Kurzbeschreibung

Der konservative Professor für Rechtswissenschaft Friedrich Julius Stahl (1802–1861) plädiert in der hier wiedergegebenen Rede vor dem preußischen Parlament gegen eine Abschaffung der 1848 verabschiedeten preußischen Verfassung, weil diese die Monarchie sogar eher stärke. Die Passage verdeutlicht, wie sehr die konstitutionelle Regierungsform selbst in königstreuen Kreisen Akzeptanz fand.

Rede von Friedrich Julius Stahl gegen eine Abschaffung der preußischen Verfassung (1853)

  • Friedrich Julius Stahl

Quelle

Aufhebung der Preußischen Verfassung.
Antrag des Grafen v. Saurma-Jeltsch und des Fürsten Reuß.
(Sitzung der ersten Kammer am 24. Februar 1853.)[1]

Meine Herren! Dem formellen Anstoß, welchen die Kommission an dem Antrage nimmt, kann ich nicht beipflichten. Sie behauptet, der Artikel 107 gestatte nur die Abänderung und deshalb nicht die Aufhebung der Verfassung. Wie von meinem Vorredner unterschieden worden ist: Abänderung hebt nicht die Substanz, sondern nur das Accidenz auf. Allein dieser Unterschied ist schon in seinem Erfolge irrelevant; es könnte ja dann der Antrag gestellt werden: alle die Paragraphen, welche von den Kammern handeln, aufzuheben. Das wäre formell nur Abänderung und dennoch dem Erfolge nach Aufhebung. In der That aber liegt Sinn und Nachdruck des Artikels 107 nicht darauf, daß die Verfassung abgeändert werden kann, sondern daß sie in der gewöhnlichen Weise der Gesetzgebung abgeändert werden kann. Daß sie abgeändert werden kann, brauchte dieser Artikel nicht erst zu sagen, das verstand sich von selbst. Eben so versteht es sich aber auch von selbst, daß sie aufgehoben werden kann. So steht in der ganzen Urkunde auch kein Wort darüber, daß überhaupt ein Gesetz abgeändert oder aufgehoben werden kann, und haben wir das je in Zweifel gezogen? Das Recht, die Verfassung auf gesetzlichem Wege aufzuheben, beruht nicht auf Artikel 107, sondern auf der Natur der Sache; es beruht darauf, daß die Autorität, welche die Verfassung gab, der König und die Landesvertretung, eben so auch Fug haben muß, sie wieder zurückzunehmen. Der Artikel 107 giebt nur die Form dafür an, daß es nicht durch eine besonders hierzu berufene, mit einem besonderen Mandat versehene Versammlung zu geschehen braucht, sondern durch die gewöhnlichen Kammern.

Hat ein Herr Vorredner dagegen bemerkt, daß es doch wohl in England nicht zulässig wäre, einen Antrag auf Abschaffung des Parlaments zu stellen, so antworte ich ihm darauf, daß es auch bei uns nicht zulässig ist, einen Antrag auf Verwandlung der Monarchie in Republik zu stellen. Diese Unzulässigkeit beruht aber nicht auf der Verfassungs-Urkunde; nach der wäre es vollkommen zulässig, sondern sie beruht auf der innern Heiligkeit des Königthums, und diese Heiligkeit haben bei uns die Kammern und die ganze Constitution bis jetzt jedenfalls noch nicht.

In der Sache selbst erkenne ich das Gewicht der Beweggründe auf Seiten der Herren Antragsteller vollkommen an; sie bewegt die Anhänglichkeit an das alte Preußische Königthum, an die alte Verfassung und Geschichte dieses Landes; sie bewegt auch die Beschaffenheit unserer Verfassung. Es ist wahr, die Verfassung hat ihren Ursprung in den Barrikaden-Kämpfen; sie hat ihre Substanz in der ersten Arbeit der Verfassungs-Kommission der National-Versammlung; sie hat die Form und vielfach die Redeweisen der Revolutionen von 1791 und 1848, die doch gewiß auch der adäquate Ausdruck des Geistes dieser Revolutionen sind. Sie würde in ihren Wirkungen dem Lande tiefe Schäden anrichten, wenn sie nicht glücklicherweise meistens sich selbst neutralisirte. Wenn die Bestimmungen über Ministerverantwortlichkeit, die Bestimmungen über das Schulwesen ausgeführt würden, so wäre es ein schweres Unheil. Man kann sagen, unsere Verfassung ist in vieler Hinsicht nur dadurch eine Möglichkeit, daß sie keine Wirklichkeit ist. (Bravo und Heiterkeit.)

