Kurzbeschreibung

Die Industrialisierung veränderte die Art und Weise, wie die rasch zunehmende deutsche Bevölkerung ihren Lebensunterhalt verdiente. Im Jahr 1871 arbeiteten etwa 49% der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft; bis zum Jahr 1907 war diese Zahl auf 35% gefallen. In derselben Zeitspanne wanderten viele Deutsche in städtische Gebiete ab, um die Möglichkeiten der expandierenden Industrien voll zu nutzen. Der Anteil der Industrie an den Erwerbstätigen stieg von 31% auf 40%. Offenkundig stellten Frauen in einigen Wirtschaftszweigen – z.B. beim Dienstpersonal – einen wesentlich höheren Teil der Arbeitskräfte als in anderen. Wie Anmerkung 9 in Erinnerung ruft, müssen zeitgenössische Statistiken sorgfältig interpretiert werden, um den Umfang und den Stellenwert der weiblichen Arbeitsleistung, besonders in der Landwirtschaft, einschätzen zu können.

Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren (1882–1907)

Quelle

Erwerbstätige und ihre Angehörigen nach Wirtschaftssektoren (in 1000)

Wirtschaftssektor

Jahr

Summe
der
Erwerbs-
tätigen

Davon
weiblich
absolut

in %

Ange-
hörige (d)7

Erwerbs-
tätige und
Angehörige

in % der
Gesamt-
bevölkerung

A. Landwirtschaft1

1882

8 236

2 535

30,8

10 564

18 801

41,6

1895

8 293

2 753

33,2

9 834

18 127

35,0

1907

9 883

4 5999

46,5

7 634

17 517

28,4

B. Industrie2,8

1882

6 396

1 127

17,6

9 359

15 756

34,8

1895

8 281

1 521

18,4

11 652

19 933

38,5

1907

11 256

2 104

18,7

14 799

26 055

42,2

C. Handel und
Verkehr3,8

1882

1 570

298

19,0

2 665

4 236

9,4

1895

2 339

580

24,8

3 344

5 683

11,0

1907

3 478

931

26,8

4 458

7 935

12,9

D. Häusliche
Dienste4

1882

1 723

1 466

85,1

539

2 261

5,0

1895

1 772

1 548

87,4

453

2 225

4,3

1907

1 736

1 570

90,4

320

2 056

3,3

E. Verwaltung,
Militär und freie
Berufe5

1882

1 031

115

11,2

1 027

2 058

4,6

1895

1 426

177

12,4

1 218

2 644

5,1

1907

1 739

288

16,6

1 445

3 184

5,2

Zusammen
A. bis E.

1882

18 957

5 542

29,2

24 154

43 111

95,3

1895

22 110

6 578

29,8

26 501

48 611

93,9

1907

28 092

9 493

33,8

28 655

56 747

91,9

F. Berufslose und
Rentenbezieher6

1882

1 354

702

51,8

756

2 117

4,7

1895

2 143

1 116

52,1

1 016

3 159

6,1

1907

3 405

1 792

52,6

1 568

4 973

8,1

Zusammen
A. bis F.

1882

20 311

6 247

30,7

24 911

45 222

100,0

1895

24 253

7 694

31,7

27 517

51 770

100,0

1907

31 497

11 285

35,8

30 223

61 721

100,0

1 Einschl. Gärtnerei, Tierzucht, Forstwirtschaft, Fischerei.

2 Einschl. Bergbau, Baugewerbe und Handwerk.

3 Einschl. Gast- und Schankwirtschaft.

4 Dienende, die in und außerhalb des Haushalts ihrer Herrschaft lebten (einschl. Lohnarbeit wechselnder Art). Zur Definition vgl. Statistik des Deutschen Reichs, 202 (1907), S. 117. Die Zahl der mit Lohnarbeit wechselnder Art beschäftigten Personen betrug 1882: 235 506, 1895: 200 919 und 1907: 155 696.

