135 691 |
Die Summe aller Ausgaben während der 31 Berichtsjahre betrug 415 321 M.; Erziehung und Berufsausbildung der drei Söhne nahmen mithin 31,8% der Gesamtausgabe in Anspruch.
Auf welcher Stufe die Lebenshaltung der Söhne während der ganzen Zeit stand, erhellt aus der vorangegangenen eingehenden Behandlung aller Ausgaben. Anfangs einfach gewöhnt, genossen sie während der letzten ⅔ der gesamten Berichtszeit das Behagen einer auskömmlichen, zuletzt in vieler Beziehung patrizierhaft vornehmen bürgerlichen Existenz. Einen feudalen oder großkapitalistischen Anstrich trug dagegen ihr Leben in keiner Weise. Sie traten als Studenten nicht in Korps, als Einjährig-Freiwillige nicht in teure Kavallerieregimenter ein; sie trieben keinen kostspieligen Sport, sie machten keine großen Reisen. In festumgrenzter bürgerlicher Sphäre spielte sich ihr Leben ab. Man kann daher mit Recht aus der obigen Tabelle Schlußfolgerungen allgemeiner Art über die Kosten des Studiums ableiten; die oben berechneten Kosten stellen für die betreffenden Berufe in den betreffenden Zeiträumen zweifellos ungefähr den Durchschnitt dessen dar, was ein junger Mann aus angesehener bürgerlicher Familie verbrauchte, wobei dann zu berücksichtigen wäre, daß sich die Schulzeit des ältesten Sohnes bei überdurchschnittlichen Leistungen um 1 Jahr gegen die normale Dauer verkürzte, während sie bei dem jüngeren Juristen infolge ungünstiger Umstände 2 Jahre über die normale Zeit hinaus in Anspruch nahm.
c) Zur Ausbildung von Bürgertöchtern: Das Schulgeld der zwei Töchter stieg pro Kind von 45 M. vierteljährlich in den Unterklassen auf 54 M. vierteljährlich in den Oberklassen. Für Klavierunterricht der beiden Mädchen zahlte der Vater jährlich 300 M. Nach dem Abgang von der Schule bekam die ältere Tochter Gesangunterricht, die Stunde zu 5 M. Insgesamt wurden in dem musikalischen Hause von 1867–1889, ohne daß eine berufliche Ausbildung in der Musik stattgefunden hätte, 4806 M. für Musikstunden ausgegeben.
Die Zukunft der Töchter machte dem Hausvater ernsteste Sorge, denn als Menschenkenner wußte er, daß ihre Aussichten auf Versorgung durch eine Heirat bei dem Mangel an Vermögen keine günstigen waren. Eine Berufsausbildung der Mädchen wurde damals von dem überwiegenden Teile der Standesgenossen als nicht standesgemäß betrachtet; schwerwiegender noch war, daß sie als Emanzipiertheit verpönt war. Aber so treu O. sonst an der Sitte als einem heiligen Erbteil der Väter festhielt, so wenig ließ er sich beirren, wenn es sich um die Zukunft seiner Kinder handelte. In der Wahl eines Berufes sah er das einzige Mittel, seine Töchter vor äußerer Not und seelischer Verkümmerung zu bewahren, und mit der ganzen Schroffheit seines Wesens hielt er ihrer sorglosen Jugend immer wieder diese ernsten Notwendigkeiten vor Augen. „Hübsch seid ihr nicht, Geld habt ihr nicht, also von Heiraten ist keine Rede.“ Es gelang ihm nicht, das überschäumende Temperament der älteren Tochter in die Zwangsjacke einer Berufsausbildung zu pressen, zumal ein energisches Durchgreifen des Vaters sich mit Rücksicht auf eine schwere, langnachwirkende Krankheit des heranwachsenden Mädchens verbot. Die Gesamtkosten ihrer Aufbringung in den 21 ½ Lebensjahren von ihrer Geburt bis zum Schluß der Rechnungsbücher [1889] berechnen sich auf 36 756 M., während die Erziehung und Berufsausbildung des ältesten Sohnes – freilich in die ältere Zeit mit billigeren Preisen fallend – nur 33 666 M. in Anspruch nahmen. Und zwar handelt es sich bei dem Sohn um ein Anlagekapital, das ihm in der Folgezeit selbst die Einnahmen eines hohen Beamten eintrug, bei der Tochter dagegen zum großen Teil um Ausgaben unproduktiver Natur infolge der hohen Lebenshaltung. Die ganze Tragik in dem Schicksal der anspruchsvoll gewöhnten, berufslosen Töchter vornehmer Beamter ohne Vermögen kommt in diesen Zahlen zum Ausdruck.
Die jüngere Tochter trat 1890 mit 17 Jahren in ein Lehrerinnenseminar ein. Es ist bezeichnend für das Maß von Einsicht, mit dem man damals in diesen Kreisen weibliche Berufsarbeit beurteilte, selbst in einem Falle, wo sie durch die ökonomischen Verhältnisse unbedingt geboten erschien, daß dieser Schritt von vielen Seiten als Blaustrümpfigkeit kritisiert wurde, zum mindesten als eine Sache, die nicht „ladylike“ sei. Ueber die Kosten ihrer Berufsausbildung berichten die Rechnungsbücher nicht mehr.
Quelle: Gertrud Hermes, „Ein preußischer Beamtenhaushalt 1859–1890“, in Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 76 (1921): S. 80–83, 280ff.; abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hrsg., Deutsche Sozialgeschichte 1870–1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: C. H. Beck, 1982, S. 339–41.