Kurzbeschreibung

In Anlehnung an den Krefelder Appell unterzeichneten ca. 80 Mitglieder der Opposition in der DDR den so genannten Berliner Appell, der Abrüstung verlangte, die Gefahren eines Atomkrieges beschwörte, aber insbesondere die DDR-Führung zum konstruktiven Dialog aufrief, der Fragen des Wehrersatzdienstes und der Wehrerziehung an Schulen mit einschließen sollte.

Berliner Appell: „Frieden schaffen ohne Waffen“ (25. Januar 1982)

Quelle

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Es kann in Europa nur noch einen Krieg geben, den Atomkrieg. Die in Ost und West angehäuften Waffen werden uns nicht schützen, sondern vernichten. Wir werden alle längst gestorben sein, wenn die Soldaten in den Panzern und Raketenbasen und die Generäle und Politiker in den Schutzbunkern, auf deren Schutz wir vertrauten, noch leben und fortfahren zu vernichten, was noch übrig geblieben ist.

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Darum: Wenn wir leben wollen, fort mit den Waffen! Und als erstes: Fort mit den Atomwaffen. Ganz Europa muß zur atomwaffenfreien Zone werden. Wir schlagen vor: Verhandlungen zwischen den Regierungen der beiden deutschen Staaten über die Entfernung aller Atomwaffen aus Deutschland.

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Das geteilte Deutschland ist zur Aufmarschbasis der beiden großen Atommächte geworden. Wir schlagen vor, diese lebensgefährliche Konfrontation zu beenden. Die Siegermächte des 2. Weltkrieges müssen endlich die Friedensverträge mit den beiden deutschen Staaten schließen, wie es im Potsdamer Abkommen von 1945 beschlossen worden ist. Danach sollten die ehemaligen Alliierten ihre Besatzungstruppen aus Deutschland abziehen und Garantien über die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der beiden deutschen Staaten vereinbaren.

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Wir schlagen vor, in einer Atmosphäre der Toleranz und der Anerkennung des Rechts auf freie Meinungsäußerung die große Aussprache über die Fragen des Friedens zu führen, und jede spontane Bekundung des Friedenswillens in der Öffentlichkeit zu billigen und zu fördern. Wir wenden uns an die Öffentlichkeit und an unsere Regierung, über die folgenden Fragen zu beraten und zu entscheiden:

a) Sollten wir nicht auf die Produktion, den Verkauf und die Einfuhr von sogenanntem Kriegsspielzeug verzichten?
b) Sollten wir nicht anstelle des Wehrkundeunterrichts an unseren Schulen einen Unterricht über Fragen des Friedens einführen?
c) Sollten wir nicht anstelle des jetzigen Wehrersatzdienstes für Kriegsdienstverweigerer einen sozialen Friedensdienst zulassen?
d) Sollten wir nicht auf alle Demonstrationen militärischer Machtmittel in der Öffentlichkeit verzichten und unsere staatlichen Feiern statt dessen dazu benutzen, den Friedenswillen des Volkes kundzutun?
e) Sollten wir nicht auf die Übungen zur sogenannten Zivilverteidigung verzichten? Da es im Atomkrieg keine Möglichkeit einer sinnvollen Zivilverteidigung gibt, wird durch diese Übungen nur der Atomkrieg verharmlost. Ist es nicht womöglich eine Art psychologischer Kriegsvorbereitung?

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Frieden schaffen ohne Waffen – das bedeutet nicht nur: Sicherheit zu schaffen für unser eigenes Überleben. Es bedeutet auch das Ende der sinnlosen Verschwendung von Arbeitskraft und Reichtum unseres Volkes für die Produktion von Kriegswerkzeug und die Ausrüstung riesiger Armeen junger Menschen, die dadurch der produktiven Arbeit entzogen werden. Sollten wir nicht lieber den Hungernden in aller Welt helfen, statt fortzufahren, unseren Tod vorzubereiten?

Selig sind die Sanftmütigen,
Denn sie werden das Erdreich besitzen.
(Jesus von Nazareth in der Bergpredigt)

Das Gleichgewicht des Schreckens hat den Atomkrieg bisher nur dadurch verhindert, daß es ihn immer wieder auf morgen vertagt hat. Vor diesem herannahenden Morgen des Schreckens fürchten sich die Völker. Sie suchen nach neuen Wegen, dem Frieden eine bessere Grundlage zu geben. Auch der „Berliner Appell“ ist ein Ausdruck dieses Suchens. Denkt über ihn nach, macht unseren Politikern Vorschläge und diskutiert überall die Frage: Was führt zum Frieden, was zum Krieg?

Bekräftigt Eure Zustimmung zum „Berliner Appell“ durch Eure Unterschrift.

Berlin, den 25. Januar 1982

Namen der Erstunterzeichner (DDR-Bürger aus verschiedenen Städten):

Reiner Eppelmann, Pfarrer der Samaritergemeinde Friedrichshain und Kreisjugendpfarrer; Manfred Altmann, Handwerker; Axel Bayer, Arbeiter; Evelyn Bayer, Arbeiterin; Eva-Maria Eppelmann, Hausfrau; Volker Elste, Diakon-Schüler; Stefan Preyer, Mechaniker; Lorenz Göring, Diakon-Schüler; Katja Havemann, Hausfrau; Robert Havemann, Wissenschaftler; Eberhard Henke, Manager; Ralf Hirsch, Schlosser; Michael Heinisch, Diakon-Schüler; Christfried Heinke, Diakon-Schüler; Gerd Jäger, Diakon; Daniela Karschewsky, Angestellte; Rosemarie Keßler, Arbeiterin; Günter Keßler, Arbeiter; Olaf Kraensel, Angestellter; Detlef Kucharzewski, Arbeiter; Regine Maywald, Angestellte; Johannes Maywald, Angestellter; Lothar Niederohe, Arbeiter; Rudi Pahnke, Gemeindepfarrer und Kreisjugendpfarrer; Jürgen Pagel, Diakon-Schüler; Lutz Rathenow, Schriftsteller; Thomas Schulz, Arbeiter; Ralph Syrowatka, Diakon; Friedhart Steinert, Arbeiter; Bernd Schulz, Arbeiter; Winfried Weu, Mechaniker; Andrea Weu, Krankenschwester; Günter Weu, Kreiskatechet; Bernd Weu, Ingenieur; Hans-Jochen Tschiche, Pfarrer und Leiter der Evangelischen Akademie Magdeburg.

Quelle: „Berliner Appell – Frieden schaffen ohne Waffen“, 25. Januar 1982; abgedruckt in Wolfgang Büscher et al., Hrsg., Friedensbewegung in der DDR. Texte 1978–1982. Hattingen, 1982, S. 242–44.

Berliner Appell: „Frieden schaffen ohne Waffen“ (25. Januar 1982), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/zwei-deutsche-staaten-1961-1989/ghdi:document-1134> [05.11.2024].