5 Einschl. kirchliche und kommunale Verwaltung.

6 Einschl. von eigenem Vermögen, Renten, Pensionen und Unterstützungen Lebende, Insassen von Versorgungsanstalten verschiedener Art; außerhalb ihrer Familie lebende Schüler, Studierende und Zöglinge; Personen ohne eigenen Beruf und ohne Berufsangaben.

7 Bei den einzelnen Berufsabteilungen A, B und C werden die Erwerbstätigen eingeteilt in:
(a) Selbständige, auch leitende Beamte und sonstige Geschäftsleiter (Eigentümer, Inhaber, Besitzer, Mitinhaber oder Mitbesitzer, Pächter, Erbpächter, Handwerksmeister, Unternehmer, Direktoren, Administratoren).
(b) nichtleitende Beamte, überhaupt das wissenschaftlich, technisch oder kaufmännisch gebildete Verwaltungs- und Aufsichtspersonal, sowie das Rechnungs- und Büropersonal.
(c) sonstige Gehilfen, Lehrlinge, Fabrik-, Lohn- und Tagearbeiter, einschließlich der im Gewerbe tätigen Familienangehörigen und Dienenden.
(d) hauptberuflich nicht tätige und nicht in fremden Haushalten lebende Angehörige. Die Zuordnung geschieht nach dem Hauptberuf und der sozialen Stellung des Erwerbstätigen, der ihn ernährt und in dessen Haushalt der Angehörige lebt.

8 Der Berufsstellung „Arbeiter“ wurden im Handelsgewerbe 1882 nach Schätzungen der Herausgeber 166 000 Verkäufer (davon etwa 32 000 weibl.), 1895 nach der Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 111, 268 868 (davon 81 838 weibl.) und 1907 nach der Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 203, 406 385 (davon 173 611 weibl.) zugeordnet, die nach unseren heutigen Begriffen zu den Angestellten zu zählen wären. – Die Werkmeister wurden im Sektor B 1882 noch zu den Arbeitern, seit 1895 zu den Angestellten gezählt.

9 Besonders in der Berufsabteilung Landwirtschaft (A) werden die „mithelfenden Familienangehörigen“ – fast durchweg Frauen – in den Statistiken von 1882 und 1895 nur unvollständig erfaßt. Die sprunghafte Zunahme des Anteils der weiblichen Erwerbstätigen von 33,2 auf 46,5% der Erwerbstätigen der Landwirtschaft zwischen 1895 und 1907 wurde daher ausschließlich durch eine Änderung der Definition der „Erwerbstätigkeit“ verursacht. Nach Hoffmann, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft, S. 182–84, 210, waren, wenn man die Erfassungsmethoden vor 1907 zugrundelegt, bereits 1882: 3 935 000 und 1895: 4 153 000 Frauen in der Landwirtschaft beschäftigt. Auch für Handel und Gaststättengewerbe (Teil von C) kommt Hoffmann durch eine bessere Erfassung der mithelfenden Familienangehörigen zu einer erheblich höheren Zahl von vor allem weiblichen Beschäftigten. In Industrie und Bergbau (B) sind dagegen die Abweichungen von der offiziellen Statistik erheblich geringer. Legt man die die amtlichen Statistiken korrigierenden Zahlen von Hoffmann (S. 205, 210) zugrunde, so betrug der Anteil der weiblichen Beschäftigten an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen: 1882: 35,91%; 1895: 34,86%; 1907: 34,88%.

Quelle: Gerd Hohorst, Jürgen Kocka und Gerhard A. Ritter, Hrsg., Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch: Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1870–1914, Bd. 2. München: C.H. Beck, 1975, S. 66. Von den Herausgebern erstellt aus: (für 1882) Statistik des Deutschen Reichs. NF. Bd. 2 (1884) und NF. Bd. 4, 3 (1884); (für 1895) Statistik des Deutschen Reichs. NF. Bd. 111 (1899); und (für 1907) Statistik des Deutschen Reichs. Bd. 203 (1910).