Kurzbeschreibung

Viele der Predigten Johannes Taulers (ca. 1300–61), eines deutschen Dominikaners aus Straßburg, waren an Nonnen und Beginen in Basel gerichtet. Seine Lehren sind konkreter und praktischer als die seines Lehrers, des berühmten Meister Eckhart (Eckhart von Hochheim, ca. 1260–1328). Tauler wandelte Eckharts Prinzipien der Gelassenheit und Abgeschiedenheit von der Welt in eine Theologie um, welche eine Beteiligung am weltlichen Leben positiv sah. Er fand zahlreiche Anhänger unter den „Gottesfreunden“, einem Ordenszirkel, dem auch viele Laien angehörten und der besonders in Städten wie Basel, Straßburg und Köln aktiv war. Martin Luther gehörte ebenfalls zu den Bewunderern der Predigten Taulers, er veröffentlichte 1515/16 eine kommentierte Ausgabe während er als Augustinermönch in Erfurt lebte. Ebenso wie die Theologia Deutsch gehören Taulers Predigten einer deutschen Tradition vergeistigter—und oft mystischer—religiöser Lehre an, welche sowohl im Klerus als auch unter Laien großen Anklang fand, besonders in Klöstern und Städten. In seiner Himmelfahrtspredigt leitet er sowohl Geistliche (Mönche, Ordensbrüder, Nonnen und Beginen) als auch Laien zu einer lebendigen Spiritualität auf der Grundlage von Glaube und Gehorsam an.

Die Lehre einer praktischen Spiritualität—Predigt von Johannes Tauler (14. Jahrhundert, veröffentlicht 1515/16)

  • Johannes Tauler

Quelle

Recumbentibus undecim discipulis.

Do die jungern unsers herren bi einander sassen und unser herre Jhesus der erschein in und strafte si umbe iren ungelǒben und die hertikeit ir herzen.

Dise stroffunge die tůt unser herre noch alle tage und alle stunde umbe den ungelǒben und die hertikeit des hertzen die alle menschen hant von allen stetten die in der welte sint. Mer sunderlich so stroffet er geistliche lúte, es sien lúte von bewerten ǒrdenen oder angenomen geistliche lúte, als beginen oder swestern und der gelich.

Dise bestraffet unser lieber herre under wilen durch die lerer oder durch sich selber in irre inwendikeit, ob si echt das straffen wǒlten nemen.

Dise geistlichen lúte die sint al ze wunderlichen sere ze straffende, das si sint herte von herzen und nút engelǒbent, wan das ist ein al ze wunderlich usgenomen gros ding das Got einen menschen dar zů erwelt das er zů dem hohen adel ist gerůft eins geistlichen lebens. Kinder, dannan ab sin wir Gotte als usgenomen grosse minne schuldig und ein als grosse dankberkeit vor allen dingen.

Dise lúte die bestraffet unser herre dar umbe das dise sint ungelǒbig und herte von herzen. Könde es doch dar zů komen das si sich wolten lossen stroffen und wolten bekennen die hertikeit irre herzen und iren ungelǒben, so möchte ir noch rat werden, und sich schuldig geben.

Sant Jacob sprach: „der gelǒbe ane werk der ist tot.“ Christus sprach: „der gelǒbet und getöiffet ist, der wirt behalten.“ Wir sprechen den gelǒben alle mit dem munde. Sant Paulus sprach: „wir sind alle getöiffet in dem tode Jhesu Christi“. Sant Augustinus sprach: „das ist nút ein wor gelǒbe, do er nút mit lebender minne und mit den werken in gat zů Gotte, das man gelǒbet mit dem munde“. Disen ungelǒben den vindet man gröslich an dem das uns út smacket oder uns eines dinges gelustet, denne das wir múgen sprechen: „herre, du bist min Got, wan mir enist niergen wol denne in dir“, das die lúte dem woren lebenden gelǒben enpfallen sint also gar, und aber sunderlich die geistlichen namen hant und die etwenne von Gotte etwas berůret sint gewesen, das si slaffende oder wachende, und gemant in dem grunde und dem enpfallen sint.

