Kurzbeschreibung

Ludwig Pfau (1821–1894) war ein Dichter, Journalist, Politiker und Begründer der satirischen Zeitschrift Eulenspiegel, die er von 1848 bis 1850 herausgab. Seine Beteiligung an den revolutionären Ereignissen in Württemberg 1849 brachte ihm eine 21-jährige Gefängnisstrafe für „Hochverrat“ ein. Nachdem er in die Schweiz geflüchtet war, um der Inhaftierung zu entgehen, begab er sich weiter nach Frankreich, wo er notdürftig seinen Lebensunterhalt bestritt, bevor er 1862 begnadigt wurde. Pfau war in seinem heimatlichen Württemberg sehr populär aufgrund seines lebenslangen Kampfes gegen „Cäsarismus“, Militarismus und preußische Arroganz. Der hier in Auszügen präsentierte Aufsatz mit dem Titel „Centralisation oder Föderation?“ kam erstmals im April 1864 heraus; er wurde 1895 mit erheblichen Änderungen neu veröffentlicht. In dieser Arbeit behandelt Pfau ausführlich den Unterschied zwischen Staatenbund und Zentralisierung in Deutschland. Ein deutscher Staat, so argumentiert er, sollte nicht die Hegemonie über andere ausüben, nur weil er über mehr Bajonette verfügt oder das „Faustrecht“ praktiziert. Als radikaler Demokrat setzt Pfau Zentralisierung mit den schlimmsten Eigenschaften des Preußentums gleich, darunter „blinden Gehorsam“, und er greift seine demokratischen Genossen wegen deren Bereitschaft an, „zuerst Einheit, dann Freiheit“ zu akzeptieren. Pfau legt nahe, dass Deutschlands Geschichte der politischen Uneinigkeit die Sache der Freiheit gefördert, nicht behindert habe.

Der württembergische Demokrat Ludwig Pfau zum deutschen Föderalismus (1864/1895)

  • Ludwig Pfau

Quelle

Centralisation oder Föderation?

April 1864.

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Die deutsche Zersplitterung beschränkt sich nicht auf das Land, sondern erstreckt sich auf die Leute, und die Uneinigkeit der Geister ist das moralische Hindernis, das der Einheit der Gebiete im Wege steht. Absolutistische, konstitutionelle, sozialistische Bestrebungen werden durch katholische, protestantische, philosophische Anschauungen so vielfältig zerteilt, daß jede Parteigruppirung die widerstrebendsten Elemente in ihrem Schooße trägt. Diese ideelle Zersplitterung muß überwunden werden, wenn die materielle aufhören soll; aber nicht durch Verheimlichung und Vertagung, sondern durch Offenbarung und Ausgleichung der Gegensätze wird die innere Einheit des Volks erzielt, welche allein eine segensreiche Wirkung auf die politische Entwicklung der Nation zu üben vermag.

