Kurzbeschreibung

Caspar David Friedrich (1774–1840) war ein Zeitgenosse des ebenfalls aus Pommern stammenden Malers Philipp Otto Runge (1777–1810). Er begann seine künstlerische Karriere unter dem Einfluss der selben ungestümen Mischung aus früher romantischer Theorie und norddeutschem protestantischem Pietismus: Friedrich Wilhelm Schellings Naturphilosophie, Johann Gottlieb Fichtes radikale Theorien über das Subjekt, den Schriften Johann Ludwig Tiecks, Novalis’ und der Gebrüder Schlegel, in denen der Künstler zum Lieferanten einer neuen Religion wurde, und eines pantheistischen Christentums, das den Geist Gottes in jedem Zweig, Blatt oder Felsen in der Landschaft sah. Wie Runge war Friedrich daran interessiert, hochgradig subjektive und tief symbolische Formen der Kommunikation durch seine Kunst zum Ausdruck zu bringen. Im Gegensatz zu Runge griff Friedrich aber nicht auf mystische Allegorien und arabeskenhafte Abstraktionen zurück.

Durch die Verbindung eines rigoros beachteten Naturalismus mit einem mutigen Sinn für Komposition und einem dramatischen Gefühl für stimmungsvolle Atmosphären hat Friedrich Generationen von Betrachtern dazu gebracht, in seinen Landschaften die romantische Botschaft eines unwiderruflichen geistigen Verlustes und das vage Versprechen der Erneuerung zu sehen. Die Eiche, im vorliegenden Bild an zentraler Stelle in der Bildmitte platziert, war eines von mehreren regelmäßig wiederkehrenden Motiven in der Kunst Friedrichs. Sie findet sich bereits in seinen frühesten Werken. Oft als abgestorben, sterbend oder winterlich kahl dargestellt, steht sie für die heidnische, vorchristliche Weltsicht (der Legende nach fällte Bonifatius im 8. Jahrhundert die heilige Eiche der Teutonen, und an ihrer Stelle spross die immergrüne Weihnachtstanne). Als uralter Baum, der mit den ursprünglichen germanischen Stämmen assoziiert wurde, war die mächtige Eiche gleichzeitig auch eine wichtige Quelle des Nationalstolzes und wurde von dem Schriftsteller Friedrich Gottlieb Klopstock im 18. Jahrhundert als Symbol eines deutschen Patriotismus angewiesen. Im vorliegenden Gemälde ist sie dagegen anders zu verstehen. Die riesige Eiche bietet trotz ihrer etwas grotesken Form einem Wanderhirten eine Stütze in einer gezähmten Landschaft, die viel eher pastoral als melancholisch ist. Ein Dorf erstreckt sich in der Mitte, und weiße Rauchwolken—beruhigende Anzeichen menschlicher Siedlung—umgeben die Hügel und Berge im Hintergrund. Die Berge selbst erscheinen nicht als majestätisch und unerreichbar wie in Der Wanderer über dem Nebelmeer, sondern bilden eher einen schützenden Rahmen für den Dialog zwischen Natur und Kultur. Tatsächlich hieß das Bild ursprünglich nicht Einsamer Baum.

Der Titel wurde erst viel später von Kunstkritikern des frühen 20. Jahrhunderts hinzugefügt, die, inmitten symbolistischer und expressionistischer Kunst, Friedrich aus der Versenkung hervorholten und seinen posthumen Ruf als berühmtester Maler der romantischen “Stimmung” begründeten. Das Bild trug ursprünglich höchstwahrscheinlich den Titel Dorflandschaft bei Morgenbeleuchtung und war als Gegenstück zu dem abendlichen Meeresbild Mondaufgang am Meer gedacht. (Die beiden Gemälde wurden für den einflussreichen Sammler Joachim Wagener gemalt, dessen Sammlung heute einen wichtigen Teil der Bestände der Berliner Nationalgalerie bildet.) Es ist dieses letztere Gemälde, das mit seinem kontrastreichen Licht, den nackten Felsen und dem schrankenlosen Blick auf den wässrigen Horizont sehr viel einsamer wirkt, und dies trotz der Anwesenheit dreier Menschen in der Bildmitte (davon einer altdeutsch gekleidet, eine Tracht, die 1819 in der Phase der Restauration von der Regierung wegen ihrer Bezüge zu den abweichenden politischen Ansichten der republikanischen Patrioten verboten wurde). Im Gegensatz zu diesen drei Rückenfiguren ist der Hirte in dem ersten Gemälde sehr viel stärker in die Landschaft integriert: ein Mensch in der Natur statt ein entfernter Beobachter der Natur als fragmentiertes Bild. Während seines Lebens erstellte Friedrich mehrere andere Bilderpaare oder größere Zyklen zu Themen wie den Tageszeiten, den Jahreszeiten und den verschiedenen Phasen des menschlichen Lebens, in denen die Stimmung der Bilder in ähnlicher Weise von zeitloser, idyllischer Einheit zu moderner Isolation fortschreitet.

Caspar David Friedrich, Einsamer Baum (Dorflandschaft bei Morgenbeleuchtung) (1822)

  • Caspar David Friedrich

Quelle

Quelle: Original: Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, Ident. Nr. W.S. 52. Online verfügbar bei SMB-Digital unter: http://smb-digital.de/eMuseumPlus?service=ExternalInterface&module=collection&objectId=959549&viewType=detailView

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