Kurzbeschreibung

Ein von einem mutmaßlichen Rechtsradikalen verübter Terrorangriff auf das Münchner Oktoberfest, der 13 Menschen das Leben kostete und weitere 200 verletzte, war Auslöser für eine tiefgreifende Analyse der Zunahme des Rechtsradikalismus, der ein weites Spektrum – von der reaktionären Nationaldemokratischen Partei bis zu Jugendgangs von Neonazis – umfasste. Der folgende Artikel erschien in der Neuen Zürcher Zeitung.

Blick von außen auf den Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik (30. November 1980)

Quelle

Unterschätzer Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland?
Das Signal des Münchner Bombenanschlages

Mitten in der bierseligen Feststimmung des Münchner Oktoberfestes explodierte am Abend des 26. September, kurz vor halb elf Uhr, eine tödliche Bombe. Der Sprengstoffanschlag unmittelbar vor dem Haupteingang der Oktoberwiese, auf der zu jenem Zeitpunkt um die 200 000 Menschen versammelt waren, kostete 13 Personen das Leben; über 200 wurden teilweise schwer verletzt. Die Hintergründe des blutigen Geschehens sind bis heute nicht restlos geklärt. Von Anfang an stand fest, dass es sich um einen Terroranschlag handelte, und schon nach wenigen Stunden entdeckten die Untersuchungsbehörden eine Täterspur, die in die rechtsextreme Richtung zeigte. Nach Darstellung von Generalbundesanwalt Rebmann, der die Ermittlungen leitet, kann es heute praktisch keine Zweifel mehr geben, dass der 22jährige Geologiestudent Gundolf Köhler, der durch die Explosion selber in Stücke gerissen wurde, der Bombenleger gewesen ist. Auf Grund von Farb- und Metallpartikeln, die im Keller von Köhlers Elternhaus in Donaueschingen gefunden wurden, hat sich der Verdacht sehr stark verdichtet, dass die Sprengladung dort zusammengebaut worden ist. Köhler hatte zumindest vorübergehend Kontakte mit der zu Beginn dieses Jahres verbotenen rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann. Karl-Heinz Hoffmann, der Leiter dieser Truppe, die durch paramilitärische Geländeübungen und Naziparolen vor allem publizistisch von sich reden gemacht hatte, und sechs seiner Anhänger wurden nach dem Attentat festgenommen, aber kurz darauf wieder freigelassen, weil offenbar ausreichende Verdachtsmomente für eine Beteiligung an dem Münchner Anschlag nicht vorlagen.

Offene Fragen

Offen bleiben vor allem zwei wichtige Fragen: Hat der mutmaßliche Täter Gundolf Köhler als Einzelgänger gehandelt oder in Zusammenarbeit mit Komplizen, und welches ist das genaue Motiv für den blutigen Anschlag? Die Ermittlungsbehörden neigen nach wie vor der Hypothese zu, dass der als Attentäter dringend verdächtige Köhler nicht völlig allein agierte, obwohl handfeste Beweise für diese Theorie bis jetzt nicht vorgelegt worden sind. Was das Motiv betrifft, so reichen die Spekulationen von einer möglichen bewussten Selbstmordabsicht des in persönliche Schwierigkeiten verstrickten Gundolf Köhler bis hin zur weitverzweigten rechtsextremistischen Terrorverschwörung gegen die deutsche Demokratie im erregten Vorfeld der Bundestagswahlen. Dass die Münchner Bluttat aus dem rechtsextremen Dunstkreis heraus verübt wurde, gilt inzwischen in allen Berichten und Stellungnahmen gleichsam als unverrückbares Axiom, obschon die Eltern des mutmaßlichen Attentäters mit einem gewissen Recht dagegen protestiert haben, dass ein Verdächtiger von der Presse ohne Einschränkungen zum Schuldigen abgestempelt wird, bevor ein formelles Rechtsurteil vorliegt.

