Kurzbeschreibung

In diesem Auszug aus Das nationale System der politischen Oekonomie (1841) behandelt Nationalökonom Friedrich List (1789–1846) die Stufen ökonomischer Entwicklung, den Unterschied zwischen einer kosmopolitischen und einer nationalistischen Perspektive der Ökonomie und die Bedeutung von Schutzzöllen. Als Kritiker des Freihandelsbefürworters Adam Smith und seiner Nachfolger argumentierte List, dass weniger entwickelte Volkswirtschaften wie die Deutschlands Schutzzölle auf Fertigerzeugnisse benötigten, um das Wachstum ihrer aufstrebenden Industrie nicht zu gefährden. Lists ausdrücklich nationale Lesart der Wirtschaftslehre forderte Beschränkungen des internationalen Handels, plädierte aber für Freihandel und Gewerbefreiheit innerhalb der deutschen Länder.

Friedrich List, Auszug aus Das nationale System der politischen Oekonomie (1841)

  • Friedrich List

Quelle

[]

Zu größerer Klarheit läßt er hier eine Uebersicht der Hauptresultate seiner Forschungen und Reflexionen folgen:

Einigung der individuellen Kräfte zu Verfolgung gemeinsamer Zwecke ist das mächtigste Mittel zu Bewirkung der Glückseligkeit der Individuen. Allein und getrennt von seinen Mitmenschen, ist das Individuum schwach und hülflos. Je größer die Zahl derer ist, mit welchen es in gesellschaftlicher Verbindung steht, je vollkommener die Einigung, desto größer und vollkommener das Produkt, die geistige und körperliche Wohlfahrt der Individuen.

Die höchste, zur Zeit realisirte Einigung der Individuen unter dem Rechtsgesetz ist die des Staats und der Nation; die höchste gedenkbare Vereinigung ist die der gesammten Menschheit. Gleichwie das Individuum im Staat und in der Nation seine individuellen Zwecke in einem viel höheren Grade zu erreichen vermag, als wenn es allein stände, so würden alle Nationen ihre Zwecke in einem viel höheren Grade erreichen, wären sie durch das Rechtsgesetz, den ewigen Frieden und den freien Verkehr mit einander verbunden.

Die Natur selbst drängt die Nationen allmählich zu dieser höchsten Vereinigung, indem sie durch die Verschiedenheit des Klima’s, des Bodens und der Produkte sie zum Tausch, und durch Uebervölkerung und Ueberfluß an Capital und Talenten zur Auswanderung und Colonisirung antreibt. Der internationale Handel, indem er durch Hervorrufung neuer Bedürfnisse zur Thätigkeit und Kraftanstrengung anreizt und neue Ideen, Erfindungen und Kräfte von einer Nation auf die andere überträgt, ist einer der mächtigsten Hebel der Civilisation und des Nationalwohlstandes.

Zur Zeit aber ist die durch den internationalen Handel entstehende Einigung der Nationen eine noch sehr unvollkommene, denn sie wird unterbrochen oder doch geschwächt durch den Krieg oder durch egoistische Maßregeln einzelner Nationen.

Durch den Krieg kann die Nation ihrer Selbständigkeit, ihres Eigenthums, ihrer Freiheit, ihrer Unabhängigkeit, ihrer Verfassung und Gesetze, ihrer Nationaleigenthümlichkeiten und überhaupt ihres bereits errungenen Grades von Kultur und Wohlstand beraubt, kann sie unterjocht werden. Durch egoistische Maßregeln Fremder kann die Nation in ihrer ökonomischen Vervollkommnung gestört oder rückwärts geführt werden.

Erhaltung, Ausbildung und Vervollkommnung der Nationalität ist daher zur Zeit ein Hauptgegenstand des Strebens der Nation, und muß es sein. Es ist dieß kein falsches und egoistisches, sondern ein vernünftiges, mit dem wahren Interesse der gesammten Menschheit vollkommen im Einklang stehendes Bestreben; denn es führt naturgemäß zur endlichen Einigung der Nationen unter dem Rechtsgesetz, zur Universalunion, welche der Wohlfahrt des menschlichen Geschlechtes nur zuträglich sein kann, wenn viele Nationen eine gleichmäßige Stufe von Kultur und Macht erreichen, wenn also die Universalunion auf dem Wege der Conföderation realisirt wird.

