Kurzbeschreibung

Die Regelung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten beendete die internationale Isolierung der DDR. Anlässlich der Aufnahme der zwei deutschen Staaten in die Vereinten Nationen betonten beide Außenminister, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die besondere Rolle Deutschlands für den Frieden.

Die beiden deutschen Staaten in den Vereinten Nationen (19. September 1973)

  • Walter Scheel
  • Hermann Wagener
  • Otto Winzer

Quelle

I. Rede des Außenministers der Deutschen Demokratischen Republik, Otto Winzer, anläßlich der Aufnahme der DDR in die Vereinten Nationen vor der Vollversammlung am 19. September 1973.

Verehrter Herr Präsident!
Verehrte Delegierte!

Die Aufnahme der Deutschen Demokratischen Republik in die Organisation der Vereinten Nationen ist ein historisches und beglückendes Ereignis im Leben unseres Volkes. Es ist ein Höhepunkt in dem Prozeß des gleichberechtigten Teilnehmens der Deutschen Demokratischen Republik am internationalen Leben. Zwischen der Mehrheit der Mitgliedstaaten der Organisation der Vereinten Nationen und der Deutschen Demokratischen Republik sind normale völkerrechtliche Beziehungen auf der Grundlage der Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen hergestellt. Das ist zweifellos auch ein Ausdruck der günstigen Entwicklung, die sich in den letzten Jahren in den internationalen Beziehungen der Staaten und Völker vollzogen hat. Es ist daher keine Anmaßung, wenn ich feststelle: Die Aufnahme der im Herzen Europas gelegenen Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland als zwei voneinander unabhängige souveräne Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung in die Organisation der Vereinten Nationen ist ein weiterer bedeutender Schritt auf dem Wege der Verbesserung der europäischen und internationalen Situation.

Im Auftrag der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik möchte ich Ihnen, verehrte Delegierte, und den Regierungen, die Sie hier in der Vollversammlung repräsentieren, den aufrichtigen Dank dafür aussprechen, daß unser sozialistischer Staat in souveräner Gleichheit heute seinen legitimen Platz unter den Mitgliedern der Organisation der Vereinten Nationen einnehmen kann. Für die herzlichen und ergreifenden Worte, die gestern und heute während der Tagung der Vollversammlung an die Deutsche Demokratische Republik gerichtet wurden, fühlen wir uns den verehrten Delegierten sehr verbunden.

Die Deutsche Demokratische Republik ist im Oktober 1949 gegründet worden. Ihr Weg bis zum heutigen historischen Tag war lang und schwierig, aber zugleich erfolgreich. Volk und Regierung der Deutschen Demokratischen Republik sind ihn unbeirrbar und in der festen Überzeugung von der Gerechtigkeit ihrer Sache gegangen. Sie haben ein für allemal Schluß gemacht mit der aggressiven und militaristischen Politik des ehemaligen imperialistischen Deutschen Reiches, des Hauptverantwortlichen und Hauptschuldigen für zwei Weltkriege, die den Völkern unermeßliche Opfer und unsagbares Leid gebracht haben. Die Existenz und Mitgliedschaft der friedliebenden sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik in der Organisation der Vereinten Nationen entspricht daher vollständig den erhabenen Zielen ihrer Charta.

Die Deutsche Demokratische Republik ist sich zutiefst der Verantwortung und der heiligen Verpflichtungen bewußt, die sich für sie aus der Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen ergeben. Die Charta der Vereinten Nationen sieht als erstes und höchstes Ziel vor, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten.

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Quelle: Neues Deutschland, Nr. 260, 20. September 1973; abgedruckt in Europa-Archiv, Folge 24/1973, S. D 672–D 673.

II. Rede des deutschen Bundesministers des Auswärtigen, Walter Scheel, anläßlich der Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Vereinten Nationen vor der Vollversammlung am 19. September 1973.

Herr Präsident!

Vor 47 Jahren, fast auf den Tag genau, trat Deutschland in den Völkerbund ein. Acht Jahre waren seit dem Ersten Weltkrieg verstrichen. Der deutsche Außenminister, Gustav Stresemann, wurde von seinem französischen Kollegen, Aristide Briand, mit den Worten begrüßt: „Vorbei ist die Reihe schmerzvoller und blutiger Begegnungen, mit denen alle Seiten der Geschichte befleckt sind [] kein Krieg mehr, keine blutigen und brutalen Lösungen unserer Zwistigkeiten. []“ Stresemanns Antwort: „ [] Wenn wir in die Höhe kommen wollen, können wir es nicht im Kampf gegeneinander, sondern nur im Zusammenwirken miteinander [].“

Ein Dialog der Erwartungen und Hoffnungen, getragen von bestem Willen. Eine flüchtige Chance des Friedens. Schon wenige Jahre später war sie vertan.

Diesmal sind 28 Jahre seit Kriegsende verstrichen. Jetzt stehen zwei deutsche Außenminister vor den Delegierten. Hier zeigt sich das Schicksal meines Volkes: Ursprung und Opfer des Krieges, geteilt ohne eigenes Zutun, nun in zwei Staaten lebend, und ungewiß einer gemeinsamen Zukunft.

Verstehen Sie, warum wir zögerten, den Schritt in die Vereinten Nationen zu tun? Es ist schmerzlich, der politischen Realität der Teilung des eigenen Landes ins Auge zu sehen. Wir befürchteten, ein solcher Schritt könnte den Eindruck erwecken, als resignierten wir, als hätten wir die Hoffnung auf Einheit aufgegeben. Wir machten uns Sorge, die Schranken zwischen den Menschen in Deutschland könnten durch die Mitgliedschaft beider Teile noch höher werden.

Jetzt haben wir einen neuen Ausgangspunkt. Die beiden Staaten in Deutschland haben ihre Beziehungen zueinander durch den Grundvertrag vom 21. Dezember 1972 geregelt. Für Berlin kam das Viermächte-Abkommen unter Beteiligung der beiden Staaten in Deutschland am 3. September 1971 zustande. Dieses Abkommen hat nicht zuletzt den Weg dafür freigemacht, daß Berlin (West) an unserer Mitarbeit in den Vereinten Nationen teilhaben kann.

Unser Ziel bleibt klar: Die Bundesrepublik Deutschland wird weiter auf einen Zustand des Friedens in Europa hinwirken, in dem das deutsche Volk seine Einheit in freier Selbstbestimmung wiedererlangt.

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Quelle: Bulletin (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung), Nr. 114, 20. September 1973; abgedruckt in Europa-Archiv, Folge 24/1973, S. D 673–D 674.