Die Verfassung ist ein Denkmal von dem schweren Falle Preußens; und so sehr man das Bewußtsein pflegen muß von ihrem Ansehen als Gesetz und als beschworenes Gesetz, eben so sehr muß man auch das Bewußtsein pflegen, daß sie, an einem höheren und heiligeren Gesetze gemessen, in vieler Hinsicht nicht besteht. Dessenungeachtet kann ich den Herren Antragstellern nicht beipflichten und schließe mich dem Antrage auf Tagesordnung an.

Daß der Ursprung eines Rechtszustandes aus Empörung noch kein absoluter Grund ist, diesen Rechtszustand selbst aufzugeben, ist von meinen Herren Vorrednern bereits bemerkt worden; die magna Charta, die Declaration der Rechte, die acte of settlement beruhen in England auf Empörung, und sie über Bord zu werfen, würde dennoch gewiß Niemand dort jenem Lande anrathen. Nun ist die Ansicht der Antragsteller allerdings die, daß die Verfassung nicht blos ihren Ursprung in der Empörung hat, sondern, was wohl davon zu unterscheiden, daß sie das Princip der Revolution in sich trägt. Es sei durch sie Preußen in die Reihe der constitutionellen Staaten eingetreten. Aber was heißt das, ein constitutioneller Staat? Wohin kommen wir, wenn wir mit Schulbegriffen in parlamentarischen Sachen verhandeln? (Bravo!)

Ist die Schwedische Verfassung, ist unser früherer Vereinigter Landtag, ist unsere jetzige Verfassung ohne Ministerverantwortlichkeit und ohne Steuerverweigerungsrecht ein constitutioneller Staat? Ich frage nach dem Begriff eines solchen; er soll nun in der Theilung der Gewalten liegen. Wie schon bemerkt worden, unter Theilung der Gewalten, welche die constitutionelle Doctrin aufgebracht hat, und die von Grund aus verwerflich ist, verstand und versteht man nichts anderes, als daß die Kammer die gesetzgebende Gewalt und der König die executive ist; daß aber eine Mitwirkung der Landesvertretung mit der Krone für die Gesetzgebung eine Theilung sei, das ist bis jetzt noch nirgend behauptet worden. In der Schwedischen Verfassung, in der Deutschen Reichsverfassung findet eine solche Mitwirkung statt, und diese sind doch weit älter als die constitutionelle Doctrin. Eben so der Einwurf der Majoritäten-Herrschaft. Ich bin in der sonderbaren Lage, hier die Majorität in Schutz nehmen zu müssen. (Heiterkeit.)

Wäre die Verfassung der Art, daß diese nach Majoritäten stimmende Versammlung das Uebergewicht über den König hätte, so würde ich den Herrn Antragstellern Recht geben; ist diese Versammlung aber der Autorität des Königs tief untergeordnet, dann kann in der That unmöglich etwas Anstößiges darin gefunden werden, daß sie nach Stimmenmehrheit ihre Beschlüsse faßt. In der alten ehrwürdigen Reichsverfassung wurde im Kurfürsten-Kollegium, im Fürstenrath und in den Grafen-Kurien nach Majoritäten entschieden; ist diese Verfassung deshalb revolutionair zu nennen?

Allein der ganze Antrag bei solcher Begründung bewegt sich in der That auf einem rein wissenschaftlichen Gebiet. Alles, was heute gesagt worden ist „für“ und „gegen“, konnte vollständig eben so bei jeder philosophischen oder juristischen Doctor-Disputation gesagt werden. (Bravo!)