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Sensibilisierung der Öffentlichkeit

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Jüngste Ereignisse machen deutlich, dass einzelne Aktivisten der rechtsextremen Szene sich nicht mehr mit beschränkten Gewaltausschreitungen begnügen, sondern direkt zu mörderischen Terroranschlägen übergehen. So gab es im Laufe dieses Jahres neben dem Münchner Attentat mindestens sechs Bombenexplosionen gegen jüdische Gedenkstätten oder Aufnahmeeinrichtungen von Ausländern. Bei einem Brandanschlag gegen ein Ausländerwohnheim in Hamburg sind im August zwei vietnamesische Flüchtlinge getötet worden. Die Täter dieser Verbrechen konnten verhaftet werden. Es handelte sich vornehmlich um Mitglieder der sogenannten Deutschen Aktionsgruppen. Kopf dieser rechtsextremen Organisation ist der inzwischen ebenfalls verhaftete ehemalige Rechtsanwalt Manfred Röder. Insbesondere die Gewaltausschreitungen gegen Ausländer verweisen auf eine neue und in ihren potentiellen Wirkungsmöglichkeiten beunruhigende politische Stossrichtung rechtsextremistischer Agitation.

Laut dem letzten Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1979 ist zwar die Gesamtzahl der rechtsextremen Organisationen und ihrer Mitglieder weiterhin leicht rückläufig. Diese statistische Tendenz ist in der Hauptsache bedingt durch den anhaltenden Niedergang der sich demokratisch gebärdenden Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), die mit rund 8000 Parteiangehörigen ungefähr die Hälfte des Mitgliederbestandes aller rechtsextremen Gruppen stellt. Bei der Bundestagswahl vom 5. Oktober erhielt die NPD 67 000 Stimmen, womit ihr prozentualer Anteil gegenüber dem Ergebnis vor vier Jahren um die Hälfte, um 0,2 Prozent, dezimiert wurde. Noch 1969 hatte die NPD mit 4,3 Prozent den Sprung in den Bundestag knapp verfehlt. Als politische Alternative im Rahmen der demokratisch-parlamentarischen Spielregeln scheint die extreme Rechte in der Bundesrepublik heute also nahezu bedeutungslos.

1400 Aktivisten

Die umgekehrte Tendenz aber zeigt sich bei den auf rund dreißig geschätzten militanten Neonazigruppen, deren Aktivistenstamm vom Verfassungsschutz Ende 1979 mit 1400 Personen beziffert wird, was gegenüber 1978 eine starke Zunahme von 40 Prozent bedeutet. Zum harten Kern dieser rechtsextremen Fanatiker, die zunehmend konspirativ agieren und nun in verschiedenen Fällen zu offenen Terrorverbrechen übergegangen sind, rechnete man vor einem Jahr etwa dreihundert Personen. Dieser Kreis könnte sich inzwischen nicht unwesentlich erweitert haben. Sehr stark zugenommen haben in den letzten drei Jahren auch die rechtsextremistischen Ausschreitungen, zu denen allerdings auch kleinste Verstöße wie das Tragen nazistischer Embleme zählen (1979 wurden rund 1500 Zwischenfälle registriert – 50 Prozent mehr als im Vorjahr). Ebenso verdoppelte sich innerhalb eines Jahres die Zahl der größeren rechtsextremen Gewalttaten auf 117. Die Gerichte und Ermittlungsbehörden sind dieser Entwicklung gegenüber nicht untätig geblieben: wegen Delikten mit rechtsradikalem Hintergrund gab es im vergangenen Jahr immerhin 365 Verurteilungen. Im Prozess gegen die Terroristengruppe des ehemaligen Bundeswehrleutnants Michael Kühnen, der die NSDAP neu aufbauen wollte, wurden erstmals hohe Freiheitsstrafen zwischen vier und elf Jahren ausgesprochen. Zurzeit laufen im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Vergehen mehrere hundert Ermittlungsverfahren. Der gelegentlich erhobene Vorwurf, in der Bundesrepublik herrsche eine gewisse Blindheit gegenüber den Gefahren von rechts, dürfte also zumindest bei den deutschen Justizorganen an die falsche Adresse gerichtet sein.