In Deutschland wie überall heißt die politische Frage, auf ihr Prinzip zurückgeführt: Gottesgnadenthum oder Volkssouveränität, Autorität oder Selbstregierung, Dogma oder Vernunft, Gewalt oder Recht, Knechtung oder Freiheit. Wie man ihn drehen und wenden mag, derselbe Gegensatz kehrt immer wieder, und auf die Form des Gesammtstaats angewandt, heißt er Centralisation oder Föderation. Nicht Monarchie oder Republik, nicht Österreich oder Preußen, nicht Großdeutschland oder Kleindeutschland heißt die Frage der deutschen Einigung ihrem Wesen nach, sondern Centralisation oder Föderation. Wer ein Anhänger des Gottesgnadenthums, der Autorität, des Dogma’s, der Gewalt, der Knechtschaft ist, der muß konsequenterweise für die Centralisation stimmen; wer dagegen ein Kämpe der Volkssouveränität, der Selbstregierung, der Vernunft, des Rechts, der Freiheit ist, der muß folgerichtig die Föderation erstreben: denn dort wie hier ist das eine unmöglich ohne das andere. Was das Menschenrecht der Gemeinschaft, was die Gemeindefreiheit dem Einzelstaat gegenüber, das ist die administrative Selbstregierung der Stammesgruppe der Centralgewalt des Gesammtstaats gegenüber. Ohne die Bildung einer verhältnismäßigen Anzahl politischer Centren und intellektueller Wirkungsherde, welche dem schöpferischen Geiste der Nation zu Anhaltspunkten dienen, und durch ihre Gegenwirkung die Centralgewalt vor Willkürherrschaft bewahren, ist die rationelle Organisation eines großen Staates und die freie, gesunde Funktion seiner Kräfte unmöglich. Die innere Thätigkeit der konkreten Gemeinde mit ihren Gruppirungen muß die Grundlage der Verwaltung sein, und nicht das von außen wirkende, abstrakte Regiment des Zentrums. Wie der Staat überhaupt nicht Zweck, sondern Mittel und nur dazu vorhanden ist, dem Individuum die Ausübung seiner Menschenrechte zu garantieren, so ist auch die staatliche Einheit nicht der nationale Zweck, sondern nur das politische Mittel, die Selbstständigkeit der Nation in ihren Stämmen und Gemeinden nach innen wie nach außen sicher zu stellen. Denn das absolute Ziel aller sozialen Einrichtungen ist die Entwicklung der Menschheit, d. h. die Verwirklichung der Humanität durch die Herrschaft des Gemeinwohls – das ist mit einem Wort die Freiheit als die Bahn zur Gerechtigkeit.

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Die Idee des Kaiserthums vom Orient nach Rom getragen und von dort über den Occident verbreitet, ist neben der Idee des Papstthums, ihrer würdigen Zwillingsschwester, das verderbenschwangere Vermächtnis der Rache, das Rom seinen germanischen Siegern hinterlassen hat. Wie das Papstthum – auf die Reinheit seines Prinzips zurückgeführt – der absolute Gegensatz der Vernunft und die Negation der geistigen Freiheit ist, so ist das Kaiserthum der absolute Gegensatz des Rechts und die Negation der politischen Freiheit. Die beiden hübschen Institutionen bedingen und halten sich gegenseitig: es ist das religiöse und politische Götzenthum, die universelle Knechtschaft, die Verneinung der sittlichen Würde, kurz! die Bekämpfung von Allem, was das zweibeinige Säugetier zum Menschen erhebt und aus der Materie den Geist erzeugt. Denn sowenig man mit dem blinden Glauben die Menschen moralisirt, so wenig moralisirt man sie mit dem blinden Gehorsam man unterdrückt damit im Gegenteil das eigentliche Wesen des Menschenthums: die auf der Vernunft beruhende freie Forschung, und das eigentliche Wesen der Sittlichkeit: den auf der Erkenntnis beruhenden freien Willen. Diese orientalische Despotenidee, die Menschheit unter der weltlichen Herrschaft des Kaisers so politisch zusammenzuketten, wie sie unter der geistlichen Herrschaft des Papstes religiös verbunden erschien, hat der Gewalt, ohne welche die Geschichte die staatliche Formation nicht vollziehen kann, einen Charakter absoluter, dem Naturgesetz der Familien- und Stammesbildung Hohn sprechender Tyrannei aufgedrückt.