Ich sage zum größten Theil! Allein wir stehen hier nicht an der Frage, ob die Verfassung eingeführt werden soll; wäre das die Frage, dann würde ich allerdings schwerere Bedenken haben, als meine Herren Vorredner, aus dem früheren Zustande der unumschränkten Monarchie in den der eingeschränkten überzugehen, während das ganze Material dazu, die Gliederung der Societät, die geschichtlichen Traditionen fehlen. Ich würde am wenigsten dazu meine Zustimmung geben, gegen die frühere Monarchie die jetzige Verfassung, wie sie daliegt, einzutauschen. Allein es handelt sich nicht darum, sie einzuführen, sondern sie abzuschaffen. Die Verfassung besteht bereits drei Jahre, es sind Verhältnisse durch sie geregelt, Gesetze auf sie gebaut, Rechte durch sie erworben; ist es denn nun ein so Leichtes, sie auf einmal auszujäten? Haben die Herren Antragsteller sich z. B. nur das Eine wohl überdacht, wollen sie die Rechte der evangelischen und der katholischen Kirche, welche die Verfassung zusichert, auch mit ausstreichen; glauben Sie, daß das großen Anklang im Lande finden werde, oder wollen Sie darüber noch vorher besonders verhandeln und festsetzen, und durch eine solche Debatte, um mich des Ausdrucks des Herrn Antragstellers[2]) zu bedienen, die Sonde nicht zwar in eine schmerzliche Wunde, aber doch in die empfindlichsten Theile des Staatskörpers senken? Haben Sie sich auch wohl überlegt, was als allgemeiner staatsrechtlicher Zustand eintreten wird, ob vielleicht der Vereinigte Landtag? Dieser hat sich selbst aufgegeben im Hinblick auf eine künftige Landesvertretung; daß er von selbst wieder erstehe, möchte ich nicht behaupten, soll er also zufolge jener seiner bedingten Erklärung nun unbedingt aufgehört haben und nichts an seine Stelle treten? Die Verfassung Preußens, sie mag gut oder schlecht sein, hat nun einmal eine Geschichte, und was eine Geschichte hat, ohne Weiteres aufzugeben, dazu ohne bestimmte Vorschläge des Ersatzes, möchte ich nicht „le contraire de la révolution,“ sondern vielmehr die Contre-Revolution nennen! (Ruf: Sehr wahr!)

Die Hauptsache ist überdies, ich finde nirgends eine nahe liegende Gefahr, welche zu einer solchen Maßregel bewegen könnte; läge eine solche vor, so würde mich keine Doctrin abhalten, beizustimmen.

Die bedenklichsten Sätze der Verfassung, wie gesagt, haben sich selbst neutralisirt, die Macht der Krone ist auf allen Positionen derselben Sieger geblieben; der König besitzt eine gesicherte Armee und besitzt gesicherte Finanzen. Mit diesen zwei Stücken ist dereinst der König von Preußen drei europäischen Großmächten gegenübergetreten und mit ihnen fertig geworden, – sollte er nicht auch, wenn es Noth thäte, mit diesen zwei Stücken zwei Kammern gewachsen sein? (Heiterkeit und Bravo.)

Und sind denn, seit die Kammern bestehen, so überaus gefährliche, destructive Gesetze und Einrichtungen gegeben worden? Vergleichen wir die Legislation seit der Constitution und vor der Constitution, auch durch Jahrzehnte zurück, ich frage: auf welcher Seite die Conservation, auf welcher die Destruction sich befindet? (Lebhaftes Bravo rechts.)

Besonders bedenkliche Bestimmungen waren noch diejenigen, welche nicht sowohl die Macht der Krone, als die Gesinnung der Bevölkerung bedrohten; diese sind aber glücklicherweise in dieser Sitzungsperiode gleichfalls überwunden; ich meine die Bestimmungen über die Gemeinde-Verfassung, ich meine die sich so rasch wiederholende Wahl-Agitation mittelst der Wahlen von drei zu drei Jahren.

