Kurzbeschreibung

Dieser Beitrag illustriert den breiten Rahmen einer feministisch betriebenen Politik im Westen Deutschlands am Beispiel dreier autonomer Frauen aus der Frauenbewegung, die im Frankfurter Stadtparlament vertreten waren. Nach ihrer Meinung beinhaltet feministische Politik unter anderem die Kritik an männlichen Sprachformen, die Bereitschaft in „männliche“ Politikfelder einzudringen sowie mannigfaltiges politisches Engagement, welches weit über die institutionelle Parlamentsarbeit hinausgehe.

Frauenpolitik auf lokaler Ebene (1986)

  • Elke Kiltz
  • Brigitte Sellach

Quelle

Das Projekt „Autonome Frauen im Römer“: Feministische Politik im Frankfurter Stadtparlament

In Frankfurt machen wir als Trio, 3 autonome Frauen aus der Frauenbewegung, auf parlamentarischer Ebene feministische Politik – zwei als gewählte Stadtverordnete auf der Liste der GRÜNEN, eine als Fraktionsassistentin. Wir werden unterstützt von einer Gruppe autonomer Frauen, die sich wöchentlich trifft, um unsere Arbeit mitzuentwickeln und mitzutragen. Wir machen feministische Politik, wenn wir z. B. gegen die schienenfreie Innenstadt sind und das mit der geschlechtlichen Arbeitsteilung begründen, wenn wir gegen die Sperrgebietsverordnung kämpfen und unsere Kampagne unter dem Motto führen: „Frauen gegen Doppelmoral“, wenn wir in unserer Haushaltsrede mit einem Zitat aus dem klassischen Kochbuch von Davidis über sparsame Haushaltsführung beginnen oder wenn wir Anträge stellen zur finanziellen Förderung von Frauenprojekten in der Stadt. Wir machen feministische Politik auch dann, wenn wir immer wieder die männlichen Sprachformen kritisieren und beispielsweise den Begriff „Milchmädchenrechnung“, ein Lieblingsbegriff männlicher Parlamentarier, zurückweisen. Über diese Politik wollen wir in unserem Beitrag auch ganz konkret berichten: Feministische Politik im traditionellen Politikbereich eines Parlamentes, wie wir sie verstehen, soll Frauen in ihren vielfältigen Arbeits- und Lebensformen ins Blickfeld der Öffentlichkeit rücken, sie sollen zu einem zentralen Thema der politischen Öffentlichkeit in Frankfurt werden. Die Schwierigkeiten für unsere feministische Politik ergeben sich allerdings dann, wenn wir die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Frauen auf ihrem Weg zu mehr Autonomie auf der Ebene von Maßnahmen, städtischen Verordnungen u. ä., konkretisieren müssen, die von einer Verwaltung umsetzbar sind. Worauf soll es eigentlich hinauslaufen, bzw. was für eine Art städtischer Welt, städtischer Gesellschaft wollen wir eigentlich? Bis vor kurzem haben wir in unseren Diskussionen dieses Problem so gelöst, daß wir von unseren feministischen Utopien gesprochen haben, wobei weitgehend offenblieb, was wir uns genau darunter vorstellen, sind doch die Lebensentwürfe und der Alltag von Frauen so verschieden wie die Erklärungen und Interpretationen, die sie dafür finden. []

Vor diesem Hintergrund scheint – so die zentrale Kritik „radikaler“ Feministinnen häufig – feministische Politik in patriarchalen Strukturen vom Ansatz her schon zum Scheitern verurteilt. Oder – wie die Kritik auch formuliert wird – all das, was feministische Politikerinnen in diesen Strukturen alltäglich erarbeiten und evtl. auch durchsetzen, ist nicht feministisch genug, weil es an das patriarchale System angepaßt ist – sonst hätte es halt keine Mehrheit gefunden. Diese auch quantitativ begründete Kritik kann nicht so leicht widerlegt werden, denn schließlich sind die Frauen in den Parlamenten tatsächlich eine Minderheit, Beschlüsse kommen also immer nur mit der männlichen Mehrheit zustande – und welcher Mann sägt schließlich an dem Ast, auf dem er sitzt? Dennoch behaupten wir, daß wir im Stadtparlament feministische Politik machen, daß wir konkrete Ansätze feministischer Politik formulieren und realisieren und uns als Feministinnen, eingebunden in patriarchale Strukturen – von 93 Stadtverordneten in Frankfurt sind nur 22 weiblich –, behaupten und qualifizieren.