Nicht völlig erhaben über den Vorwurf, die wachsende Brisanz der rechtsextremen Aktivitäten unterschätzt zu haben, sind jedoch jene Politiker, die noch bis zum Münchner Blutbad mehr oder weniger offen behauptet hatten, der für die Sicherheitsdienste verantwortliche Innenminister Baum überzeichne bewußt die Dimensionen des Rechtsextremismus, um so von den mangelnden Erfolgen bei der Bekämpfung des Linksterrorismus abzulenken. Der bayrische Innenminister Tandler war zweifellos schlecht beraten, als er noch Anfang September mit deutlicher Spitze gegen seinen Bonner Amtskollegen Baum kritisierte, über die Realitäten hinaus werde eine rechtsextreme „Schattengefahr“ aufgebaut. Auch von Strauss sind frühere Zitate über den Rechtsextremismus verbreitet worden, die jedenfalls nach dem Münchner Fanal als Verharmlosung erscheinen mussten und die ihm in der Endphase des Wahlkampfes nicht wenig geschadet haben dürften.

Agitation gegen Ausländer

Bis zu den jüngsten Terroranschlägen fiel es allerdings auch neutralen Beobachtern schwer, hinter den neonazistischen Umtrieben in der Bundesrepublik mehr als nur wirres Sektierertum einiger hoffnungslos isolierter Häuflein zu sehen. Zwar erscheint das rechtsextreme Wochenblatt „Deutsche National-Zeitung“ seit Jahren in einer Auflage von rund 100 000 Exemplaren, und daneben wuchert in dieser rechten Ecke ein dichtes publizistisches Gestrüpp brauner Sumpfblüten. Aber längere Zeit schienen die primitiven Parolen der extremen Rechten – die kein geschlossenes Konzept erkennen lassen, sondern nur ein konfuses Durcheinander von theatralischer NS-Verherrlichung, rabiatem Antisemitismus und Antikommunismus sowie verächtlicher Ablehnung der parlamentarischen Demokratie – über den schon aus biologischen Gründen dünner werdenden Kreis der Altnazis hinaus kaum breitere Resonanz zu finden.

Selbst als in den siebziger Jahren in den Reihen der gewalttätigen neonazistischen Zirkel zunehmend jüngere Leute auftauchten, glaubte niemand so richtig an die Existenz eines ernstzunehmenden Sympathisantenumfeldes, über das im Zusammenhang mit dem Linksterrorismus hierzulande so intensiv diskutiert worden ist. Inzwischen jedoch scheint die militante Rechte dabei ihren bisher auch quantitativ sehr beschränkten geistigen Nährboden durch gezielte Agitation gegen die Ausländer in der Bundesrepublik auszuweiten. In Westdeutschland leben gegenwärtig fast 4,5 Millionen Ausländer (rund 7,5 Prozent der Gesamtbevölkerung), die angesichts düsterer werdender wirtschaftlicher Aussichten und steigender Arbeitslosigkeit mancher Bundesbürger weniger leicht akzeptiert werden als in früheren Boomjahren. Zugespitzt hat sich die Ausländerproblematik weiter durch den flutartig angeschwollenen Strom von Asylbewerbern – hauptsächlich aus der Türkei und der Dritten Welt –, deren Zahl allein für dieses Jahr auf weit über 100 000 geschätzt wird. Im sich da und dort heftiger bemerkbar machenden sozialen Unmut über diese Entwicklung liegt zweifellos das gefährlichste Zündstoffpotential für rechtsextremistische Fanatiker.

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Quelle: R. M., „Unterschätzter Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland? Das Signal des Münchner Bombenanschlages“, Neue Zürcher Zeitung, 30. November 1980. © Neue Zürcher Zeitung. Alle Rechte vorbehalten.