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Centralisation und Gottesgnadenthum herrschen in Berlin so gut wie in Wien, und Seine Majestät Non possumus, der König und Herr, der seine Krone auf dem Altar findet und gegen Kammer und Volk so unfehlbar sich geberdet, wie sein Ministerium unverantwortlich, der ist im Grunde nichts als ein pseudoprotestantischer Papst und ein uckermärkischer Zaar. In dem Augenblicke, wo Preußen eine militärische Großmacht bildete, gab es seine protestantische Mission auf, die, ihrem Wesen nach, von der freien Forschung und föderativen Gruppirung unzertrennlich ist. Allerdings übernahm es, nicht weniger als das alte Kaiserthum, eine historische Sendung, indem es an Stelle des zusammenstürzenden Reichsregiments ein neues Machtcentrum bildete; aber sogut die alten Kaiser verschwunden sind, nachdem der nationale Zweck ihres Daseins erfüllt war, sogut muß auch die reaktionäre Preußenherrschaft den Platz räumen, damit die civilisatorische Großmacht der Nation denselben einnehmen kann; denn in Beziehung auf die innere Entwicklung des deutschen Reichs ist die preußische Hegemonie um kein Haar besser als die römische Kaiserei.

In jedem Staate zeigt sich die Doppelströmung vom Umkreis nach dem Mittelpunkt und vom Mittelpunkt nach dem Umkreis. Neben dem Streben nach Selbstständigkeit der einzelnen Gruppen entwickelt sich das Streben nach einheitlicher Wirksamkeit der Kollektivkraft, und das normale Ergebnis dieses Prozesses ist wie nach außen das Gleichgewicht der Nationalitäten, so nach innen das Gleichgewicht der Gruppen, oder die Föderation. So begann denn auch in Deutschland ein neuer Mittelpunkt sich zu bilden, nachdem die Nation das verräterische Kaiserthum aufgegeben hatte; und die korrekte Strafe, welche die Geschichte über Österreich für das Verbrechen des dreißigjährigen Kriegs verhängte, war das Wachsthum Preußens und der siebenjährige Krieg, der eine Art antihabsburgischen Kaiserthums schuf. Der militärische Ruhm und der autokratische Liberalismus Friedrichs des Großen, der Patriotismus und die Tapferkeit des preußischen Volks in den Befreiungskriegen trugen das ihre dazu bei, den jungen Großstaat an die Spitze Deutschlands zu stellen und die Wünsche aller nach nationaler Einheit strebenden Patrioten an Preußen zu fesseln. Es war natürlich, daß in dem größeren und mächtigeren Staate das patriotische Gefühl zuerst erwachte; denn in kleinen Staaten, wo das Bewußtsein der Kraft fehlt, da fehlt auch der Entschluß zur That. Im Kampfe gegen das Ausland, in Förderung des nationalen Geistes hat sich daher Preußen unbestrittene Verdienste um Deutschland erworben. Aber wie die Einheit nur die eine Seite der politischen Aufgabe ist, so ist auch die Stellung zum Ausland nur die eine Seite der staatlichen Existenz, und wenn im Kriege die äußere Machtfrage allen andern vorgeht, so sind die innern Fragen nationaler Gestaltung und Entwicklung im Frieden um so wichtiger, als von ihnen die Kraft und Gesundheit und somit auch in letzter Instanz die Machtstellung der Nation abhängt. Wenn Preußen der größte deutsche Staat ist, so beweist das noch lange nicht, daß er auch der fähigste sei, eine Aufgabe, deren glückliche Lösung viel mehr eine Frage vorgeschrittener Bildung als brutaler Gewalt ist, nicht nur äußerlich sondern auch innerlich zu vollbringen. Wenn Preußen die Kleinstaaten beschützt hat, so muß man vor Allem nicht vergessen, daß die Kleinstaaten Preußen geschaffen haben, indem sie die deutsche Reformation verteidigten und das römische Kaiserthum bekämpften; daß Preußen keinen innern Existenzgrund hat, sondern nur ein Notbehelf ist, der vorläufig an die Stelle der zertrümmerten Centralgewalt trat, und daß dieses neue Kaiserthum den deutschen, d. h. föderalistischen Elementen der Kleinstaaten noch deutschfeindlicher, d. h. centralistischer gegenübersteht, als das alte römische Reich. Ohne eine Auflösung Preußens in seine Stämme ist die Bildung eines einigen, ganzen und freien Deutschlands eine Unmöglichkeit:

Caeterum censeo Borussiam esse delendam.