Unser herre stroffet si och umbe die hertikeit irre herzen. Kinder, dis ist ein gar gros grúwelich ding, das dise lúte die Got gerůffet hat zů im selber, also verhertet sint das in gotliche ding nút ensmackent, es si ir gebet, es si weler gůter kúnne ůbunge, und ander ding, das in die also sinneklich sint, licht und lustlich, und zů Gotte sint ir herze als steine. Von den sprach unser herre durch den propheten: „ich sol ab nemen úwer steinin herze und geben úch wider ein fleischin herze“. Was machet dise herten herzen das si dem menschen als dúrre und als kalt sint zů allem dem das er gůtes tůn solte, das er das als tůt in einer unsinnelicher wise: do můs das herze út anders han das Got nút enist, er si es selber oder was das si, und dise wellent nút gestraffet sin.

Von disen sprach unser herre durch Jeremias den propheten: „ir himele, verwunderent und verbildent úch; ir himelporten, entsliessent úch von unbilde úber min volk, wan si hant geton zwei úbel: si habent mich gelossen, das lebende wasser, und si habent in selber gegraben ein cisterne, die cistern die enkein wasser inenthaltet“, und was drin kumet, das kumet von ussen oder von obenan in, und der regen oder ander wasser das fulet und stinket, und von innan in dem grunde do inhant si nút. Dis klaget Got himel und erden und allen creaturen, dis gros unbilde, und allen sinen frúnden. Weles ist dis volk úber das Got alsus klaget? Das ist sin volk, das sint geistliche lúte, und die als gar die lebenden wasser gelossen hant und in der grúnde als wening wores liechtes ist und lebens, denne alles uswendige ding, und verblibent al ze male mit iren sinnelichen usserlichen wisen und werken und iren ufsetzen, alles von ussen in getragen von hörende oder alles durch die sinne von ussen in bildelichen wisen, und von innen in dem grunde, do es her us solte springen und qwellen, da enist al ze male nichtes nicht. Ensint das nút werlichen die cisternen do nút inne ist das us dem grunde us gesprungen oder gequullen si, denne alles von ussen in komen, und vellet och schiere ab, als es zů gevallen ist? Und das selbe das út sol sin an in, das sint ir ufsetze und ir wisen, die si in irem gůt dunkende gestiftet und gesast hant. Si enkerent sich in den grunt nit: do inne hant si kein qweln noch dúrsten, noch si ensůchent nút fúrbas. So si ir ding getůnt in iren wisen, die ingetragen sint von ussen durch die sinne, denne genůget in gar wol. Si haltent sich an ire cisterne, die sú in selben gemachet hant, und smacket in Got nút. Och trinkent si von dem lebenden wasser nút, das lossent si sin. Und so legent si sich nider und slaffent, und des morgens hebent si aber an ir alte wise: do mit genůget in gar wol. Aber in einer blinder kalter dúrrer herter wise, so si in iren cisternen, die si in selber gemachet hant, blibent, so lossent si den lebenden burnen bliben.

Und sprach unser herre: „du hast vil unkúschekeit getriben und dich verunkúschet“. Das sprach er vor in einem andern capitel: „das ist alles das du mich, den lebenden burnen, hast gelossen und hast dir eine cisterne gegraben, und mich gelossen hast“.

In disen cisternen fulet und wirt stinkende das drin getragen ist: das torret, das ist mit disen sinnelichen ufsetzen; so blibet in dem grunde hofart, eigenwillikeit, hertmůtikeit und swer urteil, swere wort und gelos und berespunge des nechsten, nút us minnen noch mit senftmůtikeit, sunder do es noch stat noch zit enhet. Maniges wenet eime anderen sin hus löschen und verburnet das sin. Ja hette er drú húser mit sinen herten swinden worten und gelessen, so sprechent si, kumet ein arm kint zů in: „nein, es ist ein trunffeht mensche“; kumet zů den andern ein mensche: „nein, es ist ein beginė“. Wol hin, ir rechten cisternen: wer der lebende burne ie geqwollen in úwern dúrren grunt, so enwurde niemer an úch funden underscheit der personen, denne alles gelich wore götliche minne in dem grunde her us qwellende; do enwer kein verkleinen noch kein swer urteil noch hertmůti keit. Dise fulunge wachsent alle in den cisternen.

Och sint die cisternen dise vernúnftigen mit iren hohen worten und hohem verstande. Den einen den genůget mit iren gůtschinenden werken unde schine, den andern mit irem hohen verstande. Wie wenent ir das es denne gan súlle an der zit als die grossen winde koment rúschende und alle ding úber einander vallent und die plagen koment, die so grúwelich und engstlich sint? Denne wirt man solichen jamer sehent der ungelöiplich ist. Die nu vil schone geschinen hant mit grossen namen und mit grossem verstonde und worent von grossen behenden worten und mit valscher schinender heilikeit und nút wores lebendes grundes in in ist — alles in getragen, alles cisternen —: denne an dem ende so kumet der túfel mit einer ackes und slecht einen slag derdurch. Al zehant verstúbet und verflúget alles das do was, das ein trahen nút do blibet: es ist alles verblasen und vervarn al ze mole, wan do enwas nút inne. Es worent fule wasser das in den cisternen was. Si wolten etwas schinen und út sin, und do enwas nút inne.

