Kurzbeschreibung

Da vier von fünf türkischen Frauen Analphabeten sind, haben sie es besonders schwer, mit ihrer neuen Umgebung zurechtzukommen. Darüber hinaus erschwert ihre soziale Situation die Integration in die deutsche Gesellschaft: Sie bleiben zuhause in ihrer Wohnung, beschränken sich auf die Versorgung der Kinder und haben kaum Kontakte mit Deutschen und ihrer Gesellschaft.

Die Probleme der türkischen Frauen in einem fremden Land (1. Mai 1980)

  • Rose-Marie Christ

Quelle

Sie leben und leiden in einem fremden Land
Türkinnen fühlen sich ausgestoßen

Etwa 300 000 türkische Frauen leben in der Bundesrepublik. Sie fühlen sich als Außenseiterinnen in unserem Land. Über die Gründe informiert eine Studie, die das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft in Auftrag gab.

Um Mevlüde Baklan für eine Türkin zu halten, bedarf es schon großer Phantasie. Sie trägt keine bunten Pluderhosen unter den Kleidern, noch vermummt sie ihren Kurzhaarschnitt unter dem unvermeidlichen Kopftuch, das die meisten ihrer Landsmänninnen tragen.

Die 33jährige Türkin lebt seit sieben Jahren in der Bundesrepublik. Daß sie sich den westlichen Verhältnissen scheinbar ohne jede Schwierigkeit angepaßt hat, liegt an ihren günstigeren Startbedingungen. Mevlüde Baklan war schon in ihrem Heimatland Lehrerin.

Die meisten Türkinnen (80 Prozent) sind Analphabetinnen. Die eigene Sprache beherrschen sie unvollständig, von der deutschen ganz zu schweigen. Solange diese Frauen und Mädchen in der Türkei lebten, war das kein Problem.

In der Bundesrepublik – das ergab eine Studie des Bundeswissenschaftsministeriums – fühlen sich die Türkinnen als Außenseiterinnen. Kontakt zu den Mitmenschen wird bereits im Keim erstickt. Entweder sind sie vollkommen auf den Haushalt fixiert und leben total isoliert in bedingungsloser Abhängigkeit vom Ehemann oder sie arbeiten in einem Industriebetrieb.

Vor allem spüren sie die starke Ablehnung, die ihnen die deutsche Bevölkerung aufgrund ihrer andersartigen Kleidung, ihres zurückhaltenden Wesens und ihrer Sprachschwierigkeiten entgegenbringt.

Am stärksten leiden diese Frauen aber unter der Entfremdung von Kindern und Ehemann. Dieses Bündel an Konflikten führt bei immer mehr Türkinnen zu psychosomatischen Beschwerden.

Mevlüde Baklan weiß, wie sehr die meisten ihrer Landsmänninnen darunter leiden, Fremde in einem fremden Land zu sein. Deshalb setzt sie ihre ganze Kraft ein, um ihnen zu helfen. Als Sozialbetreuerin bei der Arbeiterwohlfahrt in Duisburg richtete sie einen Alphabetisierungskurs ein, damit die Frauen wenigstens lesen und schreiben lernen.

Dabei zeigte sich, daß die Bereitschaft zum Lernen sehr groß ist. „Die meisten haben den brennenden Wunsch, ihre Lage zu verändern. Sie wollen lernen, vor allem wollen sie respektiert werden“, sagt die Sozialarbeiterin. Als große Bremser erwiesen sich dagegen die Ehemänner.

Weiterbildung ist die einzig mögliche Form, den Frauen zu helfen.

Quelle: Rose-Marie Christ, „Sie leben und leiden in einem fremden Land“, Welt der Arbeit, 1. Mai 1980.