Die Verfassung hat aber auch bei allen diesen tiefen grundsätzlichen Gebrechen dennoch ihren positiven Werth, und das ist der, daß sie überhaupt eine Verfassung ist, d. h., daß sie Rechtsgarantieen und eine Landesvertretung enthält, und dies ist allerdings der Punkt der großen Divergenz zwischen den Herren Antragstellern und mir; darauf allein gründe ich meine Hoffnung und meine Stellung, daß durch richtige Fortbildung diese Verfassung nicht blos unschädlich, sondern positiv heilsam gemacht werden kann.

Ja, wir wollen und erstreben Rechtsgarantieen, wir wollen keine ungemessene Freiheit der Staatsbürger oder der Korporationen oder der Kirche; wir wollen aber auch keine ungemessene Freiheit der büreaukratischen Gewalt und der Präventiv-Maßregeln. (Lebhaftes Bravo.)

Wir wollen nichts Ungemessenes, wir wollen ein wohl gefügtes, harmonisches Rechts-Ganze, in welchem jedem Element die ihm zukommende, nach höherer ewiger Ordnung ihm zukommende Sphäre angewiesen und rechtlich unverbrüchlich gesichert sei. Ich betrachte diese Verfassung, für die ich in der That keine besondere Vorliebe habe, doch als die erste Grundirung eines solchen harmonischen Bildes, und da ziemt es uns wohl, die Konturen zu berichtigen, ein richtiges Kolorit aufzutragen, nicht aber sie zu durchstreichen, da wir keine Gewißheit haben, daß die neue Grundirung gleich auf den ersten Wurf etwas Anderes und Besseres ergebe. (Hört, hört! und Bravo rechts.)

Desgleichen wollen wir eine Landesvertretung, aber in einem ganz anderen Geiste, als sie von 1815 bis 1848 in den Deutschen Landen bestanden hat: wir wollen in ihr nicht eine Schwächung der monarchischen Gewalt, nicht eine gegenseitige Controlle des Mißtrauens, wie der Herr Antragsteller sich ausdrückt, sondern wir wollen in ihr eine Stärkung der Krone, wir wollen durch sie der rechtlichen Macht der Krone auch noch die moralische Macht des öffentlichen Eindrucks hinzufügen. (Bravo rechts.)

Erinnern Sie sich, meine Herren, an unsere Verhandlungen über die Maßregeln gegen die Dissidenten, über die Herstellung der Kreis- und Provinzialstände, über das Einrücken Oesterreichischer Truppen in das Holsteinische. Hätte die Krone bei jenen Veranlassungen mehr Macht gehabt ohne die Kammern? Hat sie nicht vielmehr weit mehr Macht gehabt durch die Kammern? (Lebhafter Ruf; Sehr wahr, sehr richtig!)

Ausführen konnte sie das Alles auch in der unumschränkten Monarchie; aber es wäre, ein falsches Urtheil, ein Tadel, eine Anklage stehen geblieben – den moralischen Sieg hat die Krone damals durch die Verhandlungen der Kammern errungen! – Und wenn man die Kammern aufhebt, ist damit auch die Macht des öffentlichen Urtheils aufgehoben? Wird nicht vielmehr diese Macht dann allein der Tagespresse und dem Wirthshausgespräche verbleiben? Sind aber, die Kammern nicht ein viel zuverlässigeres und ein viel würdigeres Organ als jene?

Wir wollen ferner die Landesvertretung nicht, um den sogenannten Fortschritt, diesen großen Auflösungsproceß unserer Zeit zu befördern; im Gegentheil, um die Zustände zu erhalten und da, wo sie beschädigt sind, wieder herzustellen. Wir wollen nicht der Büreaukratie allein das Feld überlassen. (Bravo!)

Sie hat sich von jeher, natürlich wechselnd nach den Personen, mehr oder minder immer zu den liberalen Gedanken der Zeit hingeneigt, weil diese die mechanische Handhabung der Zustände überall begünstigen. (Bravo!)