Das Streben nach Gleichgewicht, welches die Seele der historischen Entwicklung ist äußert sich in doppelter Form in den äußeren Kämpfen der Gebietsabgrenzung zwischen Reich und Reich, und in den inneren Kämpfen der Rechtsabgrenzung zwischen Individuum und Gemeinde, zwischen Gemeinde und Stamm, zwischen Stamm und Nation. Der äußere Kampf beruht auf der Gewalt, der innere auf der Gerechtigkeit. Beide gehen neben einander her, treten abwechselnd in den Vordergrund, vermischen und trennen sich im Lauf der Geschichte; keiner von beiden aber kann ohne den anderen zu endgiltiger Erledigung kommen, denn diese ist gerade die Ausgleichung des einen durch den andern, d. h. die Übereinstimmung der innern und äußern Politik, oder die Versöhnung von Gewalt und Recht in der Gerechtigkeit: die Gewalt muß das Recht schützen, und das Recht muß die Gewalt sanktioniren.

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Also wohlgemerkt! Das Prinzip des Fortschritts und der Sittlichkeit liegt nicht im Herrscher und der von ihm erstrebten äußern Machtstellung, sondern im Bürger und der von ihm bewirkten innern Rechtsentfaltung; nicht die Einheit, deren Endziel Gewalt und Herrschaft sondern die Freiheit deren Endziel Recht und Tugend ist, ist die höhere, die maßgebende, die rettende Idee; und folgerichtig steht nicht der Einzelstaat an der Spitze der Nation, welcher die meisten Bayonette besitzt, sondern derjenige, welcher die höchste politische Entwicklung, d. h. das größte Maß innerer Freiheit verwirklicht hat. Auf die Qualität kommt es in sittlichen Dingen an, nicht auf die Quantität; und der Gedanke der preußischen Hegemonie ist die Umkehrung aller Logik und aller Geschichte. Nicht von Preußen ist die politische und intellektuelle Bildung Deutschlands ausgegangen, nicht von Preußen ist sie geschützt und gepflegt worden; die ganze preußische Hegemonie besteht vielmehr in Führung der Reaktion. Das zeigt uns die Geschichte, während uns die Logik sagt, daß dieser neue Großstaat, gerade weil er die äußere Mission militärischer Machtstellung zu seiner Hauptaufgabe machte, notwendig zur inneren Mission politischen Fortschritts und rechtlicher Staatsgestaltung unfähig werden mußte. Daß die Säbelherrschaft Parlamente und Verfassungen gesprengt und zerrissen hat, das hat man oft genug gesehen; wann aber hat man erlebt, daß sie solche Dinge in freiheitlichem Sinne geschaffen oder in redlicher Ausführung gehandhabt hätte? O sancta simplicitas! Die innere Freiheits- und Rechtswidrigkeit des preußischen Regiments ist nicht im Stande Deutschland seinem wahren nationalen Ziele entgegenzuführen.

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Die Kleinstaaterei hat allerdings unsere nationale Geltung nach außen verkümmert; andererseits aber verdanken wir ihr allein das bescheidene Maß von Recht und Freiheit, das wir besitzen; ihr allein verdanken wir die Befreiung vom römischen Geistesjoch und die reiche Entfaltung unserer Literatur und Wissenschaft. Dieser geistige Besitz ist es, was uns zur Nation macht, und nicht das herrliche Kriegsheer des Preußenkönigs. Preußen, trotz aller Berliner Aufklärerei, hat nie die geistige Entwicklung wahrhaft gefördert, weil dies nur durch die Freiheit geschehen kann; es hat den Fortschritt der kleinen Staaten nach Möglichkeit gehemmt und deren Freiheitsforderungen unterdrückt, indem es, im Schlepptau Rußlands, das übrige Deutschland den Weg der Reaktion hinter sich herzerrte. Auf welcher Kulturstufe aber Preußen noch in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts steht, das hat es durch seine in Baden verübten Barbareien bewiesen, deren, Österreich ausgenommen, kein einziger deutscher Staat fähig wäre. Wenn die Gothaer mit der ihnen angeborenen Kriecherei den Prinzen von Preußen bei seiner Thronbesteigung bejubelten, so haben wir weder die Kartätschenschüsse von Berlin noch die Standrechtskugeln von Rastatt vergessen.