Eine aus überwiegender politischer Macht, aus überwiegendem Reichthum einer einzigen Nation hervorgehende, also auf Unterwerfung und Abhängigkeit der andern Nationalitäten basirte Universalunion dagegen würde den Untergang aller Nationaleigenthümlichkeiten und alles Wetteifers unter den Völkern zur Folge haben; sie widerstritte den Interessen wie den Gefühlen aller Nationen, die sich zur Selbständigkeit und zur Erreichung eines hohen Grades von Reichthum und politischer Geltung berufen fühlen; sie wäre nur eine Wiederholung dessen, was schon einmal da gewesen, des Versuchs der Römer, jetzt mit Hülfe der Manufakturen und des Handels statt früher durch kalten Stahl ins Werk gesetzt, darum aber nicht minder zur Barbarei zurückführend.

Die Civilisation, die politische Ausbildung und die Macht der Nationen werden hauptsächlich durch ihre ökonomischen Zustände bedingt, und umgekehrt. Je mehr ihre Oekonomie entwickelt und vervollkommnet ist, desto civilisirter und mächtiger ist die Nation; je mehr ihre Civilisation und Macht steigt, desto höher wird ihre ökonomische Ausbildung steigen können.

In Beziehung auf die nationalökonomische Ausbildung sind folgende Hauptentwickelungsgrade der Nationen anzunehmen: wilder Zustand, Hirtenstand, Agrikulturstand, Agrikulturmanufakturstand, Agrikulturmanufakturhandelsstand.

Offenbar ist diejenige Nation, welche auf einem ausgedehnten, mit mannigfaltigen natürlichen Hülfsquellen ausgestatteten Territorium und bei einer großen Bevölkerung Ackerbau, Manufakturen, Schifffahrt, innern und äußern Handel vereinigt, ungleich civilisirter, politisch gebildeter und mächtiger als die bloße Agrikulturnation. Die Manufakturen aber sind die Basis des innern und äußern Handels, der Schifffahrt und des verbesserten Ackerbaues, folglich der Civilisation und der politischen Macht; und eine Nation, welcher es gelänge, die ganze Manufakturkraft des Erdballs zu monopolisiren und die übrigen Nationen der Art in ihrer ökonomischen Entwickelung niederzuhalten, daß bei ihnen nur Agrikulturprodukte und Rohstoffe erzeugt und die nöthigsten Lokalgewerbe betrieben würden, müßte nothwendig zur Universalherrschaft gelangen.

Jede Nation, für welche Selbständigkeit und Fortdauer einigen Werth haben, muß daher trachten, so bald als möglich von einem niedrigen Kulturstand in einen höheren überzugehen, so bald als möglich Agrikultur, Manufakturen, Schifffahrt und Handel auf ihrem eigenen Territorium zu vereinigen.

Die Uebergänge der Nation vom wilden Zustand in den Hirtenstand und vom Hirtenstand in den Agrikulturstand und die ersten Fortschritte in der Agrikultur werden am besten durch freien Handel mit civilisirteren, d. h. mit Manufaktur- und Handelsnationen bewirkt.

Der Uebergang der Agrikulturvölker in die Klasse der Agrikulturmanufaktur- und Handelsnationen würde bei freiem Verkehr nur in dem Fall von selbst stattfinden können, wenn bei allen zu Emporbringung einer Manufakturkraft berufenen Nationen zu gleicher Zeit der gleiche Bildungsproceß stattgefunden hätte, wenn die Nationen einander in ihrer ökonomischen Ausbildung keinerlei Hindernisse in den Weg legten, wenn sie nicht durch Krieg und Douanensysteme einander in ihren Fortschritten störten.