Kinder, wa wenent ir das man dis alles vinden súlle? Dis gedenkent als ir koment an en welt, das ich úch dis geseit han, und ich průfe vil wol das dise valsche schine und wise nu al der gemeine lǒf aller der geistlicher lúte verblibent mit uswendiger gůtschinender sinnelicher blinder wise, und wenne das weltliche e lúte und etliche witwen verre dise lúte fúr lǒffent, verre, alze verre. Und ob disen Got von siner erbermde des gan das si an irem ende behalten werdent, so súllent si doch als unmessig vegfúr liden als lange als es Got geordnet hat, und darnach súllent si als wunderlichen verre von der nacheit Gotz sin hie hindenan verre.

Kinder, sehent fúr úch, des bit ich úch durch Got. Nement úwers grundes war und sehent fúr úch, wo mit ir umbe gont, und sind senftmůtig und demůtig und lossent úch under Got und under alle creaturen, wan Got der klaget himel und erden und allen creaturen úber úch. Dise himele das sint alle himelsche herzen, wan ein ieklich gůt mensche der ist ein himel Gotz, und dise selben die tragent den himel in in; mer doch so enkoment si nút drin. Und das ist den vertůmten ir meiste pin, das si das bekennent in in und si niemer drin komen ensúllent.

Und als wir ietzunt růrten das unser herre sprach durch den propheten: „ir hant úch verunkúschet und du bist einem frömden und dinem minner nach gegangen; du hast mich versmohet und bist eime frömden dime minner nach gegangen; doch noch kum zů mir, und ich wil dir geworen rúwen geben, und denne wolt ich dir in giessen lebendig wasser, ob du gentzlich zů mir kemest“.

Nu merkent und sehent die unbegriffenlich unsprechelich barmherzikeit und gůti Gotz, und wie gerne er uns húlfe ob wir wolten, und rette gerne mit uns als frúnt mit frúnde, ob wir iena zů im wolten. Und sprach vor unser herre: „unde tůst du dis nút, so můs ich mit dir kriegen an dem gerichte“. Mit im ze kriegende, das ist ein sörgklich krieg, wan er nimet do oberhant.

Kinder, hùtent úch das er denne nút enspreche das ir von sinen schoffen nút ensint. Wan sine schaf die hant sine stimme gehört und ensint inkeime frömden nach gegangen, als er selber sprach. Weles ist nu dise unkúschekeit die unser herre sprach der du vil getriben hast? Das ist in einem geistlichen sinne, ob es nút groblich enist, do du zů dem minsten bist verbliben uf den bilden. Und dem frömden dem du nach bist gangen, dinem minner, das sint alle die frömden bilde und die fúrwúrffe durch die du zů mir soltest sin gegangen: mit den hast du dich verunkúschet. Doch nu kum zů mir, und ich wil dich enphahen und giessen in dich lebende wasser.

Von disem wassere sprach unser herre in der núwen e an zwein stetten in dem ewangelio. „Alle die“, sprach er, „die do túrstet, die komen zů mir und trinken, und die in mich gelǒbent, von der libe súllent springen lebende wasser, und súllent springen in das ewig leben“. Und von diesem wasser sprach er zů der frǒwen uf dem burnen: „der von diesem wasser trinket, den túrstet aber, sunder die von dem wasser trinkent das ich gibe, den getúrstet eweklich niemer me, und hettest du das von mir geheischen, das het ich dir gegeben“.

