Kurzbeschreibung

Vereine dienten als wichtiges Mittel zur Verbreitung der Kolonialbegeisterung. Manifeste wie das vorliegende, das vom Carl Peters für die neu gegründete Gesellschaft für Deutsche Kolonisation verfasst wurde, argumentierten, dass Deutschland bisher bei der Verteilung von Kolonien leer ausgegangen war. Dies hatte zu einem, wie Peters ausführte, „nationalen Mißstand“ geführt, der schnelle, energische Maßnahmen notwendig machte. Kolonialismus wird hier als wirtschaftliches wie auch patriotisches Gebot dargestellt, teils, um die sonst für die deutsche Nation verlorenen Auswanderer unterzubringen.

Gründungsmanifest der Gesellschaft für Deutsche Kolonisation (28. März 1885)

  • Carl Peters

Quelle

Deutsche Kolonisation

Die deutsche Nation ist bei der Verteilung der Erde, wie sie vom Ausgang des 15. Jahrhunderts bis auf unsere Tage hin stattgefunden hat, leer ausgegangen. Alle übrigen Kulturvölker Europas besitzen auch außerhalb unseres Erdteils Stätten, wo ihre Sprache und Art feste Wurzel fassen und sich entfalten kann. Der deutsche Auswanderer, sobald er die Grenzen des Reiches hinter sich gelassen hat, ist ein Fremdling auf ausländischem Grund und Boden. Das Deutsche Reich, groß und stark durch die mit Blut errungene Einheit, steht da als die führende Macht auf dem Kontinent von Europa: seine Söhne in der Fremde müssen sich überall Nationen einfügen, welche der unsrigen entweder gleichgültig oder geradezu feindlich gegenüberstehen. Der große Strom deutscher Auswanderung taucht seit Jahrhunderten in fremde Rassen ein, um in ihnen zu verschwinden. Das Deutschtum außerhalb Europas verfällt fortdauernd nationalem Untergang.

In dieser, für den Nationalstolz so schmerzlichen Tatsache liegt ein ungeheurer wirtschaftlicher Nachteil für unser Volk! Alljährlich geht die Kraft von etwa 200 000 Deutschen unserem Vaterland verloren! Diese Kraftmasse strömt meistens unmittelbar in das Lager unserer wirtschaftlichen Konkurrenten ab und vermehrt die Stärke unserer Gegner. Der deutsche Import von Produkten tropischer Zonen geht von ausländischen Niederlassungen aus, wodurch jährlich viele Millionen deutschen Kapitals an fremde Nationen verlorengehen! Der deutsche Export ist abhängig von der Willkür fremdländischer Zollpolitik. Ein unter allen Umständen sicherer Absatzmarkt fehlt unserer Industrie, weil eigene Kolonien unserem Volke fehlen.

Um diesem nationalen Mißstande abzuhelfen, dazu bedarf es praktischen und tatkräftigen Handelns.

Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, ist in Berlin eine Gesellschaft zusammengetreten, welche die praktische Inangriffnahme solchen Handelns als ihr Ziel sich gestellt hat. Die Gesellschaft für deutsche Kolonisation will in entschlossener und durchgreifender Weise die Ausführung von sorgfältig erwogenen Kolonisationsprojekten selbst in die Hand nehmen und somit ergänzend den Bestrebungen von Vereinigungen ähnlicher Tendenzen zur Seite treten.

Als ihre Aufgabe stellt sie sich in besonderem:

1. Beschaffung eines entsprechenden Kolonisationskapitals;
2. Auffindung und Erwerbung geeigneter Kolonisationsdistrikte;
3. Hinlenkung der deutschen Auswanderung in diese Gebiete.

Durchdrungen von der Überzeugung, daß mit der energischen Inangriffnahme dieser großen nationalen Aufgabe nicht länger gezögert werden darf, wagen wir es, mit der Bitte vor das deutsche Volk zu treten, die Bestrebungen unserer Gesellschaft tatkräftig zu fördern! Die deutsche Nation hat wiederholt bewiesen, daß sie bereit ist, für allgemein-patriotische Unternehmungen Opfer zu bringen: sie möge auch der Lösung dieser großen geschichtlichen Aufgabe ihre Beteiligung in tatkräftiger Weise zuwenden.

Jeder Deutsche, dem ein Herz für die Größe und die Ehre unserer Nation schlägt, ist aufgefordert, unserer Gesellschaft beizutreten. Es gilt, das Versäumnis von Jahrhunderten gutzumachen; der Welt zu beweisen, daß das deutsche Volk mit der alten Reichsherrlichkeit auch den alten deutsch-nationalen Geist der Väter überkommen hat!

Quelle: Ernst Gerhard Jacob, Deutsche Kolonialpolitik in Dokumenten. Gedanken und Gestalten aus den letzten fünfzig Jahren. Leipzig: Dietrich, 1938, S. 85–87; abgedruckt in Wolfgang J. Mommsen, Imperialismus. Seine geistigen, politischen und wirtschaftlichen Grundlagen. Ein Quellen- und Arbeitsbuch. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1977, S. 124–25.