Da aber einzelne Nationen, durch besondere Verhältnisse begünstigt, vor andern einen Vorsprung in Manufakturen, in Handel und Schifffahrt gewonnen, da dieselben frühzeitig in diesen Vervollkommnungen das wirksamste Mittel erkannt haben, politisches Uebergewicht über andere Nationen zu erlangen und zu behaupten, so haben sie Einrichtungen getroffen, die darauf berechnet waren und es noch sind, ein Monopol der Manufakturen und des Handels zu erlangen und minder vorgerückte Nationen in ihren Fortschritten aufzuhalten. Den Complex dieser Einrichtungen (Einfuhrverbote, Einfuhrzölle, Schifffahrtsbeschränkungen, Ausfuhrprämien u. s. w.) nennt man das Douanensystem.

Durch die früheren Fortschritte anderer Nationen, durch die fremden Douanensysteme und den Krieg werden die minder vorgerückten Nationen genöthigt, in sich selbst die Mittel zu suchen, um den Uebergang vom Agrikulturstand in den Manufakturstand zu bewerkstelligen und den Handel mit weiter vorgerückten und nach dem Manufakturmonopol strebenden Nationen, insofern er ihnen darin hinderlich ist, durch ein eigenes Douanensystem zu beschränken.

Das Douanensystem ist demnach nicht, wie man behauptet hat, eine Erfindung spekulativer Köpfe, es ist eine natürliche Folge des Strebens der Nationen nach den Garantien der Fortdauer und Prosperität oder nach überwiegender Macht.

Dieses Streben ist aber nur insofern ein legitimes und vernünftiges, als es der Nation selbst, die es ergreift, in ihrer ökonomischen Entwickelung nicht hinderlich, sondern förderlich ist, und als es dem höheren Zweck der Menschheit, der künftigen Universalconföderation, nicht feindlich entgegentritt.

Gleichwie die menschliche Gesellschaft unter einem gedoppelten Gesichtspunkt zu betrachten ist, nämlich unter dem kosmopolitischen, welcher die gesammte Menschheit ins Auge faßt, und unter dem politischen, welcher die besonderen Nationalinteressen und Nationalzustände berücksichtigt, so ist alle Oekonomie, die der Privaten wie die der Gesellschaft, unter zwei Hauptgesichtspunkten zu betrachten, nämlich mit Rücksicht auf die persönlichen, gesellschaftlichen und materiellen Kräfte, wodurch die Reichthümer hervorgebracht werden, oder mit Rücksicht auf den Tauschwerth der materiellen Güter.

Es gibt demnach eine kosmopolitische und eine politische Oekonomie, eine Theorie der Tauschwerthe und eine Theorie der produktiven Kräfte, Doktrinen, die, von einander wesentlich verschieden, selbständig entwickelt werden müssen.

Die produktiven Kräfte der Völker sind nicht allein durch Fleiß, Sparsamkeit, Moralität und Intelligenz der Individuen oder durch den Besitz von Naturfonds oder materiellen Kapitalien bedingt, sondern auch durch die gesellschaftlichen, politischen und bürgerlichen Institutionen und Gesetze, vor allem aber durch die Garantien der Fortdauer, Selbständigkeit und Macht ihrer Nationalität. Wie fleißig, sparsam, erfinderisch, unternehmend, moralisch und intelligent die Individuen seien, ohne Nationaleinheit und ohne nationale Theilung der Arbeit und nationale Conföderation der produktiven Kräfte wird die Nation nie einen hohen Grad von Wohlstand und Macht erlangen oder sich den fortdauernden Besitz ihrer geistigen, gesellschaftlichen und materiellen Güter sichern.

Das Princip der Theilung der Arbeit ist bisher unvollständig aufgefaßt worden. Die Produktivität liegt nicht allein in der Theilung verschiedener Geschäftsoperationen unter mehreren Individuen, sie liegt mehr noch in der geistigen und körperlichen Vereinigung dieser Individuen zu einem gemeinschaftlichen Zweck.

Dieses Princip ist demnach nicht bloß auf die einzelne Fabrik oder Landwirthschaft, es ist auch auf die ganze Agrikulturmanufaktur- und Handelskraft einer Nation anwendbar.

