Quelle
1
Es kann in Europa nur noch einen Krieg geben, den
Atomkrieg. Die in Ost und West angehäuften Waffen werden uns nicht
schützen, sondern vernichten. Wir werden alle längst gestorben sein,
wenn die Soldaten in den Panzern und Raketenbasen und die Generäle
und Politiker in den Schutzbunkern, auf deren Schutz wir vertrauten,
noch leben und fortfahren zu vernichten, was noch übrig geblieben
ist.
2
Darum: Wenn wir leben wollen, fort mit den Waffen! Und als
erstes: Fort mit den Atomwaffen. Ganz Europa muß zur
atomwaffenfreien Zone werden. Wir schlagen vor: Verhandlungen
zwischen den Regierungen der beiden deutschen Staaten über die
Entfernung aller Atomwaffen aus Deutschland.
3
Das geteilte Deutschland ist zur Aufmarschbasis der beiden
großen Atommächte geworden. Wir schlagen vor, diese
lebensgefährliche Konfrontation zu beenden. Die Siegermächte des 2.
Weltkrieges müssen endlich die Friedensverträge mit den beiden
deutschen Staaten schließen, wie es im Potsdamer Abkommen von 1945
beschlossen worden ist. Danach sollten die ehemaligen Alliierten
ihre Besatzungstruppen aus Deutschland abziehen und Garantien über
die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der beiden
deutschen Staaten vereinbaren.
4
Wir schlagen vor, in einer Atmosphäre der Toleranz und der
Anerkennung des Rechts auf freie Meinungsäußerung die große
Aussprache über die Fragen des Friedens zu führen, und jede spontane
Bekundung des Friedenswillens in der Öffentlichkeit zu billigen und
zu fördern. Wir wenden uns an die Öffentlichkeit und an unsere
Regierung, über die folgenden Fragen zu beraten und zu
entscheiden:
a) Sollten wir nicht auf die Produktion, den Verkauf und die
Einfuhr von sogenanntem Kriegsspielzeug verzichten?
b) Sollten
wir nicht anstelle des Wehrkundeunterrichts an unseren Schulen einen
Unterricht über Fragen des Friedens einführen?
c) Sollten wir
nicht anstelle des jetzigen Wehrersatzdienstes für
Kriegsdienstverweigerer einen sozialen Friedensdienst
zulassen?
d) Sollten wir nicht auf alle Demonstrationen
militärischer Machtmittel in der Öffentlichkeit verzichten und
unsere staatlichen Feiern statt dessen dazu benutzen, den
Friedenswillen des Volkes kundzutun?
e) Sollten wir nicht auf
die Übungen zur sogenannten Zivilverteidigung verzichten? Da es im
Atomkrieg keine Möglichkeit einer sinnvollen Zivilverteidigung gibt,
wird durch diese Übungen nur der Atomkrieg verharmlost. Ist es nicht
womöglich eine Art psychologischer Kriegsvorbereitung?
5
Frieden schaffen ohne Waffen – das bedeutet nicht nur:
Sicherheit zu schaffen für unser eigenes Überleben. Es bedeutet auch
das Ende der sinnlosen Verschwendung von Arbeitskraft und Reichtum
unseres Volkes für die Produktion von Kriegswerkzeug und die
Ausrüstung riesiger Armeen junger Menschen, die dadurch der
produktiven Arbeit entzogen werden. Sollten wir nicht lieber den
Hungernden in aller Welt helfen, statt fortzufahren, unseren Tod
vorzubereiten?
Selig sind die Sanftmütigen,
Denn sie werden das Erdreich
besitzen.
(Jesus von Nazareth in der Bergpredigt)
Das Gleichgewicht des Schreckens hat den Atomkrieg bisher nur dadurch verhindert, daß es ihn immer wieder auf morgen vertagt hat. Vor diesem herannahenden Morgen des Schreckens fürchten sich die Völker. Sie suchen nach neuen Wegen, dem Frieden eine bessere Grundlage zu geben. Auch der „Berliner Appell“ ist ein Ausdruck dieses Suchens. Denkt über ihn nach, macht unseren Politikern Vorschläge und diskutiert überall die Frage: Was führt zum Frieden, was zum Krieg?
Bekräftigt Eure Zustimmung zum „Berliner Appell“ durch Eure Unterschrift.
Berlin, den 25. Januar 1982
Namen der Erstunterzeichner (DDR-Bürger aus verschiedenen Städten):
Reiner Eppelmann, Pfarrer der Samaritergemeinde Friedrichshain und Kreisjugendpfarrer; Manfred Altmann, Handwerker; Axel Bayer, Arbeiter; Evelyn Bayer, Arbeiterin; Eva-Maria Eppelmann, Hausfrau; Volker Elste, Diakon-Schüler; Stefan Preyer, Mechaniker; Lorenz Göring, Diakon-Schüler; Katja Havemann, Hausfrau; Robert Havemann, Wissenschaftler; Eberhard Henke, Manager; Ralf Hirsch, Schlosser; Michael Heinisch, Diakon-Schüler; Christfried Heinke, Diakon-Schüler; Gerd Jäger, Diakon; Daniela Karschewsky, Angestellte; Rosemarie Keßler, Arbeiterin; Günter Keßler, Arbeiter; Olaf Kraensel, Angestellter; Detlef Kucharzewski, Arbeiter; Regine Maywald, Angestellte; Johannes Maywald, Angestellter; Lothar Niederohe, Arbeiter; Rudi Pahnke, Gemeindepfarrer und Kreisjugendpfarrer; Jürgen Pagel, Diakon-Schüler; Lutz Rathenow, Schriftsteller; Thomas Schulz, Arbeiter; Ralph Syrowatka, Diakon; Friedhart Steinert, Arbeiter; Bernd Schulz, Arbeiter; Winfried Weu, Mechaniker; Andrea Weu, Krankenschwester; Günter Weu, Kreiskatechet; Bernd Weu, Ingenieur; Hans-Jochen Tschiche, Pfarrer und Leiter der Evangelischen Akademie Magdeburg.
Quelle: „Berliner Appell – Frieden schaffen ohne Waffen“, 25. Januar 1982; abgedruckt in Wolfgang Büscher et al., Hrsg., Friedensbewegung in der DDR. Texte 1978–1982. Hattingen, 1982, S. 242–44.