Das liegt in der Natur der Sache. Jener große Auflösungsproceß ist darum seit Jahrzehnten auch in den Ländern, die keine Kammern hatten, gerade durch die Büreaukratie vollbracht worden, und sind diese etwa darin zurückgestanden gegen die Länder mit Kammern? Wir wollen dem Conservatismus und seinen Vertretern den Mund öffnen und ihm die Arme freimachen, damit er sein Recht selbst durch Wort und That vertrete in öffentlicher Versammlung.

Die Aufgabe ist darum nicht die Aufhebung, sondern vor Allem die richtige Bildung der Landesvertretung. Und hierin kann ich nur tief beklagen, daß unser letzter Antrag nicht die Unterstützung unserer Regierung erlangt hat; er hätte auf einmal die Sicherheit gegen künftige Gefahren der Verfassung gewährt. Sodann kommt es darauf an, durch eine solche gesunde Landesvertretung und mit ihrer Hülfe die einzelnen Schäden der Verfassungs-Urkunde zu bessern, und zwar nur gelegentlich, d. h. überall, wo das betreffende Bedürfniß sich zeigt, nicht in doctrinärer Weise durch allgemeine Revision. Die letzte Nachlese an solchem Werke, die übrig bliebe, wäre dann die, auch die Bestimmungen noch auszumerzen, die zwar völlig unschädlich, aber keinesweges auch völlig würdig und gemäß sind.

Eine solche Rechtsordnung, die wir uns als Ziel setzen, für deren Erreichung aber wir allerdings nicht Bürgschaft leisten können, widerspricht keinesweges der Preußischen Geschichte; sie ist im Gegentheile mit derselben im innersten Einklange. Zwei Momente sind es, die durch die glorreiche Geschichte dieses Landes hindurchgehen. Das Eine ist die Macht der Könige, das Andere die geistige Betheiligung des Volkes. Das Preußische Volk war niemals ein blos passives Object der Regierung. Seine Könige haben die großen Thaten vollbracht, aber es selbst hat sie nicht blos als Werkzeug, sondern durch eigenen Willen, durch eigene Zustimmung und Hingebung und aufopfernde Anstrengung moralisch mitvollbracht. Das gilt von dem siebenjährigen Kriege, von dem Freiheitskriege und zuletzt noch von der Wiederherstellung Preußens im Herbste 1848. (Bravo!)

Während in anderen Ländern nur die Armee die Autorität wieder herstellte, hat in Preußen allerdings auch die Armee die Autorität wieder hergestellt; aber das Volk hat geistig und moralisch diese Herstellung mitvollbracht. (Bravo!)

Eine Rechts-Ordnung, wie ich sie gezeichnet, und wie wir sie anstreben, will nichts aufgeben von der Macht des Königs.

Sie sucht nur eine Form für die geistige Betheiligung des Landes, und wenn diese in unserem Jahrhundert in Manchem abweicht von den Formen früherer Jahrhunderte, so kann ich darin allein noch kein absolutes Verwerfungsurtheil derselben finden.

Darum möge auch Preußen sich nicht dadurch beirren lassen, daß rund herum die Großmächte die unumschränkte Monarchie hergestellt haben; es geziemt jedem Staate, seine Eigenthümlichkeit zu bewahren, am meisten dann, wenn seine Eigenthümlichkeit gerade die höhere ist – und hat man denn solche Gewißheit, daß der Absolutismus in anderen Reichen in der Folge zu ersprießlichen Resultaten führen wird? (Lebhaftes Bravo links.)