Theilung der Arbeit und Conföderation der Produktivkräfte im nationalen Maßstab besteht, wenn in der Nation die geistige Produktion mit der materiellen in richtigem Verhältniß steht, wenn Ackerbau, Gewerbe und Handel in der Nation gleichmäßig und harmonisch ausgebildet sind.

Bei der bloßen Agrikulturnation, selbst wenn sie mit Manufaktur- und Handelsnationen freien Verkehr treibt, liegt ein großer Theil der produktiven Kräfte und der natürlichen Hülfsquellen müßig und unbenützt. Ihre intellektuelle und politische Ausbildung, ihre Vertheidigungskräfte sind beschränkt. Sie kann keine bedeutende Schifffahrt, keinen ausgebreiteten Handel besitzen. All ihr Wohlstand, insofern er die Frucht des internationalen Verkehrs ist, kann durch fremde Maßregeln und durch Kriege unterbrochen, gestört, vernichtet werden.

Die Manufakturkraft dagegen befördert Wissenschaft, Kunst und politische Vervollkommnung, vermehrt den Volkswohlstand, die Bevölkerung, das Staatseinkommen und die Macht der Nation, gewährt ihr die Mittel, ihre Handelsverbindungen auf alle Theile der Erde auszudehnen und Colonien anzulegen, nährt Fischereien, Schifffahrt und Kriegsmarine. Durch sie allein wird der innere Ackerbau auf eine hohe Stufe der Ausbildung gehoben.

Agrikulturkraft und Manufakturkraft in einer und derselben Nation unter der nämlichen politischen Gewalt vereinigt, leben im ewigen Frieden, können durch Kriege und fremde Handelsmaßregeln in ihrer Wechselwirkung nicht gestört werden, garantiren folglich der Nation den unaufhörlichen Fortschritt im Wohlstand, Civilisation und Macht.

Manufaktur- und Agrikulturkraft sind durch die Natur bedingt, aber diese Bedingungen sind verschieden.

Zu Entwickelung der Manufakturkraft sind in Beziehung auf die natürlichen Hülfsmittel die Länder der gemäßigten Zone vorzugsweise berufen; denn das gemäßigte Klima ist die Zone der geistigen und körperlichen Anstrengung.

Wenn dagegen die Länder der heißen Zone in Hinsicht auf die Manufakturen wenig begünstigt sind, so besitzen sie ihrerseits ein natürliches Monopol in Ansehung werthvoller, den Ländern der gemäßigten Zone angenehmer Agrikulturprodukte. Aus dem Tausch von Manufakturprodukten der gemäßigten gegen die Agrikulturprodukte der heißen Zone (Colonialwaaren) entsteht hauptsächlich die kosmopolitische Theilung der Arbeit und Kräfteconföderation, der großartige internationale Handel.

Es wäre ein dem Lande der heißen Zone selbst höchst nachtheiliges Beginnen, wollte es eine eigene Manufakturkraft pflegen. Von der Natur dazu nicht berufen, wird es in seinem materiellen Reichthum und in seiner Kultur weit größere Fortschritte machen, indem es stets die Manufakturprodukte der gemäßigten Zone gegen die Agrikulturprodukte seiner Zone eintauscht.

Allerdings gerathen die Länder der heißen Zone dadurch in die Abhängigkeit der Länder der gemäßigten Zone. Diese Abhängigkeit wird aber unschädlich oder vielmehr aufgehoben, wenn in der gemäßigten Zone mehrere Nationen erstehen, die sich in Manufakturen, Handel, Schifffahrt und politischer Macht das Gleichgewicht halten, wenn es also nicht allein in dem Interesse, sondern auch in der Macht mehrerer Manufakturnationen liegt, zu verhindern, daß keine von ihnen ihre Uebermacht gegen die mindermächtigen Nationen der heißen Zone mißbrauche. Gefährlich und schädlich wäre dieses Uebergewicht nur, wenn alle Manufakturkraft, aller große Handel, alle große Schifffahrt und Seemacht von einer einzigen Nation monopolisirt würde.

