Quelle
Quelle: „Reichsprognostikon“, Kladderadatsch, Bd. 19, Nr. 41 (9. September, 1866), S. 164. Universitätsbibliothek Heidelberg, https://doi.org/10.11588/diglit.2248#0166
Diese Karikatur von Wilhelm Scholz ist in vier Querfelder eingeteilt. Im obersten Feld – „Wie es früher war“ – verwendet ein Preuße (erkennbar durch die symbolische Pickelhaube) ein langes Band mit der Aufschrift „Zollverein“, um die Schar boshafter Kinder zu bändigen. Die Kinder repräsentieren die verschiedenen Länder des Deutschen Bundes (1815-1866), und einige mühen sich ab, zu dem Habsburger Soldaten auf der linken Seite zu gelangen. Im zweiten Abschnitt – „Wie es dann wurde“ – bezieht sich die Andeutung auf den Preußisch-Österreichischen Krieg vom Juni und Juli 1866 und die gänzliche Eliminierung Österreichs aus einer Lösung der deutschen Frage nach dessen entscheidender Niederlage in der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866. Im dritten Feld sieht man, wie die Kinder/Staaten es sich bei der Figur Preußen bequem machen; sie tragen nun dieselbe Pickelhaube wie jene und werden dafür umarmt. Die Aufschrift „Wie es kommen wird“ deutet auf die Wahrscheinlichkeit ähnlicher neuer militärischer und politischer Bündnisse hin wie die Anfang 1867 bereits durch bilaterale Militärabkommen und im Norddeutschen Bund gebildeten Allianzen. Im vierten Abschnitt – „Was nicht ausbleiben kann“ – schmiegt sich diese kleine Gruppe im Hintergrund aneinander, und Württemberg, Baden, Darmstadt und Bayern gesellen sich eilends zur glücklichen Familie. Unisono erklären sie, „Wir kommen von selbst“.
In dieser Karikatur legt Wilhelm Scholz treffend nahe, dass selbst ein gemeinsames Kulturerbe und der verbindende Einfluss des Zollvereins den Bruderkrieg von 1866 nicht verhindern konnten. Scholz behielt außerdem darin Recht, wie er bereits in der zweiten Septemberwoche 1866 die Konturen preußischer Vorherrschaft in Norddeutschland voraussah. Im Laufe der nächsten vier Jahre verwirklichte sich die in der vierten Tafel suggerierte historische „Notwendigkeit“ nicht. Tatsächlich fanden die süddeutschen Staaten mit der rühmlichen Ausnahme Badens mit jedem neuen Jahr weitere Gründe, um sich der Einheit unter preußischer Vormundschaft zu widersetzen, bis der gemeinsame Krieg gegen Frankreich 1870 den Anstoß zur Überwindung solcher Widerstände lieferte. Historiker wehren sich heute zudem gegen Scholz’ Andeutung, dass die 1871 zustande gekommene Form der Einheit zwangsläufig gewesen sei – dass sie nur eine Frage der Zeit gewesen sei. Vielmehr betonen sie, dass man zu jedem beliebigen Zeitpunkt verschiedene föderale und konstitutionelle Arrangements hätte verfolgen können.
Quelle: „Reichsprognostikon“, Kladderadatsch, Bd. 19, Nr. 41 (9. September, 1866), S. 164. Universitätsbibliothek Heidelberg, https://doi.org/10.11588/diglit.2248#0166
Universitätsbibliothek Heidelberg