Die Mittel- und Kleinstaaten also sind die Ausgangs- und Stützpunkte der deutschen Kultur und nur mit ihrer Hilfe kann eine ersprießliche Neugestaltung Deutschlands errungen werden. Die erste Bedingung einer gesunden Volkspolitik ist daher das Aufgeben der preußischen Hegemonie, welche eine wahre Nationalkalamität, und von der Geschichte der Jahre 48 und 49 vollständig verdammt ist. Es ist unbegreiflich, wie es nach all’ den gemachten Erfahrungen noch nichtpreußische Menschen gibt, welche eine solche Politik des Verderbens verteidigen können. Die Preußen selber müssen sie abschwören, sie selber müssen auf ihre Hegemonie verzichten, wenn sie je zur Freiheit gelangen wollen. Denn diese Hegemonie heißt Erschöpfung der Volkskraft zur Herstellung einer alles verschlingenden hinaufgeschraubten Militärmacht; sie heißt Säbelherrschaft, Polizeiwillkür und Rechtsbruch im Innern; sie heißt mit einem Wort Centralisation. So lang die Preußen ihr Preußenthum nicht abschwören und sich zur Föderation bekennen, sind sie zur Freiheit nicht reif.

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„Wenn wir nur erst die Einheit haben, die Freiheit wird dann schon kommen.“ Diese absurde Phrase muß man jeden Tag hören. Wenn Leute, die so sprechen, nicht mit ihren Begriffen spielen würden, wie Knaben mit Kieselsteinen, ohne zu fragen, woher sie kommen und aus was sie bestehen, so müßten sie offenbar ihren Satz umkehren und sagen: Wenn wir nur erst die Freiheit haben, so haben wir auch die Einheit. An dem Tage, wo die deutschen Einzelstaaten frei sind, hindert sie nichts, ein Parlament zu berufen und ihre Einheit zu verwirklichen. Wie soll dagegen aus einer gewaltsam hergestellten Einheit die Freiheit sich entwickeln? Und welchen Wert hat überhaupt eine solche Bereinigung, die zu immer neuen Uneinigkeiten führen müßte, bis diese Einheit des Despotismus wieder beseitigt wäre, um der Einheit der Freiheit Platz zu machen. Gerade die falsche Einheit, die ohne Gliederung und also keine ist, muß man bekämpfen, um die wahre, die Vielheit in sich schließende Einheit zu erringen und wenn der Bestand der Freiheit andern Mächten gegenüber der Einheit bedarf, so ist dies kein Grund, die äußere Machtstellung mit dem Ruin der innern Wohlfahrt zu erkaufen. Die Einheit ist nichts als ein Mittel, Zweck ist nur die Freiheit. Nichts aber ist in allen Verhältnissen thörichter und verderblicher, als das Mittel zum Zweck zu machen, und im politischen Leben gibt es keinen schlimmern Irrthum, als die Einheit mit der Freiheit zu bezahlen.