Was bezeichnen wir dabei eigentlich als Politik? Die Frage scheint in diesem Zusammenhang neu klärungsbedürftig. In vielen Diskussionen mit anderen Frauen beobachten wir zur Zeit einen Trend, mit dem Begriff „Politik“ wieder das zu fassen, was uns herkömmlicherweise als solche verkauft wird: parlamentarische Arbeit, Parteipolitik und Regierung. Ist das ein Rückschritt? Die Frauenbewegung ist mal mit dem Slogan angetreten „Das Private ist politisch.“ Dieser Slogan war durchaus revolutionär, ermöglichte er uns doch, unsere Existenzprobleme innerhalb der als patriarchal definierten Gesellschaft nicht als individuelles Versagen, sondern als kollektive Unterdrückung zu begreifen und zu fühlen – und damit als kollektiv und individuell veränderbare Strukturen innerhalb und außerhalb von uns selbst. Inzwischen scheint es wieder wie ehedem. Das Private bleibt privat – die Auseinandersetzungen mit Männern auf der Ebene der privaten Beziehungen in ihrer politischen Dimension sind kein Thema mehr – der quotierte Zugang zur öffentlichen Macht, das ob und wenn ja, das wie und wann sind die Fragen der Frauenbewegung.

Wir halten demgegenüber an der Auffassung fest, daß der Vielfalt an durch die neue Frauenbewegung aufgeworfenen Fragestellungen und Forderungen auch eine Vielfalt von Handlungsebenen feministischer Politik entspricht, die jeweils unterschiedliche Wege erfordern. Bei Aktionen auf der Straße haben wir beispielsweise andere Möglichkeiten und Hindernisse als beim täglichen „Privatkampf“ mit dem Partner (falls vorhanden) um die Haus- und Familienarbeit oder in den Strukturen der Universität – oder in anderen institutionellen Hierarchien – bei der Durchsetzung feministischer Forderungen. Das Parlament ist für uns eine Handlungsebene, die wir jetzt zusätzlich ausprobieren, um den Einflußbereich feministischer Politik zu verbreitern und öffentlich zu machen.

Was bezeichnen wir nun als feministische Politik im Parlament, vielmehr woran orientieren wir uns im kommunalpolitischen Alltag, in dem Fragen aufgeworfen werden, Probleme zur Bearbeitung anstehen, die in der feministischen Diskussion so konkret bisher nicht vorgekommen sind.

Eine erste Antwort auf diese Frage ist, daß wir versuchen, alle unsere Aufgaben im Parlament mit einem feministischen Blick zu sehen, einem Blick, der ausgeht von den weiblichen Lebensverhältnissen und Erfahrungen, dem privaten und öffentlichen Leben von Frauen, einem Blick, den wir in der neuen Frauenbewegung erst haben lernen müssen. Das bedeutet, insbesondere die traditionellen männlichen Politikbereiche, z. B. die Finanzpolitik oder Verkehrspolitik, mit dem feministischen Erkenntnisinteresse aufzudröseln und genauer herauszufinden, was die jeweiligen Maßnahmen oder Entscheidungen gerade für Frauen bedeuten. Wir werden das am Beispiel der städtischen Planung einer „schienenfreien Innenstadt“, der vorgesehenen Herausnahme der Straßenbahn aus der Frankfurter Innenstadt, noch genauer beschreiben. In diesem Zusammenhang geht es auch immer darum, sich aus der Argumentation des Sachzwanges zu lösen und die Verantwortlichen auch als Personen zu benennen. Wir lernen sie dabei kennen und uns gegen sie zu wehren, müssen uns nicht mehr nur unter dem Zwang eines übermächtigen, undurchschaubaren „Systems“ fühlen, sondern sehen die Verantwortlichen als konkret handelnde Männer. Hier ist die kommunale Frauengruppe ein wichtiger Ort der Auseinandersetzung und Arbeit an diesen Themen, zugleich aber auch der zentrale Ort unserer emotionalen und politischen Unterstützung. In der Regel sind es Gruppenergebnisse, die wir dann öffentlich vertreten.