Nach der Februar-Revolution von 1848 meinten viele Leute, das Ende und das Ziel der Weltgeschichte sei die provisorische Regierung, (Heiterkeit) so glauben auch jetzt wieder viele Leute, das Ende und Ziel der Weltgeschichte sei der Absolutismus; ich hoffe von dem Herrn der Weltgeschichte, daß ein anderes Ziel und Ende der Geschichte gesetzt ist. Lange und befriedigende Dauer hat nur ein Reich, das auf sittlichen Grundlagen, auf verbürgten Rechten, auf ächter Freiheit ruht. Darum mögen die absoluten Constituirungen in Europa für Preußen nur eine um so dringendere Aufforderung sein, sich als ein Reich der sittlichen Grundlagen, der verbürgten Rechte, der ächten Freiheit zu erhalten und auszubilden. Das ist seine große Mission, möge es derselben nicht untreu werden! (Lebhaftes Bravo.)

Ich behaupte keinesweges, daß verbürgte Rechte nicht anders möglich seien, als durch geschriebene Gesetze; daß ächte Freiheit nicht möglich sei, als durch Kammern. Es giebt hiefür mancherlei Formen und Wege. Allein es ist nicht männlich, Wege und Formen immerdar zu wechseln, statt vielmehr den Weg, auf welchen wir durch die Providenz nun einmal gestellt sind, beharrlich und muthig bis ans Ende fortzugehen. (Bravo!)

Es ist noch weniger männlich, weil das Zerrbild der Freiheit zu Schanden geworden ist, auch den Glauben an das Urbild der Freiheit aufzugeben. (Bravo! Ruf: Sehr richtig! von der Linken.)

Unsere Verfassung trug nach einem Königlichen Ausspruch den breiten Stempel ihres Ursprunges an sich; nun dieser Stempel wird von Jahr zu Jahr schmäler. (Stimmen links: Nur nicht zu schmal.) Streichen wir die Verfassung aus, so haben wir die Schäden der Revolution aufgehoben, aber auch ihren Gewinn. Gehen wir dagegen den Weg, den wir seit drei Jahren gegangen sind, fort, Schritt vor Schritt die Güter, die wirklich zerstört und beschädigt sind, wieder herzustellen, auf dem Wege der öffentlichen Besprechung und durch sie der inneren Ueberzeugung, so werden wir sie doppelt wieder gewinnen, wir werden sie fester machen und zugleich ihren Werth im öffentlichen Bewußtsein steigern. Wir haben dann nicht blos diese Güter selbst, sondern auch die richtige Würdigung derselben in der Nation errungen, welche ihr Unterpfand für die Zukunft ist. (Bravo rechts.)

Ja, unsere Verfassung, wie sie da liegt, ist noch ein Denkmal von dem schweren Fall Preußens und dadurch ein Denkmal von der Schmach Preußens. Aber es frommt nicht, dieses Denkmal zu vernichten, sondern durch Thaten der Loyalität und der politischen Weisheit Zug um Zug seine Inschrift umzuwandeln, damit es stehen bleibe durch die Zeiten als ein Denkmal von Preußens Wiederaufrichtung, als ein Denkmal von Preußens Ehre. Deshalb stimme ich für die Tagesordnung. (Lebhafter Beifall.)

Anmerkungen

[1] Der Graf v. Saurma-Jeltsch hatte in Gemeinschaft mit dem Fürsten Reuß als damaliges Mitglied der ersten Kammer und in Verfolg der in der vorigen Rede behandelten Petition den Antrag gestellt „seine Majestät den König zu bitten, den Kammern einen Gesetzentwurf vorzulegen, wonach die Verfassung vom 31. Januar 1850 auf dem im Art. 107 derselben vorgeschriebenen Wege wieder aufgehoben werde.“ Da der Antrag nicht die nöthige Unterstützung hatte, wurde er als Petition behandelt. Die Petitionscommission empfahl Uebergang zur Tagesordnung „weil der Art. 107 der Verfassung eine Bestimmung enthalte, welche den Antrag auf Aufhebung nicht zulasse.“ Die obige Rede ist gegen den Antrag und gegen das eben erwähnte Motiv der Commission gerichtet.
[2] des Fürsten Reuß in der vorgängigen Rede

Quelle: Friedrich Julius Stahl, Siebzehn parlamentarische Reden und drei Vorträge. Berlin: Wilhelm Hertz, 1862, S. 27–36. Online verfügbar unter: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10014222-6