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Man hat das Programm der Volkspartei – Koalition und Parlament der Mittelstaaten – eine Trias geheißen und dessen Ausführung für unmöglich erklärt. Die Koalition der Mittelstaaten aber ist nicht jene von Professorendünkel und Fürstendienerei im geschändeten Bette der Revolution gezeugte Trias: sie ist kein Endziel, sondern ein Anfang, kein Zweck, sondern ein Mittel; sie will nur ein erster Kern sein, um den sich die übrigen Stämme gruppiren können. Und was die Möglichkeit betrifft – ist etwa ein deutsches Parlament – d. h. eine Volksvertretung die ein germanisches Regiment führt, statt einem borussischen zu gehorchen – unter preußischen Auspicien möglich? Wie denken sich denn die Herren Hegemonisten ihre königlich preußische deutsche Einheit? Offenes Junkerregiment und verkapptes Faustrecht! Ein Bund der Mittelstaaten sei unmöglich ohne das Anlehnen ans Ausland? Glaubt man denn, das Ausland werde ruhig zusehen, wie Preußen nach Herzenslust annectirt? Oder Oesterreich werde mit seinem feindlichen Bruder nicht theilen wollen? Sehen denn diese Nachzügler einer andern Periode nicht ein, daß im Gegentheil jede staatliche Veränderung durch Fürstengewalt unausbleibliche europäische Conflikte nach sich zieht, und daß es nur eine Macht giebt, gegen welche das Ausland nicht einzuschreiten wagt, Seine Majestät das Volk nämlich, das sein Haus allerhöchst selbst bestellt im Namen seiner nationalen Souveränität? Wir sollen darauf hinwirken, daß Preußen seine Mission begreife, sagt man uns. Saubere Logik das! Also die Macht, uns gegen den Willen Preußens zu konstituiren spricht man uns ab; aber die Macht, Preußens Politik zu bestimmen, muthet man uns zu! Man will uns nicht glauben, daß wir kleine Staaten im Stande sind, den Großmächten gegenüber unser politisches Leben selbständig zu entfalten, jetzt wo wir die Arme noch frei haben; und will uns weis machen, daß wir der preußischen Oberherrschaft diese Entfaltung abzwingen werden, wenn wir von ihr gefesselt und geknebelt sind! Man meint wahrhaftig, man befinde sich in einem Narrenhaus.

Aber all dieser Wirrwarr kommt von der famosen Einmüthigkeit von jener gothaischen Komödiantenpolitik und Großmannssucht, die nur Bajonette zählt und Stimmen sammelt, gleichviel ob die Bajonette für oder gegen das Deutschthum fechten, gleichviel ob die Stimmen für oder gegen die Volksherrschaft eintreten. Deshalb muß vor allem Klarheit in die politische Lage kommen und dies ist nur durch eine rationelle Parteischeidung möglich. Der Nationalverein mag für den Augenblick seine preußische Fahne mehr oder weniger einziehen, das ändert jedoch nicht, daß seine Stifter und Leiter, die Gothaer, Anhänger der Hegemonie, und daß die süddeutschen Demokraten, welche zumeist in rein agitatorischen Absichten beitraten, die Angeführten sind. Wer für Preußen ist, ist nothwendig Centralist, also Reaktionär; wer Demokrat ist, kann nur Föderalist, muß also gegen Preußen sein. Nur eine Gruppirung entspricht vorläufig der Wirklichkeit des staatlichen Verhältnisses von Großmächten und Kleinstaaten, ebensowohl als der Wahrheit des politischen Gegensatzes von Centralisation und Föderation, und zwar die einer preußischen, einer österreichischen und einer mittelstaatlichen Partei. Die Volkspartei ist nothwendig die mittelstaatliche, d. h. die föderalistische; dies muß sie sich vollkommen klar machen und ihre Scheidung von all dem unklaren Parteiwust, je schneller je besser vollziehen. „Preußen ist der größte deutsche Staat, Preußen ist der mächtigste deutsche Staat! Preußische Hegemonie! preußische Annexion! preußische Einheit!“ Dieses sinnlose Geschrei eines rohen politischen Materialismus muß, innerhalb der Volkspartei wenigstens, endlich aufhören. Ja! ihr Tauben und Blinden es giebt ein höheres Recht als das Faustrecht, wonach der Große den Kleinen auffrißt. Als Gleichberechtigte politische Macht müssen wir Preußen gegenüberstehen, wenn wir zu einer ersprießlichen Einheit mit ihm gelangen wollen; denn zu dieser führt nur ein Weg, und der heißt Freiheit. Trachtet vor Allem nach der Freiheit, so wird euch das übrige von selbst zufallen.