Nationen dagegen, welche ein großes, mit mannigfaltigen natürlichen Hülfsquellen ausgestattetes Territorium der gemäßigten Zone besitzen, würden eine der reichsten Quellen des Wohlstandes, der Civilisation und Macht unbenutzt lassen, wenn sie nicht strebten, die Theilung der Arbeit und die Conföderation der produktiven Kräfte im nationalen Maßstab zu realisiren, sobald sie die dazu erforderlichen ökonomischen, geistigen und gesellschaftlichen Hülfsmittel besitzen.

Unter den ökonomischen Hülfsmitteln verstehen wir eine ziemlich weit vorgerückte Agrikultur, die durch Ausfuhr von Produkten nicht mehr bedeutend gefördert werden kann. Unter den geistigen Hülfsmitteln verstehen wir eine weit vorgerückte Bildung der Individuen. Unter den gesellschaftlichen Hülfsmitteln verstehen wir Institutionen und Gesetze, welche dem Bürger Sicherheit der Person und des Eigenthums, den freien Gebrauch seiner geistigen und körperlichen Kräfte sichern. Anstalten, welche den Verkehr regeln und erleichtern, sowie die Abwesenheit von Industrie-, Freiheit-, Intelligenz- und Moralitätstörenden Institutionen, z. B. des Feudalwesens u. s. w.

In dem Interesse einer solchen Nation liegt es, dahin zu streben, daß sie allererst ihren eigenen Markt mit eigenen Manufakturprodukten versorge, und dann, daß sie mit den Ländern der heißen Zone mehr und mehr in unmittelbare Verbindung trete, daß sie ihnen auf eigenen Schiffen Manufakturwaaren zuführe und die Produkte ihrer Zone entgegennehme.

Im Vergleich mit diesem Verkehr zwischen den Manufakturländern der gemäßigten und den Agrikulturländern der heißen Zone ist aller internationale Handel, mit Ausnahme weniger Artikel, z. B. des Weins von untergeordneter Bedeutung.

Die Produktion an Rohstoffen und Nahrungsstoffen ist bei großen Nationen der gemäßigten Zone nur hinsichtlich des innern Handels von großem Belang. Durch Ausfuhr von Getreide, Wein, Flachs, Hanf, Wolle u. s. w. kann eine rohe oder arme Nation im Anfang der Civilisation ihren Ackerbau bedeutend heben, aber noch nie hat sich dadurch eine große Nation zu Reichthum, Civilisation und Macht erhoben.

Man kann als Regel aufstellen, daß eine Nation um so reicher und mächtiger ist, je mehr sie Manufakturprodukte exportirt, je mehr sie Rohstoffe importirt und je mehr sie an Produkten der heißen Zone consumirt.

Die Produkte der heißen Zone dienen den Manufakturländern der gemäßigten Zone nicht bloß als Produktivstoffe oder Nahrungsstoffe, sondern hauptsächlich auch als Reizmittel zur Agrikultur- und Manufakturproduktion. Man wird daher immer finden, daß in derjenigen Nation, welche die größten Quantitäten von Produkten der heißen Zone consumirt, auch verhältnißmäßig die größten Quantitäten an eigenen Manufaktur- und Agrikulturprodukten hervorgebracht und consumirt werden.

In der nationalökonomischen Entwickelung der Nationen, vermittelst des internationalen Handels, sind demnach vier verschiedene Perioden erkennbar: in der ersten wird die innere Agrikultur durch Einfuhr fremder Manufakturwaaren und durch die Ausfuhr einheimischer Agrikulturprodukte und Rohstoffe gehoben; in der zweiten erheben sich die innern Manufakturen neben der Einfuhr auswärtiger Manufakturwaaren, in der dritten versorgen die inländischen Manufakturen den inländischen Markt zum größten Theil; in der vierten werden große Quantitäten inländischer Manufakturwaaren exportirt und fremde Rohstoffe und Agrikulturprodukte importirt.

Das Douanensystem, als Mittel, die ökonomische Entwickelung der Nation vermittelst Regulirung des auswärtigen Handels zu fördern, muß stets das Princip der industriellen Erziehung der Nation zur Richtschnur nehmen.