Feministische Politik heißt für uns auch, daß wir immer gegen die patriarchale Spaltung von Frauen angehen. Am Beispiel einer für die Stadt diskutierten Sperrgebietsverordnung, der städtischen Reglementierung von Prostitution, bedeutete das, daß wir uns nicht dem Motto der SPD „keine Prostitution in die Wohngebiete“ angeschlossen haben und damit der Spaltung zwischen den „guten“ Ehefrauen und den „schlechten“ Prostituierten, sondern daß wir uns gegen jegliche Reglementierung der Prostitution ausgesprochen und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die soziale Absicherung der in der Prostitution tätigen Frauen gefordert haben.

Die patriarchale Spaltung zwischen Frauen innerparlamentarisch anzugehen, d. h. zu einer partiellen Zusammenarbeit mit den Frauen aus den anderen Fraktionen zu kommen, ist uns bisher noch nicht gelungen. Nachdem alle Parteien die „Frauenfrage besetzt“ haben, bestehen eher Konkurrenzverhältnisse zwischen uns Frauen. Zudem unterscheiden sich unsere Forderungen oder Beiträge in der Regel von denen der Frauen aus anderen Parteien in ihrer Radikalität. Als Beispiel sei hier die alte ASF[1] -Forderung nach kommunalen Frauenbüros angeführt. Auf den für uns nicht akzeptablen Antrag der SPD reagierten wir mit einem Ergänzungsantrag, der eine Ausweitung der Kompetenzen und der personellen Besetzung forderte. Mit den SPD-Frauen konnten wir uns dann auf einen Kompromiß einigen. Die CDU-Frauen verteidigten hingegen die als „Neuland“ (von der CDU-Mehrheit) gepriesene Einrichtung einer „Ein-Frau-Gleichstellungsstelle“, deren Kompetenzen sich in denen einer Ombudsfrau der Stadtverwaltung erschöpfen. Darüber hinaus gab es bisher allerdings noch keinen Versuch von den Parteifrauen aus SPD oder CDU, mit uns einen Kompromiß zu erarbeiten.

Feministische Politik bedeutet für uns, nicht stellvertretend für andere Interessen zu formulieren, sondern anderen Frauen in der Stadt Raum zu geben und sie zu ermutigen, auch im parlamentarischen Raum ihre Forderungen selbst vorzutragen und zu begründen. Konkret heißt das z. B., daß wir immer wieder für Ausschußsitzungen Rederecht für Fraueninitiativen und -projekte beantragen, das von der CDU-Mehrheit allerdings regelmäßig zurückgewiesen wird. Häufig begründen dann die wenigen weiblichen Stadtverordneten der CDU die Ablehnung unseres Antrages, z. B. indem sie auf fehlende Repräsentativität unserer Frauengruppe verweisen, erledigen also eigentlich das Geschäft für die Männer. Feministisch Politik zu machen, heißt für uns auch, jede Gelegenheit für öffentliche Stellungnahmen zu nutzen, an Diskussionen teilzunehmen, zu denen wir als Stadtverordnete eingeladen werden, unseren Status einzusetzen, Frauen in das öffentliche Gespräch zu bringen und dabei selbst zu lernen, öffentlich zu agieren und verständlich zu argumentieren.

Anmerkungen

[1] ASF: Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen—Hrsg.

Quelle: Elke Kiltz und Brigitte Sellach, „Das Projekt ‚autonome Frauen im Römer:‘ Feministische Politik im Frankfurter Stadtparlament“, Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis 1986, Nr. 18, S. 41 ff. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Autorinnen.

Frauenpolitik auf lokaler Ebene (1986), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/zwei-deutsche-staaten-1961-1989/ghdi:document-224> [26.04.2024].