„Ach herre“, sprach sú, „das wasser gib mir, das ich nút her wider in dúrffe komen und wasser schephen“. Do sprach unser herre: „gang zem ersten und hole dinen man (das ist bekentnisse din selbes) und bichte mir zů grunde das du eine cisterne als vil und als lange bist gewesen, also das du die lebenden wasser nút getrunken enhast; denne múgen si dir werden. Und fúnf man hest du gehebt (das sint dine fúnf sinne): ach den hest du gelebet und der gebruchet nach dinem lust und hast dich des lebenden burnen unwirdig gemachet mit diner sinnelichen uswúrkunge, da du alles inne gestanden hast unordenlich: dannan ab ker dich noch und ker zů mir wider umbe, und ich wil dich enphohen“

Er sprach och durch den selben propheten Jeremiam in dem vierden capittel, und beklaget sich och do von dir und sprach: „ich han dich gemacht minen userwelten wingarten, und ich han gebeitet das du mir soltest han bracht den aller besten edelsten win von Kipern, win von Engadi“, und sprach von grossem flisse den er an den wingarten geleit hat: „ich han in umbegraben und einen hag dar umbe und einen zun gemacht und eine trotten drin gebuwen und die steine dar us gelesen“ (alleine er dis sprach zů dem volke, so meinet Got alle menschen hie mitte bis an das ende der welte) „und du bist mir alze bitter worden. Du hast mir bracht bitteren win, suren húnschen win, und hast mir fúr den edelen win und fúr die trúbel braht wintertrolen und bös ding, und des můs ich mit dir kriegen an dem gerichte. Wer das du dich woltest zů mir keren, so wolt ich dir in giessen lebent wasser und wore minne“.

Von disem lebenden wasser sprach ein meister, heisset Richardus, ein grosser meister der heiligen geschrift, das die minne hat vier grete.

Der erste grat der minne heisset eine wunde minne, wan die sele mit der stralen der minne von Gotte wirt verwunt, das ir dis lebende wasser wirt geschenket der woren minne: so wundet si Got wider mit irre minne. Und von der minne sprach unser herre in der minne bůch: „swester min, du hast min herze verwunt mit eime dinre ǒgen und mit eime hore dines halses“. Das emzige ǒge das ist ein emzige angesicht des bekentnisse und des gemútes das luterlichen uf Got gat. Und das emzige har das ist luter und unvermengte minne. Hie mit wirt Got verwunt von der selen.

Der ander grat der woren minne, das nemmet diser meister eine gevangene minne. Es stet geschriben: „ich sol dich ziehen in dem seile Adams“.

Die dritte minne das ist ein qwellende minne. Von der sprach die brut in der minne bůche: „ir töchteren von Jerusalem, vindent ir minen geminten, sagent im das ich von minne qwele“.

Die vierde minne das ist die verzerende minne. Von der sprach der prophete in dem salter: „defecit; min sele die ist verzert und ist ab genomen, herre, in dinem heile“.

Von den zwein ersten minnen wellen wir ein wening sprechen.

Bi der wunden minne nemen wir ein gelichnisse. Der verwunt ist von minnen, der tůt recht als ein kǒfman der ein schif wil us fůren umbe gewin: so ist recht sin herze als es verwunt si von begerunge, das er vil gesamene aller leige; so respet er hie, so samenet er do, das sin schif vol werde. Also tůt der verwunte mensche: er samenet und zúhet ze samene alle bilde und gedenke und ůbunge was er mag, dem minner ze liebe den er minnet. Denne als das schif wol geladen ist, so stosset er von dem lande. Noch ist er des schiffes wol gewaltig ze fůrende engegen dem sturme. Also ist der verwundeten minne: die wirffet ir schif in den sturm der gotheit und vert do herlichen vor und spilt do mit nach irem gunste und willen und wirfet ir růder in das mer das grundelos ist, und ie me si in sich zúhet der gǒtlichen usflússe, ie me si witer wirt, und ir enphenglicheit die fúllet er alle zůmole, und die erfúllunge die machet ein núwe enphenglicheit und núwe wite, und machet núwe wunden der minne.

Her nach so snidet denne der herre das seil des schiffes en zwei und lat das schif denne en gegen dem sturm rúschen: so ist da weder rieme noch růder die das schif múgen uf enthalten. So enist der mensche nút sin selbes me gewaltig: das ist die gevangen minne.

Denne geschicht ime als einem ritter der in einem strite sere verwunt wirt. Noch denne entrinnet er wol gewelteklich; sunder wirt er gevangen, so wirt er sin selbes ungeweltig; so enist er weder gedenke noch werke geweltig; denne er můs sich dem minner und der minne gar lossen.

Von diser minne wer noch vil ze sagende. Es mag geschehen her nach.

Das wir also lossent alle cisternen, das uns das wasser der woren minne werde in gegossen, des helf uns die ewige minne. Amen.

Quelle: Johannes Tauler, Die Predigten Taulers, herausgegeben von Ferdinand Vetter. Berlin, 1910, S. 285–90. Online verfügbar unter: http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/content/pageview/272955.