Die innere Agrikultur durch Schutzzölle heben zu wollen, ist ein thörichtes Beginnen, weil die innere Agrikultur nur durch die inländischen Manufakturen auf ökonomische Weise gehoben werden kann, und weil durch die Ausschließung fremder Rohstoffe und Agrikulturprodukte die eigenen Manufakturen des Landes niedergehalten werden.

Die nationalökonomische Erziehung der auf einer niedrigen Stufe der Intelligenz und der Kultur stehenden, oder der im Verhältniß zu dem Umfang und der Produktivität ihres Territoriums an Bevölkerung noch armen Nationen wird am besten durch freien Handel mit sehr kultivirten, reichen und gewerbfleißigen Nationen befördert. Jede Beschränkung des Handels einer solchen Nation, in der Absicht angeordnet, um bei ihr eine Manufakturkraft zu pflanzen, ist voreilig und wirkt nachtheilig nicht nur auf die Wohlfahrt der gesammten Menschheit, sondern auch auf die Fortschritte der Nation selbst. Erst alsdann, wenn die intellektuelle, politische und ökonomische Erziehung der Nation in Folge des freien Handels so weit gediehen ist, daß sie durch die Einfuhr fremder Manufakturwaaren und durch den Mangel an hinlänglichem Absatz für ihre Produkte in ihren weitern Fortschritten aufgehalten und behindert wird, sind Schutzmaßregeln zu rechtfertigen.

Eine Nation, deren Territorium nicht von großem Umfang ist, nicht mannigfaltige natürliche Hülfsquellen darbietet, nicht im Besitz der Mündungen ihrer Ströme oder sonst nicht gehörig arrondirt ist, kann das Schutzsystem entweder gar nicht oder doch nicht mit vollem Erfolg in Anwendung bringen. Eine solche Nation muß allererst durch Eroberung oder Vertrag dergleichen Mängel zu heilen suchen.

Die Manufakturkraft umfaßt so viele Zweige des Wissens und des Könnens, setzt so viele Erfahrungen, Uebungen und Gewohnheiten voraus, daß die industrielle Bildung der Nation nur allmählich von statten gehen kann. Jede Uebertreibung und Uebereilung des Schutzes straft sich selbst durch Verminderung des eigenen Wohlstandes der Nation.

Am schädlichsten und verwerflichsten ist die plötzliche und gänzliche Abschließung der Nation durch Prohibitionen. Jedoch sind auch diese zu rechtfertigen, wenn die Nation, durch langen Krieg von andern Nationen getrennt, in den Zustand einer unfreiwilligen Prohibition der Manufakturprodukte fremder Nationen und in die absolute Nothwendigkeit versetzt worden ist, sich selbst zu genügen.

In diesem Fall ist ein allmählicher Uebergang vom Prohibitivsystem in das Schutzsystem durch lange vorherbestimmte, allmählich sich vermindernde Zollsätze zu bewerkstelligen. Eine Nation dagegen, welche aus dem Zustande der Nichtprotektion in den Zustand der Protektion übergehen will, muß von geringen Zollsätzen ausgehen, die allmählich und nach einer vorausbestimmten Stufenleiter steigen.

Die auf diese Weise vorherbestimmten Zollsätze sind von der Staatsgewalt unverbrüchlich einzuhalten. Sie kann die Sätze nie vor der Zeit vermindern, wohl aber erhöhen, im Fall sie ihr nicht zureichend erscheinen.

Allzuhohe Einfuhrzölle, welche die auswärtige Concurrenz gänzlich ausschließen, sind der Nation selbst, die sie anlegt, schädlich, indem dadurch der Wetteifer der Manufakturisten mit dem Auslande ausgeschlossen und Indolenz genährt wird.

Wenn bei ansehnlichen, allmählich steigenden Zollsätzen die inländischen Manufakturen nicht gedeihen, so ist dieß ein Beweis, daß die Nation die erforderlichen Hülfsmittel noch nicht besitzt, um eine eigene Manufakturkraft zu pflanzen.

Der Schutzzoll für einen einmal beschützten Industriezweig darf nie so weit fallen, daß diese Industrie durch fremde Concurrenz in ihrem Bestand gefährdet werden kann. Erhaltung des Bestehenden, Beschützung der Wurzeln und des Stammes der Nationalindustrie muß unverbrüchlicher Grundsatz sein.