Aber wie sollen wir nach der Freiheit trachten, wenn nicht jeder bei sich und im Kampfe mit seinem unmittelbaren Feinde; und wie sollen wir die Einheit erstreben, wenn nicht durch Bewältigung der einzelnen Staatsgewalten, welche den Bund bilden sollen? Also vor allem konstitutioneller Kampf mit den einheimischen Regierungen, um dem Volkswillen Geltung zu verschaffen, Koalition derjenigen Stämme, die den Volkswillen als oberstes Recht anerkennen, und Parlament derjenigen Staaten, wo das Recht Herr geworden; dies ist der einzig praktische Weg den eine nationale Politik einschlagen kann, die nicht nur einheitlich, sondern auch freiheitlich sein und die Deutschen Oesterreichs nicht verrathen will. Denn nur eine solche Entwicklung ist zugleich eine kosmopolitische, welche den Bestand der Nation sichert. Die Völker sind solidarisch; die andern leiden durch unsere Zustände, gerade wie wir durch die ihrigen leiden, und sind, bewußt oder unbewußt, willig oder unwillig, die Bundesgenossen unserer Freiheit. Aber die Freiheit schüttelt man nicht aus dem Aermel wie eine Kaiserkrone, und sie kommt auch nicht für die, welche die Hände in den Schooß legen.

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Was auch kommen mag, jedenfalls sind unsere Bestrebungen Vorarbeiten für die Zukunft. Die Geschichte ist unsere Vorsehung, das Recht ist unser Papst und der freie Wille ist unser Kaiser. Die Vernunft allein ist von Gottes Gnaden, sie ist mächtiger als alle Fürsten der Erde; ihr Wille wird geschehen, und zu uns kommen wird ihr Reich – Amen.

Als wir diese Worte vor dreißig Jahren schrieben, erbosten sich die Hegemonisten nicht wenig über die Schärfe unseres lateinischen Mottos, obwohl jeder ehrliche Mann begriff, daß es cum grano salis zu verstehen und nicht im Sinne der Catonischen Zerstörung Karthagos aufzufassen sei. Es wollte nur einen lebhaften Ausdruck der richtigen Einsicht geben, daß die Entwicklung eines freien Deutschlands nicht möglich ist ohne die Beseitigung der preußischen Gewaltherrschaft; es verlangte, nur mit etwas streitbareren Worten, das, was Friedrich Wilhelm IV. am 21. März 1848 versprach, (aber natürlich nicht hielt) als er bei seinem Umzug mit der deutschen Fahne sagte: „Preußen geht fortan in Deutschland auf.“ Und heute, nachdem die Nation auf die warnende Stimme der föderalistischen Demokratie nicht gehört, und das Argument der Bajonette vorerst recht behalten hat; nachdem das preußische Kaiserthum gekommen ist und – wie wir dies vorhergesagt – die deutsche Freiheit nicht gebracht, wohl aber das bischen bayerische, schwäbische, badische, hessische Freiheit geholt hat, um die hergebrachte absolutistische Vergewaltigung von Recht und Gerechtigkeit fortzusetzen – schreiben wir auf den alten Sockel des neuen Reichs von neuem den alten Spruch:

„Ceterum censeo Borussiam esse delendam.“

Das heißt: „Preußen muß in Deutschland aufgehen.“

Quelle: Ludwig Pfau, „Centralisation und Föderation,“ Der Beobachter, April 23/29, 1864; revidiert und neu veröffentlicht als „Centralisation oder Föderation?“ in Ludwig Pfau, Politisches und Polemisches aus den nachgelassenen Schriften. Stuttgart: Dr. Foerster & Cie, 1895, S. 151–74.