Die fremde Concurrenz kann demnach bloß zur Theilnahme an dem jährlichen Consumtionszuwachs zugelassen werden. Die Zollsätze müssen steigen, sobald die auswärtige Concurrenz den größeren Theil oder das Ganze des jährlichen Zuwachses gewinnt.

Eine Nation wie die englische, deren Manufakturkraft einen weiten Vorsprung vor der aller andern Nationen gewonnen hat, erhält und erweitert ihre Manufaktur- und Handelssuprematie am besten durch möglichst freien Handel. Bei ihr ist das kosmopolitische Princip und das politische eines und dasselbe.

Hieraus erklärt sich die Vorliebe aufgeklärter englischer Staatsökonomen für die absolute Handelsfreiheit, und die Abgeneigtheit einsichtsvoller Staatsökonomen anderer Länder, dieses Princip unter den bestehenden Weltverhältnissen in Anwendung zu bringen.

Seit einem Vierteljahrhundert wirkt das englische Prohibitiv- und Schutzsystem gegen England und zum Vortheil der neben ihm aufstrebenden Nationen.

Am nachtheiligsten wirken gegen England seine eigenen Einfuhrbeschränkungen fremder Rohstoffe und Lebensmittel.

Handelsunionen und Handelsverträge sind die wirksamsten Mittel, den Verkehr zwischen verschiedenen Nationen zu erleichtern.

Handelsverträge sind aber nur legitim und von Bestand, wenn die Vortheile wechselseitig sind. Schädliche illegitime Handelsverträge sind solche, wodurch eine bereits in der Entwickelung begriffene Manufakturkraft einer andern Nation zum Opfer gebracht wird, um Concessionen für die Ausfuhr von Agrikulturprodukten zu erlangen, die Methuen-, die Löwenverträge.

Ein solcher Löwenvertrag war der zwischen England und Frankreich im Jahre 1768 abgeschlossene. Alle Anträge, welche seitdem von England an Frankreich und an andere Nationen gestellt worden, sind von derselben Natur.

Wenn der Schutzzoll für einige Zeit die inländischen Manufakturwaaren vertheuert, so gewährt er in Zukunft wohlfeilere Preise, in Folge der inländischen Concurrenz; denn eine zur vollständigen Ausbildung gelangte Industrie kann die Preise ihrer Fabrikate um so viel wohlfeiler stellen, als die Verführung der Rohstoffe und Lebensmittel und die Einführung der Fabrikate an Transport und Handelsgewinnsten kostet.

Der durch die Schutzzölle verursachte Verlust der Nation besteht jedenfalls nur in Werthen, dagegen gewinnt sie Kräfte, vermittelst welcher sie für ewige Zeiten in den Stand gesetzt wird, unberechenbare Summen von Werthen zu produciren. Dieser Aufwand an Werthen ist demnach nur als der Preis der industriellen Erziehung der Nation zu betrachten.

Der Schutzzoll auf Manufakturwaaren fällt nicht den Agrikulturisten der beschützten Nation zur Last. Durch das Emporkommen einer inländischen Manufakturkraft wird der Reichthum, die Bevölkerung und damit die Nachfrage nach Agrikulturprodukten, folglich Rente und Tauschwerth des Grundeigenthums außerordentlich vermehrt, während mit der Zeit die Manufakturbedürfnisse der Agrikulturisten im Preise fallen. Diese Gewinnste übersteigen die durch vorübergehende Erhöhung der Manufakturwaarenpreise den Agrikulturisten zugehenden Verluste zehnfältig.

Ebenso gewinnt der äußere und innere Handel in Folge des Schutzsystems, denn nur bei Nationen, welche ihren innern Markt selbst mit Manufakturprodukten versorgen, ihre Agrikulturprodukte selbst consumiren und fremde Rohstoffe und Lebensmittel gegen ihren eigenen Ueberfluß an Manufakturwaaren vertauschen, ist der innere und äußere Handel von Bedeutung. Bei bloßen Agrikulturnationen der gemäßigten Zone sind beide unbedeutend, und der auswärtige Handel solcher Nationen befindet sich in der Regel in den Händen der mit ihnen in Verkehr stehenden Manufaktur- und Handelsnationen.

Das zweckmäßige Schutzsystem gewährt den inländischen Manufakturisten kein Monopol, sondern nur eine Garantie gegen Verluste denjenigen Individuen, die ihre Capitalien, Talente und Arbeitskräfte neuen, noch unbekannten Industrien widmen.

Es gewährt kein Monopol, weil die inländische Concurrenz an die Stelle der auswärtigen tritt, und weil es jedem Mitglied der Nation freisteht, an den von der Nation den Individuen gebotenen Prämien Theil zu nehmen.

Es gewährt nur ein Monopol den Angehörigen der eigenen Nation gegen die Angehörigen fremder Nationen, die bei sich selbst ein ähnliches Monopol besitzen.

Dieses Monopol ist aber ein nützliches, weil es nicht nur in der Nation schlafende und müßig liegende Produktivkräfte weckt, sondern auch fremde Produktivkräfte (materielle sowohl als geistige Capitalien, Unternehmer, Techniker und Arbeiter) ins Land zieht.

Dagegen stellt das Nichtemporkommen einer eigenen Manufakturkraft jede Nation alter Kultur, deren produktive Kraft nicht mehr bedeutend durch die Ausfuhr von Rohstoffen und Agrikulturprodukten und durch die Einfuhr fremder Manufakturwaaren gefördert werden kann, mannigfaltigen und großen Nachtheilen bloß.

Die Agrikultur eines solchen Landes muß nothwendig verkrüppeln, weil der Zuwachs der Bevölkerung, welcher bei dem Emporkommen einer großartigen eigenen Manufakturindustrie in den Gewerben Unterkommen finden und großartige Nachfrage nach Agrikulturprodukten erzeugen, folglich den Ackerbau im Großen gewinnreich machen und begünstigen würde, sich nunmehr bloß auf den Ackerbau wirft und eine der Macht und der Civilisation wie dem Reichthum der Nation höchst schädliche Güterzerstückelung und Kleinwirthschaft erzeugt.

Ein größtentheils aus Kleinbauern bestehendes Argikulturvolk kann weder große Quantitäten von Produkten in den innern Handel werfen, noch eine bedeutende Nachfrage nach Fabrikaten veranlassen. Jedes Individuum ist hier zum größten Theil auf seine eigene Produktion und Consumtion beschränkt. Unter solchen Verhältnissen kann sich nie ein vollkommenes Transportsystem in der Nation bilden, kann die Nation nie in den Besitz der damit verbundenen, unermeßlichen Vortheile gelangen.

Nationalschwäche, geistige wie materielle, individuelle wie politische, ist davon die nothwendige Folge. Diese Wirkungen sind um so gefährlicher, wenn benachbarte Nationalitäten die entgegengesetzte Richtung einschlagen, wenn sie in jeder Beziehung vorwärts gehen, wo wir rückwärts schreiten; wenn dort die Hoffnung einer bessern Zukunft den Muth, die Kraft und den Unternehmungsgeist der Bürger erhöht, während hier Geist und Muth durch den Blick in eine nichtsversprechende Zukunft mehr und mehr erstickt werden.

Die Geschichte liefert sogar Beispiele, daß ganze Nationen zu Grunde gegangen sind, weil sie nicht zu gehöriger Zeit die große Aufgabe zu lösen verstanden, durch Pflanzung eigener Manufakturen und eines kräftigen Gewerbe- und Handelsstandes sich ihrer geistigen, ökonomischen und politischen Selbständigkeit zu versichern.

Quelle: Friedrich List, Das nationale System der politischen Oekonomie (1841). Siebente Auflage. Stuttgart: Verlag der J.G. Cotta’schen Buchhandlung, 1883, S. 9–20.

Friedrich List, Auszug aus Das nationale System der politischen Oekonomie (1841), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/vom-vormaerz-bis-zur-preussischen-vorherrschaft-1815-1866/ghdi:document-354> [04.11.2024].